Das Verkehrslexikon

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OLG Hamm Beschluss vom 15.08.2006 - 2 Ss OWi 455/06 - Mehrere Geschwindigkeitsüberschreitungen im Verlaufe einer Fahrt stehen zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit

OLG Hamm v. 15.08.2006: Mehrere Geschwindigkeitsüberschreitungen im Verlaufe einer Fahrt stehen zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit


Das OLG Hamm (Beschluss vom 15.08.2006 - 2 Ss OWi 455/06) hat entschieden:
Mehrere Geschwindigkeitsüberschreitungen im Verlaufe einer Fahrt stehen auch dann zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit, wenn sie zwar in einem engen zeitlichen Rahmen stehen, jedoch in unterschiedlichen Verkehrssituationen begangen worden und deshalb unschwer abzugrenzen sind.


Siehe auch Tateinheit - Tatmehrheit - mehrere Verstöße auf einer Fahrt


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Das AG ist entgegen der Annahme des Bußgeldbescheides nicht von einer tatmehrheitlichen, sondern von einer tateinheitlichen Begehungsweise ausgegangen und hat den Betr. darüber hinaus teilweise freigesprochen. Hierzu hat es Folgendes ausgeführt:
"Beide Messpunkte liegen nur ca. 7 km voneinander entfernt. Alleine das Aufheben der Geschwindigkeitsbegrenzung rechtfertigt nicht die Annahme einer neuen Tat. Es konnte nicht sicher festgestellt werden, dass eine vollständig neue Verkehrssituation vorgelegen hat. Deswegen war in dubio pro reo von einer tateinheitlichen Begehungsweise auszugehen. Insoweit musste der Betr. teilweise freigesprochen werden."
Es begegnet rechtlichen Bedenken, ob die vom Tatrichter vorgenommene rechtliche Wertung zutreffend ist, dass es sich bei dem dem Betr. vorgeworfenen Verhalten lediglich um eine Tat handelt. Nach § 19 Abs. 1 OWiG wird nur eine Geldbuße festgesetzt, wenn dieselbe Handlung mehrere Gesetze verletzt, nach denen sie als OWi geahndet werden kann. Dieselbe Handlung" i.S.d. Gesetzes ist dabei eine einzige Willensbetätigung oder eine natürliche Handlungseinheit. Letztgenannte ist gegeben, wenn mehrere Verhaltensweisen in einem solchen unmittelbaren (räumlichen und zeitlichen) Zusammenhang stehen, dass das gesamte Tätigwerden bei natürlicher Betrachtungsweise auch für einen Dritten (objektiv) als ein einheitlich zusammengefasstes Tun anzusehen ist (vgl. hierzu Beschluss des erkennenden Senats vom 17. 2. 2006 = DAR 2006, 338; vgl. auch OLG Rostock VRS 107, 461; Göhler, OWiG, 14. Aufl., Vor § 19 Rdn. 3).

Dass es sich bei mehreren Geschwindigkeitsüberschreitungen auch im Verlaufe einer Fahrt regelmäßig um mehrere Taten im materiellen und prozessualen Sinne handelt, ist - soweit ersichtlich - einhellige Meinung in Rspr. und Lehre (vgl. hierzu OLG Brandenburg NZV 2006, 109 m.w.N.). Der Umstand, dass die mehreren Verstöße während derselben Fahrt begangen wurden, ändert nichts daran, dass das Fahren als solches keine rechtliche Klammer zu den einzelnen Fehlverhaltensweisen im Straßenverkehr bildet. Eine einzige Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit ist lediglich dann anzunehmen, wenn strafrechtlich oder ordnungswidrigkeitenrechtlich erhebliche Verhaltensweisen durch einen derart unmittelbaren zeitlich-räumlichen und inneren Zusammenhang gekennzeichnet sind, dass sich der gesamte Vorgang bei natürlicher Betrachtungsweise auch für einen unbeteiligten Dritten als ein einheitliches zusammengehörendes Tun darstellt (vgl. OLG Brandenburg a.a.O.; OLG Hamm VRS 42, 432; 46, 370; OLG Düsseldorf NZV 1994, 118; 2001, 273; OLG Köln NZV 1994, 292). Ein derartiger Ausnahmefall ist hier nicht zu bejahen. Zum einen war die Geschwindigkeitsbeschränkung zwischendurch aufgehoben, zum anderen war - abgesehen davon, dass in den Urteilsgründen nicht die Länge des zwischenzeitlich freigegebenen Abschnitts mitgeteilt wird - die Geschwindigkeitsüberschreitung nach immerhin sieben Kilometern bei der zweiten Messung erheblich höher als bei der ersten.

Schon aufgrund dieser Umstände lassen sich die einzelnen Verkehrsverstöße unschwer voneinander abgrenzen und rechtfertigen die Annahme einer tatmehrheitlichen Begehungsweise selbst dann, wenn man zugunsten des Rechtsmittelführers davon ausgeht, dass er die einzelnen Geschwindigkeitsüberschreitungen auf einer nicht durch Pausen unterbrochenen Fahrt und aus einem einheitlichen Motiv heraus beging (vgl. hierzu auch OLG Brandenburg, a.a.O.).

Mehrfache, ineinander übergehende Geschwindigkeitsüberschreitungen werden nur dann bei natürlicher Betrachtung des Gesamtverhaltens des Betr. als einheitliche Tat im sachlich-rechtlichen Sinn angesehen werden können, wenn sie auf einer einheitlichen Willensbetätigung des Fahrzeugführers beruhen. Eine solche lässt sich regelmäßig nur bei vorsätzlichen Geschwindigkeitsverstößen annehmen, während Fahrlässigkeitstaten - wie vorliegend - regelmäßig unterschiedliche sachgedankliche Ursachen in der Person des Fahrers haben. Besteht nach dem Inhalt der Entscheidungsgründe des bußgeldrichterlichen Urteils danach kein Anhaltspunkt dafür, dass der Rechtsverstoß des Betr. auf gleichartigen Gründen der Nachlässigkeit beruht, ist von tatmehrheitlicher Begehungsweise auszugehen, soweit nicht im Übrigen ein unmittelbarer zeitlich-räumlicher innerer Zusammenhang der einzelnen Verstöße besteht. ..."







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