Das Verkehrslexikon

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Landgericht Gießen Urteil vom 20.09.1995 - 1 S 216/95 - Zur Begrenzung des verkehrsberuhigten Bereichs und zum Vorfahrtrecht

LG Gießen v. 20.09.1995: Zur Begrenzung des verkehrsberuhigten Bereichs und zum Vorfahrtrecht


Das Landgericht Gießen (Urteil vom 20.09.1995 - 1 S 216/95) hat entschieden:
Aus einem verkehrsberuhigten Bereich in den fließenden Verkehr eingefahren wird auch dann, wenn die Straße nach dem das Ende des verkehrsberuhigten Bereichs anzeigenden Z. 326 StVO bis zur Einmündung noch durch einen 17 m breiten Grünstreifen führt.


Siehe auch Das Vorfahrtrecht und Stichwörter zum Thema Vorfahrt


Zum Sachverhalt: Aus den Gründen: Der Kl. nimmt die Bekl. auf Ersatz seines der Höhe nach unstreitigen Schadens aus einem Verkehrsunfall in Anspruch. Der Sohn des Kl. befuhr mit dessen Pkw die E.-Straße in A. Im Bereich der Einmündung A.-Straße stieß er mit dem von rechts kommenden Fahrzeug des Bekl. zu 1) zusammen. Die Parteien streiten über die Vorfahrtsregelung an der Einmündung. Die A.-Straße führt durch ein als verkehrsberuhigter Bereich gekennzeichnetes Wohngebiet. Sie trifft etwa rechtwinklig auf die E.-Straße. Zwischen der E.-Straße und der parallel verlaufenden Grenze der ersten Grundstücke rechts und links der A.-Straße liegt ein ca. 17 m breiter Grünstreifen. Als verkehrsberuhigter Bereich beschildert (Z. 325/326 StVO) ist die A.-Straße erst jenseits des Grünstreifens in Höhe der Grundstückseinfriedungen. Der Abstand zwischen dem Beginn und Ende des verkehrsberuhigten Bereichs anzeigenden Verkehrszeichen und dem Fahrbahnrand der E.-Straße beträgt genau 17,10 m.

Das AG hat die auf Zahlung von 6.350,30 DM gerichtete Klage abgewiesen. Dagegen wendet sich der Kl. mit der. Berufung.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Das Rechtsmittel ist zulässig und begründet.

Die Bekl. sind dem Kl. als Halter/Fahrer (§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 S. 1 StVG) und Haftpflichtversicherer (§ 3 Nr. 1 PflVG) eines Kraftfahrzeugs schadensersatzpflichtig, bei dessen Betrieb der Pkw des Kl. beschädigt wurde. Die gesamtschuldnerische Haftung der Bekl. ist auch nicht quotenmäßig beschränkt (§ 17 Abs. 1 StVG).

Die Schuld an dem Unfall trifft allein den Bekl. zu 1), der nicht in die E-Straße einfahren durfte, ohne dem dort herannahenden Sohn des Kl. Vorfahrt zu gewähren. Der Sohn des Kl. befand sich im fließenden Verkehr, während der Bekl. zu 1) aus einem verkehrsberuhigten Bereich kam. Dies verpflichtete den Bekl. zu 1), dem Sohn des Kl. gegenüber unter Beachtung höchster Sorgfaltsmaßstäbe zurückzustehen, nicht anders als beim Einfahren von einem Grundstück aus (§ 10 S. 1 StVO): Vorfahrt kam allein dem fließenden Verkehr auf der E.-Straße zu (vgl. Jagusch/Hentschel; Straßenverkehrsrecht, 32. Aufl., § 10 Rdnr: 6a). Aus dem Standort des Verkehrszeichens, das dem Bekl. zu 1) das Ende des verkehrsberuhigten Bereichs anzeigte, ergibt sich nichts anderes. Auch angesichts der Entfernung von 17,10 m bis zum Fahrbahnrand der E.-Straße ist für eine Beurteilung der Vorfahrt nach dem Grundsatz „Rechts vor Links” (§ 8 Abs. 1 S. 1 StVO) kein Raum. Aus einem verkehrsberuhigten Bereich in den fließenden Verkehr einfahren wird selbst dann, wenn das Ende des verkehrsberuhigten Bereichs nicht erst unmittelbar an der Einmündung der aus dem Bereich herausführenden Straße angezeigt wird, sondern bereits vorher, etwa an der Fluchtlinie der Bebauung oder der Grundstückseinfriedungen (vgl. Jagusch/Hentschel, a.a.O.). Entscheidend ist nur, ob das Einfahren aus dem verkehrsberuhigten Bereich in den fließenden Verkehr den Umständen nach erst an der Einmündung erfolgt. Dies ist vorliegend der Fall. Die A.-Straße ist nicht nur bis in Höhe der Bebauung, sondern auch über die Breite des Grünstreifens hinweg bis unmittelbar zum Fahrbahnrand der E.-Straße durch ihre Gestaltung deutlich von angrenzenden Straßen unterschieden, die nicht als verkehrsberuhigter Bereich beschildert sind. Die A.-Straße ist nämlich bis unmittelbar zum Fahrbahnrand der E.-Straße über die gesamte Straßenbreite niveaugleich gepflastert, im Bereich des Grünstreifens rötlich, während sich in der E.-Straße, die im übrigen wesentlich breiter ist, eine Fahrbahn mit schwarzer Teerdecke und höherliegendem Gehweg findet. Bauliche Gestaltung und Farbgebung der A.-Straße im Bereich des Grünstreifens lassen damit erkennen, daß die Aufenthaltsfunktion dieser Straße auch dort überwiegt und die untergeordnete Bedeutung des Fahrzeugverkehrs bis zum Fahrbahnrand der Eichbaumstraße reicht. Unter diesen Umständen steht Z. 326 StVO mit 17,10 m Entfernung ohne weiteres in genügender Nähe zum tatsächlichen Ende des verkehrsberuhigten Bereichs.

Angesichts der ihm obliegenden äußersten Sorgfalt überwiegt das in dem achtlosen Verhalten des Bekl. zu 1) liegende Verschulden so stark, daß demgegenüber die nicht erhöhte Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs zurücktritt (Jagusch/Hentschel, § 17 StVG Rdnr. 18). ..."







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