Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

OLG Nürnberg Beschluss vom 25.03.2015 - 2 Ws 426/14 - Unwirksamkeit der Abtretung des Kostenerstattungsanspruchs des Beschuldigten gegen die Staatskasse

OLG Nürnberg v. 25.03.2015: Unwirksamkeit der Abtretung des Kostenerstattungsanspruchs des Beschuldigten gegen die Staatskasse


Das OLG Nürnberg (Beschluss vom 25.03.2015 - 2 Ws 426/14) hat entschieden:
Die Abtretung des Kostenerstattungsanspruchs des Beschuldigten gegen die Staatskasse an seinen Verteidiger ist gemäß § 305c BGB unwirksam, wenn sie in der formularmäßig ausgestalteten Vollmachtsurkunde „erklärt“ (also ein Angebot auf Abschluss eines Abtretungsvertrags abgegeben) wird, ohne dass in der Überschrift oder sonst in hervorgehobener Weise ein deutlicher Hinweis hierauf erfolgt.


Siehe auch Die Vollmacht des Rechtsanwalts und Abtretung von RA-Gebührenansprüchen


Gründe:

I.

Der Senat hat im Strafvollstreckungsverfahren 2 Ws 704/13 mit Beschluss vom 05.05.2014 auf die Beschwerde des Verurteilten den Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg mit dem Sitz in Straubing vom 22.11.2013 hinsichtlich bestimmter Weisungen aufgehoben und die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Verurteilten im Beschwerdeverfahren der Staatskasse auferlegt.

Die Verteidigerin des Verurteilten beantragte mit Schreiben vom 09.05.2014 gemäß § 126 Abs. 1 ZPO im eigenen Namen, die notwendigen Auslagen ihres Mandanten für das Beschwerdeverfahren auf 448,75 € (Wahlverteidigermittelgebühr gemäß Nr. 4201 VV-RVG) festzusetzen.

Die Strafvollstreckungskammer hat nach Anhörung des Bezirksrevisors und Stellungnahme der Antragstellerin mit Beschluss der Rechtspflegerin vom 10.07.2014 den Antrag der Verteidigerin auf Festsetzung notwendiger Auslagen im eigenen Namen gegen die Staatskasse unter Hinweis auf die in anderer Sache ergangene Entscheidung des Senats vom 20.05.2014 (2 Ws 225/14) zurückgewiesen.

Hiergegen legte die Antragstellerin mit Schreiben vom 17.07.2014 sofortige Beschwerde ein. Zur Begründung führt sie aus, in der seit Juli 2013 vorliegenden Strafprozessvollmacht (vom 19.06.2013; Bl. 130 d.A.) habe der Verurteilte seine Erstattungsansprüche gegen die Staatskasse an seine Rechtsanwältin abgetreten, so dass sie im eigenen Namen antragsbefugt sei.

Demgegenüber vertritt der Bezirksrevisor im Schreiben vom 30.07.2014 die Ansicht, dass eine in der Strafprozessvollmacht enthaltene Abtretung von Erstattungsansprüchen an den Verteidiger unwirksam sei.

Die Antragstellerin nahm hierzu mit Schreiben vom 24.08.2014 Stellung.


II.

1. Die sofortige Beschwerde der Verteidigerin gegen den ihren Antrag auf Kostenfestsetzung zurückweisenden Beschluss der Rechtspflegerin vom 10.07.2014 ist statthaft (§ 464b Satz 3 StPO, § 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO, § 11 Abs. 3 RPflG) und auch im Übrigen zulässig, vor allem formgerecht und innerhalb der Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO erhoben. Der Beschwerdewert von 200 € (§ 304 Abs. 3 Satz 1 StPO) ist überschritten.

Das Beschwerdeverfahren richtet sich nach StPO-Grundsätzen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt StPO, 57. Aufl. § 464b Rdn. 6 f.). Für die Entscheidung ist somit nicht gemäß § 464b Satz 3 StPO i.V.m. § 568 Satz 1 ZPO der Einzelrichter, sondern der gesamte Senat zuständig (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 06.12.2010 - 2 Ws 567/10, zfs 2011, 226 Rdn. 7 nach juris). Der Senat folgt der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH, NJW 2003, 763 Rdn. 9 nach juris), wonach gemäß § 464 b Satz 3 StPO auf das Verfahren (§§ 103 ff. ZPO) und die Vollstreckung (§§ 794 ff. ZPO) der Kostenfestsetzung die Vorschriften der Zivilprozessordnung lediglich insoweit Anwendung finden, als sie strafprozessualen Prinzipien nicht widersprechen. Demgemäß sind für das Beschwerdeverfahren die §§ 304 ff. StPO und nicht die entsprechenden Vorschriften der Zivilprozessordnung anwendbar (vgl. BGH a.a.O.; OLG Hamm, AGS 2013, 254 Rdn. 15 nach juris m.w.N.).

2. In der Sache erweist sich die sofortige Beschwerde der Verteidigerin als unbegründet.

Die Strafvollstreckungskammer hat im Ergebnis zu Recht ihren Antrag auf Festsetzung der notwendigen Auslagen ihres Mandanten im eigenen Namen zurückgewiesen.

a) Bei der vorliegenden Fallkonstellation, in der die Beschwerdeführerin zunächst als Wahlverteidigerin des Verurteilten tätig war, diesem später als Pflichtverteidigerin beigeordnet wurde und gemäß dem Beschluss des Senats vom 05.05.2014 (2 Ws 704/13) die Staatskasse die notwendigen Auslagen des Verurteilten zu tragen hat, bestehen folgende Möglichkeiten, Anwaltsgebühren gegenüber der Staatskasse geltend zu machen:

aa) Der Pflichtverteidiger kann seine aus der Staatskasse zu gewährende Pflichtverteidigervergütung gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 RVG festsetzen lassen. § 55 RVG betrifft nur den eigenen Vergütungsanspruch des Anwalts gegen die Staatskasse und keinen Erstattungsanspruch seines Mandanten gegen einen Dritten. Antragsberechtigt ist grundsätzlich der beigeordnete Anwalt selbst (Volpert, in: Burhoff RVG Straf- und Bußgeldsachen, 3. Aufl., Teil A Rdn. 582 und 586).

bb) Hinsichtlich der Wahlverteidigergebühren gilt, dass das Gericht des ersten Rechtszugs auf Antrag eines Beteiligten gemäß § 464b Satz 1 StPO die Höhe und Kosten der Auslagen, die ein Beteiligter (hier die Staatskasse) einem anderen Beteiligten (hier: dem Verurteilten) zu erstatten hat, festsetzt. Antragsberechtigt ist der sich aus der Kostengrundentscheidung ergebende Erstattungsberechtigte (Volpert, aaO., Teil A Rdn. 904), hier also der Verurteilte. Bei Vorliegen einer entsprechenden Vollmacht (vgl. hierzu Volpert, aaO., Teil A Rdn. 907 f.) kann der Verteidiger diesen Antrag im Namen seines Mandanten stellen. Für das Verfahren (sowie die Höhe des Zinssatzes und die Vollstreckung) sind gemäß § 464b Satz 3 StPO die Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend anwendbar. Dies betrifft hinsichtlich des Verfahrens die Vorschriften der §§ 103 ff. ZPO über die Kostenfestsetzung (Meyer-Goßner/Schmitt aaO., § 464b Rdn. 3; KK-StPO/Gieg, 7. Aufl., § 464b Rn. 3 f.). Die Festsetzung bezieht sich auf die vom Verurteilten seinem Verteidiger gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 RVG geschuldeten Wahlverteidigergebühren (vgl. Volpert, aaO, Teil A Rdn. 866).

b) Eine Geltendmachung der Wahlverteidigergebühren als notwendige Auslagen des Mandanten durch seinen Verteidiger im eigenen Namen kommt nur dann in Betracht, wenn der Mandant den Erstattungsanspruch an seinen Verteidiger wirksam abgetreten hat. Hieran fehlt es aber im Falle der Beschwerdeführerin.

aa) Allerdings enthält die mit „Vollmacht“ überschriebene, formularmäßig ausgestaltete Urkunde vom 19.06.2013 in einem gesonderten nicht nummerierten Absatz unter den im Einzelnen aufgezählten Fällen der Vollmachtserteilung folgende Regelung:
„Ich bin damit einverstanden, dass gegen mich Honoraransprüche in Höhe der jeweiligen Pflichtverteidigervergütung im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens festgesetzt werden. Ich trete meine Erstattungsansprüche gegen die Staatskasse an meine Rechtsanwältin ab.“
bb) Diese Regelung über die Abtretung ist unter den vorliegenden Umständen als überraschende Klausel gemäß § 305c BGB unwirksam. Nach § 305c BGB werden Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, nicht Vertragsbestandteil.

Allerdings ist die Abtretung des Kostenerstattungsanspruchs durch den Betroffenen an seinen Rechtsanwalt grundsätzlich zulässig, worauf gerade § 43 Satz 1 RVG hinweist. Umstritten ist aber, ob die Abtretung innerhalb der Vollmachtsurkunde erfolgen kann. In der Rechtsprechung wird dies teilweise unter Hinweis auf § 305c BGB abgelehnt (vgl. OLG Koblenz VersR 2009, 1348 Rdn. 50 nach juris; LG Düsseldorf AGS 2007, 34; LG Konstanz Rpfleger 2008, 596; LG Nürnberg-Fürth AnwBl 1976, 166; LG Regensburg Beschluss vom 26.09.2013 - 1 Qs 63/2013 [unveröffentlicht]; OVG Münster NJW 1987, 3029 [für Unwirksamkeit außerhalb von Strafprozessen]; so auch Mayer/Kroiß RVG 6. Aufl. § 43 Rdn. 7). Demgegenüber halten Teile der Rechtsprechung und die überwiegende Kommentarliteratur die Abtretung in der Vollmachtsurkunde für zulässig (vgl. OLG Koblenz Rpfleger 1974, 403; LG Hamburg AnwBl 1977, 70 Rdn. 46 nach juris; LG Leipzig RVGreport 2010, 185; 186; Göttlich/Mümmler/Feller, RVG 5. Aufl. „Abtretung“ Anm. 2; Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 4. Aufl. § 43 Rdn. 19; hiervon geht auch Fromm, NJW 2014, 1708, aus). Diesbezüglich wird darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit der Abtretung in § 43 RVG ausdrücklich vorgesehen sei und es keine gesetzliche Regelung gebe, gegen die durch die Aufnahme der Abtretung des Kostenerstattungsanspruchs in eine Strafprozessvollmacht verstoßen würde (Gerold/Schmidt/Burhoff RVG 21. Aufl. § 43 Rdn. 12; Burhoff RVGreport 2014, 450 unter IV.2; Volpert VRR 2007, 57).

19Die Zulässigkeit einer Abtretung von Kostenerstattungsansprüchen gemäß § 43 RVG ändert aber nichts daran, dass die weiteren gesetzlichen Voraussetzungen für eine wirksame Abtretungsvereinbarung vorliegen müssen. Hartmann (Kostengesetze, 44. Aufl., § 43 RVG Rdn. 6) und Mayer/Kroiß (aaO. § 43 Rdn. 7) weisen zu Recht darauf hin, dass der Beschuldigte oder Betroffene seinen Erstattungsanspruch an den Rechtsanwalt formwirksam nach § 398 BGB abgetreten haben müsse. Die Abtretung kann zwar grundsätzlich formlos geschehen, setzt aber einen Vertrag zwischen Rechtsanwalt und Mandant voraus. Der Mandant muss jedoch bei einer mit „Vollmacht“ überschriebenen Urkunde nicht davon ausgehen, dass diese neben der aufgrund einseitiger empfangsbedürftiger Willenserklärung wirksamen Vollmachtserteilung gemäß § 167 Abs. 1 BGB auch noch eine weitere auf Abschluss eines Abtretungsvertrags gerichtete Willenserklärung enthält. Denn inhaltlich handelt es sich um eine zweiseitige Abrede, die mit der Erteilung der Vollmacht nicht im Zusammenhang steht (vgl. OVG Münster NJW 1987, 3029). Jedenfalls im vorliegenden Fall, in dem sich aus der Überschrift der Urkunde oder sonst in hervorgehobener Weise kein Hinweis darauf ergibt, dass diese neben der Vollmacht noch andere Regelungen enthält, ist die Klausel über die Abtretung gemäß § 305c BGB als unwirksam anzusehen.

Auch aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich nichts anderes. Der Gesetzgeber hat in der Begründung zu § 43 RVG ausgeführt (BTDrucks. 15/1971, Seite 199):
„Die vorgeschlagene Regelung ist zur Sicherung des Vergütungsanspruchs des Rechtsanwalts auch ausreichend. Der Rechtsanwalt wird sich in der Regel den Erstattungsanspruch bereits bei Auftragserteilung, möglicherweise im Zusammenhang mit der Vollmacht abtreten lassen. Mit der Vorlage der Abtretungsurkunde bei Gericht oder bei der Verwaltungsbehörde hat er seine Ansprüche gesichert.“
In Übereinstimmung hiermit hält auch der Senat die Abtretung im Zusammenhang mit der Vollmacht für zulässig, sofern ein deutlicher Hinweis hierauf erfolgt, was aber vorliegend nicht der Fall war.

3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO.