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OLG Schleswig Beschluss vom 30.01.2017 - 7 U 120/16 - Annahme eines manipulierten Unfallgeschehens bei einer ungewöhnlichen Häufung von Beweisanzeichen

OLG Schleswig v. 30.01.2017: Zur Annahme eines manipulierten Unfallgeschehens bei einer ungewöhnlichen Häufung von Beweisanzeichen


Das OLG Schleswig (Beschluss vom 30.01.2017 - 7 U 120/16) hat entschieden:
  1. Eine ungewöhnliche Häufung von Beweisanzeichen kann die Feststellung rechtfertigen, dass es sich um ein manipuliertes oder aber überhaupt nicht stattgefundenes Unfallgeschehen handelt. Beweisanzeichen können sich z. B. ergeben aus dem Unfallhergang, der Art der Schäden, der Art der beteiligten Fahrzeuge, Anlass der Fahrt, fehlende Kompatibilität, persönliche Beziehungen oder wirtschaftliche Verhältnisse. Die Haftung des Schädigers entfällt dann, wenn in ausreichendem Maße Umstände vorliegen, die die Feststellung gestatten, dass es sich bei dem behaupteten Unfall um ein manipuliertes Geschehen handelt. In diesem Fall scheitert der Ersatzanspruch bereits an der Einwilligung des Geschädigten.

  2. Den Nachweis, dass ein manipuliertes Unfallgeschehen vorliegt, hat grundsätzlich die Haftpflichtversicherung des Schädigers zu führen. Jedoch genügt für den Nachweis die "erhebliche Wahrscheinlichkeit" für unredliches Verhalten. Eine ungewöhnliche Häufung von Beweisanzeichen, die für eine Manipulation spricht, gestattet in der Zusammenschau eine solche Feststellung.

  3. Ein Beweisanzeichen für eine bewusste Manipulation durch den "Geschädigten" kann auch darauf beruhen, dass er dem Sachverständigen zunächst seine Kenntnis von verschiedenen Unfallursachen verschweigt und ihn den Gesamtschaden bewerten lässt. Daran ändert auch der Umstand nichts, wenn ca. fünf Monate später sein Anwalt eine Nachbegutachtung bei dem Sachverständigen in Auftrag gibt und ihn nunmehr auf die verschiedenen Unfallursachen hinweist.

Siehe auch Indizienbeweisführung und Unfallbetrug und Unfallmanipulationen - Unfallbetrug - Berliner Modell


Gründe:

Die Berufung hat i. S. von § 522 Abs. 2 ZPO offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht mit dem angefochtenen Urteil die Klage abgewiesen, weil der Kläger aufgrund eines unstreitigen weiteren Schadens an dem inzwischen reparierten und wieder verkauften Pkw die Kausalität des behaupteten Unfallereignisses vom 23. März 2015 (A-​Straße in N) mit dem vom Sachverständigen R begutachteten Schaden nicht schlüssig dargelegt hat. Die Ausführungen des Klägers aus der Berufungsbegründung vom 12. Dezember 2016 rechtfertigen keine andere Entscheidung. Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:

1. Zu Recht hat das Landgericht ausgeführt, dass der Kläger die Kausalität und den Umfang des behaupteten Unfallschadens in Anbetracht des unstreitigen weiteren Schadens nicht schlüssig dargelegt hat. Die Schlüssigkeit ergibt sich auch nicht aus den Lichtbildern Nr. 10, 11 und 12 des Gutachtens R vom 26. März 2015 (Anlage K1), weil die Schäden augenscheinlich nicht eindeutig unterschieden werden können. Aus der als Anl. B 3 eingereichten Schadensanzeige des Beklagten zu 1. vom 24. März 2015 (Bl. 35 GA) ergibt sich ebenfalls nur eine sehr ungenaue Beschreibung des Schadens: „Delle und Kratzer linke Seite Fahrerseite“. Außerdem sind die Angaben des Klägers und des Beklagten zu 1) zum Grund der fehlenden Polizeianzeige widersprüchlich. Aus der v.g. Schadenanzeige ergibt sich, dass die Polizei deshalb nicht gerufen wurde, weil der „Akku leer“ gewesen sei. Der Kläger hat hingegen vorgetragen, dass die Polizei nicht gerufen worden sei, weil es sich lediglich um einen Sachschaden handelte und die Schadensverursachung eindeutig erschien (Bl. 3 GA). Die Ehefrau des Klägers, die Zeugin F, konnte den Schaden, den sie am behaupteten Unfalltag (23. März 2015) beim Rückwärtsfahren gegen einen vor dem Imbiss des Klägers aufgestellten Stein verursacht haben will, ebenfalls nicht näher beschreiben. Sie konnte sich zwar noch daran erinnern, dass da vorher noch ein „anderer“ Schaden vorne gewesen sei, näheres konnte sie aber im Rahmen ihrer Anhörung am 13. September 2016 auch nicht ausführen. Das Schadensbild (vgl. insbesondere Lichtbilder Nr. 3, 4 und 10 des Gutachtens R vom 26. März 2015) zeigt vornehmlich eine tiefe, langgezogene Delle unterhalb der Schutzleiste bis zur hinteren Tür auf der Fahrerseite und im Übrigen mehrere flächige Lackkratzer im gesamten unteren linken Fahrzeugbereich (vom hinteren Schweller bis hin zur vorderen Fahrertür). Eine klare lokale und inhaltliche Abgrenzung der v.g. Delle von den übrigen Lackkratzern (wie sie unfallbedingt behauptet werden) lässt sich weder anhand der vorliegenden Lichtbilder noch nach dem weiteren Ergebnis der Beweisaufnahme eindeutig vornehmen. Im Übrigen ergibt sich auch nicht aus der Nachbegutachtung des Sachverständigen R vom 27.8.2015 (Anlage 2), dass er zuvor klar und eindeutig auf die nunmehr behaupteten unterschiedlichen Schadensursachen und Schadensbilder hingewiesen worden ist. Der insoweit kalkulierte Fahrzeugschaden (4.744,23 € netto) ist deshalb ebenfalls nicht nachvollziehbar.

2. Die ungewöhnliche Häufung von Beweisanzeichen kann außerdem die Feststellung rechtfertigen, dass es sich um ein manipuliertes oder aber überhaupt nicht stattgefundenes Unfallgeschehen handelt. Beweisanzeichen können sich z. B. ergeben aus dem Unfallhergang, der Art der Schäden, der Art der beteiligten Fahrzeuge, Anlass der Fahrt, fehlende Kompatibilität, persönliche Beziehungen oder wirtschaftliche Verhältnisse (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 23. September 2016, zitiert in juris, Rn 4 ff.). Die Haftung des Schädigers entfällt dann, wenn in ausreichendem Maße Umstände vorliegen, die die Feststellung gestatten, dass es sich bei dem behaupteten Unfall um ein manipuliertes Geschehen handelt. In diesem Fall scheitert der Ersatzanspruch bereits an der Einwilligung des Geschädigten. Den Nachweis, dass ein manipuliertes Unfallgeschehen vorliegt, hat grundsätzlich die Haftpflichtversicherung des Schädigers zu führen. Jedoch genügt für den Nachweis die „erhebliche Wahrscheinlichkeit“ für unredliches Verhalten. Eine ungewöhnliche Häufung von Beweisanzeichen, die für eine Manipulation spricht, gestattet eine solche Feststellung nach § 286 ZPO (vgl. BGH NJW 1978, 2154).

Bei Heranziehung der o. g. Maßstäbe drängen sich auch dem Senat in diesem Fall - unter Berücksichtigung der gesamten Einwendungen der Beklagten zu 2. - hinreichend gewichtige Indizien für ein manipuliertes Unfallgeschehen auf.

- Der Beklagte zu 1., der in der Nähe des behaupteten Unfallortes seinen Wohnsitz hat (A-​Straße. 25), hat weder seine Verteidigungsbereitschaft angezeigt noch ist er - trotz ordnungsgemäßer Ladung (Bl. 69 GA) - zum Termin am 13. September 2016 erschienen.
- Die Angaben des Klägers und des Beklagten zu 1. zur Frage, weshalb die Polizei den behaupteten Unfall nicht aufgenommen hat, sind widersprüchlich.

- Bei dem Klägerfahrzeug handelt sich um ein typisches „Opferfahrzeug“: Pkw Daimler Benz, Erstzulassung 25. März 2003, 175.210 km Laufleistung, Wiederbeschaffungswert 9.000,00 €. Die Schadensabrechnung soll fiktiv nach Gutachten erfolgen, eine Reparatur ist nur durch Fotos belegt, das Fahrzeug ist inzwischen weiterverkauft.

- Bei dem Schädigerfahrzeug (VW Polo) handelt es sich um ein Mietfahrzeug der A-​Autovermietung, das der Beklagte zu 1. nur für einen Tag mit einer Sonderhaftungsreduzierung auf Null (wodurch sich der Mietpreis für den Polo um mehr als 50 % erhöhte) angemietet hatte. Der Beklagte zu 1. ist nach den Recherchen der Beklagten zu 2. zahlungsunfähig. Im Schuldnerverzeichnis des AG S befinden sich aus den Jahren 2014 und 2015 mehrere Eintragungen (vgl. Bl. 27 GA). Der Beklagte zu 1. hat am 28. September 2012 die eidesstattliche Versicherung abgegeben (Schuldnerverzeichnis AG N, Az. …).

- Der Kläger hat versucht, hinsichtlich des Schadensumfangs wegen der fehlenden Angaben zu den behaupteten Unfallursachen gegenüber dem Sachverständigen R die Schadenshöhe zu manipulieren. Unstreitig hat der Kläger bei dem Sachverständigenauftrag am 26. März 2015 den Gutachter nicht auf die nunmehr behaupteten beiden Schadensursachen und das entsprechende Schadensbild hingewiesen. Der Sachverständige R hat deshalb am 26.3.2015 den Gesamtschaden (Reparaturkosten ./. Wertverbesserung) zunächst auf 5.401,47 € (netto) geschätzt. An der versuchten Manipulation des Klägers ändert auch der Umstand nichts, dass ca. fünf Monate später sein Anwalt eine Nachbegutachtung bei dem Sachverständigen R in Auftrag gegeben hat (vgl. Gutachten vom 27. August 2015, Anl. K 2; Reparaturkosten 4.744,23 € netto). Der Kläger hat trotz Kenntnis des nunmehr behaupteten „Nachschadens“ (seine Ehefrau soll am Abend des Unfalltages durch Rückwärtsfahren gegen einen vor seinem Imbiss aufgestellten Stein mit der Hausnummer einen weiteren Schaden verursacht haben) unstreitig den gesamten Schaden im März 2015 bei dem Privatgutachter Dipl.-​Ing. R begutachten lassen (vgl. Gutachten vom 26. März 2015, Anl. K 1). Seine Ehefrau, die Zeugin F, hat am 13. September 2016 selbst bekundet, dass sich der Kläger selbst noch am Unfalltag (23. März 2015) den durch das Rückwärtsfahren gegen den Stein entstandenen Schaden angesehen haben soll.

- Auch das Schadensbild (Schrammen und Kratzer am äußeren Blechkleid) ist ein typisches Indiz für eine Unfallmanipulation. Solche Schäden können nämlich üblicherweise in einer Privat- oder Billigwerkstatt (durch oberflächliche Spachtelung, Glättung und Lackierung) zu einem Bruchteil dessen „repariert“ werden, was normalerweise eine Fachwerkstatt nehmen würde. Die Schätzung eines Sachverständigen mit dem System A orientiert sich jedoch an den üblichen Preisen einer Fachwerkstatt.
In der Zusammenschau handelt es sich hier um typische Indizien, die den Schluss auf ein manipuliertes oder aber tatsächlich überhaupt nicht stattgefundenen Unfallgeschehen zulassen können. Die Entscheidung des Landgerichts ist im Ergebnis deshalb nicht zu beanstanden.

Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.