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OLG München Urteil vom 20.11.2015 - 10 U 707/15 - Feststellungsinteresse bei Möglichkeit des Eintritts weiterer Verletzungsfolgen

OLG München v. 20.11.2015: Feststellungsinteresse bei Möglichkeit des Eintritts weiterer Verletzungsfolgen trotz Grundurteils über den Schmerzensgeldanspruch


Das OLG München (Urteil vom 20.11.2015 - 10 U 707/15) hat entschieden:
  1. Eine Klage auf Feststellung der deliktischen Verpflichtung eines Schädigers zum Ersatz künftiger Schäden ist zulässig, wenn die Möglichkeit eines Schadenseintritts besteht. Ein Feststellungsinteresse wäre nur zu verneinen, wenn aus der Sicht des Geschädigten bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines Schadens wenigstens zu rechnen.

  2. Besteht die Möglichkeit des Eintritts weiterer Verletzungsfolgen, so kann ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Ersatzpflicht für immaterielle Zukunftsschäden auch dann gegeben sein, wenn der Schmerzensgeldanspruch dem Grunde nach bereits für gerechtfertigt erklärt worden ist.

Siehe auch Feststellungsinteresse - Feststellungsklage - Zukunftsschaden und Stichwörter zum Thema Personenschaden


Gründe:

A.

Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO).

B.

Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache im entschiedenen Umfang Erfolg (zur Berufung der Klägerin im Übrigen ist auf die Beschlüsse des Senats vom 30.07.2015, Bl. 201/213 d.A., und vom 05.10.2015, Bl. 220/222 d.A., Bezug zu nehmen).

I.

Entgegen der Rechtsauffassung des Landgerichts ist die Feststellungsklage auf Ersatz entstehender immaterieller Schäden zulässig und begründet. Wie sich aus dem für das Berufungsverfahren maßgeblichen unstreitigen Tatbestand des Ersturteils ergibt, hatte die Beklagte mit Schreiben vom 12.11.2010 lediglich materielle Zukunftsansprüche anerkannt (vgl. S. 3 des Ersturteils), weswegen durch dieses Anerkenntnis eine Zubilligung der Übernahme immaterieller Ansprüche nicht abgeleitet werden kann.

Eine Klage auf Feststellung der deliktischen Verpflichtung eines Schädigers zum Ersatz künftiger Schäden ist zulässig, wenn die Möglichkeit eines Schadenseintritts besteht. Ein Feststellungsinteresse wäre nur zu verneinen, wenn aus der Sicht des Geschädigten bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines Schadens wenigstens zu rechnen (BGH MDR 2007, 792-​793). Besteht die Möglichkeit des Eintritts weiterer Verletzungsfolgen, so kann ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Ersatzpflicht für immaterielle Zukunftsschäden auch dann gegeben sein, wenn der Schmerzensgeldanspruch dem Grunde nach wie hier bereits für gerechtfertigt erklärt worden ist (BGH VersR 2001, 876). Die Möglichkeit des Eintritts weiterer Verletzungsfolgen steht auf Grund der nicht angegriffenen tatrichterlichen Feststellungen des Landgerichts fest (vgl. Ersturteil S. 9 Mitte). Danach hat die Klägerin u.a. im Bereich der Sprunggelenke und auf Grund eines Muskelschwunds mit weiteren Verletzungsfolgen zu rechnen. Die zukünftige Entwicklung ist entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten entsprechend der medizinischen Sachverständigenäußerungen ungewiss und nicht überschaubar, etwa der Verlauf der posttraumatischen Arthrose.

Die umfangreichen Ausführungen der Beklagten ab S. 2 des Schriftsatzes vom 04.11.2015 liegen daher neben der Sache, da die Bemessung des Schmerzensgelds seitens des Landgerichts von den Beklagten nicht angegriffen wurde und diese im Übrigen nach der rechtskräftigen Zurückweisung der Berufung der Klägerin nicht mehr Gegenstand des Berufungsverfahrens war.

Im Hinblick auf die vorgerichtlichen Anwaltsgebühren ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass eine Berechnung der vorgerichtlichen Anwaltsgebühren nicht möglich ist, da der in der Klage genannte Betrag von 98.197,00 € nicht erläutert wurde und deshalb völlig unklar ist, in welchem Umfang die Klägerin nun letztendlich obsiegt hat. Alle genannten Beträge, also die vorgerichtliche Bezahlung der Beklagten in Höhe von 50.000,00 € auf Schmerzensgeld und 12.500,00 € auf Haushaltsführungsschaden sowie die in der Klage angegebenen Werte für das streitige Verfahren lassen eine Verifizierung des genannten Gegenstandswerts nicht zu, so dass auch nicht festgestellt werden kann, ob durch das Teilobsiegen der Klägerin in Höhe von 4.000,00 € ein höheres vorgerichtliches Anwaltshonorar als das von der Beklagten bereits bezahlte in Höhe von 1.918,04 € (vgl. Bl. 26 d.A.) berechtigt wäre, wobei nach der Rechtsprechung des Senats auch im vorliegenden Fall lediglich eine Geschäftsgebühr in Höhe von 1,3 anzusetzen ist. Eines Hinweises nach § 139 I ZPO bedurfte es nicht, da es sich bei den vorgerichtlichen Anwaltskosten um eine Nebenforderung handelt. Da selbst die Berufungsbegründung bezüglich der abgewiesenen vorgerichtlichen Anwaltskosten keine Rüge enthält, bedarf es keiner weiteren Ausführungen.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 I 1 Fall 1 ZPO.

III.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Ersturteils und dieses Urteils beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO.

IV.

Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.