Das Verkehrslexikon

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Verwaltungsgericht Bremen Beschluss vom 22.10.2015 - 5 V 1236/15 - Einführung von Tempo 30 aus Lärmschutzgründen

VG Bremen v. 22.10.2015: Zu den Voraussetzungen der Einführung von Tempo 30 aus Lärmschutzgründen


Das Verwaltungsgericht Bremen (Beschluss vom 22.10.2015 - 5 V 1236/15) hat entschieden:
Die Straßenverkehrsbehörden können die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen beschränken. Gemäß § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO dürfen - abgesehen von hier nicht einschlägigen Ausnahmen - Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs nur angeordnet werden, wenn aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko oder eine Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter, d. h. hier der Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen, erheblich übersteigt. Dabei ermöglicht und gewährt die Vorschrift Schutz vor Verkehrslärm nicht erst dann, wenn dieser einen bestimmten Schallpegel überschreitet; es genügt vielmehr, dass der Lärm Beeinträchtigungen mit sich bringt, die jenseits dessen liegen, was unter Berücksichtigung der Belange des Verkehrs im konkreten Fall als ortsüblich hingenommen werden muss.


Siehe auch Tempo-30-Zone - Zonengeschwindigkeitsbeschränkungen und Verkehrsrechtliche Anordnung von Geschwindigkeitsbeschränkungen


Gründe:

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die Anordnung einer Tempo-​30-​Zone in der ... (... bis ...) in ... Bremerhaven.

Der durch den Bau- und Umweltausschuss in seiner Sitzung am 20.02.2014 beschlossene Lärmaktionsplan der Stadt Bremerhaven (Stand Januar 2014) sieht als eine geplante Maßnahme zur Lärmminderung die Ausweisung von Geschwindigkeitsbeschränkungen vor. Es wird ausgeführt, dass für fünf Straßenabschnitte von Hauptverkehrsstraßen (darunter der streitgegenständliche Abschnitt der ..., vgl. S. 25, Tabelle 8 Lärmaktionsplan) grundsätzlich die Möglichkeit zur Einführung von Tempo 30 gegeben sei, da dort keine Linien des ÖPNV verkehrten, eine Verdrängung der Verkehre in umliegende Wohnstraßen aufgrund der Länge der Abschnitte oder der örtlichen Gegebenheiten nicht in erheblichem Umfang zu erwarten sei, eine ausreichende Lärmminderung erreicht werden könne und die Betroffenheit anhand der Lärmkennziffer gegeben sei. Daher werde u. a. für den hier streitgegenständlichen Straßenabschnitt eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf Tempo 30 zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm empfohlen.

Der Magistrat ordnete am 16.06.2014 u. a. für den entsprechenden Straßenabschnitt auf der Grundlage von § 45 Abs. 1 Nr. 3 StVO eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h an. Im Einzelnen wurde angeordnet, dass sowohl auf der Ost- als auch auf der Westseite der Straße insgesamt zehn Zeichen 274-​30 ("Zulässige Höchstgeschwindigkeit 30 km/h"; in zwei Fällen mit Zusatzzeichen 1012-​36 ("Lärmschutz")) sowie am jeweiligen Ende der Tempo 30-​Zone Zeichen 274-​50 ("Zulässige Höchstgeschwindigkeit 50 km/h") aufzustellen seien. Laut handschriftlicher Notiz auf der Anordnung erfolgte die Aufstellung am 08.12.2014.

Zur Begründung für die Anordnung wurde ausgeführt, dass die durch die Maßnahme zu erzielende Lärmminderung von ca. 3 dB zum Schutz der Bewohner der betroffenen Straßen erfolge. Diese Straßen stellten keine direkte Verbindung zu den überörtlichen Straßenverbindungen dar, sondern nähmen hauptsächlich innerstädtischen Verkehr auf. Aufgrund der Lage der Straßen im Stadtgebiet würden durch eine Beschränkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit Verkehrsverlagerungen nicht in Betracht kommen. Auch der öffentliche Personennahverkehr finde auf den genannten Straßen nicht statt. In der ... - und in der ... befänden sich Schulen, so dass eine Geschwindigkeitsbeschränkung auch dem Schutz der Schüler/innen diene. Bei Abwägung der Interessen der Wohnbevölkerung in den betroffenen Straßen an einer Lärmminderung überstiegen diese die Interessen des fließenden Verkehrs an der Beibehaltung der bisherigen Geschwindigkeitsbeschränkung. Die Auswirkungen der Geschwindigkeitsbeschränkungen seien geringfügig. Das Durchfahren der Straßen erhöhe die Fahrzeit im Sekundenbereich. Die durch die Geschwindigkeitsbeschränkung zu erzielende Lärmminderung für die Bewohner habe dabei mehr Gewicht. Eine Verdrängung der Verkehre in umliegende Wohnstraßen sei nicht zu erwarten.

Mit Anordnung des Magistrats vom 01.08.2014 ergänzte dieser die Anordnung vom 30.06.2014. Die Ergänzung betraf für den Bereich der ... zwei zusätzliche Verkehrszeichen 274-​30 auf der Ostseite der Straße.

Mit Schreiben vom 19.03.2015 legte der Antragsteller Widerspruch gegen die Anordnung von Tempo 30 in der ... ein. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, die bisherige Regelung bei der Schule sei zum Schutz der Grundschüler ausreichend gewesen. Die Tempobegrenzung führe insbesondere im morgendlichen Berufsverkehr zu einem Rückstau bis in die Kreuzung am ... hinein. Vor der Anordnung des Tempolimits hätte die Zustimmung des Senators für Bau, Umwelt und Verkehr eingeholt werden müssen. Die Vorgaben der Lärmschutz-​Richtlinien-​StV seien in verschiedener Hinsicht nicht beachtet worden. Ferner sei es unzutreffend, dass es durch die Anordnung des Tempolimits keinen Ausweichverkehr geben würde. Nicht nur der Antragsteller selbst nehme jetzt den kürzeren Weg durch die ... und ... Straße.

Der Widerspruch wurde bislang nicht beschieden.

Der Antragsteller hat am 16.07.2015 Klage erhoben und vorliegenden Eilantrag gestellt. Zur Begründung wiederholt er sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren. Ergänzend trägt er im Wesentlichen vor, die ... sei im Flächennutzungsplan 2006 der Beklagten als Hauptverkehrsstraße ausgewiesen. Ferner sei die Anordnung der Tempo 30-​Zone durch den Leiter des Bürger- und Ordnungsamtes und damit nicht durch die Straßenverkehrsbehörde im Sinne von § 44 Abs. 1 StVO erfolgt. Die Stadt habe ihre Anordnung ausdrücklich auf § 45 Abs. 1 Nr. 3 StVO gestützt und könne sich schon deshalb nicht auf § 47d Abs. 6 i. V. m. § 47 Abs. 6 BImSchG als Ermächtigungsgrundlage stützen. § 47 Abs. 6 BImSchG selbst stelle keine Ermächtigungsgrundlage dar. Die Annahme, die Stadt habe nach § 47d Abs. 6 BImSchG keinen Ermessensspielraum, werde durch § 47d Abs. 1 Satz 3 BImSchG widerlegt.

Die Antragsgegnerin ist dem Eilantrag entgegengetreten. Sie trägt vor, die Zustimmung der obersten Landesbehörde zur Anordnung zum Schutz der Bevölkerung vor Lärm und Abgasen sei nicht erforderlich, wenn es sich um Maßnahmen handele, die zur Umsetzung des Lärmaktionsplanes getroffen würden, da § 47 Abs. 6 BImSchG keine Zustimmungsvorbehalte enthalte und diese auch durch Verwaltungsvorschriften nicht eingeführt werden könnten. Die Lärmschutz-​Richtlinien-​StVO seien bei der angeordneten Maßnahme nicht anwendbar, da es sich um die Umsetzung des Lärmaktionsplanes handele, die nach § 47 i. V. m. § 47d BImSchG durchzusetzen sei. Im Zusammenhang mit der Umsetzung des Lärmaktionsplanes komme es auch nicht auf die Ausführungen des Antragstellers zur Verkehrssituation in der ... an. Die geschilderten Rückstausituationen könnten nicht eintreten und könnten auch nicht zu gefährlichen Verkehrssituationen führen, da der Kreuzungsbereich durch eine Lichtzeichenanlage geregelt sei. Zuständig für den Vollzug der StVO seien nach § 44 StVO die Straßenverkehrsbehörden. Dies seien die nach Landesrecht zuständigen unteren Verwaltungsbehörden oder die Behörden, denen nach Landesrecht die Aufgaben der Straßenverkehrsbehörde zugewiesen worden seien. Für den Bereich der Stadt Bremerhaven sei keine Aufgabenzuweisung vorgenommen worden, so dass die zuständige untere Verwaltungsbehörde die Aufgaben der Straßenverkehrsbehörde wahrnehme. Verwaltungsbehörde der Stadt Bremerhaven sei nach § 42 der Verfassung für die Stadt Bremerhaven der Magistrat.


II.

Der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO statthafte Antrag ist zulässig, aber unbegründet.

1. Das Begehren, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die auf Grundlage der Verkehrsanordnung vom 16.06.2014 mit der Ergänzung vom 01.08.2014 eingerichtete und mit Aufstellung der Verkehrszeichen 274-​30, teilweise mit Zusatzzeichen 1012-​36, bekannt gemachte Geschwindigkeitsbeschränkung anzuordnen, ist nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Abs. 5 VwGO statthaft. Die streitgegenständlichen Verkehrszeichen stellen Verwaltungsakte mit Dauerwirkung in Form einer Allgemeinverfügung gem. § 35 Satz 2 Alt. 3 BremVwVfG dar (vgl. BVerwG, U. v. 13.12.1979 - 7 C 46.78 -, juris). Diese Verwaltungsakte sind gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO von Gesetzes wegen sofort vollziehbar. Dem Antragsteller steht auch die entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Antragsbefugnis zu. Als Verkehrsteilnehmer kann der Antragsteller eine Verletzung seiner Rechte durch die Geschwindigkeitsbeschränkung geltend machen, etwa weil die Voraussetzungen einer Verkehrsbeschränkung aus § 45 StVO nicht gegeben sind (vgl. BVerwG, U. v. 27.01.1993 - 11 C 35.92 -, juris).

2. Der Antrag hat in der Sache keinen Erfolg. Das Gericht hat im vorliegenden Fall des § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Halbs. VwGO eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse am Vollzug der Geschwindigkeitsbeschränkung einerseits und dem Interesse des Antragstellers andererseits, vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache die betroffene Strecke weiter ohne Geltung der Geschwindigkeitsbeschränkung befahren zu dürfen, zu treffen. Angesichts der bei einer gesetzlich angeordneten sofortigen Vollziehung vom Gesetzgeber für den Regelfall vorgenommenen Wertung überwiegt das letztere Interesse nur dann, wenn bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verkehrsanordnung bestehen oder eine unbillige Härte vorliegt (Rechtsgedanke des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO). Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Anordnung bestehen erst und nur dann, wenn der Erfolg des Rechtsbehelfs in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg, wobei die Rechtmäßigkeit in einem im Vergleich zum Hauptsacheverfahren lediglich beschränkten Umfang zu prüfen ist. Der Rechtsbehelf des Antragstellers verspricht nach derzeitigem Erkenntnisstand in der Hauptsache keinen Erfolg, denn bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung stellt sich die angefochtene Geschwindigkeitsbeschränkung als rechtmäßig dar.

a) Rechtsgrundlage für die angegriffene Verkehrsanordnung ist § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 i. V. m. Abs. 9 Satz 2 StVO.

b) Die formelle Rechtmäßigkeit der Verkehrsanordnung begegnet keinen Bedenken. Insbesondere handelte der Magistrat als gemäß §§ 44 StVO, 42 Abs. 1 Satz 1 der Verfassung für die Stadt Bremerhaven zuständige Straßenverkehrsbehörde. Auf die Frage, ob die oberste Landesbehörde gemäß Ziffer V Satz 1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-​Ordnung (vom 26.01.2001, BAnz. S. 1419, ber. S. 5206; zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndVwV vom 22.09.2015 (BAnz AT 25.09.2015 B5); im Folgenden: VwV-​StVO) der Anordnung der Verkehrsbeschränkung zustimmen musste, kommt es im Ergebnis nicht an, da der Senator für Umwelt, Bau und Verkehr die Straßenverkehrsbehörde in Kenntnis des Antrags auf Zustimmung von dem Erfordernis der Zustimmung allgemein befreit hat, vgl. Ziffer VI VwV-​StVO zu § 45 StVO.

c) In materiell-​rechtlicher Hinsicht liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO vor (aa). Ermessensfehler sind nach der hier vorzunehmenden summarischen Prüfung nicht ersichtlich (bb).

aa) Gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 3 Straßenverkehrs-​Ordnung (vom 06.03.2013, BGBl. I S. 367, FNA 9233-​2; zuletzt geändert durch Art. 2 50. VO zur Änd. straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 15.09.2015 (BGBl. I S. 1573); im Folgenden: StVO) können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen beschränken. Gemäß § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO dürfen - abgesehen von hier nicht einschlägigen Ausnahmen - Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs nur angeordnet werden, wenn aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko oder eine Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter, d. h. hier der Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen, erheblich übersteigt. Dabei ermöglicht und gewährt die Vorschrift Schutz vor Verkehrslärm nicht erst dann, wenn dieser einen bestimmten Schallpegel überschreitet; es genügt vielmehr, dass der Lärm Beeinträchtigungen mit sich bringt, die jenseits dessen liegen, was unter Berücksichtigung der Belange des Verkehrs im konkreten Fall als ortsüblich hingenommen werden muss (vgl. BVerwG, U. v. 04.06.1986 - 7 C 76.84 -, juris). Verbindliche Grenzwerte dafür können aus der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV) nicht abgeleitet werden, denn die Verordnung bestimmt Vorsorgewerte, die für den Bau oder die wesentliche Änderung von Straßen gelten. Für die Anordnung von Verkehrsbeschränkungen auf vorhandenen Straßen lassen sich aus der Verordnung nur Orientierungspunkte gewinnen (BVerwG, U. v. 22.12.1993 – 11 C 45.92 –, juris). Die § 1 Abs. 2 der 16. BImSchV zugrunde liegende Wertung, dass ein Beurteilungspegel von 70 dB(A) oder mehr am Tage bzw. 60 dB(A) oder mehr in der Nacht eine unzumutbare Lärmbeeinträchtigung darstellt, beansprucht aber auch für das Straßenverkehrsrecht Beachtung (BVerwG, U. v. 13.03.2008 – 3 C 18.07 –, juris).

Nach dem Schallimmissionsplan LDEN 2011 bzw. LNight 2011 (Strategische Lärmkarte Straßenverkehr / Hauptverkehrsstraßen) der Stadt Bremerhaven vom 27.11.2012 beträgt der Beurteilungspegel für die ... tagsüber 70-​75 dB(A) und nachts 65-​70 dB(A). Demnach liegen die Werte für den streitgegenständlichen Straßenabschnitt über den in § 1 Abs. 2 der 16. BImSchV genannten Werten. Vorliegend besteht nach derzeitigem Kenntnisstand kein Anlass, an der Richtigkeit der ermittelten Werte zu zweifeln. Ausweislich des Lärmaktionsplanes der Beklagten erfolgte die Berechnung des Straßenverkehrslärms für das Straßennetz ab einer durchschnittlichen täglichen Verkehrsstärke von etwa 1.000 Kfz. Dabei wurden die relevanten Straßen sowie die maßgebenden Verkehrsstärken und Lkw-​Anteile anhand eines Verkehrsmodells bestimmt, das auf aktuellen Zählungen beruht (vgl. S. 15 des Lärmaktionsplanes). Bedenken an der Richtigkeit der zugrunde gelegten Werte bestehen auch nicht deshalb, weil bei der Berechnung offenbar nicht die Empfehlungen der "Richtlinien für straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor Lärm (Lärmschutz-​Richtlinien – StV) vom 23.11.2007 (VkBl. S. 767) beachtet wurden. Denn diese vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung erlassenen Richtlinien stellen lediglich eine verwaltungsinterne "Orientierungshilfe" zur Entscheidung über straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen dar (vgl. OVG Bremen, B. v. 21.06.2010, a. a. O.).

bb) Liegen die Voraussetzungen für ein Einschreiten nach § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO vor, ist die Anordnung von Verkehrsbeschränkungen zum Lärmschutz in das pflichtgemäße Ermessen der zuständigen Behörde gestellt. Diese hat nicht nur auf die Schutzwürdigkeit der Anlieger abzustellen, sie muss vielmehr auch die Belange des Straßenverkehrs und der Verkehrsteilnehmer würdigen. Auch bei erheblichen Lärmbeeinträchtigungen hat die Behörde abzuwägen, ob sie mit Rücksicht auf die damit verbundenen Nachteile von verkehrsbeschränkenden Maßnahmen absehen oder weniger einschneidende Maßnahmen ergreifen will (BVerwG, U. v. 04.06.1986, a. a. O.; B. v. 18.10.1999 - 3 B 105.99 -, juris).

Anders als die Antragsgegnerin meint, entfällt die Notwendigkeit einer Ermessensausübung auch nicht deshalb, weil die Maßnahmen im Lärmaktionsplan der Stadt Bremerhaven vorgesehen und die zuständige Behörde nach § 47d Abs. 6 i. V. m. § 47 Abs. 6 Satz 1 BImSchG zur Durchsetzung der im Lärmaktionsplan vorgesehenen Maßnahmen verpflichtet ist (vgl. OVG Bremen, B. v. 21.06.2010, a. a. O.). Diese Bindung besteht nur verwaltungsintern, nicht gegenüber dem Bürger (vgl. Gesetzesbegründung, BT-​Drs 14/8450, S. 14). Die Behörden sind deshalb nur insoweit zur Durchsetzung verpflichtet, als die von ihnen anzuwendenden einschlägigen Vorschriften dies zulassen; steht der Behörde Ermessen zu, hat sie davon Gebrauch zu machen (vgl. OVG Bremen, B. v. 21.06.2010, a. a. O., m. w. N.).

Unter Berücksichtigung der in der Anordnung des Magistrats Bremerhaven vom 16.06.2014 gegebenen Begründung und der Ausführungen des Magistrats in dem Vermerk vom selben Tag ist die Ermessensausübung der Antragsgegnerin hier jedoch nicht zu beanstanden. Zu beachten ist dabei, dass das Gericht keine eigene Zweckmäßigkeitsentscheidung zu treffen, sondern gemäß § 114 Satz 1 VwGO zu prüfen hat, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Dies ist nach summarischer Prüfung hier zu verneinen. Vielmehr ist die streitige Regelung unter umfassender Berücksichtigung der maßgeblichen Gesichtspunkte getroffen worden. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte von einem unzutreffenden Sachverhalt ausging. Der Ermessensentscheidung der Antragsgegnerin liegt die Erwartung zugrunde, dass durch die Verkehrsbeschränkung in der ... eine Lärmminderung um ca. 3 dB(A) zu erzielen ist. Gemäß der Präsentation des Gutachters, der die Lärmkartierung für Bremerhaven erstellt hat, gilt die "Faustformel", dass bei einer Verdoppelung der Geschwindigkeit eine Lärmzunahme von 3-​4 dB(A) eintritt (Präsentation abrufbar auf der Homepage des Stadtplanungsamtes Bremerhaven, Bürgerinformation zur Lärmkartierung, http://stadtplanungsamt.bremerhaven.de/spa16/index.php?option=com_content&view=art icle&id=271&Itemid=591). Bei einer Zunahme der Geschwindigkeit von 30 auf 60 km/h sei mit einer Lärmzunahme von 3,5 dB(A) und bei einer Geschwindigkeitszunahme von 30 auf 50 km/h mit einer Lärmzunahme von 2,5 dB(A) zu rechnen. Eine erwartete Abnahme des Lärms um etwa 3 dB(A) erscheint bei einer Geschwindigkeitsreduzierung von 50 auf 30 km/h demnach nachvollziehbar. Die Ermessensentscheidung ist auch nicht deshalb fehlerhaft, weil es sich bei der ... nach dem Flächennutzungsplan der Stadt Bremerhaven vom 18.05.2006 um eine Hauptverkehrsstraße handelt. Zwar trifft es zu, dass die Straßenverkehrsbehörde bei ihrer Entscheidung, zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm verkehrsbeschränkende Maßnahmen anzuordnen, das im Flächennutzungsplan der Gemeinde dargestellte Konzept örtlicher und überörtlicher Hauptverkehrsstraßen zu beachten hat (vgl. OVG Bremen, U. v. 26.09.1994 – 1 BA 56/93, 1 BA 22/94 -, juris). Daraus ist aber nicht zu schließen, dass die Anordnung verkehrsbeschränkender Maßnahmen auf einer Hauptverkehrsstraße schlechthin ausgeschlossen ist. Vorliegend ist die Antragsgegnerin nach Abwägung der betroffenen Belange zu dem Ergebnis gekommen, dass die durch die Geschwindigkeitsbeschränkung zu erzielende Lärmminderung für die Bewohner gegenüber dem Interesse des fließenden Verkehrs an der Beibehaltung der bisherigen Geschwindigkeitsbeschränkung mehr Gewicht habe. Dem lag die Erwägung zugrunde, dass die betroffenen Straßen (darunter die ...) keine direkte Verbindung zu den überörtlichen Straßenverbindungen darstellten, sondern hauptsächlich innerstädtischen Verkehr aufnähmen. Ferner seien die Auswirkungen der Geschwindigkeitsbeschränkung geringfügig. Das Durchfahren der Straßen erhöhe die Fahrzeit im Sekundenbereich. Auch würden aufgrund der Lage der Straßen im Stadtgebiet durch eine Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit Verkehrsverlagerungen nicht in Betracht kommen. Auf dieser Grundlage erscheint die Verkehrsbeschränkung bezüglich einer Hauptverkehrsstraße nicht ermessensfehlerhaft. Nach derzeitigem Erkenntnisstand stellt auch das Vorbringen des Antragstellers die Richtigkeit der zugrundgelegten Annahmen nicht in Frage. Soweit er vorträgt, die Fahrzeit erhöhe sich für den streitgegenständlichen Straßenabschnitt von 1,5 Minuten bei 50 km/h (bei grüner Ampel Ecke ...) auf ca. 2,5 Minuten bei Tempo 30, ist diese Behauptung im Eilverfahren nicht überprüfbar. Auch bei Zugrundelegung der vom Antragsteller behaupteten Verlängerung der Fahrzeit durch die Geschwindigkeitsbeschränkung kann aber noch von einer geringfügigen Verzögerung ausgegangen werden. Soweit der Antragsteller vorträgt, nicht nur er selbst würde seit Anordnung der Geschwindigkeitsbeschränkung auf die und die ... Straße ausweichen, wird durch diese schlichte Behauptung nicht belegt, dass es entgegen der Annahme der Antragsgegnerin aufgrund der Maßnahme zu Verkehrsverlagerungen kommt.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.