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Landgericht Bielefeld Beschluss vom 06.01.2016 - 10 Qs 460/15 - Entschuldigung des abwesenden Betroffenen bei Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

LG Bielefeld v. 06.01.2016: Entschuldigung des abwesenden Betroffenen bei Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung


Das Landgericht Bielefeld (Beschluss vom 06.01.2016 - 10 Qs 460/15) hat entschieden:
  1. Genügend entschuldigt ist das Ausbleiben des Betroffenen in der Hauptverhandlung, wenn ihm bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalles daraus billigerweise kein Vorwurf gemacht werden kann. In der Regel reicht ein privatärztliches Attest als genügende Entschuldigung für das Ausbleiben des Betroffenen aus.

  2. Liegen aufgrund einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung konkrete Hinweise für einen Entschuldigungsgrund vor, hat das Gericht dem im Rahmen seiner Aufklärungspflicht nachzugehen. Etwaige Zweifel daran, ob die vorgetragenen Entschuldigungstatsachen zutreffen, müssen im Wege des Freibeweises geklärt werden, da nicht entscheidend ist, ob sich der Betroffene entschuldigt hat, sondern ob er entschuldigt ist.

Siehe auch Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung und Säumnis des Betroffenen und Bußgeldverfahren / Ordnungswidrigkeitenverfahren


Gründe:

Die sofortige Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

1. Der Betroffene begehrt mit Schreiben seines Verteidigers vom 29.10.2015 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, weil er - der Betroffene - in dem gegen ihn geführten Bußgeldverfahren den anberaumten Hauptverhandlungstermin vor dem Amtsgericht Bielefeld am 24.09.2015 versäumt hatte und daher gegen ihn ein Verwerfungsurteil gemäß § 74 Abs. 2 OWiG ergangen war. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Verteidiger des Betroffenen beantragte mit Fax vom 23.09.2015 beim Amtsgericht Bielefeld, den Verhandlungstermin vom 24.09.2015 um 12:00 Uhr auf einen anderen Zeitpunkt zu verlegen, da der Betroffene reiseunfähig erkrankt sei. Zur Glaubhaftmachung fügte er eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Fachärztin für Innere Medizin, Dr. C. vom 23.09.2015 bei, aus der sich ergibt, dass er vom 22.09. bis voraussichtlich 25.09.2015 arbeitsunfähig sei, als Diagnose wurde der ICD-​Code A09.9 (Anm.: Sonstige und nicht näher bezeichnete Gastroenteritis und Kolitis infektiösen und nicht näher bezeichneten Ursprungs) angegeben. Auf Veranlassung der zuständigen Richterin wurde dem Verteidiger unter dem 24.09.2015 um 09:06 Uhr per Fax mitgeteilt, dass der Termin bestehen bleibe, der Betroffene habe bislang nicht glaubhaft dargelegt, dass er reise- oder verhandlungsunfähig sei. Seinen Antrag vom 30.09.2015 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verwarf das Amtsgericht mit Beschluss vom 19.10.2015.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde des Betroffenen vom 29.10.2015. Nach Aufforderung der Kammer vom 23.11.2015 übersandte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 04.12.2015 ein Attest der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. D., in dem ausgeführt wird, dass sich der Betroffene am 23.09.2015 in ihre Sprechstunde begeben habe; er sei von ihr untersucht sowie behandelt worden und es sei ein akuter Magen-​Darm-​Infekt mit Durchfällen, Erbrechen und heftiger Übelkeit diagnostiziert worden. Daraufhin sei er bis zum 25.09.2015 arbeitsunfähig geschrieben worden; aufgrund der Symptomatik sei er vom 23.09. bis zum 25.09.2015 weder reise- noch verhandlungsfähig gewesen. Auf telefonische Nachfrage der Kammer am 05.01.2016 wurde bestätigt, dass beide Ärztinnen in der gleichen Praxis tätig sind.

2. Dem Betroffenen war unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. §§ 74 Abs. 4 S. 1, 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 44 StPO zu gewähren, da ihn wegen seiner Erkrankung kein Verschulden hinsichtlich der Versäumung der Hauptverhandlung vom 24.09.2015 trifft, und er dies jedenfalls im jetzigen Verfahrensstand hinreichend glaubhaft gemacht hat.

Nach den §§ 74 Abs. 4, 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 45 Abs. 2 S. 1 StPO sind bei der Antragstellung die Tatsachen, die das Wiedereinsetzungsgesuch begründen sollen, konkret vorzutragen und glaubhaft zu machen. Genügend entschuldigt ist das Ausbleiben, wenn dem Betroffenen bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalles daraus billigerweise kein Vorwurf gemacht werden kann (vgl. LG Dresden, Beschluss vom 29.12.2006 - 3 Qs 155/06). In der Regel reicht ein privatärztliches Attest als genügende Entschuldigung für das Ausbleiben des Betroffenen aus (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.12.1982 - 1 Ws 990/82). Liegen - wie hier aufgrund der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 23.09.2015 - konkrete Hinwiese für einen Entschuldigungsgrund vor, hat das Gericht dem im Rahmen seiner Aufklärungspflicht nachzugehen (vgl. Göhler, OWiG, 16. Aufl., § 74, Rn. 31).

Diese Voraussetzungen hat die Amtsrichterin im vorliegenden Fall außer Acht gelassen. Schon die Begründung, dass sich aus der bislang eingereichten ärztlichen Arbeitsunfähigkeit weder eine Verhandlungs- noch eine Reiseunfähigkeit ergeben würde lässt - insbesondere vor dem Hintergrund der dort aufgestellten Diagnose -, besorgen, dass der Rechtsbegriff der genügenden Entschuldigung nicht zutreffend angewendet worden ist. Etwaige Zweifel daran, ob die vorgetragenen Entschuldigungstatsachen zutreffen, hätten im Wege des Freibeweises geklärt werden müssen, da nicht entscheidend ist, ob sich der Betroffene entschuldigt hat, sondern ob er entschuldigt ist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 28.10.2002 - 2 Ss OWi 873/02). Dies hat das Amtsgericht versäumt, es hat lediglich dem Verteidiger am 24.09.2015 um 09:06 Uhr per Fax mitgeteilt, dass der Termin um 12:30 Uhr bestehen bleibe, der Betroffene habe bislang nicht glaubhaft dargelegt, dass er reise- oder verhandlungsunfähig sei; es legte jedoch nicht dar, auf Grund welcher Tatsachen oder Überlegungen es zu dieser Einschätzung gelangt ist, darüber hinaus forderte es den Betroffenen nicht auf, sein Entschuldigungsvorbringen näher zu konkretisieren. In dem ärztlichen Attest der Frau Dr. D. vom 01.12.2015 wird die in der dem Amtsgericht übersandten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aufgestellte Diagnose - dort lediglich mit dem ICD-​Code angegeben - präzisiert und dargelegt, dass der Betroffene aufgrund des von der Ärztin festgestellten Magen-​Darm-​Infekts am Terminstag weder reise- noch verhandlungsfähig war, so dass der Betroffene spätestens jetzt seine Erkrankung hinreichend glaubhaft gemacht hat.

Da es hinsichtlich der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keinerlei Hinweise auf deren Unglaubwürdigkeit gibt, hätte die Amtsrichterin versuchen müssen, sich die nunmehr durch die Kammer eingeholte zusätzliche Information zu beschaffen, um etwaige Zweifel an der Erkrankung zu beseitigen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 473 Abs. 7 StPO, 46 Abs. 1 OWiG.



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