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OVG Münster Urteil vom 02.08.2011 - 16 A 1472/10 - Bindungswirkung bei der Neuerteilung der Fahrerlaubnis

OVG Münster v. 02.08.2011: Zum Umfang der Bindungswirkung bei der Neuerteilung der Fahrerlaubnis


Das OVG Münster (Urteil vom 02.08.2011 - 16 A 1472/10) hat entschieden:
Die Vorschrift des § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG gilt ihrem Wortlaut nach nur im Fahrerlaubnisentziehungsverfahren. Eine entsprechende Anwendung auf das Verfahren zur (Neu-)Erteilung einer Fahrerlaubnis ist abzulehnen. Dem Fehlen einer Regelung für das (Neu-)Erteilungsverfahren liegt keine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes zugrunde, die Voraussetzung für einen Lückenschluss im Wege der Analogie wäre.


Siehe auch Bindungswirkung der Straf- bzw. Bußgeldentscheidung und Stichwörter zum Thema Fahrerlaubnis und Führerschein


Tatbestand:

Der 1969 geborene Kläger war seit März 1990 im Besitz einer Fahrerlaubnis. Diese entzog ihm der Beklagte mit Ordnungsverfügung vom 16. Oktober 2007 wegen des Erreichens von 18 Punkten im Verkehrszentralregister. Am 19. November 2008 führte der Kläger gleichwohl ein Kraftfahrzeug. In der Folge wurde er durch Urteil des Amtsgerichts C. H. vom 30. Juli 2009 (41 Cs 46/09) wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen verurteilt. In den abgekürzten Urteilsgründen ist ausgeführt, warum der Strafrichter von weiteren Führerscheinmaßnahmen abgesehen hat. Wörtlich heißt es dort:
"Vielmehr konnte in der mündlichen Verhandlung festgestellt werden, dass der Angeklagte mittlerweile zum Führen von Kraftfahrzeugen wieder geeignet ist. Er hat sich offenbar mit den zurückliegenden Verkehrsverstößen auseinandergesetzt und konnte hierzu in der mündlichen Verhandlung im einzelnen Stellung nehmen. Der Angeklagte hat umfassend dargelegt, wie es zu der Entziehung der Fahrerlaubnis gekommen ist und welche Konsequenzen dies für seine berufliche und private Existenz hatte. Zudem handelte es sich bei den Verkehrsverstößen, welche letztlich zu der Entziehung der Fahrerlaubnis geführt haben, nicht durchweg um Verstöße, welche jeweils eine besonders krasse Rücksichtslosigkeit im Verkehr dokumentieren. Der Angeklagte ist mittlerweile seit fast 2 Jahren ohne Führerschein und aufgrund dieser Tatsache arbeitslos, was ihn als Familienvater besonders hart getroffen und offenbar zum Überdenken seines Verkehrsverhaltens geführt hat. Hieran ändert aus Sicht des Gerichts auch nichts der hier verfahrensgegenständliche Vorfall, da es sich offenbar um eine Ausnahmesituation handelte und dergleichen in der Zeit des Führerscheinentzuges sonst nicht aufgetreten ist. Er konnte in der mündlichen Verhandlung darlegen, dass er bei Wiedererlangung der Fahrerlaubnis eine Festanstellung erreichen kann dies war auch insofern glaubhaft, als die potentielle Arbeitgeberin in der mündlichen Verhandlung anwesend war und die Einstellung als Makler bei Wiedererlangung der Fahrerlaubnis bestätigte. Auch im Hinblick auf die nunmehrige Möglichkeit, bei Wiedererlangung der Fahrererlaubnis eine Anstellung zu finden, hat der Angeklagte sein verkehrsrechtliches Fehlverhalten in der Vergangenheit offenbar erneut überdacht. Die in der mündlichen Verhandlung gemachte Zusicherung des Angeklagten, sich in Zukunft ordnungsgemäß im Verkehr zu bewegen, wirkten daher insgesamt auf das Gericht glaubhaft. Der durch die vorliegende Tat bereits gegebene Punktestand mag insofern eine ausreichende Warnung für den Angeklagten sein."
Nachdem der Kläger unter dem 3. September 2009 die Neuerteilung der Fahrerlaubnis beantragt hatte, gab ihm der Beklagte mit Schreiben vom 19. Oktober 2009 auf, ein medizinischpsychologisches Gutachten über seine Kraftfahreignung vorzulegen. Er begründete dies mit der Regelung des § 4 Abs. 10 Satz 3 StVG. Danach habe er die Beibringung anzuordnen, weil dem Kläger zuvor die Fahrerlaubnis wegen einer Punkteüberschreitung entzogen worden sei. Da der Kläger das Gutachten unter Verweis auf die strafgerichtliche Eignungsfeststellung nicht vorlegte, lehnte der Beklagte den Neuerteilungsantrag mit Bescheid vom 23. November 2009 ab.

Die daraufhin erhobene Klage auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis hat das Verwaltungsgericht mit Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 21. Mai 2010 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Kern ausgeführt, die Neuerteilung der Fahrerlaubnis erfordere eine vorherige Begutachtung. Hierauf könne auch mit Blick auf die Entscheidung des Amtsgerichts C. H. vom 30. Juli 2009 nicht verzichtet werden. Eine Bindungswirkung der Fahrerlaubnisbehörde bestehe nach § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG nur in einem Entziehungsverfahren. Eine analoge Anwendung der Vorschrift komme nicht in Betracht. Die Vorschrift bezwecke die Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen im Straf- und im Verwaltungsverfahren. Widersprechende Entscheidungen lägen aber nicht bereits dann vor, wenn die strafgerichtliche Eignungsbeurteilung anders ausfalle als die der Verwaltungsbehörde, sondern nur dann, wenn eine abweichende Rechtsfolge gesetzt werde. Dies sei hier nicht möglich, da über die Neuerteilung der Fahrerlaubnis ausschließlich im verwaltungsbehördlichen Verfahren zu entscheiden sei.

Hiergegen hat der Kläger die vom Senat zugelassene Berufung eingelegt. Er trägt im Wesentlichen vor, der Beklagte sei auch im Neuerteilungsverfahren an die positive Feststellung der Fahreignung durch den Strafrichter gebunden. Vorliegend habe der Strafrichter die Voraussetzungen für eine Neuerteilung ausdrücklich bejahen wollen. Das Verlangen nach einer medizinischpsychologischen Begutachtung widerspreche vor diesem Hintergrund den Entscheidungsgründen des Strafurteils und komme der Setzung einer abweichenden Rechtsfolge durch die Verwaltungsbehörde gleich.

Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 23. November 2009 zu verpflichten, ihm die Fahrerlaubnis der Klasse B ohne Vorlage eines medizinischpsychologischen Gutachtens zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung verteidigt er das angefochtene Urteil. Ergänzend macht er geltend, dem Strafrichter seien nicht alle Tatsachen bekannt gewesen, die zur Entziehung der Fahrerlaubnis geführt hätten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird ergänzend auf die Gerichtsakte einschließlich Beiakten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats keinen Anspruch auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis und wird daher durch die Ablehnung seines Antrags nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

1. Zwar durfte der Beklagte aus den Gründen der Berufungszulassungsentscheidung aus der Nichtvorlage des angeordneten medizinischpsychologischen Gutachtens nicht auf die fehlende Kraftfahreignung des Klägers schließen (vgl. §§ 11 Abs. 8, 20 Abs. 1 FeV). Dies ändert jedoch nichts daran, dass die begehrte Neuerteilung der Fahrerlaubnis die Beibringung eines entsprechenden Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung erfordert, wozu der Kläger nach seiner Erklärung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nach wie vor nicht bereit ist.

Ein Fahrerlaubnisinhaber gilt mit dem Erreichen von 18 Punkten im Verkehrszentralregister unwiderlegbar als ungeeignet; die Fahrerlaubnis ist ihm zu entziehen (§ 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG). Eine neue Fahrerlaubnis darf gemäß § 4 Abs. 10 Satz 1 StVG frühestens sechs Monate nach Wirksamkeit der Entziehung erteilt werden. Nach § 4 Abs. 10 Satz 3 StVG hängt die Neuerteilung unbeschadet der Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen von dem Nachweis ab, dass die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen wiederhergestellt ist. Hierzu hat die Fahrerlaubnisbehörde in der Regel die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung anzuordnen.

Eine danach mögliche Ausnahme von dem Regelerfordernis, den Nachweis der Wiederherstellung der Kraftfahreignung nach § 4 Abs. 10 Satz 3 StVG durch ein medizinischpsychologisches Gutachten zu führen, liegt vor, wenn die wiederhergestellte Eignung (bzw. die fortbestehende Nichteignung) des Fahrerlaubnisneubewerbers aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls bereits ohne eine Begutachtung festgestellt werden kann, mithin die Regelvermutung der Erforderlichkeit weiterer Ermittlungen nicht greift.
Vgl. Bouska/Laeverenz, Fahrerlaubnisrecht, 3. Aufl. 2004, § 4 StVG Erl. 48; Gehrmann, Das Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze, NJW 1998, 3534, 3540.
Ob ein solcher Ausnahmefall von der Erforderlichkeit eines Eignungsgutachtens gegeben ist, unterliegt der unbeschränkten gerichtlichen Prüfung. Das Merkmal "in der Regel" in § 4 Abs. 10 Satz 3 StVG ist ein unbestimmter Rechtsbegriff auf Tatbestandsseite, bei dessen Ausfüllung der Fahrerlaubnisbehörde kein Beurteilungsspielraum eingeräumt ist. Weder nach dem Wortlaut der Vorschrift noch nach dem Zusammenhang oder ihrem Sinn und Zweck soll der Behörde insoweit die Entscheidung allein zugewiesen sein. Insbesondere verfügt sie weder über besondere Qualifikationen, noch ist ihre Entscheidung unvertretbar.

Zu den übrigen hier nicht einschlägigen Fallgruppen, in denen ein behördlicher Beurteilungsspielraum anzuerkennen ist,
vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, § 114 Rdnr. 25 mit weiteren Nachweisen.
2. Nach diesen Maßgaben kommt ein Verzicht auf eine medizinischpsychologische Untersuchung des Klägers nicht in Betracht. Der Nachweis wiederhergestellter Kraftfahreignung ist bislang nicht geführt.

a) Dass die Fahreignung des Klägers wieder gegeben ist, steht nicht schon infolge des Strafurteils des Amtsgerichts C. H. vom 30. Juli 2009 fest.

aa) Die dort getroffene positive Eignungsfeststellung entfaltet keine Bindungswirkung analog § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG. Diese Vorschrift gilt ihrem Wortlaut nach nur im Fahrerlaubnisentziehungsverfahren. Eine entsprechende Anwendung auf das Verfahren zur (Neu-)Erteilung einer Fahrerlaubnis ist abzulehnen. Dem Fehlen einer Regelung für das (Neu-)Erteilungsverfahren liegt keine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes zugrunde, die Voraussetzung für einen Lückenschluss im Wege der Analogie wäre. Die Bindung der Verwaltungsbehörde in § 3 Abs. 4 StVG kann entstehungsgeschichtlich nicht als Ausdruck einer allgemeinen Vorrangstellung der strafgerichtlichen Entscheidung verstanden werden, sondern stellt sich als Ausnahme dar, mit der auf die mit dem Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 19. Dezember 1952 (BGBl. I S. 832) erstmals auch dem Strafrichter als Maßregel der Sicherung und Besserung eingeräumte Befugnis zur Entziehung der Fahrerlaubnis reagiert werden sollte. Wegen der Deckungsgleichheit der dem Strafrichter übertragenen Befugnis mit der Ordnungsaufgabe der Fahrerlaubnisbehörde bestand ein Bedürfnis nach Koordination der verschiedenen staatlichen Tätigkeiten, um doppelte Prüfungen und die Gefahr sich gegebenenfalls widersprechender Entscheidungen zu vermeiden. Dem trägt § 3 Abs. 4 StVG dadurch Rechnung, dass er für das Entziehungsverfahren die Befugnis der Fahrerlaubnisbehörde zu eigenverantwortlicher Prüfung und Entscheidung ausnahmsweise zu Gunsten eines Vorrangs der strafrichterlichen Entscheidung einschränkt. Bereits im Ausgangspunkt anders verhält es sich im (Neu-)Erteilungsverfahren. Für die (Neu-)Erteilung der Fahrerlaubnis ist nach der Gesetzessystematik ausschließlich die Verwaltungsbehörde zuständig, während den Strafgerichten hierzu die Kompetenz fehlt. Insoweit ist eine vergleichbare Notwendigkeit, das Tätigwerden von Strafgericht und Fahrerlaubnisbehörde aufeinander abzustimmen, nicht gegeben. Denn auch dann, wenn der Strafrichter im Einzelfall die Eignung des Betroffenen positiv feststellt, etwa wie hier beim Absehen von einer isolierten Sperrfristanordnung nach § 69a Abs. 1 Satz 3 StGB oder im Rahmen eines Sperrfristverkürzungsbeschlusses gemäß § 69a Abs. 7 StGB, folgt allein daraus kein Anspruch auf (Neu-)Erteilung der Fahrerlaubnis, weil hierüber im Strafverfahren nicht entschieden werden kann. Vielmehr bedarf es stets noch der Durchführung eines Verwaltungsverfahrens. Dabei muss die Behörde in Beantwortung der Frage nach der Notwendigkeit weiterer Sachaufklärung zwar die Entscheidung des Strafrichters berücksichtigen. Gleichwohl bleibt sie nach der gesetzlichen Zuständigkeitsverteilung zwischen Straf- und Verwaltungsverfahren zu einer eigenverantwortlichen Prüfung der Kraftfahreignung ermächtigt und verpflichtet, zumal die im Einzelfall vorgesehenen Aufklärungsmaßnahmen (vgl. § 20 Abs. 1 i. V. m. §§ 11 bis 14 FeV) erheblich über das hinausgehen können, was im Strafverfahren üblich und möglich ist.
Eine analoge Anwendung im Erteilungsverfahren ablehnend bereits BVerwG, Urteil vom 20. Dezember 1963 VII C 30.63 , NJW 1964, 608, zu § 4 Abs. 3 StVG a. F.; die Frage offen lassend für den Fall einer Fahrerlaubniserteilung nach § 15 StVZO a. F. BVerwG, Beschluss vom 19. März 1996 11 B 9.96 , juris, Rdnr. 6 (= NJW 1996, 2318); eine Bindungswirkung nach § 3 Abs. 4 StVG analog verneinend VG Frankfurt a. M., Beschluss vom 7. Mai 2003 12 G 1123/03 (2) , juris, Rdnr. 14 (= DAR 2003, 384), mit ablehnender Anmerkung von Lenhart, DAR 2003, 385; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl. 2011, § 3 StVG Rdnr. 15; Janker, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 20. Aufl. 2008, § 3 StVG Rdnr. 9a; ähnlich auch schon OVG NRW, Beschluss vom 4. Juli 2007 16 B 666/07 , juris, Rdnr. 1 (= NJW 2007, 2938); für den Fall nachträglicher Sperrfristverkürzung siehe König, in: Hentschel/König/Dauer, a. a. O., § 69a StGB Rdnr. 19.
bb) Im Übrigen müsste der Kläger aber auch dann nicht als wieder kraftfahrgeeignet angesehen werden, wenn man entgegen den vorstehenden Erwägungen im Grundsatz von einer entsprechenden Anwendbarkeit des § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG auszugehen hätte. Nach ständiger verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung bindet die strafrichterliche Eignungsbeurteilung die Fahrerlaubnisbehörde nur, sofern diese denselben und nicht einen umfassenderen Sachverhalt zugrundelegen muss.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Juli 1988 7 C 46.87 , juris, Rdnr. 11 (= BVerwGE 80, 43); Beschlüsse vom 1. April 1993 11 B 82.92 -, juris, Rdnr. 3 (= Buchholz 442.10 § 4 StVG Nr. 89), und vom 19. März 1996 11 B 9.96 , juris, Rdnr. 6 (= NJW 1996, 2318), jeweils zu § 4 Abs. 3 StVG a. F.
Um den Eintritt einer Bindung überprüfen zu können, ist daher entscheidend, dass die Behörde (bzw. nachfolgend das Verwaltungsgericht) sicher erkennen kann, von welchem Sachverhalt der Strafrichter bei der Frage der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgegangen ist. Hierfür wiederum kommt es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts allein auf die schriftlichen Urteilsgründe an.
Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 1. Februar 1979 7 B 2.79 , juris, Rdnr. 5 (= NJW 1979, 2163), vom 1. April 1993 11 B 82.92 -, juris, Rdnr. 3 (= Buchholz 442.10 § 4 StVG Nr. 89), und vom 19. März 1996 11 B 9.96 , juris, Rdnr. 6 (= NJW 1996, 2318), jeweils zu § 4 Abs. 3 StVG a. F.
Dieser Voraussetzung für eine Bindungswirkung entspricht das Urteil des Amtsgerichts C. H. vom 30. Juli 2009 nicht. Denn jedenfalls ausgehend von den gemäß § 267 Abs. 4 Satz 1 StPO abgekürzten schriftlichen Urteilsgründen bleibt unklar, ob der Strafrichter alle zum damaligen wie zum heutigen Zeitpunkt noch verwertbaren Verkehrsverfehlungen berücksichtigt und gewürdigt hat, die zum Erreichen von 18 Punkten beigetragen haben. Dort ist lediglich von den "zurückliegenden Verkehrsverstößen" bzw. den "Verkehrsverstößen, welche letztlich zu der Entziehung der Fahrerlaubnis geführt haben," die Rede, ohne dass eindeutig klar würde, welche Vorfälle damit im Einzelnen gemeint sind.

cc) Losgelöst von einer formalen Bindungswirkung rechtfertigt die Begründung, mit der in dem Urteil des Amtsgerichts C. H. vom 30. Juli 2009 von weiteren Führerscheinmaßnahmen abgesehen wird, den Verzicht auf eine weitere Sachaufklärung nicht. Die insoweit sachverständigen Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung bestätigen unter Nr. 3.15, dass Personen, die durch wiederholte oder erhebliche Verkehrsverstöße aufgefallen sind, nach dem Stand der Forschung eine besondere Gefahrenquelle darstellen. Diese Gefährdung lasse sich damit erklären, dass den Verkehrsauffälligkeiten Gewohnheiten und verfestigte Fehleinstellungen zugrundelägen. Aufgrund des geringen Entdeckungsrisikos bei Verkehrsverstößen und des damit vordergründig erlebten kurzfristigen "Erfolgs" von riskanten Verhaltensweisen sei in der Regel von einer oft jahrelangen Lerngeschichte im Vorfeld aktenkundiger Verhaltensauffälligkeiten auszugehen. Derart habituelle Verhaltensweisen seien entsprechend änderungsresistent. Ausgehend davon erfordert eine positive Eignungsprognose insbesondere eine hinreichende Einsicht des Betroffenen in sein Fehlverhalten und die dafür maßgeblichen Ursachen und Bedingungen sowie darauf aufbauend eine mit der Entwicklung von Vermeidungsstrategien einhergehende stabile Einstellungs- und Verhaltensänderung.
Vgl. dazu Schubert/Schneider/Eisenmenger/ Stephan, Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung, Kommentar, 2. Aufl. 2005, S. 213 ff., 217 f.
Dass diese Voraussetzungen beim Kläger erfüllt sind, lässt sich den strafgerichtlichen Feststellungen nicht hinreichend sicher entnehmen. Soweit in dem Urteil ausgeführt ist, der Kläger habe sich offenbar mit den zurückliegenden Verkehrsverstößen im Einzelnen auseinandergesetzt und sein verkehrsrechtliches Fehlverhalten in der Vergangenheit erneut überdacht, sodass seine Zusicherung, sich zukünftig ordnungsgemäß im Verkehr zu bewegen, insgesamt glaubhaft sei, bleibt offen, auf welche Einlassungen des Klägers sich diese Schlussfolgerung stützen. Die Sitzungsniederschrift beschränkt sich insoweit auf die Wiedergabe der Erklärung des Klägers, aus der Zeit ohne Führerschein gelernt zu haben. Dies mag nicht zuletzt mit Blick auf die erheblichen persönlichen Konsequenzen des Fahrerlaubnisentzugs für die Einsicht des Klägers in die Notwendigkeit einer Verhaltensänderung sprechen. Allein auf dieser Grundlage ist jedoch nicht nachzuvollziehen, ob der Kläger die wesentlichen (inneren und/oder äußeren) Bedingungen seines früheren Fehlverhaltens zwischenzeitlich zutreffend erkannt und ausgehend davon einer ausreichenden Veränderung zugeführt hat.

b) Schließlich ist eine medizinischpsychologische Untersuchung des Klägers nicht deswegen obsolet, weil der überwiegende Teil der Ordnungswidrigkeiten, die zum Erreichen von 18 Punkten geführt haben, zwischenzeitlich getilgt ist. Dieser Umstand führt lediglich dazu, dass die betreffenden Vorfälle aus den Jahren 2002 bis 2005 im Rahmen einer Begutachtung nicht mehr berücksichtigt werden dürfen, bedeutet aber nicht, dass der Kläger damit gleichsam automatisch wieder als fahrgeeignet angesehen werden kann.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 10 und 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.