Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

OLG Düsseldorf Beschluss vom 30.04.1990 - 5 Ss (OWi) 151/90 - Zur Definition des Überholens und zum verbotenen Rechtsüberholen durch einen Motorradfahrer

OLG Düsseldorf v. 30.04.1990: Zur Definition des Überholens und zum verbotenen Rechtsüberholen durch einen Motorradfahrer


Das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 30.04.1990 - 5 Ss (OWi) 151/90 - (OWi) 77/90) hat entschieden:
Ein Überholvorgang liegt dann vor, wenn ein Verkehrsteilnehmer von hinten an einem anderen vorbeifährt, der sich auf der gleichen Fahrbahn in derselben Richtung bewegt oder nur aufgrund der Verkehrssituation vorübergehend anhält. Dabei kommt es weder darauf an, dass der Überholende seine Fahrgeschwindigkeit erhöht noch dass er einen Wechsel der Fahrspur vornimmt oder auf seine ursprünglich benutzte Fahrspur nach Beendigung des Überholvorganges zurückkehrt. Insbesondere ist die Absicht des Überholenden, einen Überholvorgang durchzuführen, nicht erforderlich.


Siehe auch Überholen allgemein und Stichwörter zum Thema Überholen


Gründe:

Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen § 5 Abs. 1 StVO gemäß §§ 49 Abs. 1 Nr. 5 StVO, 24 StVG eine Geldbuße von 100,-- DM festgesetzt. Hiergegen richtet sich die mit einem Antrag auf Zulassung verbundene Rechtsbeschwerde des Betroffenen, der die Verletzung materiellen Rechts rügt. Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 80 Abs. 1 OWiG - soweit sie durch Abs. 2 dieser Vorschrift nicht weitergehend eingeschränkt wird - nur zuzulassen, wenn es geboten ist, die Nachprüfung des Urteils zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder zur Fortbildung des Rechts zu ermöglichen oder das Urteil wegen Versagung rechtlichen Gehörs aufzuheben. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.


A.

Das Amtsgericht hat festgestellt:

Der Betroffene befuhr am 23. August 1989 mit einem Krad in D die Bundesautobahn A ... in Fahrtrichtung D Wegen des hohen Verkehrsaufkommens lief auf allen drei Fahrstreifen der Verkehr zähflüssig. Etwa in Höhe km 54,2 fuhr der Betroffene mit seinem Krad zwischen dem zweiten und dem dritten Fahrstreifen, und zwar zwischen den auf diesen Streifen langsam fahrenden bzw. stehenden Fahrzeugen hindurch. Hierbei überholte er mindestens fünf links neben ihm befindliche Fahrzeuge.


B.

I.

Diese Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen § 5 Abs. 1 StVO zur äußeren und inneren Tatseite rechtsbedenkenfrei.

Mit Recht hat das Amtsgericht den Betroffenen wegen eines Verstoßes gegen § 5 Abs. 1 StVO verurteilt.

1. Das Fahrmanöver des Betroffenen ist als Überholen im Sinne des § 5 StVO anzusehen.

Ein Überholvorgang liegt dann vor, wenn ein Verkehrsteilnehmer von hinten an einem anderen vorbeifährt, der sich auf der gleichen Fahrbahn in derselben Richtung bewegt oder nur aufgrund der Verkehrssituation vorübergehend anhält (vgl. BGHSt 22, 137, 139 = VRS 35, 141, 142; BGHSt 25, 293 = VRS 47, 218; BGHSt 26, 73 = VRS 48, 381; Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 30. Aufl., § 5 Rdnr. 16; OLG Stuttgart VRS 57, 361). Dabei kommt es weder darauf an, dass der Überholende seine Fahrgeschwindigkeit erhöht (BGHSt 22, a.a.O.; BayObLG VRS 26, 387; 388; OLG Celle VM 1963, 77; OLG Stuttgart, a.a.O.) noch dass er einen Wechsel der Fahrspur vornimmt (BGH VRS 5, 607; OLG Frankfurt VM 1962, 13) oder auf seine ursprünglich benutzte Fahrspur nach Beendigung des Überholvorganges zurückkehrt (BGHSt 22 und 25 a.a.O.). Insbesondere ist die Absicht des Überholenden, einen Überholvorgang durchzuführen, nicht erforderlich (BayObLG a.a.O.; Jagusch/Hentschel a.a.O.; BGHSt 22 und 25 a.a.O.). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Betroffene mit seinem Krad mindestens fünf links neben ihm befindliche Fahrzeuge, die verkehrsbedingt langsam fahren oder warten mussten, überholt.

2. Der Betroffene hat verbotswidrig rechts überholt.

a) Gemäß § 5 Abs. 1 StVO ist grundsätzlich links zu überholen. Das Rechtsüberholen ist nur in bestimmten gesetzlich geregelten Ausnahmefällen erlaubt. Solche Ausnahmen des erlaubten Rechtsüberholens sind:
  1. Eingeordnete Linksabbieger sind rechts zu überholen (§ 5 Abs. 7 Ziff. 1 StVO).

  2. Schienenfahrzeuge sind rechts zu überholen (§ 5 Abs. 7 Satz 2 StVO).

  3. Bei einer Verkehrsdichte, die zur Fahrzeugschlangenbildung führt, darf rechts schneller als links gefahren werden (§ 7 Abs. 2 StVO).

  4. Bei einer Fahrzeugschlange auf dem jeweils linken Fahrstreifen darf ein Fahrzeug auf der rechten Spur mit geringfügig höherer Geschwindigkeit und äußerster Vorsicht rechts überholen (§ 7 Abs. 2 a StVO).

  5. Personenkraftwagen und Lastkraftwagen dürfen innerhalb geschlossener Ortschaften bei mehreren Fahrstreifen für eine Richtung rechts schneller als links fahren (§ 7 Abs. 3 Satz 2 StVO).

  6. Wo Lichtzeichen den Verkehr regeln, darf nebeneinander gefahren werden, auch wenn die Verkehrsdichte es nicht rechtfertigt (§ 37 Abs. 4 StVO).

  7. Bei markierten Fahrstreifen mit Richtungspfeilen dürfen eingeordnete Fahrzeuge rechts überholt werden (§ 41 Abs. 2 Ziff. 5 StVO).

  8. Auf markierten Beschleunigungsstreifen darf schneller als auf den anderen Fahrstreifen gefahren werden (§ 42 Abs. 6 Ziff. 1 e StVO).

  9. Auf rechts abzweigenden Fahrstreifen darf schneller als auf den durchgehenden Fahrstreifen gefahren werden (§ 42 Abs. 6 Ziff. 1 f StVO).

Keiner dieser Fälle liegt hier vor.

b) Der Betroffene kann sich nicht mit Erfolg auf den Ausnahmetatbestand des § 7 Abs. 2 a StVO berufen.

aa) Die in der StVO geregelten Ausnahmen vom Rechtsüberholen setzen voraus, dass dem Rechtsüberholenden ein freier Fahrstreifen zur Verfügung steht.

Fahrstreifen ist nach der Definition des § 7 Abs. 1 Satz 2 StVO der Teil einer Fahrbahn, den ein mehrspuriges Fahrzeug zum ungehinderten Fahren im Verlauf der Fahrbahn benötigt. Der Teil der Fahrbahn, den ein einspuriges Fahrzeug zum ungehinderten Fahren im Verlauf der Fahrbahn benötigt, ist demnach kein Fahrstreifen im Sinne dieser Definition (vgl. Senatsbeschluss vom 13. November 1984 in VRS 68, 134 = NPA 904 StVO § 5 Blatt 28 = Verkehrsjurist 1985, 8; Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 30. Aufl., § 5 StVO Rdnr. 64).

Beim Rechtsüberholen einer links fahrenden Kolonne auf Autobahnen durch Einzelfahrzeuge auf dem rechten Fahrstreifen ist eine Gefährdung des Verkehrs in der Regel deshalb ausgeschlossen, weil die Fahrzeuge auf beiden Fahrstreifen nebeneinander fahren können, ohne sich zu behindern oder zu gefährden. Gerade diese Voraussetzung ist jedoch bei dem Rechtsüberholen durch Motorradfahrer nicht erfüllt. Vielmehr steht dem Motorradfahrer hier gerade nicht ein eindeutig abgegrenzter Teil der Fahrbahn zur Verfügung, was einen ungehinderten parallel laufenden Verkehrsfluss ohne gegenseitige Gefährdung ermöglichen könnte (Senatsbeschluss a.a.O.).

bb) Durch die Gestattung des Rechtsüberholens durch Motorradfahrer zwischen langsam fahrenden oder auch wartenden Fahrzeugkolonnen auf Autobahnen würden zusätzliche Gefahren geschaffen.

Ein derartiges Fahrverhalten wie im vorliegenden Fall ist geradezu darauf angelegt, gefahrenträchtige Situationen heraufzubeschwören. Zutreffend weist das OLG Stuttgart (a.a.O.) darauf hin, dass ein Motorradfahrer, der auf einer Bundesautobahn bei einem Stau zwischen stehenden oder noch in Bewegung befindlichen Fahrzeugen hindurchfährt, mit unbedachtem Verhalten stehender Verkehrsteilnehmer rechnen muss. Sei es, dass die in den Kolonnen stehenden oder langsam fahrenden Verkehrsteilnehmer plötzlich zur Fahrbahnmitte und damit zum "Fahrstreifen" des Motorradfahrers fahren, sei es, dass bei stehenden Fahrzeugen Fahrzeugtüren geöffnet werden, in der Annahme, die Fahrbahnmitte bleibe frei. Bei einer derartigen Verkehrssituation können Auffahrunfälle auch bei noch so vorsichtiger Fahrweise des Zweiradfahrers nicht weitgehend ausgeschlossen werden; denn der Motorradfahrer hat keinen Einfluss auf das Verhalten der übrigen Verkehrsteilnehmer. Aus Gründen der Verkehrssicherheit und der Rechtssicherheit kann ein derartiges Fahrverhalten nicht zugelassen werden (OLG Stuttgart a.a.O.; OLG Schleswig VRS 60, 306; OLG Hamburg NZV 1988, 105; Senatsbeschluss vom 28. Februar 1985 - 5 Ss (OWi) 65/85 - 50/85 I; Jagusch/Hentschel, a.a.O.).

Im übrigen hat der Gesetzgeber in § 5 Abs. 8 StVO nunmehr einen Fall des erlaubten Rechtsüberholens für Radfahrer und Mofafahrer in einer bestimmten Verkehrssituation geschaffen. Damit ist klargestellt, dass nicht Motorradfahrer, sondern nur Rad- und Mofafahrer und diese nur an einer vor einer Ampel wartenden Fahrzeugschlange rechts vorbeifahren dürfen. Hätte der Gesetzgeber weitere Fälle des Rechtsüberholens auch für Motorradfahrer und auch für andere Verkehrssituationen erlauben wollen, hätte es nahegelegen, bei Einführung des § 5 Abs. 8 StVO andere entsprechende Vorschriften in die StVO einzufügen.


II.

Die Erwägungen, mit denen das Amtsgericht die Zumessung der Geldbuße begründet hat, sind aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.