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VGH München Beschluss vom 18.05.2010 - 11 CS 09.2849 - Zum Begriff des regelmäßigen Haschischkonsums und zur Wiederherstellung der Fahreignung durch Abstinenz

VGH München v. 18.05.2010: Zum Begriff des regelmäßigen Haschischkonsums und zur Wiederherstellung der Fahreignung durch Abstinenz




Der VGH München (Beschluss vom 18.05.2010 - 11 CS 09.2849) hat entschieden:

  1.  Das in der Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung enthaltene Tatbestandsmerkmal der "Regelmäßigkeit" ist zumindest im Normalfall nur dann erfüllt, wenn Haschisch oder Marihuana täglich oder nahezu täglich konsumiert wurde. Auf die exakte Dauer der gewohnheitsmäßigen Einnahme von Cannabis durch den Antragsteller kommt es hier nicht an. Die Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung macht den Verlust der Fahreignung nicht von einer längeren Dauer der regelmäßigen Einnahme von Cannabis abhängig. Das rechtfertigt sich daraus, dass der tägliche Gebrauch dieses Betäubungsmittels auch dann, wenn nicht mit "Langzeitschäden" körperlicher oder psychischer Art zu rechnen ist, unter Umständen Folgen nach sich ziehen kann, die die Fahreignung beseitigen oder einschränken.

  2.  Eine Abstinenzbehauptung ist verwaltungsverfahrensrechtlich auch dann beachtlich, wenn der Betroffene ihre Richtigkeit nicht durch Beweismittel belegt und seit dem Ereignis, aus dem der Wegfall der Fahreignung hergeleitet wird, erst eine kurze Zeit verstrichen ist. Die Behörde muss aber nicht von Amts wegen - also ohne Anhaltspunkte oder entsprechendes Vorbringen des Betroffenen - Ermittlungen darüber anstellen, ob es zu einem Verhaltenswandel gekommen ist. Nach der Rechtsprechung kann die wegen Betäubungsmittelkonsums verloren gegangene Fahreignung in der Regel erst nach einjähriger, nachgewiesener Abstinenz wiedererlangt werden.

  3.  Bei nur gelegentlicher Einnahme von Cannabis kann statt einer vollständigen Abstinenz auch der nachgewiesene Übergang zu einem mit den Anforderungen der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV vereinbaren Konsumverhalten genügen, indem Cannabiskonsum und Verkehrsteilnahme zuverlässig getrennt werden. Es ist aber zu fordern, dass ein geändertes Konsumverhalten über eine Zeitspanne von einem Jahr hinweg beibehalten worden sein muss.


Siehe auch
Wiedererteilung der Fahrerlaubnis - Wiedererlangung der Fahreignung
und
Abstinenznachweis zur Wiederherstellung der Fahreignung nach Alkohol- und Drogenkonsum

Gründe:


I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit des Entzugs seiner Fahrerlaubnis der Klassen 1 a, 2 und 3 vom 7. April 1994.

Mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts Ingolstadt vom 11. März 2009 wurde er wegen unerlaubten Besitzes von Marihuana in nicht geringer Menge (702,4 g sowie weitere 17,7 g) in Tatmehrheit mit unerlaubtem Anbau von Cannabis (38 in Blüte stehende Pflanzen sowie 64 Stecklinge) zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Zuvor hatte er nach der in den Akten befindlichen Niederschrift der Beschuldigtenvernehmung vom 9. Juli 2008 angegeben, er habe die Aufzuchtanlage Ende 2007 selbst installiert und Cannabis ausschließlich zum Eigenkonsum angebaut. Er verrauche im Schnitt ein bis zwei Joints pro Tag. Zudem habe er im Zeitraum zwischen Ende 2007 und Anfang 2008 zwei Mal jeweils 10 g BZP (1-Benzylpiperazine) über das Internet gekauft und ein Mal eine Tablettenkapsel davon konsumiert, wovon er sich eine euphorisierende Wirkung versprochen habe. Seit dem 1. März 2008 ist BZP in der Anlage zum Betäubungsmittelgesetz (unter Amfetaminil) aufgeführt.

Nach Aufgreifen des Sachverhalts durch die Fahrerlaubnisbehörde teilte der Bevollmächtigte des Antragstellers dieser mit, dass die Angaben aus der Beschuldigtenvernehmung hinsichtlich des Konsumverhaltens des Antragstellers unzutreffend seien. Der Antragsteller habe zu keinem Zeitpunkt geäußert, im Schnitt ein bis zwei Joints pro Tag verraucht zu haben. Er habe auch das Protokoll der Beschuldigtenvernehmung nicht genehmigt. Hinzu komme, dass ein Konsum von ein bis zwei Joints pro Tag rechnerisch schon gar nicht möglich sei, da zum Zeitpunkt der Hausdurchsuchung erst zweieinhalb Pflanzen abgeerntet worden seien und somit unter Berücksichtigung der bei der Durchsuchung aufgefundenen Restmengen an Marihuana innerhalb eines Zeitraums von vier Wochen lediglich eine kleine Menge Marihuana hätte verraucht werden können. Tatsache sei, dass der Antragsteller in diesem Zeitraum allenfalls einen Joint pro Woche konsumiert habe.

Mit Schreiben vom 7. Mai 2009 forderte die Fahrerlaubnisbehörde den Antragsteller zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens mit der Fragestellung "Kann der Betroffene trotz der Hinweise auf gelegentlichen Cannabiskonsum sowie zusätzlicher Eignungszweifel (Einnahme sonstiger berauschender Mittel) ein Kraftfahrzeug der Klassen 1 a, 2 und 3 sicher führen? Ist insbesondere nicht zu erwarten, dass er zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Einfluss von Betäubungsmitteln oder deren Nachwirkungen führen wird?" bis zum 17. Juli 2009 auf, das dieser letztlich zwar erstellen ließ, aber nicht der Fahrerlaubnisbehörde vorlegte.




Nach vorheriger Anhörung entzog ihm die Fahrerlaubnisbehörde mit Bescheid vom 1. September 2009 die Fahrerlaubnis. Der Antragsteller sei jedenfalls als gelegentlicher Cannabiskonsument einzustufen, der zusätzlich BZP konsumiert habe. Die Gutachtensaufforderung sei daher rechtmäßig gewesen. Aufgrund der Nichtbeibringung dürfe auf die mangelnde Fahreignung des Antragstellers geschlossen werden. Der Bescheid wurde für sofort vollziehbar erklärt.

Mit Beschluss vom 27. Oktober 2009 lehnte das Verwaltungsgericht München den hiergegen gestellten Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ab. Der streitgegenständliche Bescheid sei nach summarischer Prüfung voraussichtlich rechtmäßig. Aus der Nichtbeibringung des geforderten Gutachtens habe die Fahrerlaubnisbehörde auf die fehlende Fahreignung des Antragstellers schließen dürfen. Der Antragsteller sei jedenfalls gelegentlicher Cannabiskonsument. Durch die Einnahme von BZP habe er auch von einem anderen psychoaktiv wirkenden Stoff Gebrauch gemacht. Im Übrigen stehe daneben auch ein regelmäßiger Cannabiskonsum des Antragstellers fest, so dass er auch aus diesem Grund als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen einzustufen sei. Die Fahreignung habe der Antragsteller nicht wiedererlangt. Eine einjährige Abstinenz sei weder vorgetragen noch nachgewiesen worden. Selbst wenn man von einer einjährigen Abstinenz ausgehen wolle, habe dies keinen Einfluss auf den Ausgang des Verwaltungsstreitverfahrens. Denn dann müsse durch eine Gutachtenseinholung geklärt werden, ob tatsächlich eine Abstinenz und ein stabiler Verhaltenswandel vorliege.

Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Rechtsschutzziel weiter. Zur Begründung trägt sein Bevollmächtigter unter anderem vor, die Angaben in der Beschuldigtenvernehmung seien nicht verwertbar, da dem Antragsteller das Protokoll nicht zur Durchsicht vorgelegt worden sei und er dieses auch nicht habe genehmigen können. An der vorgesehenen Stelle "im Diktat mitgehört und genehmigt" sei keine Unterschrift von ihm vorhanden. Nachdem der streitgegenständliche Bescheid die Entziehung der Fahrerlaubnis auf gelegentlichen Cannabiskonsum und zusätzlichen Gebrauch von anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen stütze, sei es rechtswidrig, wenn das Verwaltungsgericht darauf abstelle, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis auch aufgrund eines feststehenden gewohnheitsmäßigen Gebrauchs von Cannabis gerechtfertigt sei. Insoweit gehe das Verwaltungsgericht auch von einem unzutreffenden Sachverhalt aus. Die Angabe im Vernehmungsprotokoll, der Antragsteller rauche ein bis zwei Joints pro Tag, sei unzutreffend. Im Übrigen habe die vom Antragsteller bis zur Hausdurchsuchung abgeerntete Menge überhaupt nicht ausgereicht, um eine entsprechende Konsumdichte zu ermöglichen. Schließlich liege auch eine einjährige Abstinenz des Antragstellers vor, wofür die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens beantragt werde.

Die Antragsgegnerin verteidigt den angegriffenen Beschluss. Der Verlust der Fahreignung habe gerade durch das nichtvorgelegte Gutachten geklärt werden sollen. Deshalb erübrige sich auch die Frage, ob wegen Ablaufs der verfahrensrechtlichen Einjahresfrist die Frage der Wiedererlangung der Fahreignung im Entzugsverfahren hätte geprüft werden müssen.

Im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.





II.

Die zulässige Beschwerde hat teilweise Erfolg.

1. Zwar ist mit dem Verwaltungsgericht davon auszugehen, dass der Antragsteller seine Fahreignung verloren hatte.

Auf der Grundlage des Beschwerdevorbringens, auf dessen Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, spricht alles dafür, dass der Antragsteller nach der Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung fahrungeeignet war, weil er über einen ausreichend langen Zeitraum hinweg Cannabis regelmäßig eingenommen hat.

Das in der Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung enthaltene Tatbestandsmerkmal der "Regelmäßigkeit" ist zumindest im Normalfall nur dann erfüllt, wenn Haschisch oder Marihuana täglich oder nahezu täglich konsumiert wurde (vgl. etwa BayVGH vom 8.2.2008 Az. 11 CS 07.3017). Aus den eigenen Einlassungen des Antragstellers - soweit ihnen gefolgt werden kann - ergibt sich, dass er seit Ende 2007 bis zur Hausdurchsuchung am 9. Juli 2008 im Schnitt ein bis zwei Joints pro Tag konsumiert hat. Der Senat hat keinen Anlass, an der Richtigkeit der Angaben des Antragstellers im Rahmen seiner Beschuldigtenvernehmung am 9. Juli 2008 zu zweifeln. Der Antragsteller hat auch auf der Einverständniserklärung zur Aufnahme seiner Vernehmung auf Tonträger mit seiner Unterschrift bestätigt, dass er auf ein nochmaliges Vorspielen der Aufnahme verzichte, da er das Diktat mitgehört habe und dieses inhaltlich voll seinen Angaben entspreche. Vor diesem Hintergrund ist das Vorbringen des Bevollmächtigten des Antragstellers, dieser habe das Vernehmungsprotokoll nicht unterzeichnet, nicht nachvollziehbar. Mit dem Verwaltungsgericht ist davon auszugehen, dass die Argumentation, ein nahezu täglicher Konsum sei schon aus rechnerischen Gründen nicht möglich, nicht stichhaltig ist. Denn zum einen ist nicht ausgeschlossen, dass sich der Antragsteller anderweitig Cannabis beschafft hat. Zum anderen ist die erst nachträglich vorgetragene Behauptung, dass im Zeitpunkt der Hausdurchsuchung erst zweieinhalb Pflanzen geerntet werden konnten, durch nichts belegt, so dass sie vom Erstgericht als Schutzbehauptung eingestuft wurde. Denn es ist tatsächlich völlig unklar, wie viele Pflanzen der Antragsteller insgesamt angebaut hatte.

Auf die exakte Dauer der gewohnheitsmäßigen Einnahme von Cannabis durch den Antragsteller kommt es hier nicht an. Denn der Zeitraum, für den der Antragsteller einen regelmäßigen Cannabiskonsum eingeräumt hat, ist jedenfalls ausreichend. Die Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung macht den Verlust der Fahreignung nicht von einer längeren Dauer der regelmäßigen Einnahme von Cannabis abhängig. Das rechtfertigt sich daraus, dass der tägliche Gebrauch dieses Betäubungsmittels auch dann, wenn nicht mit "Langzeitschäden" körperlicher oder psychischer Art zu rechnen ist, unter Umständen Folgen nach sich ziehen kann, die die Fahreignung beseitigen oder einschränken. Bei intensivem Konsum dieses Betäubungsmittels besteht die Möglichkeit, dass plötzlich und unerwartet toxische Psychosen auftreten, die mit Verwirrung, Gedächtnisschwund, Wahnvorstellungen, Halluzinationen, Beklemmung, Agitiertheit und hypomanischen Symptomen verbunden sein können. Durch die bei chronischem Konsum von Cannabis zunehmende Gewöhnung und verminderte Selbstkontrolle steigt zudem die Bereitschaft zum Fahren unter Drogeneinfluss (vgl. zum Ganzen BayVGH a.a.O.).

2. Dem steht auch nicht entgegen, dass der streitgegenständliche Bescheid die Entziehung der Fahrerlaubnis in erster Linie auf den gelegentlichen Konsum von Cannabis und den zusätzlichen Gebrauch von anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen stützt. Eine Rechtsverletzung durch einen Bescheid mit einer möglicherweise unzutreffenden Begründung ist nur dann gegeben, wenn dieser Bescheid nicht mit einer anderen Begründung aufrecht erhalten werden kann. Steht der Verlust der Fahreignung aufgrund eines gewohnheitsmäßigen Konsums von Cannabis fest, hat die Behörde dem Betroffenen aufgrund von § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV zwingend die Fahrerlaubnis zu entziehen, ohne dass sie insoweit einen Ermessensspielraum hätte. Dass diese Voraussetzungen vorliegen, wurde oben bereits dargelegt. Es kommt also nicht mehr darauf an, ob eine Entziehung der Fahrerlaubnis auch aufgrund des Verlustes der Fahreignung, die sich aus dem Bestehen von Eignungszweifeln wegen gelegentlichen Konsums von Cannabis und der einmaligen Einnahme von BZP sowie der anschließenden Nichtbeibringung des Gutachtens nach § 11 Abs. 8 FeV ergibt, möglich wäre.

3. Allerdings ist bislang nicht aufgeklärt worden, ob der Antragsteller die Fahreignung - unabhängig von der Frage, ob sie aufgrund der Nr. 9.1, der Nr. 9.2.1 oder der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV verloren wurde - wiedererlangt hat. Diese Frage muss von der Behörde in einem Entziehungsverfahren dann geklärt werden, wenn der Betroffene eine Verhaltensänderung behauptet oder unabhängig hiervon gewichtige Anhaltspunkte dafür vorliegen, weil es nach dem Wortlaut des § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV darauf ankommt, ob er im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung die Fahreignung (gegebenenfalls wieder) besitzt. Die Abstinenzbehauptung ist verwaltungsverfahrensrechtlich auch dann beachtlich, wenn der Betroffene ihre Richtigkeit nicht durch Beweismittel belegt und seit dem Ereignis, aus dem der Wegfall der Fahreignung hergeleitet wird, erst eine kurze Zeit verstrichen ist. Die Behörde muss aber nicht von Amts wegen - also ohne Anhaltspunkte oder entsprechendes Vorbringen des Betroffenen - Ermittlungen darüber anstellen, ob es zu einem Verhaltenswandel gekommen ist. Nach der Rechtsprechung kann die wegen Betäubungsmittelkonsums verloren gegangene Fahreignung in der Regel erst nach einjähriger, nachgewiesener Abstinenz wiedererlangt werden. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Frage, ob der Betroffene die Fahreignung wiedererlangt hat, ist hier, nachdem ein Widerspruchsverfahren nicht durchgeführt wurde, der Erlass des Entziehungsbescheids. In diesem Zeitpunkt war seit den Vorfällen, die zur Annahme des Verlustes der Fahreignung des Antragstellers führten, bereits mehr als ein Jahr verstrichen.

Mit Schriftsatz vom 18. Mai 2009 hat der Bevollmächtigte des Antragstellers nach Ansicht des Senats im Verwaltungsverfahren dadurch eine beachtliche Abstinenzbehauptung aufgestellt, dass er vorgetragen hat, der Antragsteller habe Cannabis ausnahmslos nur in einem Zeitraum von vier Wochen vor der erfolgten Hausdurchsuchung am 9. Juli 2008, bei der seine Cannabispflanzen und die bis dahin geernteten Erträge - soweit noch nicht konsumiert - entdeckt und beschlagnahmt wurden, geraucht. Hieraus ergibt sich ohne weiteres, dass für den Antragsteller behauptet wird, er habe nach dem 9. Juli 2008 kein Cannabis mehr konsumiert. Diese Abstinenzbehauptung erstreckt sich damit sowohl auf einen gelegentlichen als auch auf einen gewohnheitsmäßigen Konsum von Cannabis. In Bezug auf die Einnahme von BZP hatte der Antragsteller ohnehin nur einen einmaligen Konsum eingeräumt, wovon auch die Behörde ausgegangen ist, so dass auch insoweit eine Abstinenzbehauptung aufgestellt wurde. Vor diesem Hintergrund kann es auch offen bleiben, ob der Konsum von BZP vor oder nach dem 1. März 2008 stattgefunden hat, wobei ein Konsum nach diesem Zeitpunkt wohl zum unmittelbaren Verlust der Fahreignung geführt hätte (Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV - vgl. für den Fall von Amphetamin, dessen Wirkungsweise BZP ähnelt, BayVGH vom 27.3.2009 Az. 11 CS 09.85).

Gemäß der zumindest entsprechend heranzuziehenden Vorschrift der Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV kann frühestens nach einem Jahr nachgewiesener Abstinenz von einer Wiedererlangung der Fahreignung ausgegangen werden. Bei nur gelegentlicher Einnahme von Cannabis kann statt einer vollständigen Abstinenz auch der nachgewiesene Übergang zu einem mit den Anforderungen der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV vereinbaren Konsumverhalten genügen. Beruft sich der Betroffene - wie hier der Antragsteller - aber ausdrücklich auf Abstinenz, so ist er grundsätzlich hieran festzuhalten (vgl. BayVGH vom 14.9.2006 Az. 11 CS 06.1475; vom 7.12.2006 Az. 11 CS 06.1350; vom 4.6.2007 Az. 11 CS 06. 2806). Dass ein geändertes Konsumverhalten über eine Zeitspanne von einem Jahr hinweg beibehalten worden sein muss, ist nach den vorstehend zitierten Entscheidungen nicht nur bei einem geltend gemachten Übergang zu einem straßenverkehrsrechtlich zulässigen Cannabiskonsum, sondern auch bei der vom Antragsteller behaupteten völligen Abstinenz zu fordern. Damit der Betroffene nach Ablauf der Jahresfrist nicht alsbald wieder in ein früheres, rechtswidriges und gefahrenträchtiges Konsumverhalten zurückfällt, setzt die Wiedererlangung der Fahreignung darüber hinaus die Prognose voraus, dass die Verhaltensänderung von Dauer ist. Das lässt sich nur bejahen, wenn zu einer positiven Veränderung der körperlichen Befunde ein stabiler, tief greifender Einstellungswandel hinzutritt, der es wahrscheinlich macht, dass der Betroffene auch in Zukunft die notwendige Abstinenz einhält (so die Begründung zu Abschnitt 3.12.1 der Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung) bzw. er die besonderen Voraussetzungen beachten wird, bei deren Erfüllung ein Konsument von Cannabis als fahrgeeignet angesehen werden kann. Das erfordert - gegebenenfalls neben ärztlichen Feststellungen - eine psychologische Bewertung (vgl. BayVGH vom 9.5.2005 BayVBl 2006, 18).

Keine dieser Voraussetzungen war beim Erlass des angefochtenen Bescheids erfüllt. Auch gegenwärtig fehlt es noch daran. Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass der Antragsteller das von ihm geforderte medizinisch-psychologische Gutachten der Antragsgegnerin nicht vorlegte. Zwar darf die Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn dieser sich weigert, sich untersuchen zu lassen, oder das von der Behörde geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen hier aber in Bezug auf die Frage der Wiedererlangung der Fahreignung nicht vor. Denn das von der Behörde geforderte Gutachten war aufgrund der gewählten Art der Fragstellung nicht geeignet, zu klären, ob der Antragsteller tatsächlich seit einem Jahr weder Cannabis noch andere Drogen bzw. sonstige psychoaktiv wirkende Stoffe konsumiert hat und ob dieses geänderte Konsumverhalten Ausdruck eines stabilen Verhaltenswandels ist. Die Fragestellung unterstellt das Vorliegen eines nach wie vor bestehenden gelegentlichen Cannabiskonsums, so dass für die begutachtende Stelle kein zwingender Anlass bestand, sich mit Fragen tatsächlich vorliegender Abstinenz und stabilem Verhaltenswandel zu befassen.

Sofern sich der Antragsteller nach wie vor auf Cannabisabstinenz beruft, wird der Frage nach einer Wiedererlangung seiner Fahreignung deshalb im Rahmen des Hauptsacheverfahrens weiter nachzugehen sein. Im vorliegenden Rechtsstreit nach § 80 Abs. 5 VwGO sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dementsprechend als offen anzusehen (vgl. BayVGH vom 9.5.2005, a.a.O.; vom 4.6.2007 Az. 11 CS 06.2806).




4. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens vor diesem Hintergrund aber als offen anzusehen, so hängt die im vorliegenden Beschwerdeverfahren zu treffende Entscheidung maßgeblich vom Ergebnis einer Interessenabwägung ab. Sie muss einerseits berücksichtigen, dass eine nicht geringe Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass sich die anhängige Klage als begründet erweisen könnte. Andererseits darf nicht außer Betracht bleiben, dass das Leben und die Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer sowie bedeutende Sachwerte dann erheblich gefährdet wären, wenn dem Antragsteller unkontrolliert das Führen von Kraftfahrzeugen im Inland ermöglicht würde. Denn in seinem Vorverhalten manifestiert sich ein ausgeprägtes Verlangen, Rauschmittel zu konsumieren, was mit den Erfordernissen der Verkehrssicherheit nicht vereinbar ist. So hat der Antragsteller nicht nur Ende des Jahres 2007 erhebliche Mengen von Cannabispflanzen zum Anbau, zur anschließenden Ernte und schließlich zum Eigenkonsum erworben, sondern wurde bereits im Jahr 1996 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Außerdem überschritt er als Führer eines Kraftfahrzeugs am 13. Februar 2008 die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 23 km/h, was mit einer Geldbuße von 50,00 Euro geahndet wurde.

Angesichts des Gewichts der Argumente, die gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 1. September 2009 sprechen, hält es der Senat gleichwohl für geboten, der anhängigen Klage insoweit aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Im Hinblick auf die vom Antragsteller ausgehende Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs muss diese Regelung jedoch mit Auflagen verbunden werden, die nach Möglichkeit sicherstellen, dass er während der Dauer der aufschiebenden Wirkung nicht unter dem Einfluss berauschender Mittel motorisiert am Straßenverkehr teilnimmt. Dieses Ziel lässt sich nur erreichen, wenn ihm aufgegeben wird, während dieser Zeitspanne Betäubungsmittel jedweder Art gänzlich zu vermeiden, und den Verzicht auf diese Rauschmittel durch engmaschige, für ihn unvorhersehbare Kontrollen nachzuweisen.

In Ausübung des Ermessens, das dem Gericht bei der Ausgestaltung von Auflagen nach § 80 Abs. 5 Satz 4 VwGO zusteht, legt der Verwaltungsgerichtshof den Inhalt des Vertrages, den der Antragsteller nach der Nummer III.2 des Tenors dieses Beschlusses abzuschließen und zu erfüllen hat, wie folgt fest:

  a).  Der zu beauftragende Arzt hat dem Antragsteller innerhalb von sechs Wochen nach der Zustellung dieses Beschlusses an dessen Bevollmächtigten möglichst lange Körperhaare zu entnehmen, die durch ein von dem Arzt auszuwählendes Labor daraufhin zu untersuchen sind, ob sich in ihnen Rückstände von Opiaten oder Opioiden, Benzodiazepinen, Kokain, Heroin, Amphetaminen oder Amphetaminderivaten finden.

  b).  Der Arzt hat den Antragsteller ferner innerhalb von jeweils zwölf Kalendermonaten zwölf Mal an unregelmäßig anzuberaumenden Terminen zu einer unter ärztlicher Sichtkontrolle stattfindenden Abgabe von Urin einzubestellen, wobei zwischen der Unterrichtung des Antragstellers über den jeweiligen Termin und der Urinabgabe höchstens 48 Stunden liegen dürfen.

  c).  Der Arzt hat sich, sofern ihm der Antragsteller nicht von Angesicht bekannt ist, bei allen Terminen zur Haarentnahme oder Urinabgabe anhand amtlicher Lichtbildausweise über die Identität des Erschienenen zu vergewissern.

  d).  Der Antragsteller hat sich im Vertrag zu verpflichten, den beauftragten Arzt von jedem Umstand, der ihn hindert, einer Einbestellung im Sinne des vorstehenden Buchstabens b) Folge zu leisten, unverzüglich nach dem Bekanntwerden des Umstands, jedenfalls aber vor dem Zugang einer Einbestellung, zu unterrichten. Der Arzt hat sich zu verpflichten, bis zum Ablauf des nächsten Werktags nach einem vom Antragsteller - entschuldigt oder unentschuldigt - nicht wahrgenommenen Termin im Sinne des Buchstabens b) die Stadt Ingolstadt hierüber zu informieren.

  e).  Die Analyse des Urins hat sich auf das Vorhandensein von Cannabinoiden, Opiaten und Opioiden, Benzodiazepinen, Kokain, Heroin, Amphetaminen und Amphetaminderivaten zu erstrecken. Ferner sind der Kreatiningehalt des Urins, sein spezifisches Gewicht und sein pH-Wert zu bestimmen. Der beauftragte Arzt ist zu ermächtigen, den Kreis der in die Untersuchungen einzubeziehenden Stoffe zu erweitern und eine zusätzliche Haarprobe des Antragstellers analysieren zu lassen, soweit ihm das geboten erscheint, um einen Gebrauch von Rauschmitteln durch den Antragsteller sicher auszuschließen.

  f).  Die Befunde der Haar- und Urinuntersuchungen sind innerhalb einer Woche, nachdem sie dem zu beauftragenden Arzt vorliegen, an die Fahrerlaubnisbehörde weiterzuleiten. Die Weitergabe ist mit der Erklärung zu verbinden, dass die sich aus den vorstehenden Punkten b) und c) ergebenden Anforderungen eingehalten wurden. Potenziell rechtserhebliche Wahrnehmungen im Zusammenhang mit der Haarentnahme oder Urinabgabe (z.B. klinische Auffälligkeiten des Antragstellers) sind der Behörde mitzuteilen.

  g).  Der Antragsteller hat den beauftragten Arzt in dem abzuschließenden Vertrag umfassend von der Schweigepflicht gegenüber Behörden und Gerichten zu entbinden.



5. Soweit der Antragsteller die auflagenfreie Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung erstrebt hat, war die Beschwerde zurückzuweisen. Der Senat hat von einem Ausspruch der Verpflichtung der Antragsgegnerin zur vorläufigen Herausgabe des vom Antragstellers bereits abgelieferten Führerscheins abgesehen, weil davon auszugehen ist, dass die Stadt Ingolstadt dem entweder auch ohne ausdrückliche gerichtliche Anordnung nachkommen wird oder aber dem Antragsteller das Führen eines Kraftfahrzeuges durch Ausstellen einer vorläufigen Fahrberechtigung ermöglichen wird.

6. Die Kostenentscheidung orientiert sich gemäß § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO am Maß des Obsiegens und Unterliegens der Beteiligten. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 2 GKG und den Empfehlungen in den Abschnitten II.1.5 Satz 1 und II.46.1, 46.4 und 46.8 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327). Die Befugnis zur Abänderung des Streitwerts ergibt sich aus § 63 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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