Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

Verwaltungsgericht Koblenz Urteil v. 22.01.2008 - 6 K 1769/07.KO - Dienstfahrt mit privatem Pkw - kein Schadensersatz des Beamten bei grober Fahrlässigkeit

VG Koblenz v. 22.01.2008: Dienstfahrt mit privatem Pkw - kein Schadensersatz des Beamten bei grober Fahrlässigkeit


Das Verwaltungsgericht Koblenz (Urteil vom 22.01.2008 - 6 K 1769/07.KO) hat entschieden:
Ein Forstbeamter, der während einer Dienstfahrt mit seinem privaten Pkw rückwärts in ein Waldstück fährt, ohne sich zuvor zu vergewissern, dass der Raum hinter seinem Fahrzeug frei ist, verletzt seine Pflichten zur Rück- und Umschau in besonders grober Weise, da einem solchen Wendemanöver grundsätzlich eine erhöhte Gefährlichkeit anhaftet. Der Fahrer hat den Unfall grob fahrlässig verursacht und hat daher keinen Anspruch auf Erstattung des entstandenen Schadens.


Siehe auch Rückwärtsfahren und Haftung des Beamten gegenüber dem Dienstherrn und Verkehrsrecht


Zum Sachverhalt: Der Kläger begehrte Schadensersatz in Höhe von 1.017, 12 € wegen eines Unfalls mit seinem Privatfahrzeug während einer Dienstfahrt.

Der Kläger ist Beamter des beklagten Landes und als Forstoberinspektor beim Forstamt Lahnstein beschäftigt. Am 25. März 2006 befuhr der Kläger mit seinem Privatfahrzeug einen Waldweg im Gemeindewald K. Als Beifahrer befand sich ein Brennholzerwerber im PKW, dem der Kläger die Lage des von diesem gekauften Brennholzes zeigte. Da die Weiterfahrt auf dem Waldweg durch andere Brennholzerwerber versperrt war, entschied sich der Kläger zu einem Wendemanöver in einer Lücke zwischen zwei seitlich des Weges stehenden Eichen. Bei diesem Wendevorgang kollidierte der PKW mit einem der beiden Bäume, wodurch es auf der Beifahrerseite zu Beschädigungen kam.

Mit Antrag vom 27. März 2006 begehrte der Kläger die Erstattung des ihm entstandenen finanziellen Schadens. Zum Unfallhergang schilderte er, er habe beim rückwärtigen Einbiegen in den angrenzenden Bestand den Baum übersehen. Im Unfallzeitpunkt habe es leicht geregnet und der Fahrbahnuntergrund sei feucht gewesen. Durch die Kollision mit der Eiche sei sein rechter Außenspiegel abgerissen sowie Tür und Schweller eingedrückt worden. Zudem legte er eine Vollkaskoversicherung offen, die eine Selbstbeteiligung in Höhe von 300,00 € aufwies.

Nach Aufforderung des Beklagten regulierte der Kläger den Schaden zunächst über seine Vollkaskoversicherung. Im weiteren Verfahren legte er eine Prämienverlustberechnung seines Versicherers vor, wonach ihm durch die Regulierung neben der Selbstbeteiligung ein Höherstufungsschaden in Höhe von 717,12 € entstanden sei. Hierzu fügte der Kläger eine Rechnung bei, die Reparaturkosten in Höhe von insgesamt 2.357,54 € auswies. Als Rechnungsposten wurde darin, neben den vom Kläger ursprünglich genannten Teilen, auch der rechte Kotflügel aufgeführt und berechnet. Darüber hinaus reichte er Bilder sowie eine Skizze vom Unfallort nach und gab nun zum Unfallhergang an, er habe beim Einschwenken besonders auf einen alten Wurzelstock in der Lücke geachtet und die Eiche auf der Beifahrerseite so übersehen. Er habe den Baum weder in den Spiegeln noch durch Umdrehen erkennen können.

Mit Bescheid der Struktur- und Genehmigungsdirektion Süd - Zentralstelle der Forstverwaltung - SGD-Süd - vom 24. April 2007 lehnte diese eine Erstattung des Schadens ab. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger habe den Unfall grob fahrlässig verursacht. Ein Anspruch scheide demzufolge gemäß § 99 Abs. 3 des Landesbeamtengesetzes - LBG - aus. Dies ergebe sich aus den erhöhten Sorgfaltspflichten, die der Kläger beim Rückwärtsfahren habe beachten müssen. Der Kläger habe alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel ausnutzen müssen, um auszuschließen, dass sich hinter oder neben seinem Fahrzeug Hindernisse befinden. Dies sei durch hinreichende Um- bzw. Rückschau sowie gegebenenfalls durch vorherige Besichtigung der Wendestelle oder durch die Nutzung eines Einweisers zu gewährleisten gewesen. Zudem habe das Wendemanöver in einer deutlich herabgesetzten Geschwindigkeit durchgeführt werden müssen. Auf eine unangemessen hohe Geschwindigkeit des Klägers deute hin, dass nicht nur an Außenspiegel und Tür, sondern auch am Kotflügel ein Schaden entstanden sei. Darüber hinaus ergäben sich aus den vorgelegten Fotos andere problemlosere Wendemöglichkeiten. Letztlich betrage aber auch der Abstand der beiden Bäume, zwischen denen der Kläger habe wenden wollen, fast eine doppelte Wagenbreite.

Gegen diesen Bescheid wandte sich der Kläger mit Widerspruch seiner Prozessbevollmächtigten vom 22. Mai 2007 und brachte zur Begründung vor, es habe sich um einen alltäglichen Verkehrsunfall gehandelt, bei dem nur von einfacher Fahrlässigkeit auszugehen sei. Letztlich werde auch nur noch der Schaden geltend gemacht, der nach der Regulierung über die Versicherung übrig geblieben sei.

Mit Bescheid vom 10. September 2007, zugestellt am 24. September 2007, wies die SGD-Süd den Widerspruch zurück. Zur Begründung wiederholte und vertiefte sie die Gründe des angefochtenen Bescheides und ergänzte, die vorgetragenen erhöhten Sorgfaltspflichten ergäben sich für das Wendemanöver des Klägers aus der uneingeschränkten Anwendung des § 9 Abs. 5 der Straßenverkehrsordnung - StVO -. Die Einhaltung dieser Sorgfaltspflichten habe sich dem Kläger aufdrängen müssen, da das Wendemanöver in einen ungesicherten Waldbestand hinein erfolgt sei, was erhöhte Risiken durch Hindernisse berge. Eine Beobachtung durch den Beifahrer aus dem Auto heraus sei im Übrigen nicht ausreichend gewesen, da diesem Überblick über den Unfallort von dort aus nicht möglich gewesen sei.

Mit am 18. Oktober 2007 bei Gericht eingegangener Klage verfolgte der Kläger sein Begehren nach Ersatz seiner Selbstbeteiligung sowie seines Höherstufungsschadens weiter.

Die Klage blieb erfolglos.


Aus den Entscheidungsgründen:

"Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Schadensersatz. Der dieses Begehren ablehnende Bescheid ist somit - ebenso wie der Widerspruchsbescheid - rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).

Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch nach § 99 Abs. 1 Satz 1 des Landesbeamtengesetzes - LBG - scheitert gemäß § 99 Abs. 3 LBG an der grob fahrlässigen Verursachung des Unfalls durch den Kläger.

"Grob fahrlässig" im Sinne des § 99 Abs. 3 LBG handelt, wer nach den gesamten Umständen des Einzelfalles die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße außer Acht lässt (vgl. Grabendorff/Arend, LBG, § 99 Ziff. 1.d). Dies setzt einen objektiv besonders krassen und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die konkret zu beachtenden Sorgfaltspflichten voraus, der das Maß einer "normalen" Fahrlässigkeit erheblich überschreitet (vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 1988 - VI ZR 158/87 -, NJW 1988, 1265, 1266). Das ist der Fall, wenn die anzuwendende Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt worden ist, wenn ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt oder beiseite geschoben worden sind und dasjenige ungeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Anschaulich formuliert muss ein Fall vorliegen, bei dem man nicht mehr sagt: "Das kann vorkommen", sondern sagen muss: "Das darf nicht vorkommen" (Grundmann, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 5. Aufl. 2007, § 276 Rn. 94).

Vorliegend war bereits deshalb ein strenger Maßstab an die vom Kläger zu beachtenden Sorgfaltsanforderungen anzulegen, weil dieser rückwärts in ein Waldstück fuhr. Hierbei war im Ergebnis unerheblich, dass der Beklagte die erhöhten Sorgfaltspflichten für das konkrete Rückwärtsfahren direkt aus der gesetzlichen Bestimmung des § 9 Abs. 5 der Straßenverkehrsordnung - StVO - hergeleitet hat, obwohl diese auf einen - nicht öffentlichen - Waldweg keine Anwendung findet. Unabhängig davon bestehen nämlich beim Rückwärtsfahren auch außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Norm besondere Sorgfaltspflichten des Fahrzeuglenkers, denn das Rückwärtsfahrmanöver stellt - auch beim Wenden auf und neben einem Waldweg - einen atypischen Verkehrsvorgang dar, dem eine erhöhte Gefährlichkeit anhaftet (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 15. Dezember 2004 - 2 LA 943/04 -, juris).

Diese erhöhten Sorgfaltsanforderungen schlagen sich unter anderem darin nieder, dass sich der Kraftfahrzeugführer vor Beginn der Rückwärtsfahrt vergewissern muss, dass der Raum hinter dem Fahrzeug frei ist und zwar auch in den Bereichen, die er im Rückspiegel nicht übersehen kann. So darf er nur einen überblickbaren, das heißt vom Fahrersitz aus sichtbaren oder mindestens von einem Einweiser beobachteten und dem Fahrer mitgeteilten, also mit Gewissheit freien Raum rückwärts befahren (vgl. Jagow/Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht, § 9 StVO Rn. 69). Zudem hat er seine Geschwindigkeit derart zu wählen, dass er gegebenenfalls sofort anhalten kann (vgl. Jagow/Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht, § 9 StVO Rn. 69). Zwar ist nicht jeglicher Verstoß gegen diese erhöhten Sorgfaltspflichten als grob fahrlässige Verhaltensweise zu qualifizieren, doch ergibt sich der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit hier aus einer Gesamtschau der Einzelfallumstände.

Zunächst ist festzustellen, dass es auch beim Rückwärtsfahren - zumindest bei ausreichender Umsicht - schwerlich möglich gewesen sein dürfte, einen ausgewachsenen Baum zu übersehen. Hinzu kommt, dass sich die angefahrene Eiche nicht derart in den angrenzenden Wald einfügte, dass sie für den Kläger als einzelner Baum nicht erkennbar gewesen wäre. Vielmehr stand dieser deutlich abgesetzt und nahe zum Wegesrand.

Soweit der Kläger im Verwaltungsverfahren geltend macht, dass die Eiche für ihn weder in den Fahrzeugspiegeln noch durch Umdrehen zu sehen gewesen sei, vermag die erkennende Kammer dieser Behauptung keinen Glauben zu schenken. Dies ergibt sich insbesondere nicht aus den vorgelegten Fotos (Blatt 12 ff und 25 f der Verwaltungsakte). Diese zeigen zwar verschiedene Rückansichten, in denen der Baum tatsächlich nicht zu sehen ist, können aber nur jeweils Momentaufnahmen des Wendevorgangs abbilden. Nach dem vom Kläger vorgetragenen Unfallhergang und Ablauf des Fahrmanövers muss die Eiche indes in etlichen Fahrpositionen für den Kläger in Spiegeln bzw. durch die Heckscheibe erkennbar gewesen sein. Wenn der Kläger den Baum dennoch nicht gesehen haben will, ergibt sich daraus zwangsläufig, dass der Kläger in besonderes grober Weise seine Pflichten zur Rück- und Umschau verletzt haben muss. Hätte er wenigstens durch einen seiner Spiegel bzw. durch ein Umdrehen konsequent den rückwärtigen Raum beobachtet, so hätte er die Eiche sehen müssen.

Dieser Befund erlangt umso größeres Gewicht, beachtet man, dass das Wendemanöver nicht etwa auf einem befestigten Parkplatz erfolgte, sondern vielmehr von einem Weg in ein Waldstück hinein zurückgestoßen wurde. Hierbei muss in einem - das "normale" Maß der Umsicht übersteigenden - Umfang auf Hindernisse im rückwärtigen Raum geachtet werden.

Darüber hinaus vermag der Kläger auch nicht mit der Argumentation durchzudringen, er sei aufgrund eines Wurzelstockes, auf den er geachtet haben will, von der übrigen Umgebung abgelenkt worden und habe so die Eiche übersehen. Es erscheint bereits wenig plausibel, dass der Kläger, wenn er schon auf den ohnehin kleinen und aufgrund des umliegenden Laubes nur äußerst schwer erkennbaren Wurzelstock geachtet haben will, mit seinem PKW genau auf diesen zusteuert. Einer natürlichen Reaktion auf das Erkennen eines solchen Hindernisses hätte es viel eher entsprochen, wenn der Kläger zum Wenden den ausreichend freien, vom Waldweg gesehen rechts neben dem Wurzelstock gelegenen Raum genutzt hätte, um eine Kollision mit dem Wurzelstock zu vermeiden. Unabhängig davon kann sich der Wurzelstock zum Ende des Manövers hin nicht mehr in dem Blickfeld des Klägers befunden haben. Spätestens ab diesem Zeitpunkt wäre also ein Wechseln der Blickrichtung erforderlich und ein Erkennen der Eiche möglich gewesen.

Das Vorliegen gerade grober Fahrlässigkeit ergibt sich schließlich auch daraus, dass sich der Kläger keines Einweisers bediente.

Nach eigenen Angaben des Klägers regnete es im Unfallzeitpunkt, so dass die hierdurch bedingte Erschwerung der Sicht durch Heckscheibe und Spiegel den Einsatz eines Einweisers als sinnvoll erscheinen lässt. Darüber hinaus zeichnet sich der PKW des Klägers nach dessen eigenen Angaben durch eine breite sog. "D-Säule" im Heckbereich und somit bereits aufgrund der Bauart durch eine gewisse Unübersichtlichkeit aus.

Letztlich hat der Kläger vorliegend offenbar eine Geschwindigkeit zur Ausführung des Wendemanövers gewählt, die allenfalls dann gerechtfertigt gewesen wäre, wenn ein Einweiser ihm freie Fahrt signalisiert hätte. Dies wird bereits aus dem Schadensumfang deutlich. Bei dem Aufprall gegen den Baum wurden Außenspiegel, Tür, Schweller und Kotflügel beschädigt. Wäre der Kläger derart langsam gefahren, dass er sein Fahrzeug bei gegebenem Anlass sofort hätte anhalten können, wäre ein derart umfangreiches Schadensbild nicht entstanden. Spätestens vor einer Kollision des Außenspiegels mit der Eiche wäre dann nämlich ein Abbremsen durch den Kläger möglich und zu erwarten gewesen. Dass der Kläger trotz dieser Sachlage und trotz der gewählten Geschwindigkeit nicht auf einen Einweiser zurückgriff, erscheint als noch gravierender, beachtet man, dass ihm ein solcher - in Person seines Beifahrers - unmittelbar zur Verfügung stand.

Auch vermag nicht zu überzeugen, wenn der Kläger vorbringt, er hätte sich natürlich eines Einweiser bedient, wenn er geahnt hätte, dass sich dort ein Baum befinde. Dass beim Rückwärtsfahren in ein Waldstück mit Hindernissen wie Bäumen zu rechnen ist, liegt keinesfalls außerhalb jeder Lebenserfahrung.

Das Verhalten des Klägers erscheint auch subjektiv als schwerer, unentschuldbarer Verstoß gegen die ihm obliegenden Sorgfaltspflichten. Der Kläger war sich nämlich durchaus der Risiken des Wendemanövers bewusst. In seiner Eigenschaft als Förster kennt er die Risiken, die im Befahren eines ungesicherten Waldstückes liegen. Er befand sich schließlich in einer gewohnten, seinen Arbeitsalltag prägenden Umgebung. Der Kläger machte sich nach eigenen Angaben sogar über die Gefahren des Wendens in einem Waldstück Gedanken. Wie er selbst vorbringt hat er die gewählte Stelle bewusst zum Wenden genutzt, da an anderen Wendestellen ein Festfahren des Fahrzeugs möglich gewesen wäre. Realisierte der Kläger also Teile der Risiken des Fahrmanövers, so hätte die Einhaltung oben dargestellter Sorgfaltspflichten doch auf der Hand gelegen. Auch dies begründet letztlich die erhöhte Vorwerfbarkeit, die das Verhalten des Klägers auch subjektiv als grob fahrlässig erscheinen lässt.

Damit kann der vom Kläger begehrte Schadensersatz bereits wegen des berechtigten Vorwurfs grob fahrlässigen Verhaltens nicht gewährt werden. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, so dass die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen ist. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. VwGO. ..."