Das Verkehrslexikon

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OLG Bamberg Beschluss vom 20.10.2015 - 3 Ss OWi 1220/15 - Einholung eines Sachverständigengutachtens bei Anwendung eines standardisierten Messverfahrens

OLG Bamberg v. 20.10.2015: Einholung eines Sachverständigengutachtens bei Anwendung eines standardisierten Messverfahrens


Das OLG Bamberg (Beschluss vom 20.10.2015 - 3 Ss OWi 1220/15) hat entschieden:
  1. PoliScan Speed ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung aus zutreffenden Gründen als sog. standardisiertes Messverfahren anerkannt.

  2. Erfüllt die Geschwindigkeitsermittlung die Voraussetzungen eines standardisierten Messverfahrens im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, genügt es im Regelfall, wenn sich die Verurteilung wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf die Mitteilung des Messverfahrens und die nach Abzug der Messtoleranz ermittelte Geschwindigkeit stützt. Auf diese Angaben kann nur im Falle eines glaubhaften Geständnisses des Betroffenen verzichtet werden.

  3. Bei Anwendung eines standardisierten Messverfahrens ist die Einholung eines Sachverständigengutachtens grundsätzlich nur erforderlich, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine nicht ordnungsgemäße Messung bestehen. Deshalb ist bei Einholung eines Gutachtens im Urteil die Mitteilung geboten, aus welchem Grund und zu welchem konkreten Beweisthema das Gericht überhaupt ein Sachverständigengutachten eingeholt hat. Nur in diesem Fall kann das Rechtsbeschwerdegericht verlässlich beurteilen, ob der Tatrichter zunächst ggf. Anhaltspunkte für eine Fehlmessung hatte und ob diese durch die Beweisaufnahme in ausreichender Weise ausgeräumt werden konnten.

Siehe auch Der Sachverständigenbeweis im Straf- und OWi-Verfahren und Standardisierte Messverfahren


Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen mit Urteil vom 29.06.2015 wegen einer "fahrlässig begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit nach der StVO" (Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 44 km/h) eine Geldbuße in Höhe von 320 € verhängt.

Mit der gegen dieses Urteil gerichteten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung materiellen Rechts.

II.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat - zumindest vorläufig - Erfolg, weil das Urteil an durchgreifenden Darstellungsmängeln leidet. Die Urteilsgründe sind lückenhaft (§ 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 267 Abs. 1 StPO) und zwingen den Senat zur Aufhebung des tatrichterlichen Urteils.

1. Im angefochtenen Urteil wird zwar mitgeteilt, mit welchem konkreten Messverfahren bzw. Messgerät die verfahrensgegenständliche Geschwindigkeitsüberschreitung festgestellt worden ist. Es fehlen jedoch Angaben dazu, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe ein Toleranzabzug berücksichtigt wurde.

Erfüllt die Geschwindigkeitsermittlung die Voraussetzungen eines standardisierten Messverfahrens im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, genügt es im Regelfall, wenn sich die Verurteilung wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf die Mitteilung des Messverfahrens und die nach Abzug der Messtoleranz ermittelte Geschwindigkeit stützt. Denn mit der Mitteilung des angewandten Messverfahrens sowie des berücksichtigten Toleranzwertes wird im Rahmen eines durch Normen vereinheitlichten (technischen) Verfahrens eine für die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts in aller Regel hinreichende Entscheidungsplattform zur Beurteilung einer nachvollziehbaren tatrichterlichen Beweiswürdigung geschaffen (BGHSt 39, 291; 43, 277; BayObLGSt 1993, 55; OLG Bamberg DAR 2012, 154 m.w.N.). Auf diese Angaben kann nur im Falle eines glaubhaften Geständnisses des Betroffenen verzichtet werden, von dem hier nach den Urteilsgründen nicht ausgegangen werden kann.

2. Darüber hinaus hat das Amtsgericht die Verurteilung auch auf ein Sachverständigengutachten zur "Überprüfung der Messung" gestützt, ohne den Inhalt des Gutachtens in ausreichendem Umfang darzulegen.

a) Nachdem es sich bei der Messung mit dem Gerätetyp "Poliscan Speed" grundsätzlich um ein standardisiertes Messverfahren handelt, weil die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (vgl. nur OLG Düsseldorf v. 30.04.2015 - IV-​3 RBs 15/15, 3 RBs 15/15, IV-​3 RBs 15/15 - 2 Ss OWi 23/15, 3 RBs 15/15 - 2 Ss OWi 23/15 - [bei juris] m.w.N; OLG Frankfurt DAR 2015, 149; OLG Karlsruhe NZV 2015, 150), wäre die Einholung eines Sachverständigengutachtens grundsätzlich nur erforderlich gewesen, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine nicht ordnungsgemäße Messung bestanden hätten (OLG Düsseldorf a.a.O.; OLG Karlsruhe a.a.O.). Deshalb wäre bereits die Mitteilung geboten gewesen, aus welchem Grund und zu welchem konkreten Beweisthema das Amtsgericht überhaupt ein Sachverständigengutachten erholt hat. Nur in diesem Fall kann verlässlich beurteilt werden, ob der Tatrichter zunächst ggf. Anhaltspunkte für eine Fehlmessung hatte und ob diese durch die Beweisaufnahme in ausreichender Weise ausgeräumt werden konnten.

b) Darüber hinaus leidet die Darstellung des erstatteten Gutachtens an grundlegenden Mängeln. Sie erschöpft sich in dem bloßen Hinweis, die Überprüfung durch den Sachverständigen habe keine Fehler der Messung ergeben. Durch diese gänzlich unzulängliche Wiedergabe des Inhalts des erstatteten Gutachtens wird dem Senat eine rechtliche Nachprüfung von vornherein unmöglich gemacht. Wenn sich der Tatrichter ohne weitere eigene Erwägungen den Ausführungen des Sachverständigen angeschlossen hat, dann muss er im Urteil die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen des Sachverständigen so wiedergegeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (st. höchstrichterliche Rechtsprechung; vgl. BGH, Beschl. vom 02.04.2015 - 3 StR 103/15; NStZ-​RR 2014, 244; NStZ-​RR 2014, 305, 306; NStZ-​RR 2015, 71 (nur LS)), was hier indes nicht erfolgt ist.

III.

Wegen der aufgezeigten Darstellungsmängel ist das Urteil mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben (§§ 267, 261, 353 StPO, 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG).

Die Sache wird, auch zur Entscheidung über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurückverwiesen (§ 79 Abs. 6 OWiG).

Der Senat entscheidet durch Beschluss gemäß § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG. Gemäß § 80 a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass in der Entscheidungsformel die rechtliche Bezeichnung der Tat konkreter (etwa: fahrlässige Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften…) zu fassen ist (vgl. Göhler OWiG 16. Aufl. § 71 Rn. 41 m.w.N.).