Das Verkehrslexikon

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OLG Koblenz Urteil vom 02.07.2007 - 12 U 258/06 - Das Sichtfahrgebot nach § 3 Abs. 1 Satz 4 StVO gilt gerade auch bei Dunkelheit

OLG Koblenz v. 02.07.2007: Das Sichtfahrgebot nach § 3 Abs. 1 Satz 4 StVO gilt gerade auch bei Dunkelheit


Das OLG Koblenz (Urteil vom 02.07.2007 - 12 U 258/06) hat entschieden:
Das Sichtfahrgebot nach § 3 Abs. 1 Satz 4 StVO gilt gerade auch bei Dunkelheit. Es darf also nur so schnell gefahren werden, dass innerhalb der durch die Scheinwerfer ausgeleuchteten Strecke angehalten werden kann. Dass diese Regel häufig nicht eingehalten wird, entlastet nicht.


Siehe auch Fahren auf Sicht - Sichtfahrgebot - Auffahren auf Hindernisse und Auffahren auf unbeleuchtete Hindernisse oder Fahrzeuge bei Dunkelheit


Zum Sachverhalt: Die zum Unfallzeitpunkt 21 Jahre alte Klägerin macht in dem vorliegenden Rechtsstreit materiellen und immateriellen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 28. Januar 2003 auf der B … in Fahrtrichtung B . bei Dunkelheit gegen 20.00 Uhr in Höhe der Ortschaft W. ereignet hat. Die Klägerin fuhr mit ihrem Pkw auf das am linken Rand der linken der beiden Fahrtrichtungsspuren liegen gebliebene Fahrzeug der Beklagten zu 2) auf. Deren Pkw stand dort, weil der Beklagte zu 1) als Fahrer dieses Fahrzeuges 5 – 10 Minuten zuvor mit dem Pkw des Zeugen M… zusammengestoßen und danach links an der Leitplanke zum Stillstand gekommen war.

Die Klägerin war der Auffassung, die Beklagten müssten ihr zu 75 % haften. Das vom Beklagten zu 1) geführte Fahrzeug habe vor dem Zusammenstoß bereits 5-10 Minuten unbeleuchtet auf der linken Fahrspur gestanden. Der Beklagte zu 1) habe seinen Pkw weder an den rechten Fahrbahnrand gefahren noch sich um eine genügende rückwärtige Absicherung gekümmert. Die Beklagten warfen der Klägerin vor, sie sei zu schnell gefahren und habe dem Geschehen insgesamt nicht die genügende Aufmerksamkeit zugewendet, denn am rechten Fahrbahnrand hätten sich Fahrzeuge und Personen befunden. Überdies hätten mehrere andere Fahrzeugführer den Pkw des Beklagten zu 1) rechtzeitig wahrgenommen und seien ihm ausgewichen.

Das Landgericht hat in seinem Urteil vom 23.1.2006 eine Haftungsverteilung von 60 zu 40 zu Lasten der Klägerin für angemessen gehalten. Hiergegen richtete sich die zulässige Berufung der Klägerin, mit der sie ihre erstinstanzlichen Klageziele weiter verfolgte.

Die Berufung hatte hinsichtlich der Haftungsquote keinen Erfolg.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Die Annahme eines Mithaftungsanteils der Klägerin von 60 % ist nach den Umständen des Falles nicht zu beanstanden. Nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG sind bei der Bemessung der Mitverursachungsanteile bei einer Gesamtwürdigung des konkreten Sachverhalts diejenigen belastenden Umstände zu berücksichtigen, die nachgewiesen sind. Von diesem Grundsatz gehen auch die von der Klägerin im Berufungsverfahren zitierten Entscheidungen aus. Danach gilt hier Folgendes:

Der Klägerin fällt ein Verstoß gegen das Sichtfahrgebot nach § 3 Abs. 1 Satz 4 StVO zur Last, welches gerade auch bei Dunkelheit gilt. Sie durfte also nur so schnell fahren, dass sie innerhalb der durch ihre Scheinwerfer ausgeleuchteten Strecke anhalten konnte. Dass diese Regel häufig nicht eingehalten wird, entlastet sie nicht. Darüber hinaus hat die Klägerin auch gegen das allgemeine Sorgfaltsgebot des § 1 Abs. 2 StVO verstoßen, denn das Geschehen am rechten Fahrbahnrand, wo sich das Fahrzeug des Zeugen M., umgeben von mehreren Personen, befand, musste sie zu besonderer Sorgfalt anhalten. Zwar ist die Klägerin gerade deshalb auf die linke Fahrspur ausgewichen, um diese Personen nicht zu gefährden. Sie musste aber damit rechnen, dass sich ein Unfall ereignet hatte und noch weitere Fahrzeuge auf der Fahrbahn waren. Durch ein kurzes Aufblenden hätte sie sich unschwer Gewissheit über die Verhältnisse auf dem vor ihr liegenden Fahrbahnabschnitt verschaffen können. Auch geht der Senat mit dem Landgericht davon aus, dass die Klägerin die Fahrzeugbeleuchtung und die von dem Beklagten zu 1) eingeschaltete Warnblinkanlage übersehen hat, da sie durch das Geschehen am rechten Fahrbahnrand abgelenkt war. Der Senat hält es nicht für glaubhaft, dass das Fahrzeug des Beklagten zu 1) völlig unbeleuchtet an der Leitplanke stand. Zwar hat der Beklagte zu 1) in Sorge um seine eigene Sicherheit den verunfallten Pkw der Beklagten zu 2) alsbald verlassen. Es besteht aber kein Grund, weshalb er die Beleuchtung ausgeschaltet und nicht die Warnblinkanlage betätigt haben sollte, was der Zeuge M… auch bestätigt hat.

Auf Seiten der Beklagten fällt ins Gewicht, dass das Fahrzeug des Beklagten zu 1) ohne genügende Absicherung nach hinten, z.B. durch ein Warndreieck, in einer leichten Linkskurve an der Leitplanke stand und auf diese Weise den nachfolgenden Verkehr schwerwiegend gefährdete. Hingegen kann dem Beklagten zu 1) nicht nachgewiesen werden, den Vorunfall schuldhaft mitverursacht zu haben. Die in den beigezogenen Ordnungswidrigkeitsakten befindlichen Schilderungen und Aussagen zu diesem Geschehen deuten eher darauf hin, dass den Beklagten zu 1) insoweit kein Verschulden traf. Dem Beklagten zu 1) kann auch jedenfalls kein gravierender Vorwurf daraus gemacht werden, dass er sein verunfalltes Fahrzeug in dieser gefährlichen Situation alsbald verließ und weder zeitraubend herauszufinden versuchte, ob sein Fahrzeug trotz der Beschädigungen aus dem Vorunfall noch zu bewegen war, noch auch im Kofferraum nach dem Warndreieck suchte. Beides war im Dunkeln und auf der mit regelmäßig hoher Geschwindigkeit befahrenen, für jede Fahrtrichtung zwei Fahrspuren vorsehenden B ... bei Dunkelheit mit einer hohen Selbstgefährdung verbunden, die auf sich zu nehmen ihm kaum zumutbar war. Unter den geschilderten Umständen kann in dem sofortigen Verlassen des Fahrzeugs allenfalls ein geringes Verschulden gesehen werden. Dass es danach etliche Minuten gedauert hat, bis sich der hier in Rede stehende Unfall ereignete, ist eine Erkenntnis im Nachhinein, die an der Beantwortung der Frage, wie der Beklagte zu 1) an Ort und Stelle unmittelbar nach dem Vorunfall handeln musste und durfte, nichts ändert. Nach eigenen, unwiderlegten Angaben hat der Beklagte zu 1) vergeblich versucht, von der Familie M… ein aufstellbereites Warndreieck zu erhalten. Auf Seiten der Beklagten fällt deshalb im Ergebnis hauptsächlich die bedeutend erhöhte Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs ins Gewicht, die einen Mithaftungsanteil von 40 % rechtfertigt.

Da sich der Beklagte zu 1) gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 StVG nach dem Gesagten nicht vollständig entlastet hat, hat er für diesen Haftungsanteil gemäß §§ 18 Abs. 1, 7 Abs. 1 StVG ebenfalls mit einzustehen.

Nach allem hat es bei den vom Landgericht zugrunde gelegten Haftungsanteilen von 60 zu 40 zu verbleiben. ..."