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Landgericht Frankfurt (Oder) Urteil vom 11.10.2019 - 12 O 106/19 - Zur Tierhalterhaftung für Herdenschutzhunde

LG Frankfurt (Oder) v. 11.10.2019: Zur Tierhalterhaftung für Herdenschutzhunde




Das Landgericht Frankfurt (Oder) (Urteil vom 11.10.2019 - 12 O 106/19) hat entschieden:

   Sowohl den Tierhalter wie den Tieraufseher trifft bei einem Verkehrsunfall zwischen einem Schaf und einem Kfz. eine überwiegende Haftung - hier 80% -, wenn ihnen ein Auswahlverschulden bei der Anschaffung von ungeeigneten Herdenhunden zu Last fällt.

Siehe auch
Tierhalterhaftung - Tiergefahr - Haftungsabwägung gegenüber der Betriebsgefahr von Fahrzeugen
und
Betriebsgefahr - verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung


Tatbestand:


Der Lebensgefährte der Klägerin, der Zeuge B..., befuhr am 18.09.2018 gegen 06:00 Uhr mit dem am 09.05.2008 erstmals zugelassenen Pkw der Klägerin BMW 118i Kombi, amtliches Kennzeichen L... die Straße von F... in Richtung G.... Hierbei kollidierte dieser von der Klägerin gehaltene Pkw mit einem von zwei Herdenschutzhunden des Beklagten zu 1., als die Hunde die Straße überquerten. Die Beklagte zu 2. ist bei dem Beklagten zu 1. angestellt. Zu ihren Aufgaben gehören u.a. das Füttern von Schafen und Hunden, das Setzen der Einfriedungen der Schafherden, das Kontrollieren der Einfriedungen und das Überprüfen der Elektronetze.

Mit unter dem 18.09.2018 beauftragten Gutachten der DEKRA vom 20.09.2018 wurden die verkehrsunfallbedingten Schäden am klägerischen Pkw mit 4.209,72 € brutto bewertet. Wegen der weiteren Einzelheiten dieses Gutachtens wird im Übrigen auf die Anlage K1 Bezug genommen. Die Klägerin ließ im Folgenden das Fahrzeug durch die Firma A... GmbH für 4.352,20 € brutto reparieren (insoweit wird auf die Anlage K2, Rechnung undatiert, verwiesen). Die Haftpflichtversicherung der Beklagtenseite zahlte die Gutachterkosten in Höhe von 503,23 €, ohne hiervon die Klägerseite in Kenntnis zu setzen. Mit Schreiben vom 02.10.2018 bestätigte die Firma A... GmbH, dass das klägerische Fahrzeug sich seit dem 18.09.2018 in der dortigen Werkstatt befunden habe, die Reparatur indes wegen Lieferrückstandes der Motorhaube und des rechten Kotflügels erst am 26.10.2018 hätte begonnen werden können. Fertigstellung sei am 02.10.2018 gewesen. Mit vorprozessualem anwaltlichen Schriftsatz forderte die Klägerin die Beklagten zur Zahlung von 5.614,27 € unter Fristsetzung bis zum 02.01.2019 auf. Unter dem 02.04.2019 unterzeichneten die Klägerin und der Zeuge B... eine Abtretungsvereinbarung überschriebene Urkunde, mit der der Zeuge seine geltend gemachte Forderung gegen die Beklagten auf Verdienstausfall in Höhe von 58,84 € aufgrund des streitgegenständlichen Unfalls an die Beklagte abtrat. Wegen des genauen Wortlauts dieser Urkunde wird auf Anlage K9 im Übrigen Bezug genommen. Unter den 02.04./15.04.2019 unterzeichneten die Klägerin sowie der Geschäftsführer der A... GmbH eine Prozessführungsvereinbarung überschriebene Urkunde. In dieser einigten sich die beiden darauf, dass die Klägerin im eigenen Namen im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft gegenüber "Ronald Rocher und dessen Ehefrau Anke Rocher" die Forderung der A... GmbH gegen die Klägerin aus Reparatur des streitgegenständlichen Pkw in Höhe von 4.352,20 € geltend machen könne.




Die Klägerin macht mit der Klage Reparaturkosten in Höhe von 4.352,20 €, pauschale Unkosten in Höhe von 25,00 €, Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 675,00 € und Verdienstausfall in Höhe von 58,84 € geltend zuzüglich des Ersatzes vorprozessualer Rechtsverfolgungskosten.




Die Klägerin behauptet, die Hunde hätten den Weidezaun übersprungen, sie hätten miteinander gerauft und seien zum Hüten der Schafherde nicht geeignet.

Sie beantragt,

   die Beklagten zu verurteilen, für die Klägerin - an die Fa, A... GmbH 4,352,20 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 03.01.2019, an die R+V Allgemeine Versicherung AG vorgerichtliche Kosten der anwaltlichen Vertretung in Höhe von 654,98 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 03.01.2019 sowie an die Klägerin 758,84 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 03.01.2019 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

   die Klage abzuweisen.

Sie bestreiten, der Zeuge sei lediglich mit 50 bis 60 km/h gefahren. Sie meinen, sie könnten sich jedenfalls exkulpieren. Jedenfalls müsse sich die Klägerseite die Betriebsgefahr ihres Pkw´s anrechnen lassen. Allenfalls stehe der Klägerin Nutzungsausfallentschädigung für sechs Tage zu. Sie meinen, als Tagessatz seien hierfür 38,00 € brutto anzurechnen.

Das Gericht hat zum Unfallhergang Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen D... und B.... Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Wegen des weiteren Vortrages der Parteien wird auf den Inhalt deren wechselseitig zur Akte gereichten Schriftsätzen nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll im Übrigen Bezug genommen.





Entscheidungsgründe:


Die Klage ist zulässig, insbesondere ist die Klägerin prozessführungsbefugt. Sowohl hinsichtlich der Reparaturkosten als auch der vorprozessualen Rechtsverfolgungskosten behauptet sie eigene Ansprüche als Gläubigerin eines Schadensersatzanspruches aus Tierhaftung gegenüber den Beklagten. Auf die Frage einer gewillkürten Prozessstandschaft kommt es insoweit nicht an.

Die Klage ist nur im austenorierten Umfang begründet. Insoweit steht der Klägerin gegen die Beklagten als Gesamtschuldner ein Anspruch auf Schadensersatz gemäß §§ 833, 834, 840 BGB als Gesamtschuldner zu. Der Beklagte zu 1. ist gemäß § 833 BGB Halter des den Unfall verursachenden Hundes. Nach den unwidersprochen gebliebenen Einlassungen der Beklagten zu 2. hat der Beklagte zu 1. die Bestimmungsmacht über das Tier. Er kommt aus eigenem Interesse für dessen Kosten auf und nimmt dessen allgemeinen Wert und Nutzen für sich in Anspruch. Außerdem ist er nach der Einlassung der Beklagten zu 2. Auch Eigentümer des Tieres. Die Beklagte zu 2. selbst ist Tieraufseherin im Sinne des § 834 BGB. Nach ihrer eigenen Einlassung übernimmt auch sie die Aufsicht über die Herdenschutzhunde, die sie neben dem Beklagten zu 1. selbstständig ausübt.

Zwar stellen die Herdenschutzhunde Haustiere im Sinne des § 833 BGB dar, die zur Erwerbstätigkeit des Beklagten zu 1. bestimmt sind. Gleichwohl können weder der Beklagte zu 1. noch die Beklagte zu 2. sich gemäß §§ 833, 834 BGB mit Erfolg exkulpieren. Denn sie haben bei der Beaufsichtigung des Tieres die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht beobachtet. Zur Beaufsichtigung gehört bereits die Auswahl geeigneter Tiere (Palandt BGB Kommentar 78. Auflage § 833 Rn. 18, § 834 Rn. 1). Die Beklagte zu 2. hat sich seitens des Beklagten zu 1. unwidersprochen in der mündlichen Verhandlung dahingehend eingelassen, die Hunde hätten sich entgegen deren typischen Schutzinstinktes verhalten, indem sie über die Straße gelaufen seien.

Hunde aber, die einem solchen Instinkt nicht besitzen oder aber diesem nicht folgen, sind als Herdenschutzhunde nicht geeignet. Soweit die Beklagte zu 2. weiter ausgeführt hat, es könne sein, dass die Hunde aufgrund der Lichtverhältnisse und des herannahenden Autos diesen Weg eingeschlagen hätten, belässt sie es bei bloßen Vermutungen. Auch ein Beweisangebot unterlassen die diesbezüglich beweisbelasteten Beklagten insoweit. Darüber hinaus hat sich die Beklagte zu 2. ebenfalls dahingehend eingelassen, es gehöre gerade zu den typischen Eigenschaften der Herdenschutzhunde, im Falle eines genügend großen Loches in der Einfriedung den umzäunten Bereich gerade deshalb zu verlassen, um ihren Schutztrieb folgend das umliegende Gelände zu sichern. Dann aber obliegt es den Aufsichtsführenden, die des Nachts weder die Herde noch die Hunde im Auge behalten, diese so zu erziehen, dass sie trotz Öffnung der Einfriedung diese nicht verlassen oder aber zumindest nicht über Straßen laufen. Schließlich hat sich die Beklagte zu 2. dahingehend eingelassen, jedenfalls nach dem Unfall sei es durch Hinweise von Anwohnern möglich erschienen, dass der verunfallte Hund sogar über Koppeleinfriedungen hinüber springe. Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang sie oder der Beklagte zu 1. bereits vor dem Unfall die Hunde auf diesbezügliche Zuverlässigkeit angeleitet und überprüft haben, ist konkret ebenfalls weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.


Umstände, die gemäß § 254 BGB ein Mitverschulden der Klägerseite rechtfertigten, sind seitens der Beklagten nicht vorgetragen. Sie belassen es insoweit bei dem pauschalen Bestreiten, der klägerseits behaupteten Geschwindigkeit des Pkw´s von 50 bis 60 km/h. Dass tatsächlich eine Geschwindigkeitsüberschreitung vorgelegen habe, ergibt sich aus dem Vortrag der Beklagten dagegen nicht. Auch die Bekundungen der beiden Zeugen bleiben insoweit unergiebig. Dagegen muss sich die Klägerseite die ihrem Pkw innewohnende Betriebsgefahr anrechnen lassen (vgl. Palandt a.a.O. § 833 Rn. 13 m.w.N.). Vor dem Hintergrund des frühmorgendlichen Führens des Pkw´s in ländlichem Bereich bemisst das Gericht diese Gefahr auf einen Mitverursachungsbeitrag von 20 %. Dem Grunde nach haften die Beklagten der Klägerseite danach auf Ersatz von 80 % des Gesamtschadens.

Der Höhe nach bemisst sich der Gesamtschaden zunächst auf 4.352,20 € Reparaturkosten. Diese sind durch Rechnung der Werkstatt belegt. Diese Summe hält sich in etwa im Rahmen des gutachterlich geschätzten Betrages. Soweit die Beklagtenseite rügt, dass dabei geltend gemachte Auslesen des Fehlerspeichers erfordere nicht einen abgerechneten Aufwand von 33,75 €, sondern allenfalls von 20,25 €, ist dies unerheblich. Gemäß § 249 BGB ist das zu erstatten, was ein wirtschaftlich vernünftig denkender Mensch zur Schadensbehebung aufwenden würde. Bei einem mehrere Tausend Euro umfassenden Reparaturaufwand besteht danach kein Anlass zu einer Reduzierung um nicht einmal 20,00 €. Die geltend gemachte Unkostenpauschale von 25,00 € ist angemessen. Sie hält sich insbesondere im gerichtlich anerkannten Rahmen.

Dagegen ist die geltend gemachte Nutzungsausfallentschädigung von 675,00 € zu reduzieren auf 418,00 €. Dies entspricht einer angemessenen Reparaturdauer von 11 Tagen á 38,00 €. Drei Tage dauerte es bereits vom Unfalltage bis zur Fertigstellung des Gutachtens. Durch Vorlage des Schreibens der Werkstatt bezüglich der Aufnahme der Reparaturarbeiten erst am 26.09.2018 wegen Lieferschwierigkeiten bei Motorhaube und Kotflügel hat die Klägerseite sehr substantiiert zur erforderlichen Reparaturdauer bis zum Freitag, dem 28.09.2018, vorgetragen. Diesem Schreiben der Werkstatt ist die Beklagtenseite nicht konkret entgegengetreten. Aus welchen Gründen die dortigen Angaben unzutreffend seien könnten, insbesondere gegebenenfalls eine Gefälligkeitsauskunft darstellten, wird nicht dargetan. Soweit in diesem Schreiben vom Beginn der Arbeiten unter dem 26.10.2018 die Rede ist, liegt ein offensichtlicher Schreibfehler vor. Denn sogleich im Folgesatz ist von der Fertigstellung am 02.10.2018 die Rede. Das Schreiben selbst weist ebenfalls dieses Datum auf. Unter Berücksichtigung des durch Gutachten nachvollziehbar geschätzten üblichen Reparaturzeitaufwandes von drei Werktagen war die Reparatur bis einschließlich Freitag, dem 28.10.2018, durchzuführen. Weshalb es gleichwohl bis zum 02.10.2018 gedauert hat, ergibt sich aus dem klägerischen Vortrag nicht. Die Nutzungsausfallentschädigung bemisst sich nach richterlicher Schätzung gem § 287 ZPO der Höhe nach auf 38,00 € pro Tag (vgl. Schwackeliste), da der streitgegenständliche BMW 118i Kombi zum Zeitpunkt des Unfalls bereits mehr als 10 Jahre zugelassen war.



Dagegen bleibt die Klage erfolglos, soweit aus abgetretenem Recht Verdienstausfallschaden geltend gemacht wird. Der Zeuge B... selbst hat ausgesagt, er selbst habe den verunfallten Wagen sogleich in die Werkstatt gefahren, von wo er sich von der Klägerin habe gegen 10:00 Uhr nach Hause fahren lassen. Danach wäre es der Klägerin selbst im Rahmen ihrer Schadensminderungspflicht (§ 254 Abs. 2 BGB) zumutbar gewesen, den Zeugen sogleich von der Unfallstelle oder aber zumindest von der Werkstatt zur Arbeit zu fahren.

Unter Berücksichtigung der 80 %igen Haftungsquote ergibt sich danach ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 3.836,16 €. Soweit die Klägerin die Reparaturrechnung selbst noch nicht beglichen hat, steht ihr dieser Betrag gleichwohl zu. Sie ist gemäß § 250 Satz 2 BGB deshalb nicht auf einen Freistellungsanspruch zu verweisen, weil die Beklagtenseite - wie sie mit dem Klageabweisungsantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung deutlich gemacht hat - Erfüllung ernsthaft und endgültig verweigert. Der Freistellungsanspruch ist damit ohne, dass es auf eine Fristsetzung ankäme, in einen Zahlungsanspruch übergegangen.

Die vorprozessualen Rechtsverfolgungskosten sind ebenfalls unter Berücksichtigung der 80 %igen Haftungsquote erstattbar. Zu einem Gegenstandswert von bis zu 5.000,00 € (80 % der Summe aus Reparaturkosten, Gutachterkosten, Unkostenpauschale und Nutzungsausfallentschädigung) ergibt sich zunächst eine Gesamtforderung von 492,54 € (303,00 € x 1,3 = 393,90 €; zuzüglich 20,00 € Telekommunikationspauschale und 19 % Mehrwertsteuer). Dies ergibt unter Berücksichtigung der Haftungsquote von 80 % einen Betrag von 394,03 €.

Der geltend gemachte Zinsanspruch beruht auf §§ 280 Abs. 1, 2, 286, 288 Abs. 1 BGB.

Nach alledem kommt die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung auf die Schriftsätze der Parteien vom 10. und 12.09.2019 nicht in Betracht.

Die prozessualen Nebenentscheidungen ergehen gem. §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.

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