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OLG Naumburg Urteil vom 28.10.2015 - 1 U 73/15 - Parteianhörung und Parteivernehmung als Beweismittel

OLG Naumburg v. 28.10.2015: Parteianhörung und Parteivernehmung als Beweismittel


Das OLG Naumburg (Urteil vom 28.10.2015 - 1 U 73/15) hat entschieden:
  1. Behauptet der Kläger ein mit Straßenschäden im Zusammenhang stehendes Unfallgeschehen, zu dem sich der verkehrssicherungspflichtige Beklagte nur mit Nichtwissen erklären kann, ist es verfahrensfehlerhaft, die Verurteilung des Beklagten zum Schadensersatz ausschließlich auf die Anhörung des Klägers zu stützen. Die Parteianhörung ist kein Beweismittel.

  2. Das Beweismittel ist die Parteivernehmung. Sie setzt, soweit sie von Amts wegen erfolgen soll, eine gewisse Anfangswahrscheinlichkeit für die zu beweisende Tatsache voraus. Hieran sind strenge Anforderungen zu stellen, wenn der Beklagte vom Unfallhergang keine Kenntnis und hierzu auch keine Beweismittel zur Verfügung hat. Ansonsten würde die Parteivernehmung dem Kläger nicht im Interesse der Waffengleichheit nur über Beweisschwierigkeiten hinweghelfen, sondern ihm einen nicht gerechtfertigten prozessualen Vorteil verschaffen. Allein schlüssiges Vorbringen führt nicht zum Prozesserfolg.

Siehe auch Parteivernehmung / Parteianhörung und Stichwörter zum Thema Zivilprozess


Gründe:

I.

Von der Darstellung des Sachverhalts wird gemäß § 540 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 313a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.

II.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das Rechtsmittel hat Erfolg und führt zur Klageabweisung.

Der Kläger ist für sämtliche Anspruchsvoraussetzungen darlegungs- und beweispflichtig. Dies gilt für den Unfallort, das eigentliche Unfallgeschehen und dafür, dass die geltend gemachten Schäden kausal auf dem Unfallgeschehen beruhen. Für die vorgenannten Umstände stehen dem Kläger keine Beweismittel zur Verfügung. Der Zeuge K. konnte aus eigener Erkenntnis nur bekunden, dass es an der vom Kläger benannten Stelle eine Vertiefung/Loch gab, durch das er kurz vor dem vom Kläger angegebenen Unfallzeitpunkt selbst hindurch gefahren war und weiter, dass er dieses Loch nicht gesehen hat. Was er über das konkrete Unfallgeschehen des Klägers bekunden konnte, hatte er von diesem erfahren, was für sich genommen keinerlei Beweiswert hat (Senat Urteil vom 3.4.2014 - 1 U 23/13 -). Bei der Darstellung des Ablaufs des Unfallgeschehens handelt es sich somit ausschließlich um Parteivortrag des Klägers. In dieser Situation hat das Landgericht den Kläger gemäß § 141 ZPO angehört. Die der Klage stattgebende Entscheidung hat das Landgericht in den entscheidungserheblichen Punkten ausschließlich auf den Inhalt dieser Anhörung des Klägers gestützt. Darin liegt ein Verfahrensfehler, weil die Parteianhörung kein Beweismittel i.S.d. Zivilprozessordnung darstellt und allein darauf eine Verurteilung bei Bestreiten durch die Beklagte nicht gestützt werden kann (BGH Urteil vom 16.10.1987 - V ZR 170/86 - [z.B. NJW-​RR 1988, 394; hier: zitiert nach juris; Senat Urteil vom 21.9.2015 - 1 U 36/15 -; zur Problematik: Eschelbach/Geipel, Parteianhörung - Die Verwertung im Rahmen der Beweiswürdigung; § 141 vs. § 286 ZPO; MDR 2012, 198ff). Unfallörtlichkeit und Unfallhergang (einschließlich Schaden) hat die Beklagte bereits in der Klageerwiderung (zulässig) mit Nichtwissen bestritten. Wenn das Landgericht seine Entscheidung auf die Angaben des Klägers stützen wollte, hätte es ihn förmlich gemäß § 448 ZPO als Partei vernehmen müssen (BGH a.a.O.), weil die Parteivernehmung - anders als die Parteianhörung gemäß § 141 ZPO - ein Beweismittel darstellt.

Zu erwägen war daher jetzt für den Senat, ob eine förmliche Parteivernehmung gemäß § 448 ZPO in Betracht kam. Eine förmliche Parteivernehmung kommt in Betracht, wenn eine gewisse Anfangswahrscheinlichkeit für die Richtigkeit des Vorbringens der Partei spricht (BGH Urteil vom 26.6.2008 - IX ZR 145/05 - [z.B. VersR 2008, 1394]; hier: zitiert nach juris). In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass Parteianhörung und Parteivernehmung letztlich Hilfsmittel zugunsten der beweisbelasteten Partei in Beweisnot darstellen. Sie sollen im Zweifelsfall für eine „Waffengleichheit“ zwischen den Parteien sorgen, insbesondere dann, wenn der Prozessgegner Beweismittel benennen kann. Dies ist indes vorliegend nicht der Fall. Die Beklagte hat - ohne dass ihr dies zuzurechnen wäre - aus eigener Erkenntnis oder durch Dritte keine Kenntnis über das Unfallgeschehen. Sie befände sich also in der gleichen Situation der Beweisnot. Vor diesem Hintergrund würde es bei Anordnung der förmlichen Parteivernehmung nicht um die Herstellung von „Waffengleichheit“ gehen, sondern sie würde zu einem Vorteil für den Kläger werden, dem die Beklagte nichts entgegenzusetzen hätte. An die Frage einer Anfangswahrscheinlichkeit sind daher strenge Anforderungen zu stellen. Man müsste erwarten, dass sich irgendein objektivierbarer Anhaltspunkt finden ließe, der für den Vortrag des Klägers sprechen würde. Im vorliegenden Fall gibt es aber - wie ausgeführt - ausschließlich die Bekundungen des Klägers selbst. Kann sich der Prozessgegner (also die Beklagte) mangels Kenntnis nicht einmal selbst als Partei äußern, wird man Feststellungen zur Anfangswahrscheinlichkeit ebenfalls allein nicht auf die Bekundungen der Partei selbst stützen können. Selbst wenn sie im Verfahren konstante Angaben zur Sache macht, lässt sich ein Aussagemotiv für Falschangaben zur Selbstbegünstigung nie ausschließen. Die Plausibilitätskontrolle ergibt allenfalls die Schlüssigkeit des Vortrages (dazu: Eschelbach/Geipel a.a.O., S. 200). Vor diesem Hintergrund kommt im vorliegenden Fall die Anordnung einer förmlichen Parteivernehmung nicht in Betracht (dazu Senat Urteile vom 20.3.2014 - 1 U 23/13 - und 21.9.2015 - 1 U 36/15 -).

Da der Kläger gemessen am Beweismaß des § 286 ZPO nicht den Beweis führen kann, dass sich der Unfall in der von ihm geschilderten Art und Weise ereignet hat, muss eine Haftung der Beklagten daher ausscheiden. Auf die Berufung der Beklagten ist die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen von § 543 ZPO nicht vorliegen.



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