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Landgericht Frankfurt am Main Urteil vom 17.07.2019 - 2-24 O 246/16 - Tagesgenaue Berechnung des Schmerzensgeldes

LG Frankfurt am Main v. 17.07.2019: Zur tagesgenauen Berechnung des Anspruchs auf Schmerzensgeld


Das Landgericht Frankfurt am Main (Urteil vom 17.07.2019 - 2-24 O 246/16) hat entschieden:

   Schmerzensgeld ist taggenau nach den im „Handbuch Schmerzensgeld“ (Schwintowski/Schah Sedi/Schah Sedi, 2013) dargelegten Grundsätzen zu berechnen.


Siehe auch
Das Schmerzensgeld
und
Stichwörter zum Thema Personenschaden


Tatbestand:


Die Kläger fordern als Erbengemeinschaft Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes aus einem Verkehrsunfall.

Der Beklage zu 1) holte am 6. August 2015 seine Schwiegermutter und den ihm persönlich bekannten 93 Jahre alten Herrn … (fortan der „Erblasser“) mit dem bei der Beklagten zu 2) pflichthaftpflichtversicherten PKW mit dem amtlichen Kennzeichen „…“ ab; der Beklagte zu 1) ist Halter dieses PKW. Der Erblasser saß dabei auf dem Rücksitz.

Während der sich anschließenden Autofahrt fiel der Beklagte zu 1) in Ohnmacht, kam infolgedessen von der Straße ab, fuhr über einen Grünstreifen und prallte ungebremst bei einer Geschwindigkeit von 30 bis 40 km/h gegen einen Baum.




Der verletzte Erblasser wurde in das Universitätsklinikum Frankfurt am Main eingeliefert und befand sich dort bis zum 12. August 2015 auf der Intensivstation. Dann wurde er auf die Normalstation verlegt.

Sein Verletzungsbild stellte sich so dar, dass sein Ellenbogen, die Kniescheibe, mehrere Rippen, das Nasenbein, die Hüftpfanne rechts und der Oberschenkelhalsknochen links gebrochen waren. Auch erlitt er ein schweres Schädel-​Hirn-​Trauma. Des Weiteren hatte er Schnitt- und Schürfwunden im Gesicht und an den Armen. Auch musste er ständig mit einem Atemgerät versorgt werden, weil er unter akuter Ateminsuffizienz litt.

Am 6. August 2015 wurde der Erblasser am Ellenbogen operiert, der anschließend über mehrere Monate eingegipst war. Am 10. August wurde er an der Hüfte und am Knie operiert.

Am 20. August wurde der Erblasser zur weiteren geriatrischen Rehabilitation in das … in … verlegt. Wegen erhöhter Entzündungswerte und der Minderung der Vigilanz wurde er einen Tag später wieder in das … verlegt.

Am 29. August stürzte der Erblasser nachmittags und nachts auf der Toilette, seine Körperpflege konnte er nur im Beisein einer Pflegekraft durchführen.

Vom 1. bis zum 17. September befand sich der Erblasser zur weiteren geriatrischen Behandlung in den …. Am 18. September wurde er von dort in eine Pflegeeinrichtung zur Kurzzeitpflege verlegt.

Am 27. September wurde er wieder in das Universitätsklinikum Frankfurt eingeliefert, weil sich seine Wunde am Ellenbogen entzündet hatte und sich am Gelenk Eiter ausbildete. Bis zum 9. Oktober schlossen sich vier weitere Operationen unter Vollnarkose am Ellenbogen an, bis der Erblasser am 14. Oktober wieder in die Kurzzeitpflege übergeben wurde.

In der ersten Nacht stürzte er aus dem Bett auf den verletzten Ellenbogen mit der anliegenden Oberarmschiene, sodass er am 15. Oktober erneut in das Universitätsklinikum verlegt und dort am 29. Oktober unter Vollnarkose am Ellenbogen operiert wurde. Dort befand er sich bis zum 1. Dezember in stationärer Behandlung.

Nachdem er am 2. Dezember wieder in die Kurzzeitpflege übergeben worden war, verstarb er am 6. Januar 2016.

Die Prozessbevollmächtigten der Kläger forderten von der Beklagten zu 2) mit Schreiben vom 30. September 2015 die Zahlung eines Schmerzensgeldvorschusses in Höhe von 20.000 Euro, wobei für die Details zu diesem Schreiben auf Anlage K 8 (Bl. 69 f. d.A.) verwiesen wird.

Nach Antwort der Beklagten zu 2) mit Schreiben vom 8. Oktober 2015 (Anlage K 9, Bl. 71 f. d.A.) leistete sie einen Vorschuss in Höhe von 5.000 Euro.

Mit weiteren Schreiben vom 14. Juni und 5. Juli 2016 forderten die Kläger die Zahlung eines Schmerzensgeldes von 90.000 Euro (Anlage K 10, Bl. 73 ff. d.A.; Anlage K 11, Bl. 115 d.A.).

Mit Schreiben vom 12. Juli teilte die Beklagte zu 2) mit, dass sie ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 Euro für angemessen halte. Daraufhin zahlte sie an die Kläger einen weiteren Betrag von 25.000 Euro.




Die Kläger haben mit einer Klageschrift vom 3. November 2016 Klage erhoben, die dem Beklagten zu 1) am 1. Dezember 2016 zugestellt worden ist.

Die Kläger behaupten unter Bezugnahme auf ein „Gemeinschaftliches Testament“ (vgl. Anlagen K 16 und K 17, Bl. 187 ff. d.A.), dass sie Erben des Erblassers seien. Während die Kläger zu 1) und zu 2) seine Söhne seien, sei die Klägerin zu 3) seine Enkelin und die einzige Tochter des am 14. April 2015 vorverstorbenen, weiteren Sohnes des Erblassers (…..). Die Kläger sind der Rechtsauffassung, dass ein Schmerzensgeld, das sie aus übergegangenem Recht von den Beklagten verlangen könnten, in Höhe von 90.000 Euro angemessen sei. Hierfür berufen sich die Kläger auf verschiedene Gerichtsentscheidungen, die in vergleichbar gelagerten Fällen zu einer solchen Schmerzensgeldhöhe gelangt seien und für deren weitergehende Details auf den Schriftsatz der Kläger vom 16. März 2017 (Bl. 164 ff. d.A.) Bezug genommen wird.

Die Kläger beantragen,

   die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an die Kläger gemeinschaftlich ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens aber 90.000 Euro nebst 5 Prozentpunkten Zinsen p.a. über dem Basiszins seit 6. August 2016 abzüglich am 13. Oktober 2015 gezahlter 5.000 Euro und abzüglich am 25. Juli 2016 gezahlter 25.000 Euro sowie als Nebenforderung 1.080,28 Euro nebst 5 Prozentpunkten Zinsen p.a. über dem Basiszins seit 5. Oktober 2016 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

   die Klage abzuweisen.

Die Beklagten bestreiten die Aktivlegitimation der Kläger, wobei insoweit auf den Schriftsatz vom 27. Januar 2017 verwiesen wird (vgl. Bl. 154 d.A.).

Die Beklagten sind der Rechtsauffassung, dass sich die Kläger ein Mitverschulden des Erblassers entgegenhalten lassen müssten. Hierfür behaupten die Beklagten, dass der Erblasser nicht angeschnallt gewesen sei, was auch das erhebliche und untypische Verletzungsbild bei ihm erkläre.

Darüber hinaus sind die Beklagten der Ansicht, dass ein Schmerzensgeld lediglich von 30.000 Euro angemessen sei und berufen sich hierfür auf nach ihrer Ansicht vergleichbar gelagerte Entscheidungen anderer Gericht. Insoweit wird für die weitergehenden Details dieses Vortrags auf den Schriftsatz vom 27. Januar 2017 (Bl. 153 ff. d.A.) verwiesen.

Das Gericht hat gemäß den Beschlüssen vom 26. September 2017 (vgl. Bl. 203 ff. d.A.), vom 2. Januar 2018 (Bl. 231 f. d.A.), vom 21. August 2018 (Bl. 282 f. d.A.) und vom 27. September 2018 (Bl. 298 f. d. A.) Beweis erhoben. Für das Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten vom 28. Mai 2018 und das Ergänzungsgutachten vom 14. Januar 2019 (Bl. 311 ff. d.A.) jeweils von …. und ….. verwiesen.





Entscheidungsgründe:


Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfang begründet.

Die Kläger haben gegen den Beklagten zu 1) einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes von weiteren 20.000 Euro aus § 7 I StVG i.V.m. §§ 1922 I, 2039 S. 1 BGB.

Die Aktivlegitimation der Kläger als Erbengemeinschaft des im Januar 2016 verstorbenen Erblassers begegnet keinen Bedenken.

Denn bei einer Mehrheit von Erben geht nach §§ 1922 I, 2039 S. 1 BGB die Erbschaft im Wege der Universalsukzession auf diese Erben über, die zu einer gemeinschaftlichen Geltendmachung von Nachlassforderungen berechtigt sind.

Um einen solchen Fall geht es hier.

Spätestens nach Vorlag des als Anlage K 16 und K 17 (Bl. 187 ff. d.A.) zu den Akten gereichten Testaments, zu dem sich die Beklagten nach ihrem zunächst auf die Aktivlegitimation gerichteten Bestreiten nicht mehr erklärt haben, war davon auszugehen, dass die Kläger Erben des Erblassers geworden sind. Denn in diesem Testament unter dem 8. Februar 1998 wurden die Kläger zu 1) und zu 2) neben …. zu Erben eingesetzt. An die Stelle des vorverstorbenen … trat nach § 1924 I BGB die Klägerin zu 3) als dessen einzige Tochter. Mit diesem durch Vorlage des Testaments substantiierten Sachvortrag der Kläger oblag es den Beklagten sich hiermit auseinandersetzen, sofern sie an ihrem Bestreiten festhalten wollen. Dass dies nicht geschehen ist, fällt ihnen zur Last.

Vor diesem Hintergrund gingen auf die Kläger die zum Zeitpunkt des Erbfalls im Januar 2016 bestehenden Ansprüche des Erblassers über.

Hierzu gehört auch der gegenüber den Beklagten bestehende Schmerzensgeldanspruch infolge des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls (zur Vererblichkeit von Schmerzensgeldforderungen etwa Leipold, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2017, § 1922 Rn. 51).

Ein solcher Anspruch gegen den Beklagten zu 1) besteht dem Grunde nach ohne Weiteres aus § 7 I StVG.

Auf dieser Grundlage bestand ein Anspruch des Erblassers auf Zahlung eines Schmerzensgeldes nach § 11 S. 2 StVG.

Denn nach dieser Vorschrift kann wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, auch eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden.

Billig ist hier eine Entschädigung in Höhe von insgesamt 50.000 Euro. Hiervon waren nach §§ 362 I, 422 I 1 BGB bereits von der Beklagten zu 2) geleistete Zahlungen in Höhe von 30.000 Euro in Abzug zu bringen, sodass eine Restforderung der Kläger in Höhe von 20.000 Euro verbleibt.

Das Gericht folgt bei der Schmerzensgeldbemessung den jüngsten Feststellungen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main zu einer sog. taggenauen Schmerzensgeldberechnung, die maßgebend im „Handbuch Schmerzensgeld“ (Schwintowski u.a., 2013) entwickelt wurde (OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 18. Oktober 2018 - 22 U 97/16; dem OLG Frankfurt folgend LG Magdeburg, Grundurteil vom 07. Februar 2019, 10 O 503/18; in diese Richtung auch mit Blick auf das Abstellen auf die statistische Lebenserwartung LG Aurich, Schlussurteil vom 23. November 2018, 2 O 165/12; vgl. ebenso Bensalah/Hassel, NJW 2019, 403, die im Grundsatz ebenfalls zu einer positiven Bewertung des taggenauen Schmerzensgeldes kommen; kritisch hingegen NJW-​Spezial 2019, 42 (43) unter Verweis auf den 52. VGT 2014 in Goslar; ein taggenaues Schmerzensgeld ablehnend: OLG Brandenburg, Urteil vom 16. April 2019, 3 U 8/18; OLG Düsseldorf, Urteil vom 28. März 2019, 1 U 66/18).

Im Ausgangspunkt ist dabei festzuhalten, dass die Bestimmung eines angemessenen Schmerzensgeldes einen der zentralen Bereiche tatrichterlichen Schätzungsermessen darstellt und damit die hierauf gerichteten Bemühungen des Tatrichters nur eingeschränkt reversibel sind (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 1998, VI ZR 182-​97; Urteil vom 10. Februar 2015, VI ZR 8/14; anders in der Berufungsinstanz: BGH, Urteil vom 28. März 2006, VI ZR 46/05). Es geht bei dieser Bestimmung darum Schäden nicht vermögensrechtlicher Art auszugleichen und dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten Genugtuung schuldet für das, was er ihm angetan hat. Letztlich wurzeln diese Zweckbestimmungen, die der allgemeinen Vorschrift des § 253 II BGB ebenso wie ihrer speziellen Ausprägung in § 11 S. 2 StVG zu Grunde liegen, in verfassungsrechtlichen Verbürgungen, weil die Zuerkennung eines angemessenen Schmerzensgeld Ausfluss nicht zu Letzt aus der Menschenwürde als oberstem Konstitutionsprinzip der deutschen Rechtsordnung und weiteren, im jeweiligen Einzelfall im Besonderen betroffenen Verfassungsrechtsgütern – hier der körperlichen Unversehrtheit nach Art. 2 II 1 GG – ist. Diese „Ausstrahlwirkung“ grundrechtlicher Gewährleistungen ist bei Anwendung des einfachen Zivilrechts zu beachten (vgl. grundlegend in Bezug auf das Allgemeine Persönlichkeitsrecht BVerfG, Beschluss vom 14. Februar 1973, 1 BvR 112/65; BGH, Urteil vom 15. November 1994, VI ZR 56/94). Auch vor diesem Hintergrund ist es einzuordnen, dass der Anspruch auf Schmerzensgeld kein gewöhnlicher Schadensersatzanspruch ist (BGH, Beschluss vom 6. Juli 1955, GSZ 1/55).

Die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes bedingt eine umfassende Betrachtung des Einzelfalls und dessen Besonderheiten. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung (vgl. etwa auch BGH, Urteil vom 12. Mai 1998, VI ZR 182-​97) und wird auch durch das Konzept eines taggenauen Schmerzensgeldes nicht in Frage gestellt. Denn anders als es in den jüngsten Entscheidungen zum Ausdruck kommt, die ein solches Konzept ablehnen (OLG Brandenburg, Urteil vom 16. April 2019, 3 U 8/18; OLG Düsseldorf, Urteil vom 28. März 2019, 1 U 66/18), bezieht dieses Konzept seine maßgebende innere Rechtfertigung nicht aus der Anwendung fester Größen auf der ersten Stufe – insbesondere des Bruttonationaleinkommens und bestimmter Prozentstufen –, sondern aus der einzelfallbezogenen Auseinandersetzung mit dem auf der ersten Stufe festgestellten Ausgleichs- und Genugtuungsbetrag (hierzu bereits BGH, Beschluss vom 6. Juli 1955, GSZ 1/55) vor allem auf der zweiten Stufe. Vor diesem Hintergrund kann es nicht überzeugen, das Konzept eines taggenauen Schmerzensgeldes unter Verweis darauf in Frage zu stellen, dass es mit vermeintlich mathematischer Genauigkeit ein Schmerzensgeld ohne Einzelfallbezug bestimmen will.

Die Orientierung an denjenigen Kriterien, die auf der ersten Stufe eines taggenauen Schmerzensgeldes relevant werden und nach denen zwischen unterschiedlichen Behandlungsstufen und Stufen der Schadensfolgen zu unterscheiden ist, überzeugt aus den vom Oberlandesgericht Frankfurt am Main in seinem Urteil vom 18. Oktober 2018 und den im „Handbuch für Schmerzensgeld“ dargelegten Gründen, auf die verwiesen wird.

Soweit der Auswahl dieser Kriterien in dem Sinne eine gewisse Beliebigkeit innewohnt, dass auch andere Kriterien denkbar sind, stellt im Umkehrschluss nicht die Überzeugungskraft der letztlich einem taggenauen Schmerzensgeld auf der ersten Stufe zu Grunde gelegten Kriterien in Frage. Denn soweit das Kriterium des Bruttonationaleinkommens vor allem in dem Lichte herangezogen wird, dass ein angemessener Schmerzensgeldbetrag zu Gunsten sozialer Gleichheit nicht nach dem sozialen Status eines Geschädigten differenzieren darf, ist dies nicht zu beanstanden. Soweit im Weiteren nach verschiedenen Behandlungsstufen und dem Verbleben eines Dauerschadens unterschieden wird, ist auch dies nicht zu beanstanden, weil mit diesem Behandlungsstufen und einem Dauerschaden zumindest im Ausgangspunkt abstrakt typisierbare Eingriffe in verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter eines Geschädigten (Menschenwürde; körperliche Selbstbestimmung; gesundheitliche Unversehrtheit) verbunden sind, die typischer Weise in unterschiedlichem Maße einen finanziellen Ersatz zum Ausgleich und zur Genugtuung erfordern. Soweit schließlich vor allem bei Dauerschäden eine Orientierung an der statischen Lebenserwartung erfolgt, ist ebenfalls kein Grund für die Annahme ersichtlich, dass ein Gericht, das Schmerzensgeld taggenau berechnet, sein Schätzungsermessen nach §§ 253 II BGB, 11 S. 2 StVG, 287 ZPO überschreiten würde. Denn es ist gerade das Wesensmerkmal eines Dauerschadens, dass der Geschädigte auf Dauer von den erlittenen Verletzungsfolgen betroffen und demgemäß jeden Tag hiervon beeinträchtigt ist. Ihm daher für jeden Tag bis zu seinem Tod einen bestimmten Ersatzbetrag zuzusprechen, ist zwingendes Gebot eines auf Angemessenheit ausgelegten Schmerzensgeldes.

Es überzeugt des Weiteren auch nicht die Richtigkeit eines taggenauen Schmerzensgeldes dadurch in Zweifel zu ziehen, dass die bisherige Praxis, sich an vermeintlich vergleichbaren Entscheidungen anderer Gerichte zu orientieren, zu überzeugenderen Ergebnissen führen würde.

Denn solche Entscheidungen leiden in ihrer Funktion als Bezugspunkt einer Schmerzensgeldberechnung in anderen Verfahren bereits daran, dass sie nicht Ausdruck eines in sich geschlossenen Systems sind. Dies folgt schon daraus, dass nicht sämtliche Schmerzensgeldentscheidungen veröffentlicht und somit für andere Gerichte einsehbar sind. Auch soweit in Schmerzensgeldtabellen entsprechende Zusammenfassungen der aufgenommenen Entscheidungen enthalten sind, leiden diese Zusammenfassungen daran, dass eine selektive Zusammenfassung an die Stelle einer vollständigen Abbildung des in einem anderen Verfahren zu Grunde liegenden Prozessstoffes tritt. Ob unmittelbar einsehbar oder in einer Schmerzensgeldtabelle aufgeführt, leidet die Orientierung an Entscheidungen anderer Gerichte aber auch daran, dass es nahezu immer an einer brauchbaren Vergleichbarkeit zwischen den Entscheidungen anderer Gerichte und einem zur Entscheidung anstehenden Verfahren fehlt. Denn auch nur ein einzelnes, relevantes Bemessungskriterium, das sich anders darstellt, kann die Angemessenheit eines von einem anderen Gericht zuerkannten Schmerzensgeldes gänzlich in Frage stellen, etwa das Alter des Geschädigten oder das komplexe Zusammenwirken bestimmter, auch in einem anderen Verfahren festgestellter Verletzungen mit einer weiteren, in einem anderen Verfahren nicht festgestellten Verletzung, die die Leiden eines Geschädigten gänzlich anders darstellen kann.

Soweit vor diesem Hintergrund auch innerhalb des bisherigen Schmerzensgeldkonzepts (maßgebende Orientierung an Entscheidungen anderer Gerichte) solche Entscheidungen nicht Schluss-​, sondern Ausgangspunkt zur Ausübung des richterlichen Ermessens sind, wird der eigentliche Mehrwert eines taggenauen Schmerzensgeldes offenbar. Denn dieser Mehrwert liegt nicht in einer vermeintlichen mathematischen Genauigkeit in der Schmerzensgeldberechnung, sondern darin, eine Referenzgröße für eine Einzelfallbetrachtung zu bilden, die den Zwecken sozialer Gleichheit, der Voraussehbarkeit von Schmerzensgeldentscheidungen und damit Rechtssicherheit sowie der Intensität von Eingriffen in das menschliche Selbstbestimmungsrecht Rechnung tragen will. Dass dabei auf einer ersten Stufe eine an bestimmten Größen orientierte Berechnung vorzunehmen ist, kann nicht durch Verweis auf eine „pseudologische“ Genauigkeit hinterfragt werden. Denn auch soweit dem die bereits festgestellte zwangsweise bestehende Beliebigkeit in der Wahl vor allem von bestimmten Prozentsätzen für bestimmte Behandlungsstufen innewohnt, ist hiermit ein nicht zuletzt für Geschädigte verbundener Mehrwert in Gestalt der Voraussehbarkeit gerichtlicher Entscheidungen verbunden. Hierbei handelt es sich um eine zentrale Ausprägung des Rechtsstaats, die im Zusammenhang mit der insbesondere nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 18. Oktober 2018 geführten Diskussion um ein angemessenes Schmerzensgeld unterbetont ist. Insofern lässt sich nicht selten in der Rechtspraxis die Beobachtung machen, dass zum Teil ein deutlich zu hohes Schmerzensgeld, zum Teil ein deutlich niedrigeres Schmerzensgeld eingefordert wird, als das zur Entscheidung berufene Gericht letztlich festsetzt oder festsetzen würde. Die Möglichkeit hierauf durch einen unbezifferten Antrag zu reagieren, kann den Mangel fehlender Voraussehbarkeit nur bedingt ausgleichen. Denn dies entbindet einen Geschädigten nicht davon, dem Gericht in der Klagebegründung oder jedenfalls in einer Streitwertangabe eine von ihm als angemessen erachtete Größenordnung mitzuteilen (vgl. etwa Becker-​Eberhard, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Auflage 2016, § 253 Rn. 121), die ihm weiteren Verlauf eines Verfahrens von Bedeutung sein kann – sei es als Gesprächsgrundlage für eine gütliche Einigung; sei es, um eine Rechtsmittelbeschwer vortragen zu können (BGH, Urteil vom 30. April 1996, VI ZR 55/95) oder sei es im Zusammenhang mit der Kostenverteilung. (vgl. etwa zur Kostenbelastung des Geschädigten bei einer nicht nur unwesentlichen Abweichung des Gerichts von der angegebenen Größenordnung: OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 16. Juni 2010, 4 W 24/10 (auch zur Bedeutung der angegebenen Größenordnung für die Streitwertfestsetzung); Schulz, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Auflage 2016, § 92 Rn. 23).

Der Mehrwert eines taggenauen Schmerzensgeldes, die Voraussehbarkeit von Gerichtsentscheidungen zu erhöhen, liegt darin – ohne die Einzelfallorientierung vor allem auf der zweiten Stufe in Frage zu stellen –, dass sich das Gericht an bestimmten, objektiv feststehenden Kriterien orientiert. Damit ist aus der Perspektive eines rechtsschutzsuchenden Geschädigten klar, dass ein Gericht zur Ermittlung eines Schmerzensgeldes nicht nur auf eine Begründungstechnik zurückgreifen wird, sondern auf eine Methode, die zunächst unabhängig von hermeneutischen Entscheidungsmustern der konkret erkennenden Richter ist. In Abgrenzung hierzu liegt es auf der Hand, dass allein die Orientierung an vermeintlich vergleichbaren Entscheidungen anderer Gerichte in hohem Maße der Gefahr unterliegt, sich auf in erster Linie solche Entscheidungen zu beziehen und diese in den Vordergrund zu rücken, die ein schon zuvor gefasstes Ergebnis begründen sollen. Daran vermögen auch Orientierungspunkte für die Bestimmung eines Schmerzensgeldes, die sich herausgebildet haben (Art und Schwere von Verletzungen; bestehende Dauerbeeinträchtigung etc.), nichts zu ändern, weil auch diese Kriterien – etwa die Schwere von Verletzungen – unterschiedlich bewertet werden können. Soweit demgegenüber ein taggenaues Schmerzensgeld in den Prozess der Schmerzensgeldberechnung objektiv feststehende Kriterien integriert, die zwar auf den weiteren Stufen in vollem Umfang der richterlichen Korrektur unterliegen, aber im Übrigen feststehend sind, werden in die Schmerzensgeldberechnung zugleich Elemente eingebunden, die letztlich neben – vor allem auf der zweiten Stufe vorrangigen – subjektiven Elementen der Entscheidungsfindung auch ein objektives Gegengewicht begründen.

Bei Anlegung dieser Maßstäbe einer taggenauen Schmerzensgeldberechnung ist hier ein Schmerzensgeld von insgesamt 50.000 Euro billig.

Auf der ersten Stufe ist ein Ersatzbetrag von 34.697,43 Euro zu Grunde zu legen. Denn der Erblasser befand sich infolge des Verkehrsunfalls sechs Tage auf der Intensivstation (6. bis 11 August), 84 Tage auf der Normalstation (12. August bis 19. August; 21. bis 31. August; 27. September bis 13. Oktober; 15. Oktober bis 1. Dezember) und 18 Tage in einer Rehabilitationseinrichtung (20. bis 21. August; 1. bis 17. September). Unter Zugrundelegung von Ausgleichsbeträgen von 15% des Bruttonationaleinkommens in Höhe von 3.177,42 Euro im hier maßgebenden Jahr 2015 (veröffentlicht auf der Internetpräsenz des Statistischen Bundesamts: https://www.destatis.de/DE/Home/_inhalt.html) für einen Tag auf der Intensivstation, 10% für einen Tag auf der Normalstation und 9% für einen Tag in einer Rehabilitationseinrichtung ergibt dies folgende Ausgleichsbeträge: 2.859,68 Euro (Intensivstation); 26.690,33 Euro (Normalstation); 5.147,42 Euro (Rehabilitationseinrichtung).

Dieser Betrag war bei der gebotenen Einzelfallbetrachtung dahingehend zu korrigieren, dass ein Schmerzensgeldbetrag von 50.000 Euro angemessen ist, insbesondere unter Berücksichtigung der konkreten Verletzungsfolgen und eines Mitverschuldens des Erblassers.

Der Erblasser wurde durch den streitgegenständlichen Unfall schwer verletzt. Sein Verletzungsbild, das auf seinen Ellenbogen, die Kniescheibe, mehrere Rippen, das Nasenbein, die Hüftpfanne rechts und den Oberschenkelhalsknochen links, ein schweres Schädel-​Hirn-​Trauma, Schnitt- und Schürfwunden sowie die notwendige Versorgung mit einem Atemgerät bezogen war, ist als schwerwiegendes Polytrauma zu kennzeichnen. Diese Art und Schwere der Verletzungen, die letztlich auch die bereits festgestellten Aufenthalte auf der Intensiv- und der Normalstation sowie in Rehabilitationseinrichtungen erforderlich machten, erfassten weite Bereich des Körpers, vor allem den Bewegungsapparat. Die hiermit einhergehenden Beeinträchtigungen fielen dabei vor allem auch deshalb besonders ins Gewicht, weil der Erblasser infolge des Verkehrsunfalls keine selbstbestimmte Lebensführung wiedererlangte. Sein restliches Leben ab dem Verkehrsunfall im August 2015 bis zu seinem Versterben im Januar 2016 musste der Kläger in medizinischen Einrichtungen verbringen, seine Körperpflege im Beisein einer Pflegekraft durchführen und mit der Schmerzsymptomatik umgehen, die sich für ihn aus dem erlittenen Polytrauma ergab. Dabei hat das Gericht auch berücksichtigt, dass der von den behandelnden Ärzten eingeleitete Heilungsprozess nicht durch eine stetige Besserung der Leiden des Erblassers beginnend vom streitgegenständlichen Verkehrsunfall bis hin zu seinem Versterben geprägt war. Vielmehr musste der Erblasser sich fortlaufend Operationen unter Vollnarkose, und zwar insgesamt sieben Operationen, unterziehen, was vor allem in seinem Alter (93 Jahre) mit besonderen Beeinträchtigungen und Belastungen verbunden war.

Einem höheren Schmerzensgeld stand vor allem das zu berücksichtigende Mitverschulden des Erblassers entgegen.

Nach § 9 StVG i.V.m. § 254 I BGB ist das Verschulden eines Geschädigten bei der Schadensentstehung berücksichtigungsfähig. In diesem Zusammenhang ist höchstrichterlich anerkannt, dass ein solches Mitverschulden darin zu sehen ist, dass ein Mitfahrer nicht seiner Obliegenheit nach § 21a I 1 Var. 1 StVO entsprochen hat, sich anzuschnallen (BGH, Urteil vom 29. September 1992, VI ZR 286/91; Oetker, Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2019, § 254 Rn. 38 f.; Walter, in: beck-​online, Stand: 01.12.2018, § 9 StVG Rn. 54.4; Kuhn, in: MAH Straßenverkehrsrecht, 4. Auflage 2015, § 23 Rn. 264).

Es steht zur Überzeugung des Gerichts nach der durchgeführten Beweisaufnahme fest, dass sich der Erblasser nicht anschnallte.

Nach § 286 I 1 ZPO hat das Gericht nämlich unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist. Dabei kann ein Beweis nicht erst dann als erbracht angesehen werden, wenn eine absolute, über jeden denkbaren Zweifel erhabene Gewissheit gewonnen werden konnte. Abzustellen ist vielmehr auf eine persönliche Gewissheit des erkennenden Richters, die Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig ausschließen zu müssen (Greger, in: Zöller, ZPO, 31. Auflage 2016, § 286 Rn. 19).

Legt man dieses Beweismaß zu Grunde, hat der Erblasser nach Überzeugung des Gerichts seiner Obliegenheit nicht entsprochen, sich anzuschnallen.

Die Sachverständigen …. und …. sind zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich bei der Fahrgeschwindigkeit des Beklagten zu 1) zum streitgegenständlichen Zeitpunkt zwischen 30 und 40 km/h um eine relativ geringe Geschwindigkeit gehandelt habe. Demgegenüber sei zu stellen, dass das Verletzungsmuster bei dem Erblasser schwer gewesen und mit offenen Weichteilschäden einhergegangen sei. Dies lasse darauf schließen, dass er zum Zeitpunkt des Unfalls nicht gurtgeschützt gewesen sei. Hierfür streite auch die festgestellte Nasebeinfraktur, die nur durch einen Anstoß des Gesichts gegen ein davor befindliches Widerlager zu erklären sei. Es handele sich daher bei dem in Rede stehenden Unfall offensichtlich um eine Frontalkollision. Da im vorliegenden Fall im Verletzungsmuster das Gesicht, rechtsseitige Rippen, die rechte obere Extremität und beide untere Extremitäten sowie beide Hüftgelenke mit einbezogen gewesen seien, spreche dies für einen fehlenden Gurtschutz beim Erblasser. Die vor diesem Hintergrund in ihrem Gutachten vom 28. Mai 2018 getroffene Schlussfolgerung, dass es aus rechtsmedizinischer Sicht wahrscheinlich sei, dass der Erblasser zum Unfallzeitpunkt nicht angeschnallt gewesen sei, haben die Sachverständigen in ihrem Ergänzungsgutachten vom 14. Januar 2019 dahingehend präzisiert, dass ein derartig schweres Verletzungsmuster mit teils offenen Verletzungen und Verletzungen nahezu an der gesamten vorderen Körperhälfte sowie Extremitätenverletzungen sich nicht damit in Einklang bringen lasse, dass der Erblasser zum Unfallzeitpunkt angeschnallt gewesen sei; in einem solchen Fall wären deutlich weniger schwere Verletzungen zu erwarten gewesen.

Auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens verbleiben für das Gericht keine vernünftigen Zweifel, dass der Erblasser zum streitgegenständlichen Unfallzeitpunkt nicht angeschnallt war. Insoweit macht sich das Gericht die überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen in eigener Überzeugungsbildung zu Eigen. Denn das Gericht sieht keinen Anlass an der Sach- und Fachkunde der Sachverständigen und der Richtigkeit ihrer Ausführungen zu zweifeln. Die Sachverständigen haben ihre Begutachtung zunächst auf Grundlage zutreffender und ausreichender Anknüpfungstatsachen erstellt, insbesondere die primär bei dem Erblasser nach dem Unfall diagnostizierten Verletzungen, die ärztlich dokumentiert wurden und auf deren Grundlage die rechtsmedizinische Beurteilung der Sachverständigen erstellt worden ist.

Auf dieser Grundlage haben die Sachverständigen schlüssig und präzise erläutert, dass und warum sie zu der Feststellung gelangt sind, dass der Erblasser nicht angeschnallt gewesen sei. Denn sie haben sich hierfür auf die diagnostizierten und somit objektiv feststehenden Verletzungsmuster bei dem Erblasser gestützt. Diese Verletzungsmuster haben sie im Detail vor dem Hintergrund der Kinematik bei Verkehrsunfällen eingeordnet, indem sie ausgeführt haben, dass vor allem die festgestellte Nasenbeinfraktur für einen nicht gurtgeschützten Aufprall spreche. Dies ist ohne Weiteres nachvollziehbar, weil bei einem gurtgeschützten Aufprall nicht, jedenfalls nicht mit der gleichen Wahrscheinlichkeit zu erwarten steht, dass das Nasenbein auf stehende Fahrzeugstrukturen aufprallt. Dies gilt umso mehr, als die Sachverständigen die Fahrtgeschwindigkeit von 30 bis 40 km/h aus ihrer rechtsmedizinischen Sicht als relativ gering bezeichnet haben. Auch mit den weiteren, bei dem Erblasser konkret festgestellten Verletzungsmuster haben sich die Sachverständigen auseinandergesetzt und diese als – medizinisch – schwer eingestuft. Auch dies ist nachvollziehbar, weil sich die Verletzungen auf das Gesicht, die Rippe, die oberen und unteren Extremitäten soweit die Hüftgelenke erstreckten. Ausgehend von der Kinematik bei Kollisionen ohne Gurtschutz (Aufprall des gurtlosen Insassen auf stehende Strukturen) überrascht es nicht, dass die Sachverständigen das schwere Polytrauma des Erblassers auf einen Aufprall ohne Gurtschutz zurückführen.

Das vor diesem Hintergrund der Entscheidung zu Grunde zu legende Mitverschulden des Erblassers wird auch nicht dadurch verdrängt, dass der Beklagte zu 1) vor dem Antritt der Fahrt nicht dafür sorgte, dass der Erblasser angeschnallt ist.

Das Gericht hat diesen Umstand bei seiner einzelfallbezogenen Betrachtung zur Bestimmung eines angemessenen Schmerzensgeldes berücksichtigt und auf dieser Grundlage dem Mitverschulden des Erblassers ein geringeres Gewicht beigemessen, als es festzustellen gewesen wäre, wenn der Beklagte zu 1) nicht eine ihn treffenden Obliegenheit verletzt hätte, besondere Fürsorge für den Erblasser zu zeigen.

Auch außerhalb des unmittelbaren Regelungsbereichs des § 3 IIa StVO im Zusammenhang mit der Geschwindigkeit im Straßenverkehr hat der Gesetzgeber nämlich für die in dieser Vorschrift genannten Personengruppen eine besondere Schutzbedürftigkeit im Straßenverkehr angenommen. Dieser gesetzgeberische Regelungsansatz rechtfertigt es zugleich, im Rahmen der Einzelfallbetrachtung, welches Schmerzensgeld im Allgemeinen angemessen und inwieweit dabei im Besonderen ein Mitverschulden des Geschädigten zu berücksichtigen ist, auch zu berücksichtigen, inwiefern ein Führer eines KFZ solche Personen befördert, die dem besonderen Personenkreis des § 3 IIa StVO unterstehen. Denn es kann von einem verantwortungsbewussten Fahrer, der den Grundregeln des § 1 StVO Folge zu leisten hat, erwartet werden, dass er bei Mitfahrern aus diesem Personenkreis erkennt, dass bei solchen Mitfahrern ein höheres Risiko dafür besteht, dass sie ihrer Anschnallobliegenheit nicht entsprechen (ebenso OLG Hamm, Urteil vom 21. Juni 1995, 3 U 60/95). Verletzt ein Fahrer aber diese Obliegenheit, vor Fahrtantritt zu überprüfen, ob die Mitfahrer aus diesem Personenkreis angeschnallt sind, rechtfertigt dies aber nicht zwingend, die Obliegenheitsverletzung des Mitfahrers vollständig zurücktreten zu lassen (im Ergebnis ebenso OLG Hamm, Urteil vom 21. Juni 1995, 3 U 60/95).

Unter Zugrundlegung dieser Maßstäbe hat das Gericht Obliegenheitsverletzung auf Seiten des Erblassers und des Beklagten zu 1) bei seiner Entscheidung als Bemessungsfaktoren einfließen lassen. Weitergehende Feststellungen zu einer Quotenbildung sind bei der Entscheidung über einen Anspruch auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes nicht veranlasst (vgl. etwa Spindler, in: BeckOK BGB, Stand: 01.05.2019, § 253 Rn. 64; Huber, in: Nomos-​Kommentar zum BGB, 3. Auflage 2016, § 253 Rn. 32 ff.; Grüneberg, in: Palandt, BGB, 76. Auflage 2017, § 253 Rn. 20).

Unabhängig von dem Alter des Erblassers und etwaigen gesundheitlichen Vorbeschwerden war weder etwas ersichtlich noch von den Klägern vorgetragen, dass der Erblasser unbeschadet seines Alters und seiner Vorbeschwerden nicht in der Lage gewesen wäre, eigenständig als Teilnehmer des Straßenverkehrs auftreten und den damit auch für ihn verbundenen Sorgfaltsanforderungen entsprechen zu können, deren Beachtung jedenfalls zu einer Reduzierung der letztlich eingetretenen Verletzungsfolgen geführt hätte. Hiermit ging einher, sich als Mitfahrer in einem PKW anzuschnallen. Demgegenüber war es für den Beklagten zu 1), dem der Erblasser persönlich bekannt war, ohne Weiteres ersichtlich, dass er der Gruppe der älteren Menschen (§ 3 IIa StVO) unterfällt und damit von dem Beklagten zu 1) vor Fahrtantritt zu erwarten war, die Einhaltung der Anschnallobliegenheit durch den Erblasser zu überprüfen. Auch in diesem Fall wären die letztlich eingetretenen Verletzungsfolgen jedenfalls reduziert worden, weil der Beklagte zu 1) bei entsprechender Kontrolle noch auf ein Anlegen des Gurtes bei dem Erblasser hätte hinwirken können.

Die Beklagte zu 2) haftet nach §§ 7 I StVG i.V.m. §§ 1922 I, 2039 S. 1 BGB i.V.m. §§ 115 I 1 Nr. 1 VVG, § 1 PflVG neben dem Beklagten zu 1) im gleichen Umfang als Gesamtschuldner.

Zinsen können die Kläger als Verzugszinsen von der Beklagten zu 2) nach §§ 288 I, 286 BGB jedenfalls ab dem 6. August 2016 verlangen. Nach den außergerichtlichen Zahlungsschreiben vom 30. September 2015 (Anlage K 8, Bl. 69 f. d.A.) und vom 14. Juni 2016 (Anlage K 10, Bl. 73 ff. d.A.) befand sich die Beklagte jedenfalls mit Ablauf der zuletzt gesetzten Zahlungsfrist zum 30. Juni 2016 in Verzug.

Zinsen von dem Beklagten zu 1) können die Kläger nur als Rechtshängigkeitszinsen nach §§ 291, 288 I BGB verlangen, somit ab dem 2. Dezember 2016. Der Zinsbeginn folgt dabei nach einer entsprechenden Anwendung des § 187 I BGB (BGH, Urteil vom 4. Juli.2017, XI ZR 562/15) dem Tag, der der Zustellung der Klageschrift und somit der Rechtshängigkeit der Klage gefolgt ist. Dies ist der 2. Dezember 2016, weil dem Beklagten zu 1) die Klageschrift am 1. Dezember 2016 zugestellt worden ist.

Verzugszinsen gegen den Beklagten zu 1) können die Kläger nicht verlangen. Sie haben nicht schlüssig dargelegt, auch den Beklagten zu 1) durch eine entsprechende Mahnung in Verzug gesetzt zu haben; ein gegenüber der Beklagten zu 2) eingetretener Schuldnerverzug wirkt nach § 425 BGB nicht gegen den Beklagten zu 1).




Mit Blick auf diese Feststellungen zu den von den Beklagten zu verlangenden Zinsen bedurfte es nicht der beantragten Tenorierung in der Hauptsache, wonach die Zahlungspflicht der Beklagten abzüglich zu bestimmten Zeitpunkten bereits geleisteter Zahlungen festgestellt wird. Denn diese Zahlungen erfolgten am 13. Oktober 2015 und am 25. Juli 2016 und somit vor dem Zeitpunkt, ab dem von dem Beklagten zu 1) Rechtshängigkeits- und von der Beklagten zu 2) Verzugszinsen verlangt werden können (2. Dezember 2016; 6. August 2016). Vor diesem Hintergrund wird durch eine gegenüber dem Klageantrag konzisere Tenorierung das Rechtsschutzbegehren der Kläger nicht verkürzt, weil ihrem Rechtsschutzbegehren nur durch eine festzustellende Verzinsung ab dem 6. August bzw. 2. Dezember 2016 zu entsprechen war. Seit diesen Zeitpunkten besteht die zu verzinsende Hauptschuld in der tenorierten Höhe von 20.000 Euro.

Einen weiteren Betrag von 1.080,28 Euro als Nebenforderung war den Klägern nicht zuzusprechen. Sie haben nicht dargelegt, auf welcher Grundlage ihnen ein solcher Betrag zustehen soll.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 I 1, 100 I, IV 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 1 und 2 ZPO.

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