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Verwaltungsgericht Stade Beschluss vom 26.06.2015 - 1 B 863/15 - Ärztliches Gutachten bei hirnorganischem Psychosyndrom

VG Stade v. 26.06.2015: Fahreignung und Facharztgutachten bei hirnorganischem Psychosyndrom


Das Verwaltungsgericht Stade (Beschluss vom 26.06.2015 - 1 B 863/15) hat entschieden:
Aus der Diagnose eines hirnorganischen Psychosyndroms - jedenfalls soweit es sich um eine leichte Ausprägung handelt, Ziffer 7.2.1. der Anlage 4 - für die Klassen A, A1, A2, B, BE, AM, L, T einerseits und die Klassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE, D1E, FzF andererseits folgt, dass die Begutachtung für diese Klassen auch unterschiedlich ausfallen kann. Aus einer gutachterlich festgestellten Nichteignung für Fahrzeuge der Klasse C1E lässt sich ein Rückschluss auf die Eignung für die Klassen A, A1, A2, B, BE, AM, L, T nicht ziehen. Denn die Eignungsanforderungen für die Klasse C1E sind höher als die für die anderen genannten Klassen.


Siehe auch Krankheiten und Fahrerlaubnis und Facharztgutachten im Fahrerlaubnisrecht


Gründe:

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis für alle Klassen durch den Antragsgegner.

Der Antragsteller wurde am D. 1944 geboren. Er war Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klassen A1, B, BE, C1, C1E, M (heute: AM), S (heute: AM) und L.

Unter dem 7. September 2012 beantragte er bei dem Antragsgegner einen Ersatzführerschein und füllte einen freiwilligen Gesundheitsbogen aus. Dort gab er an, unter Schwerhörigkeit und Bewegungsbehinderung zu leiden. Der Antragsgegner forderte ihn daraufhin mit Schreiben vom 12. Oktober 2012 und vom 4. Dezember 2012 zur Vorlage einer Bescheinigung des Hausarztes auf, die zu einer etwaigen Eignungseinschränkung zum Führen von Kraftfahrzeugen Stellung nehmen sollte. Am 11. Dezember 2012 legte der Antragsteller eine Bescheinigung seines Hausarztes vom 18. Oktober 2012 vor, die ihm eine Verlangsamung und eine Halbseitenschwäche rechts attestierte. Aus neurologischer Sicht sei er in der Lage, am motorisierten Straßenverkehr teilzunehmen in einem Fahrzeug, in dem die wesentlichen Bedienelemente auf rechts umgebaut seien. Er solle möglichst keine längeren Strecken fahren. In einem weiteren hausärztlichen Attest vom 3. Januar 2013 wurde der Umbau der Bedienelemente von rechts auf links korrigiert und festgestellt, dass der Antragsteller ein Automatikgetriebe benötige.

Unter dem 6. März 2013 forderte der Antragsgegner den Antragsteller zur Beibringung eines Gutachtens eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr in Form einer Fahrprobe auf. Am 5. Juni 2013 sprach der Sohn des Antragstellers beim Antragsgegner vor und teilte mit, dass die Fahrprobe nicht durchgeführt habe werden können, weil die Bedienelemente am Fahrzeug des Antragstellers nicht umgebaut gewesen seien. Unter dem 12. September 2013 teilte der Antragsgegner mit, dass von dem Umbau aufgrund des ärztlichen Attestes für die Fahrprobe nicht abgesehen werden könne.

Mit Schreiben vom 5. Februar 2014 kündigte der Antragsgegner an, dem Antragsteller wegen der fehlenden Fahrprobe auf der Grundlage des § 11 Abs. 8 FeV die Fahrerlaubnis zu entziehen.

Am 7. Februar 2014 übersandte der Antragsteller dem Antragsgegner ein hausärztliches Attest vom 7. Februar 2013, in welchem dargestellt wurde, dass die Funktion der rechten Körperhälfte nur leicht eingeschränkt sei und ärztlicherseits nicht mit Sicherheit festgestellt werden könne, ob ein Umbau der Bedienelemente notwendig sei, damit der Antragsteller ein Fahrzeug sicher führen könne.

Daraufhin nahm der Antragsteller von der Anordnung einer Fahrprobe Abstand und regte mit Schreiben vom 25. Februar 2014 eine Untersuchung durch einen Neurologen mit verkehrsmedizinischer Qualifikation an. Die erneute Gutachtenanforderung enthält keine Fragestellung und keinen Hinweis auf § 11 Abs. 8 FeV. Der Antragsteller zeigte sich mit der neurologischen Untersuchung einverstanden. Unter dem 5. März 2014 übersandte der Antragsgegner dem benannten Neurologen folgende Frage:
Ist die Fahreignung des Untersuchten aufgrund der Aktenlage bekannten Erkrankung (Halbseitenschwäche) entsprechend Anlage 4 zur FeV beeinträchtigt oder gänzlich in Frage gestellt? Erfüllt der Untersuchte die Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Klasse C1E oder sind diese zu beschränken, zu reduzieren oder ggf. mit Auflagen zu versehen?
Am 17. März 2014 ging bei dem Antragsgegner eine Einschätzung des Neurologen zum Gesundheitszustand des Antragstellers vom 12. März 2014 ein. Der Neurologe attestierte einen Zustand nach Schädel-​Hirn-​Trauma 2006 mit Entwicklung eines Hydrocephalus aresorptivus mit Symptomen eines Normaldruckhydrocephalus. Er nahm Bezug auf eine stationäre Diagnostik aus dem Jahr 2010 und einer anschließenden Rehabilitationsmaßnahme. In den beiden bei ihm durchgeführten Vorstellungsterminen habe der Antragsteller neurologisch eine geringgradige Halbseitenschwäche, eine deutliche Gangstörung mit einem kleinschrittigen, unsicheren Gangbild, ein hirnorganisches Psychosyndrom mit neuropsychologischen Störungen und eine ausgeprägte Verlangsamung der kognitiven Funktionen mit Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen aufgewiesen. Es beständen Zweifel an der Fähigkeit des Antragstellers zum Führen eines Kraftfahrzeuges wegen der kognitiven Defizite. Eine verkehrsmedizinische Begutachtung einschließlich der entsprechenden Testverfahren insbesondere auch des Reaktionsvermögens bei einer entsprechend ausgestatteten Begutachtungsstelle sei angezeigt.

Unter dem 17. April 2014 änderte der Antragsgegner seine Forderung nach einer fachärztlichen Untersuchung dahingehend ab, dass diese nun durch einen Arzt in einer Begutachtungsstelle vorgenommen werden solle und die gängigen Testverfahren hinsichtlich des Reaktionsvermögens beinhalten solle. Bei der Begutachtung sollte folgende Fragestellung beantwortet werden:
Ist der Antragsteller trotz der nach Aktenlage bekannten Erkrankungen (Halbseitenschwäche, Gangstörung, hirnorganisches Psychosyndrom mit neuropsychologischen Störungen, Verlangsamung der kognitiven Funktionen), die nach Anlage 4 FeV die Fahreignung in Frage stellen, in der Lage, den Anforderungen zum sicheren Führen von Kraftfahrzeugen der Klasse C1E gerecht zu werden? Kann ggf. durch Auflagen oder Beschränkungen eine bedingte Eignung hergestellt werden?
Gegenüber der Begutachtungsstelle E., welche die Untersuchung durchführen sollte, ergänzte der Antragsgegner im Schreiben vom 12. Juni 2014 die Frage um folgenden Zusatz: Sollte die Überprüfung der psycho-​physischen Leistungsfähigkeit erforderlich sein, bitte ich diese in Abstimmung mit dem Betroffenen innerhalb der anstehenden Begutachtung durchzuführen und im abschließenden Gutachten zu begründen. Dies beinhaltet auch die Durchführung einer evtl. erforderlichen Fahrverhaltensbeobachtung.

Diesen Zusatz teilte er dem Antragsteller mit Schreiben vom selben Tag mit.

Nachdem sich die Vorlage des Gutachtens verzögert hatte, kündigte der Antragsgegner unter dem 6. Mai 2015 die Entziehung der Erlaubnis des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen gestützt auf § 11 Abs. 8 FeV an. Unter dem 19. Mai 2015 legte der Antragsteller schließlich das Gutachten der E. vom 22. Dezember 2014 (Untersuchungstag: 5. Dezember 2014) und ein augenärztliches Attest vom 29. Januar 2015 bei, in dem ein Visus unkorrigiert von RA 0,6, LA 0,8, binokular 0,8 bestätigt wurde.

Das Gutachten des E. beantwortete die gestellte Frage dergestalt, dass der Antragsteller aufgrund der nach Aktenlage bekannten Erkrankungen (Halbseitenschwäche, Gangstörung, hirnorganisches Psychosyndrom mit neuropsychologischen Störungen, Verlangsamung der kognitiven Funktionen), die nach Anlage 4 FeV die Fahreignung in Frage stellen, nicht in der Lage sei, den Anforderungen zum sicheren Führen von Kraftfahrzeugen der Klasse C1E gerecht zu werden. Auch durch Auflagen oder Beschränkungen könne eine bedingte Eignung nicht hergestellt werden. Die Überprüfung der psycho-​physischen Leistungsfähigkeit sei erforderlich gewesen. Ob die dabei festgestellten Defizite zu kompensieren seien, müsse ggf. durch eine Fahrverhaltensbeobachtung zu einem späteren Zeitpunkt festgestellt werden.

In den anlässlich der Untersuchung durchgeführten psychophysischen Testverfahren hatte der Antragsteller durchweg einstellige Prozentränge zwischen 8 und 4 erreicht.

Nach Beschwerden des Antragstellers ergänzte der E. das erstellte Gutachten. Unter dem 9. Januar 2015 wies er u.a. darauf hin, dass das weitere Vorgehen erst nach einer augenärztlichen und HNO-​ärztlichen weiteren Abklärung festgelegt werden könne. Unter dem 30. Januar 2015 hielt der E. an seinem negativen Votum fest, weil derzeit nicht von der Fahreignung des Antragstellers wegen medizinischer Aspekte und der unzureichenden psycho-​physischen Leistungsfähigkeit ausgegangen werden könne. Eine Wiederholung des Tests mit Lesebrille sei derzeit nicht sinnvoll, weil selbst positive Testergebnisse nichts an dem eindeutig negativen Gutachtervotum ändern würden. Es seien zunächst die noch offenen medizinischen Fragen zu klären.

Mit Bescheid vom 27. Mai 2015 entzog der Antragsgegner dem Antragsteller die Fahrerlaubnis für alle Klassen und ordnete die sofortige Vollziehung an. Aufgrund des Gutachtens der E. sei eindeutig, dass die Kraftfahreignung des Antragstellers grundsätzlich nicht gegeben sei. Weil die Bescheinigung des HNO-​Arztes durch ihn noch immer nicht erfolgt sei, könne eine Fahrverhaltensbeobachtung nicht durchgeführt werden. Bis diese noch ausstehenden Punkte geklärt seien, bestehe bei dem Antragsteller Nichteignung. Ihm könne bei einer positiven weiteren Begutachtung auf Antrag eine neue Fahrerlaubnis erteilt werden.

Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller am 3. Juni 2015 Klage erhoben und vorliegenden
Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes
gestellt.

Bereits die Anforderung des Gutachtens sei rechtswidrig gewesen. Die Untersuchung durch den E. sei mangelbehaftet. Die Untersuchungen seien ohne Lesebrille durchgeführt worden, diese benötige er aber bei Arbeiten am Computer. Die medizinische Beurteilung sei anhand von mehreren Jahren alten ärztlichen Befunden durchgeführt worden. Er sei nur eingeschränkt der deutschen Sprache mächtig und die Untersuchung sei ohne Dolmetscher erfolgt. Zur Vervollständigung des Gutachtens sei eine Fahrverhaltensbeobachtung nötig gewesen, die grundlos unterblieben sei. Er habe sich in den zurückliegenden Jahrzehnten stets ordentlich im Straßenverkehr verhalten. Es bestehe kein Interesse daran, ihm die Fahrerlaubnis mit sofortiger Wirkung zu entziehen.

Der Antragsteller beantragt,
im Wege der einstweiligen Anordnung vorab ohne mündliche Verhandlung die aufschiebende Wirkung der Klage herzustellen und den Antragsgegner anzuweisen, die Fahrerlaubnis vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu erteilen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Anhaltspunkte dafür, dass das Gutachten des E. fehlerhaft sei, lägen nicht vor. Der Antragsteller habe während der Begutachtung zu keinem Zeitpunkt darauf hingewiesen, seine Lesebrille zur Durchführung der Tests zu benötigen. Er habe gegenüber der Gutachtenstelle schriftlich erklärt, dass auf die Hinzuziehung eines Dolmetschers verzichtet werden könne. Es hätten neuere ärztliche Befunde vorgelegen. Die Fahrverhaltensbeobachtung sei nicht grundlos unterblieben. Vielmehr sei zunächst eine weitere medizinische Befundabklärung nötig gewesen. Danach liege es im Ermessen der Begutachterin, eine Fahrverhaltensprobe durchzuführen. Auf die Begehung von Verkehrsverstößen komme es für die Beurteilung der Eignung nicht an. Die Nichteignung des Antragstellers stehe seit Dezember 2014 fest. Es sei nicht zu verantworten, dass er unter diesen Umständen noch weiter am Straßenverkehr teilnehme.

Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.


II.

Der zulässige Antrag, der bei verständiger Auslegung als Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes i.S. des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu verstehen ist, hat bezüglich der Klassen A1, B, BE, M (heute: AM), S (heute: AM) und L Erfolg. Im Übrigen ist er unbegründet.

Der Antragsgegner hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung gemessen an § 80 Abs. 3 VwGO hinreichend begründet, indem er auf die Gefahren, die von der Teilnahme ungeeigneter Führer von Kraftfahrzeugen am Straßenverkehr ausgehen, hingewiesen hat.

Gemäß § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen belastenden Verwaltungsakt anordnen oder wiederherstellen. Bei dieser Entscheidung sind einerseits das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung und andererseits das private Interesse an der Aussetzung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts abzuwägen. Dabei sind auch die Erfolgsaussichten eines eingelegten Rechtsbehelfs zu berücksichtigen, soweit sie bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung bereits überschaubar sind.

Bei Berücksichtigung dieser Grundsätze überwiegt im vorliegenden Falle das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung, soweit ihm die Fahrerlaubnis der Klassen A1, B, BE, M, S und L entzogen worden ist. Denn insoweit bestehen ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides.

Die unterbliebene Anhörung des Antragstellers vor Erlass des in der Hauptsache angefochtenen Bescheides bleibt nach §§ 1 Nds. VwVfG, 46 VwVfG außer Betracht. Es ist offensichtlich, dass dadurch die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst wurde. Denn der Antragsgegner ist aufgrund des vorgelegten Gutachtens von der Nichteignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen aller Klassen ausgegangen und musste - seiner Überzeugung entsprechend - deshalb dem Antragsteller die Fahrerlaubnis entziehen.

In der Sache nimmt der Antragsgegner allerdings zu Unrecht an, dass der Antragsteller sich derzeit als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen der Klassen A1, B, BE, M, S und L erweist und ihm deshalb nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG), § 46 Abs. 1 Satz 1 Fahrerlaubnisverordnung (FeV) die Fahrerlaubnis entzogen werden musste. Es ist gegenwärtig nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen, dass diese Voraussetzungen vorliegen.

Entgegen der Ansicht des Antragsgegners lässt das medizinisch-​psychologische Gutachten der E. GmbH & Co. KG vom 22. Dezember 2014 nicht den Schluss darauf zu, dass der Antragsteller ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen der Klassen A1, B, BE, M, S und L ist. Dies liegt bereits an der Fragestellung des Antragsgegners.

Maßgebliche Anknüpfungstatsache dafür, dass der Antragsgegner ein ärztliches Gutachten i.S. des § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 FeV von einer Begutachtungsstelle für Fahreignung angefordert hat, waren die aufgrund des neurologischen Attests vom 12. März 2014 bekannt gewordenen kognitiven Defizite des Antragstellers. Dort wurde ein hirnorganisches Psychosyndrom diagnostiziert, welches schon wegen der Bewertung in Ziffer 7.2 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV eine ärztliche Gutachtenanforderung regelmäßig rechtfertigt. Aus der unterschiedlichen Bewertung dieser Diagnose - jedenfalls soweit es sich um eine leichte Ausprägung handelt, Ziffer 7.2.1. der Anlage 4 - für die Klassen A, A1, A2, B, BE, AM, L, T einerseits und die Klassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE, D1E, FzF andererseits folgt, dass die Begutachtung für diese Klassen auch unterschiedlich ausfallen kann. Vorliegend bezog sich die Eignungsuntersuchung gemäß der Fragestellung allein auf die Fahreignung des Antragstellers für Fahrzeuge der Klasse C1E. Aus einer gutachterlich festgestellten Nichteignung für Fahrzeuge dieser Klasse lässt sich ein Rückschluss auf die Eignung für die Klassen A, A1, A2, B, BE, AM, L, T nicht ziehen. Denn die Eignungsanforderungen für die Klasse C1E sind höher als die für die anderen genannten Klassen. Soweit das Gutachten der E. GmbH & Co. KG dies auf S. 12/13 unter Berufung auf die Begutachtungsleitlinien offenbar anders sieht, kann dem nicht gefolgt werden.

Dem Gutachten der E. GmbH & Co. KG können auch außerhalb der beantworteten Frage nicht in ausreichendem Maße Anhaltspunkte dafür entnommen werden, dass der Antragsteller auch die Eignungsanforderungen für die Klassen A, A1, A2, B, BE, AM, L, T nicht erfüllt. Insbesondere folgt dies nicht bereits aus seinen Ergebnissen bei den psychophysischen Testverfahren. Die Begutachtungsleitlinien für Kraftfahreignung der Bundesanstalt für Straßenwesen (Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Mensch und Sicherheit, Heft M 115 in der Fassung vom 1. Mai 2014, http://www.bast.de), die den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis auf dem Gebiet des verkehrsmedizinischen Erfahrungswissens wiedergeben (vgl. OVG NRW, Urteil vom 30.3.2015 - 16 A 1741/13 -, juris), gehen unter 2.5 auf S. 12 davon aus, dass für Fahrzeuge der Gruppe 1 Ergebnisse im Prozentrang unter 16 aufgrund des Ergebnisses einer Fahrverhaltensprobe kompensiert werden können. Davon gehen offensichtlich auch die Gutachterin und der Antragsgegner aus. Allerdings halten diese eine Fahrverhaltensprobe nicht für angezeigt, bevor nicht weitere ärztliche Stellungnahmen, insbesondere eines HNO-​Arztes, vorgelegt worden sind. Dieser Einschätzung kann die Kammer so nicht folgen. Denn das Gutachten der E. GmbH & Co. KG führt auf Blatt 11 aus, dass bis zur endgültigen Klärung des Visus und des Morbus Menière schon alleine aufgrund der unzureichenden Testleistungen eine Kraftfahreignung des Antragstellers verneint werden müsse. Dieser Schluss widerspricht aber gerade den Ausführungen der Begutachtungsleitlinien. Denn mögliche andere, per se eignungsausschließende Mängel des Antragstellers - wie etwa eine Störung seines Gleichgewichtssinns, vgl. Ziffer 11.4. der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV - werden dort nicht in einen Zusammenhang mit einer Fahrverhaltensprobe nach unzureichenden Testleistungen gebracht. Vielmehr handelt es sich hierbei um Ausschlusstatsachen, die unabhängig von den Ergebnissen in den psychophysischen Testverfahren vorliegen können.

Soweit das Gutachten möglicherweise so zu verstehen ist, dass noch weiterer ärztlicher Aufklärungsbedarf hinsichtlich des Sehvermögens und der Beeinträchtigung des Gleichgewichtssinns des Antragstellers besteht, und dass vor allem deshalb die Fahreignung derzeit generell nicht positiv festgestellt werden kann, genügt dies ebenfalls nicht, die Nichteignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen für alle Klassen - also auch die Klassen A, A1, A2, B, BE, AM, L, T - anzunehmen. Vielmehr ist es Aufgabe des Antragsgegners, weitere ärztliche Gutachten zur Aufklärung dieser Fragen anzuordnen. § 11 Abs. 2 Satz 4 FeV sieht ausdrücklich vor, dass die Behörde auch mehrere solcher Anordnungen treffen darf. Dies ist bislang unterblieben. Der Antragsteller ist auch nicht durch derart krasse Ausfallerscheinungen aufgefallen, dass sich bestehende Eignungszweifel in einer Weise verdichtet hätten, die jedenfalls im Wege der Interessenabwägung die Entziehung der Fahrerlaubnis für die Klassen A, A1, A2, B, BE, AM, L, T gerechtfertigt erscheinen ließe (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 6.3.2008 - 12 ME 377/07 -, juris).

Anders ist die Sach- und Rechtslage allerdings mit Blick auf die Entziehung der Fahrerlaubnis der Klassen C1 und C1E zu beurteilen. Insoweit war der Antrag abzulehnen. Denn hier ist der Antragsgegner voraussichtlich zu Recht davon ausgegangen, dass dem Antragsteller die Fahrerlaubnis wegen fehlender Eignung gemäß §§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, 46 Abs. 1 FeV zu entziehen ist. Durch neurologisches Attest vom 12. März 2014 ist eindeutig bestätigt worden, dass der Antragsteller an einem hirnorganischen Psychosyndrom leidet. Dieses lässt auch in leichter Ausprägung nach Ziffer 7.2.1 der Anlage 4 die Fahreignung für die Klassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE, D1E, FzF nur ausnahmsweise vorliegen. Dass eine solche Ausnahme beim Antragsteller gegeben wäre, kann dem Gutachten der E. GmbH & Co. KG nicht entnommen werden. In diesem Zusammenhang hat die Kammer keine Bedenken, die Testergebnisse des Antragstellers heranzuziehen. Die Begutachtungsleitlinien sehen nämlich für Fahrzeuge der Gruppe 2, zu denen die Fahrzeugklassen C1E und C1 gehören, unter 2.5 auf S. 13 vor, dass in der Mehrzahl der eingesetzten Verfahren der Prozentrang 33 - gemessen an altersunabhängigen Normwerten - erreicht oder überschritten werden muss, dass aber der Prozentrang 16 in den relevanten Verfahren ausnahmslos erreicht sein muss. Hiervon kann nur abgesehen werden, wenn in einzelnen Untertests bei Abweichungen nach unten Kompensationsmöglichkeiten gegeben sind. Andererseits muss sichergestellt werden, dass eine Kumulation ausgeschlossen ist. Vorliegend sind die Testergebnisse des Antragstellers mit Prozenträngen zwischen 4 und 8 allesamt derart weit entfernt von dem Mindestprozentrang 16, dass eine ausnahmsweise Eignung für die Fahrzeugklassen C1 und C1E trotz seines hirnorganischen Psychosyndroms nicht angenommen werden kann.

Die Kammer hält die durchgeführten Tests auch für aussagekräftig. Es vermag nicht zu überzeugen, wenn der Antragsteller sich nachträglich darauf beruft, dass er die Tests ohne seine Lesebrille gar nicht habe absolvieren können. Ausweislich Blatt 8 des Gutachtens ist er nach den Tests zu diesen befragt worden. Dazu hat er angegeben, dass er sie teilweise, aber nicht immer schwierig fand. Hätte er die Tests mangels Lesebrille gar nicht durchführen können, wäre eine solche Angabe auf direkte Nachfrage nicht zu erwarten gewesen. Im Übrigen war der Sohn des Antragstellers während der Begutachtung anwesend, um seinen Vater bei der Anamneseerhebung zu helfen (Blatt 4 des Gutachtens). In diesem Zusammenhang hätte es zumindest nahe gelegen, dass die Unfähigkeit des Antragstellers, ohne Lesebrille am Bildschirm tätig zu sein, von seinem Sohn zur Sprache gebracht worden wäre. Auch der Einwand des fehlenden Dolmetschers ist in diesem Zusammenhang nicht nachvollziehbar. Es ist im Übrigen nicht anzunehmen, dass ein Dolmetscher bei den psychophysischen Testverfahren hätte behilflich sein können.

Die Anordnung, dem Antragsteller einen Führerschein für die Klassen A1, B, BE, M (heute AM), S (heute AM) und L auszuhändigen, ergeht in entsprechender Anwendung des § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO.

Die Kostenentscheidung i.S. einer Kostenteilung im Verhältnis eins zu eins beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V. mit den Ziffern 1.5 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.