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OLG Hamm Urteil vom 24.10. 2000 - 27 U 62/00 - Ausweichreaktion aus Erschrecken

OLG Hamm v. 24.10.2000: Zur teilweisen Haftung aus der Betriebsgefahr bei einer Ausweichreaktion aus Erschrecken


Das OLG Hamm (Urteil vom 24.10. 2000 - 27 U 62/00) hat entschieden:

Kommt ein Fahrzeugführer von der Fahrbahn ab, weil er auf schmaler Fahrbahn durch ein entgegenkommendes Fahrzeug (Großraumlimousine) zu einer Ausweichlenkung veranlasst wird, um einer vermeintlichen Kollision zu entgehen, ist die (teilweise) Haftung aus der Betriebsgefahr des in Gegenrichtung geführten Fahrzeugs auch dann begründet, wenn der vom Geschädigten behauptete Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot des anderen Teils nicht erweislich ist und auch keine Berührung beider Fahrzeuge stattgefunden hat.

Siehe auch
Reaktionen aus "Bestürzung, Furcht und Schrecken" - die Schrecksekunde
und
Unfall durch erzwungenes Ausweichen - Schreckreaktionen

Zum Sachverhalt:


Der Kl. macht vollen Ersatz seines Schadens aus seinem Verkehrsunfall vom 25.2.1999 in S. auf der ,,L.-Straße" geltend, bei dem er gegen 15.30 Uhr mit seinem Pkw Ford Escort in Richtung S.-Zentrum fahrend ins Schleudern und sodann nach rechts von der Fahrbahn geriet, kurz nachdem ihm die in Gegenrichtung fahrende Bekl. mit der Großraumlimousine Seat begegnet war..

Der Kl. hat behauptet, die Erstbeklagte sei in einer - aus ihrer Sicht - Rechtskurve über die gedachte Mittellinie der dort unmarkierten Straße hinaus in seine Fahrbahnhälfte geraten. Aus diesem Grunde habe er zum Ausweichen scharf nach rechts gelenkt und sei infolge des sodann erforderlichen Gegenlenkens ins Schleudern geraten. Die Bekl. haben behauptet, die vom Kl. und von der Erstbeklagten geführten Fahrzeuge seien ,,normal" aneinander vorbeigefahren. Der Unfall sei allein darauf zurückzuführen, dass der Kl. auf der engen und kurvigen Straße zu schnell gefahren sei..

Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Kl. hat teilweisen Erfolg.




Aus den Entscheidungsgründen:


Der Kl. kann von den Bekl. gem. §§ 7, 17 StVG, 3 PflVG (nur) hälftigen Ersatz seines Unfallschadens beanspruchen, weil dieser bei dem Betrieb der Großraumlimousine Seat entstanden ist (1.) und ein die Betriebsgefahr eines der beteiligten Fahrzeuge erhöhender Fahrfehler der Bekl. und des Kl. nicht erwiesen ist (2.)..

1. Der Schaden des Kl. ist ,,beim Betrieb" des Kfz des Bekl. entstanden. Diese Zuordnung ist nicht davon abhängig, dass es zu einer Berührung oder gar Kollision der Fahrzeuge gekommen ist, sondern setzt nur voraus, dass das Fahrzeug der Bekl. durch seine Fahrweise zu der Entstehung des Schadens beigetragen hat. Das ist selbst dann der Fall, wenn der Unfall unmittelbar durch eigenes Verhalten des Verletzten ausgelöst wird, dieses aber in zurechenbarer Weise durch das Fahrzeug des Inanspruchgenommenen (mit-)veranlasst worden ist, wobei selbst eine voreilige, objektiv nicht erforderliche Ausweichreaktion dem Betrieb eines anderen Fahrzeugs, das diese Reaktion ausgelöst hat, zugerechnet werden kann. Diese weite Auslegung des Haftungsmerkmals ,,bei dem Betrieb" entspricht dem Schutzzweck des § 7 Abs. 1 StVO (vgl. BGH in NJW 1988, 2802; DAR 1976, 246 und VersR 1971, 1060; KG in VM 2000, 10; OLG Düsseldorf in VersR 1987, 568). Danach ergibt sich der erforderliche Zusammenhang des hier in Rede stehenden Unfalls mit dem Betrieb des Fahrzeugs Seat schon daraus, dass der Kl. durch die Fahrt des Seat irritiert worden ist und dass seine zum Schleudern führende Ausweichlenkung aufgrund der konkreten Verkehrssituation als zumindest subjektiv vertretbar erscheint (vgl. hierzu KG in VersR 98, 778).

Die Ausweichlenkung des Kl. war nämlich angesichts der Besonderheiten der Unfallstelle jedenfalls subjektiv vertretbar. Schon aufgrund der geringen Breite der Fahrbahn, die nach Darstellung beider Fahrer nur geringe Geschwindigkeiten erlaubt, musste es zu einer solchen Annäherung der Fahrzeuge kommen, die angesichts der fehlenden Fahrstreifenmarkierungen sowie des unmittelbar vor der Begegnung von der Bekl. durchfahrenen Kurvenausgangs ohne weiteres den optischen Eindruck erwecken konnte, der Seat überfahre die gedachte Mittellinie, so dass ein Ausweichen erforderlich sei. Dementsprechend habe die Bekl. selbst erstinstanzlich eingeräumt, es möge sein, dass der Kl. den Eindruck gehabt habe, er müsse dem Gegenverkehr ausweichen, da sich das verhältnismäßig große Fahrzeug der Bekl. in einer Kurve näherte. Bei dieser Situation kann in dem erörterten Zusammenhang offen bleiben, ob die Bekl. das Fahrzeug ausgangs der Rechtskurve auf die linke Fahrbahnseite geführt, ob der Kl. selbst zu weit nach links geraten war oder ob sogar überhaupt keine objektiv gefährliche Annäherung der Fahrzeuge vorlag, ebenso, ob eine überhöhte Geschwindigkeit des Kl. mitursächlich für sein Fahrverhalten war. Entscheidend ist allein, dass der Unfall in allen Fällen auf einer - nach dem damaligen Eindruck des Kl. - gefährlichen Annäherung beider Fahrzeuge beruhte..




2. Nach dem Ergebnis der erneuten Parteianhörung und der Beweisaufnahme kann der Senat, ebenso wie das LG, keinen Fahrfehler eines der beteiligten Fahrzeugführer feststellen. Es haben sich keine tragfähigen Gesichtspunkte für die Richtigkeit der einen oder anderen Unfallversion der unfallbeteiligten Parteien, die beiderseits vom jeweiligen Beifahrer bestätigt worden ist, ergeben. Es lässt sich auch nicht sagen, dass eine - im übrigen für die Überzeugungsbildung nicht ausreichende - höhere Wahrscheinlichkeit für die Schilderung des Kl. spricht, weil der Unfall ohne weiteres ausschließlich auf einem ihn belastenden Fahrfehler beruhen kann. Für eine weitere Aufklärung durch Einholung eines verkehrsanalytischen Gutachtens fehlen objektive einer Sachverständigenanalyse zugängliche Umstände. Bei Abwägung der beiderseitigen Verursachungsanteile gem. § 17 StVG besteht danach für eine unterschiedliche Gewichtung der jeweiligen Betriebsgefahren kein Anlass.

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