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Kammergericht Berlin Urteil vom 26.01.2004 -12 U 8954/00 - Zur sachverständigen Berücksichtigung von unfallunabhängigen Faktoren beim Verdienstausfall

KG Berlin v. 26.01.2004: Zur sachverständigen Berücksichtigung von unfallunabhängigen Faktoren beim Verdienstausfall


Um die Prognosebildung für die Errechnung des Gewinnentgangs eines Selbständigen auf eine gesicherte Basis zu stellen und die Unfallfolgen von den allgemeinen konjunkturellen Faktoren abzugrenzen muss ein Sachverständiger hinzugezogen werden. So hat z. B. das Kammergericht Berlin (Urteil vom 26.01.2004 -12 U 8954/00) entschieden:
Kommen bei einer Minderung des Einkommens eines Selbständigen nach einem Verkehrsunfall unfallunabhängige Faktoren für den Gewinneinbruch (z.-B. Konjunkturenentwicklung, Fehldispositionen) in Betracht, handelt das erstinstanzliche Gericht verfahrensfehlerhaft, wenn es einen unfallbedingten Erwerbsschaden nach § 252 BGB, § 287 ZPO schätzt, ohne insoweit ein Sachverständigengutachten eingeholt zu haben.


Siehe auch Erwerbsschaden - Einkommensnachteile - Verdienstausfall und Prognosebildung bezüglich des hypothetischen Zukunftseinkommens


Gründe:

Die am 9. November 2000 eingelegte und mit einem am 4. Dezember 2000 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz begründete Berufung des Beklagten richtet sich gegen das am 16. Oktober 2000 zugestellte zweite Teilurteil der Zivilkammer 24 des Landgerichts Berlin vom 2. Oktober 2000, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird.

Der Beklagte verfolgt sein erstinstanzliches Abweisungsbegehren weiter und macht geltend, der Kläger habe den verlangten Verdienstausfallschaden nicht hinreichend dargetan. Es fehle jegliche Darlegung dazu, dass der vom Landgericht angenommene Gewinnrückgang in der Zeit nach dem Unfall entstanden sei. Ursache für den geringen Gewinn in der Bilanz für 1997 sei vielmehr, dass im fraglichen Zeitraum rund 112.000,00 DM für Material mehr aufgewandt worden seien als im Jahre 1996. Aus den in den Bilanzen ersichtlichen Umsätzen, die für das Jahr 1997 etwa gleich hoch gewesen seien wie in den Vorjahren, ergebe sich, dass im Unfalljahr keine Minderung der Betriebsleistungen eingetreten sei.

Der Beklagte meint, mangels hinreichender Anhaltspunkte hänge eine Schadensschätzung gleichsam in der Luft. Jedenfalls müsse sich der Kläger das von der Bauberufsgenossenschaft erhaltene Verletztengeld in Höhe von 14.904,00 DM auf den Verdienstausfallschaden anrechnen lassen.

Der Beklagte beantragt,
die Klage unter Abänderung des Teilurteils des Landgerichts Berlin vom 2. Oktober 2000 - 24 O 366/98 - abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil und behauptet, die Materialeinkäufe habe er nicht auf Vorrat, sondern im Hinblick auf bereits erteilte Aufträge getätigt. Unter normalen Umständen hätte er den Umsatz also entsprechend dem größeren Materialeinsatz gesteigert. Weiter behauptet der Kläger, er habe in den Jahre seit 1998 erheblich höhere Gewinne als im Schadensjahr erwirtschaften können. Im Jahre 1999 habe er einen Gewinn von 131.049,99 DM erwirtschaftet, im Jahr 2000 einen Gewinn in Höhe von 136.519,36 DM und im Jahr 2001 einen solchen in Höhe von 173.418,06 DM.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat gemäß Beschluss vom 2. August 2001 (Bd. II Bl. 143) Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. A. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten vom 12. September 2003 Bezug genommen.

Die zulässige Berufung des Beklagten gegen das Teilurteil vom 2. Oktober 2000 ist teilweise begründet. Abweichend vom Landgericht schätzt der Senat auf der Grundlage des eingeholten Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. A. den dem Kläger unfallbedingt entstandenen Verdienstausfallschaden auf lediglich 8.353,62 EUR.

1. Im Ausgangspunkt zutreffend beanstandet der Beklagte, dass das Landgericht nicht allein aufgrund der vom Kläger vorgetragenen Bilanzgewinne für die Jahre 1995, 1996 und 1998 hätte schätzen dürfen, ohne zuvor das Gutachten eines Sachverständigen einzuholen. Zwar hat das Landgericht die Grundsätze für die Berechnung des Erwerbsschadens eines selbständigen Unternehmers zutreffend wiedergegeben. Es hätte sich jedoch der Hilfe eines Sachverständigen bedienen müssen, um unfallunabhängige Faktoren, die gerade im vorliegenden Fall auch in Betracht kamen, wie Konjunkturentwicklung, Fehldispositionen im Betrieb etc., von den Folgen des Unfalls abzugrenzen (vgl. Küppersbusch, Ersatzansprüche bei Personenschaden, 7. Aufl., Rdnr. 99; OLG Oldenburg, NJW-RR 1993, 798). Zudem hatte der Beklagte erstinstanzlich auf eine Reihe von Auffälligkeiten hingewiesen, wie beispielsweise die in den vom Kläger vorgelegten Bilanzen ausgewiesenen ungewöhnlich hohen Materialkosten im Jahr 1997, die der Kläger nur unzureichend erklärt hat.

2. Der Senat sieht sich in der Lage, unter Berücksichtigung der Beweiserleichterungen gemäß §§ 252 BGB, 287 ZPO auf der Grundlage des eingeholten Sachverständigengutachtens eine Schätzung des dem Kläger entstandenen Verdienstausfallschadens vorzunehmen.

a) Überzeugend und nachvollziehbar hat der Sachverständige ausgeführt, wegen Ausschöpfung bestimmter handels- und steuerrechtlicher Bilanzierungsvorschriften entspreche der in den vom Kläger vorgelegten Bilanzen ausgewiesene Gewinn nicht dem realen Betriebsergebnis. Abweichend vom bisherigen Vortrag des Klägers hat er folgende reale Betriebsergebnisse ermittelt:

1995: 113.496,58 DM (statt 110.866,58 DM)
1996: 137.515,06 DM (statt 108.490,06 DM
1998: 121.095,12 DM (statt 94.807,00 DM)


Grundsätzliche Einwendungen gegen diesen Ansatz des Sachverständigen haben die Parteien nicht erhoben. Der Kläger hat sich das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. A. insoweit zu Eigen gemacht.

Sodann hat der Sachverständige auf der Grundlage der eingereichten Unterlagen für das Schadensjahr 1997 ein reales Betriebsergebnis in Höhe von 10.969,76 DM und ein hypothetisches Betriebsergebnis von 125.302,01 DM ermittelt. Unter näherer Darlegung im Einzelnen hat er eine Erlösschmälerung aufgrund der Verletzung in Höhe von 28.071,71 DM und einen verletzungsbedingten Rückgang des Betriebsergebnisses von 18.791,70 DM, zusammen also 46.863,41 DM ermittelt.

b) Ohne Erfolg wendet der Beklagte gegen das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. A. ein, dieser habe die vom Kläger behaupteten Zahlen zugrunde gelegt, ohne anhand der Bücher des Klägers eine Belegprüfung vorgenommen zu haben. Unter Berücksichtigung der Beweiserleichterungen gemäß §§ 252 BGB, 287 ZPO hält es der Senat für möglich, auch ohne eine Belegprüfung auf der Grundlage der vom Kläger eingereichten Unterlagen, die von einem Steuerberater angefertigt wurden, eine Schadensermittlung vorzunehmen, zumal der Beklagte selbst keine vom Vorbringen des Klägers abweichenden konkreten Zahlen behauptet.

c) Zutreffend weist der Beklagte jedoch darauf hin, dass der Sachverständige das von ihm auf den Seiten 30, 31 des Gutachtens mitgeteilte Gesamtergebnis auf Seite 28 unter Nr. 3.3 dahingehend eingeschränkt hat, dass die Erlösschmälerungen von 48.122,93 DM nur hypothetisch auf das verletzungsbedingte Ausscheiden des Klägers zurückzuführen seien, da die in der Akte enthaltenen Schriftstücke keinen Hinweis darauf enthalten, welche Arbeiten/Leistungen vor dem Unfall abgenommen oder bemängelt wurden, sowie wann mit der Arbeitsausführung bzw. Leistungserstellung begonnen wurde. Um den sich hieraus ergebenden Unwägbarkeiten Rechnung zu tragen, die grundsätzlich zu Lasten des für die Schadenshöhe darlegungs- und beweispflichtigen Klägers gehen, hält es der Senat für angemessen, einen Abzug in Höhe von einem Drittel von dem vom Sachverständigen geschätzten Vermögensschaden vorzunehmen. Danach verbleibt ein Betrag in Höhe von 31.242,27 DM als geschätzter Verdienstausfallschaden des Klägers.

d) Zwar hat der Sachverständige am Ende seines Gutachtens ausgeführt, der mögliche Vermögensschaden könne sich „bei Vorliegen entsprechender Nachweise“ um den Betrag von 20.150,22 DM erhöhen, doch hat der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Kläger derartige Nachweise nicht beigebracht. Ohne Erfolg beruft sich der Kläger insoweit darauf, dass nach seinem Vorbringen erster Instanz Verluste in entsprechender Höhe aus zwei abgebrochenen Bauvorhaben in der W. Straße 4 und W. Straße 52 entstanden seien. Das diesbezügliche Vorbringen des Klägers ist schon deshalb rechtlich unerheblich, weil der Kläger hier in unzulässiger Weise die von ihm selbst gewählte abstrakte Schadensberechnung, bei der nicht auf ein konkretes entgangenes Geschäft abgestellt wird, sondern auf einen - durch Schadensereignis bedingten - Rückgang des Geschäftsergebnisses, mit der ursprünglich verfolgten konkreten Berechnung vermengt. Eine derartige Vorgehensweise birgt die Gefahr in sich, dass die vom Kläger geltend gemachten Einnahmeverluste aus den Bauvorhaben W. Straße 4 und W. Straße 52 doppelt berücksichtigt werden. Denn es liegt nahe, dass der vom Sachverständigen ermittelte Rückgang des Betriebsergebnisses zumindest auch auf dem Ausbleiben erwarteter Einnahmen aus den genannten Bauvorhaben zurückzuführen ist.

Soweit der Kläger mit Schriftsatz vom 10. November 2003 behauptet, ihm sei aus den genannten Bauvorhaben deshalb ein Schaden entstanden, weil bezüglich des Bauvorhabens W. Straße 4 eingebaute Materialien im Wert von 35.000,00 DM und bei dem Bauvorhaben W. Straße 52 eingebautes Material im Wert von 20.000,00 DM unbezahlt geblieben seien, ist dies nicht schlüssig. Wenn die entsprechenden Aufträge, wie vom Kläger behauptet, aufgrund unfallbedingter Verzögerungen von den Bauherren gekündigt worden sind, so stand dem Kläger gleichwohl ein Anspruch auf anteilige Vergütung der bereits erbrachten Werkleistungen einschließlich der Materialien zu (Werner Pastor, Der Bauprozess, Rdnr. 1147). Wenn der Kläger einen derartigen Anspruch nicht gegenüber seinen Auftraggebern durchgesetzt haben sollte, müsste er sich den hieraus resultierenden Schaden gemäß § 254 Abs. 2 BGB wegen Mitverschuldens anspruchsmindernd anrechnen lassen.

Dass den Auftraggebern der genannten Bauvorhaben wegen unfallbedingter Bauverzögerungen ihrerseits Schadensersatzansprüche gegen den Kläger zugestanden hätten, welche sie den Werklohnansprüchen des Klägers hätten entgegenhalten können, ist weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.

3. Auf den entstandenen Verdienstausfallschaden muss sich der Kläger das erhaltene Verletztengeld in Höhe von 14.904,00 DM anrechnen lassen. Hierauf hat der Beklagte zutreffend hingewiesen. Zwar führen Leistungen des Sozialversicherungsträgers und andere Sozialleistungen grundsätzlich nicht zur Entlastung des Schädigers, sondern nur zum Forderungsübergang kraft Gesetzes (SGB X, § 116; Palandt-Heinrichs, BGB, 63. Aufl., vor § 249 Rdnr. 134 m.w.N.). Das Verletztengeld, welches der Kläger unstreitig erhalten hat, ist mit dem von ihm geltend gemachten Erwerbsschaden kongruent (vgl. Küppersbusch a.a.O., Rdnr. 64). In Höhe von 14.904,00 DM sind Schadensersatzansprüche des Klägers wegen eines Verdienstausfallschadens mithin kraft Gesetzes auf den Sozialversicherungsträger übergegangen. Da der Beklagte nach seinem unwidersprochenen Vorbringen im Schriftsatz vom 6. September 2000 diesen Betrag bereits dem Sozialversicherungsträger, der Bauberufsgenossenschaft, erstattet hat, ist der dem Kläger zustehende Anspruch entsprechend zu kürzen.

Mithin ergibt sich folgende Berechnung:

Unfallbedingter Verdienstausfallschaden gemäß Sachverständigengutachten 46.863,41 DM
Abschlag von 1/3 für Unwägbarkeiten 15.621,14 DM
abzüglich Verletztengeld 14.904,00 DM
Restbetrag 16.338,27 DM
= 8.353,62 EUR


4. Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 ZPO).

5. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 in Verbindung mit § 26 Nr. 8 EGZPO.