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Landgericht Heilbronn Beschluss vom 07.03.2017 - 8 Qs 8/17 - Höhe des „bedeutenden Schadens“ nach Unfallflucht

LG Heilbronn v. 07.03.2017: Zur Einschätzung der Höhe des „bedeutenden Schadens“ nach unerlaubtem Entfernen vom Unfallort


Das Landgericht Heilbronn (Beschluss vom 07.03.2017 - 8 Qs 8/17) hat entschieden:
In subjektiver Hinsicht ist es für die Annahme eines Regelfalls nach § 69 Abs 2 Nr. 3 StGB ausreichend, wenn der Täter die objektiven Umstände erkennen konnte, die einen bedeutenden Sachschaden begründen. Seine auf dieser Grundlage vorgenommene Betragskalkulation ist demgegenüber, unabhängig von seinen persönlichen Kenntnissen, unmaßgeblich.


Siehe auch Die Entziehung der Fahrerlaubnis durch das Strafgericht wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort und Stichwörter zum Thema unerlaubtes Entfernen vom Unfallort


Gründe:

I.

Das Amtsgericht Öhringen hat auf Antrag der Staatsanwaltschaft Heilbronn am 12. Dezember 2016 gegen die Angeklagte wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort einen Strafbefehl erlassen sowie zugleich im Beschlusswege der Angeklagten die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen vorläufig entzogen und die Beschlagnahme ihres Führerscheins angeordnet. Im Hinblick auf den verfahrensgegenständlichen Sachverhalt wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen im Strafbefehl umfassend Bezug genommen.

Die Angeklagte hat durch anwaltlichen Schriftsatz ihrer Verteidigerin am 27. Dezember 2016 gegen den am 14. Dezember 2016 zugestellten Strafbefehl Einspruch und gegen den Beschluss betreffend die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis Beschwerde eingelegt. Der dabei angekündigte Schriftsatz zur Begründung der Rechtsbehelfe ging am 6. Februar 2017 beim Amtsgericht Öhringen ein.

Das Amtsgericht Öhringen hat der Beschwerde gegen seinen Beschluss mit Verfügung vom 15. Februar 2017 nicht abgeholfen und sie über die Staatsanwaltschaft Heilbronn dem Landgericht Heilbronn zur Entscheidung vorgelegt.


II.

Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Zu Recht hat das Amtsgericht der Beschuldigten gemäß § 111a StPO die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen und die Beschlagnahme des Führerscheins angeordnet.

Die Angeklagte ist eines Vergehens des unerlaubten Entfernens vom Unfallort gemäß § 142 Abs. 1 StGB dringend verdächtig. Sie hat, nach anfänglichem Bestreiten, durch den schriftsätzlichen Vortrag ihrer Verteidigerin eingeräumt den Pkw der Geschädigten beim Einparken mit dem durch sie gesteuerten Fahrzeug berührt zu haben.

Ferner hat die Zeugin ... im Rahmen ihrer polizeilichen Vernehmung glaubhaft angegeben, dass sie einen Schlag beziehungsweise Knall gehört und anschließend aus einer Entfernung von etwa vier bis fünf Metern gesehen habe, wie eine Frau beim Einparken mit ihrem Fahrzeug gegen einen geparkten Pkw gestoßen sei. Insgesamt habe die Fahrerin des unfallverursachenden Fahrzeugs zweimal die Anstoßstelle kontrolliert und sei dann weggefahren.

Entsprechend dem in der Akte befindlichen Sachverständigengutachten belaufen sich die Reparaturkosten am Pkw des Geschädigten auf 1.544,94 Euro, welche entsprechend dem Vortrag der Verteidigerin der Angeklagten inzwischen vollständig beglichen wurden. Dass die Verteidigung ohne nähere Begründung behauptet, es bestehe die Möglichkeit einer etwaigen Vorschädigung, ist für die Kammer nicht nachvollziehbar. Selbiges gilt im Hinblick auf die Ausführungen zum Schaden i.S.v. § 142 StGB. Nach ständiger Rechtsprechung sei, so die Verteidigung, der Tatbestand erst bei Überschreiten einer Schadensgrenze von 750,00 Euro erfüllt. Dies ist jedoch unzutreffend, da nach einhelliger Auffassung die Wertgrenze für Bagatellschäden bereits bei 25,00 Euro liegt (Fischer, StGB, 63. Aufl. 2016, § 142 Rdn. 11 m.w.N.).

Nach Aktenlage ist auch vom Vorliegen eines Regelfalles für eine Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB auszugehen, da die Angeklagte beim unerlaubten Entfernen vom Unfallort zumindest wissen konnte, dass ein bedeutender Fremdsachschaden entstanden war. Ob ein solcher bereits ab 1.300,00 Euro (LG Krefeld, Beschluss vom 23. März 2016 – 21 Qs 47/16 –, juris) oder infolge der zwischenzeitlichen Preisentwicklung erst ab 1.500,00 Euro (LG Braunschweig, Beschluss vom 03. Juni 2016 –8 Qs 113/16 –, juris) anzunehmen ist, war vorliegend aufgrund der festgestellten Reparaturkosten in Höhe von 1.544,94 Euro nicht entscheidungserheblich.

Ferner ist es in subjektiver Hinsicht für die Annahme eines Regelfalls nach § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ausreichend, wenn der Täter die objektiven Umstände erkennen konnte, die einen bedeutenden Sachschaden begründen. Seine auf dieser Grundlage vorgenommene Betragskalkulation ist demgegenüber, unabhängig von seinen persönlichen Kenntnissen, unmaßgeblich (OLG Naumburg, Urteil vom 20. Dezember 1995 - 2 Ss 366/95 -, juris; Geppert in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl. 2007, § 69 Rdn. 82; a.A. Stree/Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. 2014, § 69 Rn. 40; Lenhart in NJW 2004, 192). Einem Laien sind Kfz-​spezifische Kenntnisse regelmäßig nicht zu eigen, so dass eine Anknüpfung an rein objektive Begebenheiten in Form einer Kalkulationsgrundlage zwingend erscheint und insoweit individuelle betragsmäßige Wertvorstellungen des Täters außen vor bleiben müssen. Der Gesetzgeber selbst hat sich bei der Einführung der Regelvermutung bezüglich der Fahrerlaubnisentziehung darauf beschränkt einen bislang bereits von der Rechtsprechung erarbeiteten Wertmaßstab im Gesetz zu verankern (BTDrucks IV/651, S. 18). Damit steht die Auffassung der Kammer auch im Einklang zur Entstehungsgeschichte des § 69 Abs. 2 StGB.

Das objektive Schadensbild, welches die ausschließliche Kalkulationsgrundlage für das später in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten über die Schadenshöhe bildete (dazu Krumm, NJW 2012, 829), hat die Angeklagte vorliegend durch ihre zweimalige Nachschau an der Anstoßstelle vollständig erfasst, beziehungsweise hätte dies durch eine entsprechend gründliche Inaugenscheinnahme tun können. Wie sich aus den Lichtbildern des Fahrzeugs des Geschädigten (Bl. 22 f. d.A.) ergibt, waren Beschädigungen an der Stoßstange in Form von Lackkratzern und einer Beeinträchtigung des dort befindlichen Abstandssensors sowie das veränderte Spaltmaß eindeutig erkennbar. Damit ist auch ausreichend belegt, dass es sich bei der Einlassung der Angeklagten, sie habe infolge der Verschmutzungen am Fahrzeug keinen Schaden feststellen können, um eine reine Schutzbehauptung handelt.

Dass die unfallaufnehmenden Polizeibeamten die voraussichtliche Schadenshöhe lediglich mit 500,00 Euro bezifferten führt zu keinem anderen Ergebnis. Nur wenn vor Ort das tatsächliche Schadensbild nicht vollständig objektiv erkennbar ist, kann die Einschätzung der unfallaufnehmenden Polizeibeamten als Indiz für die fehlende Erheblichkeit des erkennbaren Schadens herangezogen werden (Weiland in Freymann/Wellner, jurisPK-​StrVerkR, 1. Aufl. 2016, § 69 StGB, Rdn. 53).

Der Umstand, dass die Angeklagte über keine Einträge im Bundeszentralregister verfügt und es im Straßenverkehr bislang keine Auffälligkeiten im Zusammenhang mit Alkohol oder Betäubungsmitteln gegeben habe, begründet keine Ausnahme von der Regelvermutung.

Die Beeinträchtigungen in der Erwerbstätigkeit durch Entziehung der Fahrerlaubnis sind hinzunehmen. Bei der Beurteilung der mangelnden Eignung hat außer Betracht zu bleiben, dass sich die Entziehung der Fahrerlaubnis wirtschaftlich auf den Betroffenen auswirkt. Zweck der Maßregel nach § 69 StGB ist die Gewährleistung der Sicherung der Allgemeinheit, indem derzeit ungeeignete Fahrer vom Straßenverkehr ferngehalten werden (LG Marburg, Beschluss vom 10. Februar 2005 - 4 Qs 22/05 -, juris).

Unter Berücksichtigung der Interessen der Angeklagten und der vorstehenden Ausführungen ist die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis zum Schutz der Allgemeinheit geboten, erforderlich und auch verhältnismäßig.


III.


Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.