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OVG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 11.10.2017 - OVG 1 S 47.17 - Formelle Rechtswidrigkeit der Gutachtenanforderung

OVG Berlin-Brandenburg v. 11.10.2017: Hinweis an den Betroffenen einer Gutachtenandordung auf sein Einsichtsrecht in die zu übersendenen Unterlagen


Das OVG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 11.10.2017 - OVG 1 S 47.17) hat entschieden:

   Der Hinweis nach § 11 Abs. 6 Satz 2 HS 2 FeV ist nicht entbehrlich, wenn die Behörde im konkreten Einzelfall stillschweigend nicht beabsichtigt, Unterlagen an die Gutachtenstelle zu übersenden.



Siehe auch

Facharztgutachten im Fahrerlaubnisrecht

und

MPU - medizinisch-psychologisches Fahreignungsgutachten


Gründe:


Der Antragsteller erstrebt vorläufigen Rechtsschutz gegen die für sofort vollziehbar erklärte Entziehung seiner Fahrerlaubnis mit Bescheid des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten vom 15. März 2017. Er hatte zuvor ein von ihm angefordertes ärztliches Gutachten zur Frage seiner Kraftfahreignung nicht übersendet. Sein Antrag, die aufschiebende Wirkung seines gegen den vorgenannten Bescheid eingelegten Widerspruchs wiederherzustellen, hatte beim Verwaltungsgericht Erfolg. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, der Antragsgegner habe nicht gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Antragstellers schließen dürfen, weil die Gutachtenanforderung formell rechtswidrig gewesen sei. Sie habe nämlich weder den nach § 11 Abs. 6 Satz 2 HS 2 FeV erforderlichen Hinweis enthalten, dass der Antragsteller die an den Gutachter zu übersendenden Unterlagen einsehen könne, noch darüber belehrt, dass eine Übersendung von Unterlagen nicht stattfinde.



Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Antragsgegners hat keinen Erfolg. Das für die Prüfung des Senats allein maßgebliche Beschwerdevorbringen des Antragsgegners zeigt keine Gründe auf, aus denen die angegriffene Entscheidung abzuändern oder aufzuheben wäre (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO).

Der Antragsgegner rügt, das Verwaltungsgericht habe den „eindeutigen Wortlaut der streitentscheidenden Norm“ überdehnt. Eine Mitteilungspflicht ergebe sich aus § 11 Abs. 6 Satz 2 HS 2 FeV nur, wenn tatsächlich Unterlagen an die untersuchende Stelle übersandt würden. Würden keine Unterlagen übersandt, so postuliere die Norm auch keine Mitteilungspflicht. Vorliegend sei eine Übersendung von Unterlagen nicht vorgesehen gewesen, was der Antragsteller entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts „schon aus der Gutachtensaufforderung“ habe erkennen können, weil er sich aus den aufgeführten Begutachtungsstellen eine Stelle habe aussuchen sollen, ohne dass er dem Antragsgegner seine Wahl hätte mitteilen müssen. Insoweit sei eine Übersendung von Unterlagen erkennbar ausgeschlossen gewesen.

Hiermit zeigt der Antragsgegner keine Gründe auf, die eine Änderung des angefochtenen Beschlusses rechtfertigen.

Zunächst ist auf der Grundlage der Beschwerdegründe nicht ersichtlich, dass die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Gutachtenanforderung habe auch im vorliegenden Fall den in § 11 Abs. 6 Satz 2 HS 2 FeV genannten Hinweis enthalten müssen, mit dem Wortlaut der Norm unvereinbar wäre. Nach § 11 Abs. 6 Satz 2 HS 2 FeV teilt die Behörde dem Betroffenen „mit, dass er die zu übersendenden Unterlagen einsehen kann.“ Dieser Formulierung ist nicht zu entnehmen, dass der Hinweis nur dann erforderlich ist, wenn eine Übersendung von Unterlagen auch tatsächlich erfolgen soll. Denn die Mitteilung wird nicht ausdrücklich von einer beabsichtigten Übersendung von Unterlagen abhängig gemacht. Vielmehr erfasst die Norm bei einem weiten Sprachverständnis - im Sinne von „die etwa zu übersendende „Unterlagen“ - alle als Übersendungsgegenstand in Betracht kommenden Unterlagen und begnügt sich insoweit damit, dass Unterlagen mit Bezug zum Gutachtenanlass existieren können, die an eine Begutachtungsstelle übersandt werden könnten.

Auch seinem Sinn und Zweck nach ist der Hinweis nach § 11 Abs. 6 Satz 2 HS 2 FeV entgegen der Auffassung des Antragsgegners nicht entbehrlich, wenn die Behörde im konkreten Einzelfall stillschweigend nicht beabsichtigt, Unterlagen an die Gutachtenstelle zu übersenden. § 11 Abs. 6 Satz 2 HS 2 FeV will dem Betroffenen ermöglichen, eine fundierte Entscheidung darüber zu treffen, ob er sich der geforderten Begutachtung unterziehen will oder nicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2016 - 3 C 20.15 - juris Rn. 21). Hierbei kann auch die Frage, ob dem Gutachter Unterlagen aus der Fahrerlaubnisakte zur Verfügung stehen werden, relevant sein. Erfolgt der Hinweis nach § 11 Abs. 6 Satz 2 HS 2 FeV, obwohl die Behörde im konkreten Einzelfall stillschweigend nicht beabsichtigt, Unterlagen an den Gutachter zu übersenden, so eröffnet er dem Betroffenen die Möglichkeit, die fehlende Absicht der Unterlagenübersendung - etwa durch Nachfrage bei der Behörde bzw. einen Einsichtsantrag - in Erfahrung zu bringen und die so erlangte Kenntnis sodann zur Grundlage seiner Entscheidung zu machen. Diese Möglichkeit würde ihm in einer mit Sinn und Zweck des § 11 Abs. 2 Satz 2 HS 2 FeV nicht zu vereinbarenden Weise genommen, wenn der Hinweis mit Blick auf eine nicht kundgemachte Absicht der Behörde, keine Unterlagen übersenden zu wollen, unterbleiben dürfte.

Vor diesem Hintergrund ist die Mitteilung nach § 11 Abs. 6 Satz 2 HS 2 FeV grundsätzlich auch in einem Fall wie dem vorliegenden in das Aufforderungsschreiben aufzunehmen. Ihr Fehlen kann nur ausnahmsweise dann unerheblich sein, wenn (analog § 1 Abs. 1 VwVfG Bln i.V.m. § 46 VwVfG) offensichtlich ist, dass hierdurch die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst worden ist (vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 26 ff.). Dass ein solcher Fall hier entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts gegeben wäre, ist der Beschwerde indes nicht zu entnehmen. Insbesondere rechtfertigt der Hinweis des Antragsgegners darauf, dass der Antragsteller „schon aus der Gutachtensaufforderung“ habe erkennen können, dass eine Übersendung von Unterlagen nicht vorgesehen gewesen sei, nicht diese Annahme. Denn für juristisch nicht vorgebildete und auch sonst mit dem Verfahren der Eignungsbegutachtung im Bereich des Antragsgegners nicht vertraute Betroffene wie dem Antragsteller ließen die vom Antragsgegner insoweit angeführten Umstände nicht mit der erforderlichen Bestimmtheit den sicheren Schluss zu, dass eine Übersendung von Unterlagen nicht erfolgen werde. Insbesondere war auch unter Berücksichtigung der Wahlfreiheit des Betroffenen und der fehlenden Benachrichtigungspflicht des Betroffenen gegenüber der Behörde nicht von vornherein ausgeschlossen, dass von der Behörde Unterlagen auf Aufforderung des gewählten Gutachters übersandt werden könnten.




Ob die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 VwVfG Bln i.V.m. § 46 VwVfG hier gegeben wären, wenn der Antragsgegner sein Aufforderungsschreiben ausdrücklich mit dem Hinweis versehen hätte, dass er keine Unterlagen an den Gutachter übersenden werde, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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