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OVG Münster Beschluss vom 07.05.2015 - 16 A 2055/13 - Ablehnung von PKH wegen Mutwilligkeit

OVG Münster v. 07.05.2015: Ablehnung von PKH für Berufungszulassungsverfahren wegen Mutwilligkeit


Das OVG Münster (Beschluss vom 07.05.2015 - 16 A 2055/13) hat entschieden:
Eine mutwillige Rechtsverfolgung liegt vor, wenn ein verständiger Beteiligter, der für die Prozesskosten selbst aufzukommen hätte, seine Rechte nicht in der gleichen Weise geltend machen würde. - Neben absurden Klagebegehren ohne jeden Rückhalt im Gesetz kommen u. a. von vornherein offensichtlich unschlüssige oder unzulässige Klagebegehren in Betracht. Insgesamt handelt es sich dabei um Begehren, bei denen im objektiven Sinne die Rechtsverfolgung - unter Ausnutzung der Kostenfreiheit - missbräuchlich ist. Solches mit öffentlichen Mitteln zu unterstützen, kann einer Rechtsordnung nicht zugemutet werden.


Siehe auch Prozesskostenhilfe - PKH - Beratungshilfe und Stichwörter zum Thema Verkehrsverwaltungsrecht


Gründe:

Über den Antrag der Klägerin,
ihr für den beabsichtigten Antrag auf Zulassung der Berufung unter Beiordnung von Rechtsanwalt T. aus C. Prozesskostenhilfe zu bewilligen,
entscheidet im Einverständnis der Beteiligten der Berichterstatter (§ 125 Abs. 1 i. V. m. § 87a Abs. 2 und 3 VwGO).

Der Antrag abzulehnen, weil sich die Rechtsverfolgung der Klägerin als mutwillig erweist (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Eine mutwillige Rechtsverfolgung liegt vor, wenn ein verständiger Beteiligter, der für die Prozesskosten selbst aufzukommen hätte, seine Rechte nicht in der gleichen Weise geltend machen würde.
Vgl. OVG Berlin-​Bbg., Beschluss vom 24. Oktober 2011 - OVG 6 M 23.09 -, NJW 2012, 249 = juris, Rn. 4; LSG NRW, Beschluss vom 26. April 2010 - L 19 AS 291/10 B -, juris, Rn. 23.
Neben absurden Klagebegehren ohne jeden Rückhalt im Gesetz kommen u. a. von vornherein offensichtlich unschlüssige oder unzulässige Klagebegehren in Betracht. Insgesamt handelt es sich dabei um Begehren, bei denen im objektiven Sinne die Rechtsverfolgung - unter Ausnutzung der Kostenfreiheit - missbräuchlich ist. Solches mit öffentlichen Mitteln zu unterstützen, kann einer Rechtsordnung nicht zugemutet werden.
BSG, Beschluss vom 5. September 2005 - B 1 KR 9/05 BH -, juris, Rn. 6.
So verhält es sich mit dem Begehren der Klägerin,
den Beklagten zu verpflichten, ihr unter Aufhebung des Bescheides vom 20. Juni 2012 eine Fahrerlaubnis der Klasse B einschließlich der darin enthaltenen Klassen auf der Grundlage der Duldungsbescheinigung als Identitätsnachweis zu erteilen, soweit die hierfür erforderlichen weiteren gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.
Die Sinnwidrigkeit des Klagebegehrens liegt darin, dass die Klägerin als lediglich geduldete Ausländerin - d. h. bei bestehender Ausreisepflicht, deren Vollstreckung lediglich zeitweilig ausgesetzt ist - von einer deutschen Fahrerlaubnis jedenfalls dann keinen nennenswerten Gebrauch wird machen können, wenn sie entweder zeitnah ihrer fortdauernden Ausreisepflicht nachkommt oder die noch gegebenen tatsächlichen Hindernisse für eine Abschiebung der Klägerin und ihrer Familie beseitigt werden können. Anders gewendet ergibt der Erwerb einer deutschen Fahrerlaubnis für die Klägerin nur unter der Voraussetzung Sinn, dass sie nach dem Scheitern ihres Asylbegehrens der bestandskräftig festgesetzten Ausreisepflicht (weiterhin) nicht nachkommt, sich also (weiterhin) rechtswidrig verhält. Auch angesichts des mittlerweile langjährigen und hartnäckig verteidigten Aufenthalts der Klägerin und ihrer Familie in der Bundesrepublik Deutschland - die Einreise fand schon im April 2008 statt -, der offensichtlich fortbestehenden Unmöglichkeit einer raschen Abschiebung wegen Passlosigkeit und der aus alldem folgenden herabgesetzten Wahrscheinlichkeit, dass es überhaupt noch zu einer Aufenthaltsbeendigung kommen wird, ergibt sich kein anderes Bild. Denn die rechtliche Beurteilung muss sich an dem gegenwärtigen Zustand orientieren, der nach wie vor von der bestandskräftigen Ausreiseverpflichtung der Klägerin geprägt ist. Hinzu kommt, dass eine Fahrerlaubniserteilung in Deutschland - neben anderen nicht beeinflussbaren Faktoren - zu einer Verfestigung des ausländerrechtswidrigen Zustandes beitrüge. Daher fehlt es wegen der nicht auflösbaren Unstimmigkeit zwischen dem fahrerlaubnisrechtlich Angestrebten und dem ausländerrechtlich Zulässigen an einer inneren Rechtfertigung, unter Aufbietung öffentlicher Mittel dem mit öffentlich-​rechtlichen Pflichten unvereinbaren Wunsch der Klägerin nach einem Fahrerlaubniserwerbs Geltung zu verschaffen.

Hinzu kommt, dass die Bewilligung von Prozesskostenhilfe als solche wegen ihres Charakters einer Leistung des sozialen Ausgleichs nicht ohne Weiteres mit dem ausländerrechtlichen Status der Klägerin vereinbart werden kann. Der Berichterstatter hat den Beteiligten insoweit vorab folgendes zu bedenken gegeben:
"Einem vom Beklagten zu den Akten gereichten Vermerk der Ausländerbehörde zufolge verweigere die Klägerin bzw. die gesamte Familie der Klägerin die freiwillige Rückkehr in ihre Heimat; das legt die Folgerung nahe, dass eine solche freiwillige Rückkehr möglich wäre. Außerdem heißt es, dass die Klägerin und ihr Ehemann die Mitwirkung bei der Beschaffung von Passersatzpapieren ablehnen; diesem Umstand dürfte zuzuschreiben sein, dass auch eine Abschiebung der vollziehbar ausreisepflichtigen Klägerin aufgrund eines ihr zurechenbaren Verhaltens nicht möglich ist. Sollte sich dieser Sachverhalt nach der beabsichtigten Beiziehung der Ausländerakte der Klägerin bestätigen, könnte sich daraus ein Hinderungsgrund für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ergeben, ohne dass es auf die bislang die rechtliche Argumentation der Beteiligten bestimmende Frage des Identitätsnachweises ankäme. Aus diversen Bestimmungen des Sozialleistungsrechts - im weiteren Sinne - und der dazu ergangenen Rechtsprechung ergibt sich, dass (lediglich) geduldete und überdies nicht in der gebotenen Weise bei der Aufenthaltsbeendigung mitwirkende Ausländer insbesondere von solchen Leistungen ausgeschlossen sind, die der besseren Integration dienen (vgl. BFH, Beschluss vom 13. Dezember 2013 - III B 88/13 -, juris, zum Kindergeld; VGH Bad.-​Württ., Urteil vom 19. Juli 2013 - 3 S 1514/12 - InfAuslR 2013, 453 = juris, Rn. 31, zur Erteilung eines Wohnberechtigungsscheins; LSG NRW, Urteil vom 12. Dezember 2008 - L 13 EG 14/08 -, juris, zum Erziehungsgeld; differenzierend bzw. offen Bay. LSG, Beschluss vom 18. Februar 1999 - L 18 B 141/98 SB -, juris, und LSG NRW, Urteil vom 28. Oktober 2009 - L 10 SB 45/08, juris, zu schwerbehindertenrechtlichen Feststellungen sowie Bay. LSG, Beschluss vom 24. Januar 2013 - L 8 AY 4/12 B ER -, juris, und Hess. LSG, Beschluss vom 9. Dezember 2013 - L 4 AY 17/13 B ER -, juris, zu nicht abgesenkten Leistungen nach dem AsylbLG). Auch ist in derartigen Fällen regelmäßig eine Ausnahme vom Beschäftigungsverbot ausgeschlossen (vgl. etwa OVG Rh.-​Pf., Beschluss vom 5.4.2007 - 7 A 10108/07 und 7 E 11594/06 -, juris). Angesichts dieser Rechtslage hat der Senat vorbehaltlich näherer Erkenntnisse über die tatsächlichen Verhältnisse Zweifel, ob die in einem weiteren Sinne (auch) als Ausprägung des Sozialstaatsgedankens anzusehende Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Klägerin überhaupt in Betracht kommt. Zumindest dann, wenn - wie vorliegend - Gegenstand der beabsichtigten Rechtsverfolgung nicht etwa der ausländerrechtliche Status oder ein unmittelbar damit zusammenhängender Verfahrensgegenstand, sondern eine letztlich auf die Verfestigung der inländischen Bindungen trotz fortdauernder Ausreisepflicht abzielende Rechtsposition ist, kann der Ausschlussgrund der Mutwilligkeit (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO) in Erwägung zu ziehen sein; ..."
Auch an dieser Einschätzung ist festzuhalten, wobei sich aus den beigezogenen Ausländerakten ergibt, dass die Klägerin und ihre Familie nicht nur unter Verstoß gegen ihre bestandskräftige Verpflichtung die freiwillige Ausreise aus dem Bundesgebiet unterlassen haben, sondern sich auch ihre Mitwirkung an der Beschaffung von Passersatzpapieren - wie etwa die Einreichung von Passbildern der Familienmitglieder - ausgesprochen schleppend dargestellt hat. Es ergibt sich das deutliche Bild einer Familie, die bisher keine Anstalten gemacht hat, das Land nach der negativ verlaufenen Prüfung eines Asylanspruches oder eines sonstigen humanitären Bleiberechts wieder zu verlassen. Der frühzeitig in die Wege geleitete Versuch der Klägerin, eine deutsche Fahrerlaubnis zu erwerben, passt in dieses Bild. Vor diesem Hintergrund kommt es auch nicht mehr entscheidend darauf an, dass die tatsächliche Unmöglichkeit einer Abschiebung der Klägerin und ihrer Familie auch wesentlich mit dem zeitaufwendigen Prozedere des Erwerbs von Passersatzpapieren zusammenhängt, weil jedenfalls nichts dagegen spricht, dass die Klägerin samt ihren Angehörigen ohne staatlichen Zwang in ihre russische Heimat hätte zurückkehren können. Aus diesem Grund ist auch belanglos, worauf es im Einzelnen zurückzuführen ist, dass die Anhörung der Klägerin und ihres Ehemannes durch einen Konsul des russischen Generalkonsulats am 5. Februar 2013 zu keiner Klärung ihrer Identität geführt hat. Selbst wenn es nicht zutreffen sollte, dass die Klägerin bei dieser Anhörung eine von den bisherigen Angaben abweichende letzte Wohnadresse in der Russischen Föderation angegeben haben sollte, bleibt doch im Ergebnis die Erfolglosigkeit der seinerzeit in die Wege geleiteten Identitätsklärung festzustellen.

Wegen der nach wie vor herrschenden Unklarheit über die Identität der Klägerin bietet die Rechtsverfolgung auch keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Senat hat zwar in der Vergangenheit offengelassen, ob Angaben in Legitimationspapieren, die wie die hier vorliegenden Duldungsbescheinigungen nur auf den eigenen Angaben der Betroffenen beruhen, geeignet sein können, den nach § 2 Abs. 6 StVG sowie § 21 Abs. 3 Nr. 1 FeV im Zusammenhang mit dem Fahrerlaubniserwerb erforderlichen Identitätsnachweis zu erbringen.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15. März 2013 - 16 E 193/13 -, juris.
Aber anders als in dem seinerzeit entschiedenen Fall liegen hier Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin und ihr Ehemann versuchen bzw. versucht haben, ihre Identität systematisch zu verschleiern. Hierfür spricht insbesondere, dass nach den Feststellungen im rechtskräftigen Beschluss des Verwaltungsgerichts Minden vom 17. Juni 2011 - 10 L 268/11.A -, die sich ihrerseits auf ein unanfechtbares Urteil des Verwaltungsgerichts Minden vom 28. September 2010 (nicht, wie im Beschluss angegeben, vom 28. September 2011) - 10 K 149/10.A - beziehen, die Umstände des angeblichen Verlusts ihrer Papiere ausgesprochen dubios sind. Dort ist folgendes ausgeführt:
"Den Klägern kann bereits nicht abgenommen werden, dass sie keine Papiere vorlegen könnten, da ihnen ihr Gepäck mit den Unterlagen am 10. April 2008 am Bahnhof in Q. gestohlen worden sei. Denn es ist bereits lebensfremd, dass sie ihre Pässe als wichtige Dokumente für eine Weile unbeaufsichtigt gelassen haben wollen und dass ihnen diese ausgerechnet am Tag ihrer Ausreise abhanden gekommen sein sollen. Der diesbezügliche Vortrag kann aber vor dem Hintergrund sogar als widerlegt angesehen werden, dass sich nach der Darstellung der Kläger in dem entwendeten Gepäckstück auch ihr Bargeld befunden haben soll, während es kurz darauf hieß, sie hätten dem Busfahrer 15.000 $ bzw. 10.000 $ als Fahrgeld für ihre Familie ausgehändigt. Demnach war das Geld sehr wohl noch vorhanden, sodass die angebliche Entwendung der Tasche und damit auch der Passpapiere unglaubhaft ist."
Dieser Einschätzung ist ebenso zuzustimmen wie der Auffassung des Beklagten, wonach es der Klägerin möglich und zumutbar (gewesen) sei, staatliche Stellen im Heimatland, dort lebende Verwandte oder einen Rechtsanwalt vor Ort mit der Beschaffung notwendiger Unterlagen zum Beleg der Identität und Herkunft zu beauftragen.

Die Gerichtsgebührenfreiheit des Prozesskostenhilfebewilligungsverfahrens folgt aus § 3 Abs. 2 GKG, weil eine Kostenstelle im Kostenverzeichnis fehlt; die im Prozesskostenhilfeverfahren entstandenen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).