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Oberlandesgericht Nürnberg Urteil vom 28.04.2021 - 12 U 3275/19 - Kein Wegfall des Anspruchs des Käufers eines vom sog. Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs durch zwischenzeitliche Weiterveräußerung

OLG Nürnberg v. 28.04.2021: Kein Wegfall des Anspruchs des Käufers eines vom sog. Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs durch zwischenzeitliche Weiterveräußerung




Das Oberlandesgericht Nürnberg (Urteil vom 28.04.2021 - 12 U 3275/19) hat entschieden:

   Der Anspruch auf Schadensersatz wegen sittenwidrig vorsätzlicher Schädigung nach §§ 826, 31 BGB eines Käufers eines Fahrzeugs, das eine fehlerhafte Motorsteuerung aufwies, entfällt nicht durch dessen zwischenzeitlichen Weiterverkauf.

Siehe auch
Autokauf - Abgasskandal - Sittenwidrigkeit
und
Rechtsprechung zum Themenkomplex „Schummelsoftware“ - Diesel-Abgasskandal

Gründe:


Die Klagepartei begehrt von der Beklagten als Fahrzeugherstellerin zuletzt Schadensersatz aus einem Kaufvertrag über einen Pkw.

Bei den von der Beklagten hergestellten Dieselmotoren (EA 189) wurde ab Anfang 2008 ein elektronisches Programm zur Steuerung der Abgase verwendet. Diese Software erkannte Messungen auf dem Prüfstand. In solchen Fällen (Modus 1) wurden höhere Mengen an Abgas dem Motor zugeführt, um den Ausstoß von Stickoxiden zu verringern. Diese erhöhte Rückführung von Abgasen unterblieb beim Betrieb des Fahrzeugs auf öffentlichen Straßen (Modus 0).

Ein Motor mit dieser Software war in den vom Kläger am 23.03.2009 bei der Autohaus R. KG gekauften und dann von der Beklagten hergestellten Pkw VW Tiguan 2.0 TDI, FIN: ...21, eingebaut worden. Dieses Fahrzeug wurde gegen Zahlung von 33.540,00 € brutto im Juni 2009 an den Kläger übergeben und auf ihn zugelassen.

Mit Bescheid vom 14.10.2015 verpflichtete das Kraftfahrtbundesamt die Beklagte, die auch im Fahrzeug des Klägers befindliche als unzulässige Abschalteinrichtung gewertete Software zu entfernen.

Der Kläger forderte mit Schreiben seines Anwalts vom 07.11.2018 von der Beklagten, die für das Fahrzeug gezahlte Summe gegen dessen Übergabe bis zum 20.11.2018 zu erstatten. Das lehnte die Beklagte mit ihrer Antwort vom 21.11.2018 unter Hinweis auf ein zwischenzeitlich am Fahrzeug durchgeführtes und vom Kraftfahrtbundesamt als geeignet zum Herstellen der Vorschriftsmäßigkeit der betroffenen Fahrzeuge eingestuftes Software-Update ab.

Die Klagepartei beruft sich auf betrügerische Täuschung und sittenwidrige Schädigung durch die Beklagte. Deren verantwortlichen Personen sei bekannt gewesen, dass entgegen gesetzlichen Vorschriften das auf dem Prüfstand erhöhte Verringern von Abgasen beim Betrieb der Fahrzeuge auf öffentlichen Straßen abgeschaltet gewesen sei. Diese unzulässige Maßnahme habe einen Mangel am Fahrzeug bewirkt sowie dessen Wert gemindert.




Erstinstanzlich hat die Klagepartei mit am 23.01.2019 zugestellter Klageschrift beantragt,

  1.  Die Beklagte wird verurteilt, Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs VW Tiguan mit der Fahrgestellnummer ... an den Kläger 33.540,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 22.11.2018 [nach Klageerweiterung: seit 23.03.2009] zu zahlen.

  2.  Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 22.11.2018 mit der Rücknahme des im Klageantrag Ziffer 1 bezeichneten Fahrzeugs im Annahmeverzug befindet.

  3.  Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten seines Rechtsanwalts H. in Höhe von 2.033,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit freizustellen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

   die Klage abzuweisen.

Die Beklagte meint, die Steuerung der auf dem Prüfstand erfolgenden sowie im Normalbetrieb unterbleibenden Rückführung von Abgasen in den Motor habe keine gesetzlichen Regelungen verletzt. Daher liege auch kein Mangel vor. Zudem sei allgemein bekannt, dass die nach normierten Vorgaben (NEFZ) auf dem Prüfstand gemessenen Werte von den bei Fahrten auf Straßen ausgestoßenen Abgasen abweichen würden. Das vorsorglich entwickelte und kostenlos angebotene Update sei für den betroffenen Motor unschädlich. Dem Kläger sei kein Schaden entstanden. Typgenehmigung und Zulassung seien weiter gültig. Der Wert des Fahrzeugs habe sich nicht gemindert. Die Beklagte bestreitet auch, dass Mitgliedern ihres Vorstandes der Einsatz einer den Ausstoß an Stickoxiden nur auf dem Prüfstand verringernden Software bekannt gewesen sei.

Hinsichtlich der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat mit dem angefochtenen Ersturteil wie folgt erkannt:

  1.  Die Beklagte hat an den Kläger zu zahlen 7.236,19 € nebst hieraus Zinsen zu 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 24.01.2019 sowie weitere 4% Zinsen aus 33.540,00 € vom 23.03.2009 bis zum 23.01.2019 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Pkw VW Tiguan 2.0 TDI (FIN: ...).

  2.  Daneben hat die Beklagte den Kläger in Höhe weiterer 1.698,13 € (vorgerichtliche Kosten seines Anwalts) freizustellen.

  3.  Festgestellt wird, dass die Beklagte mit der Annahme des in Ziffer 1 genannten Fahrzeugs seit 21.11.2018 in Verzug ist.

  4.  Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Auf die weiteren tatsächlichen Feststellungen dieser Entscheidung wird Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Gegen dieses den Parteien am 02.08.2019 zugestellte Urteil hat die Klagepartei am 27.08.2018, die Beklagte am 28.08.2019 Berufung eingelegt. Die Begründung der Berufung erfolgte am 02.10.2019 durch die Klagepartei und nach Fristverlängerung bis 04.11.2019 durch die Beklagtenpartei am 04.11.2019.

Im Kern wendet sich die Klagepartei gegen die aus ihrer Sicht zu unterlassende Anrechnung von Nutzungsvorteilen, hilfsweise sei bei Berechnung dieser Nutzungsvorteile von einer Gesamtlaufleistung von mindestens 300.000 km (und nicht nur 250.000 km) auszugehen.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung des Oberlandesgerichts Nürnberg am 07.04.2021 hat die Klagepartei unbestritten vorgetragen, der Kilometerstand des streitgegenständlichen Fahrzeugs habe zum 20.02.2020 203.632 km betragen. Ferner einigten sich die Parteien, dass die Klagepartei das streitgegenständliche Fahrzeug vom Zeitpunkt des Erwerbs an bis heute gleichmäßig genutzt hat und dass die vom Landgericht festgestellten Kilometerstände des klägerischen Fahrzeugs zutreffen und sowohl der Berechnung der vorgerichtlichen Anwaltskosten als auch der Zinsberechnung zugrunde gelegt werden.

Weiter erklärte die Klagepartei in der letzten mündlichen Verhandlung, sie habe dieses Fahrzeug zum 20.02.2020 zu einem Verkaufspreis von 5.120,00 € weiter veräußert.

Die Klagepartei stellt daher im Berufungsrechtszug zuletzt - der ursprünglich auf Zahlung von 26.303,81 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit 23.03.2009 zu einem Betrag von 33.540,00 Euro Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs sowie auf Freistellung von weiteren Rechtsanwaltskosten von 334,87 € nebst Prozesszinsen gerichtete Antrag wurde nicht mehr gestellt - folgenden Antrag:

   Unter Abänderung des am 29.07.2019 verkündeten Urteils des Landgerichts Nürnberg-Fürth, Aktenzeichen 9 O 8796/18, wird die Beklagte verurteilt, weitere 21.183,81 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 24.01.2019 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

   die klägerische Berufung zurückzuweisen.

Mit ihrer Berufung beantragt sie,

   das angefochtene Urteil im Umfang der Beschwer der Beklagten abzuändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen.

Ein nachteiliger Vertrag liege nicht vor, jedenfalls nicht mehr nach Durchführung des Software-Updates. Hilfsweise wird vorgebracht, der Nutzungsersatz sei zu niedrig angesetzt worden. Die Klagepartei habe den von ihr zu führenden Beweis eines Kausalzusammenhangs zwischen dem Verschweigen der Umschaltlogik und der Kaufentscheidung der Klagepartei nicht geführt. Ein Anspruch auf Deliktszinsen bestehe nicht, der Annahmeverzug sei zu Unrecht bejaht worden, ebenso der Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten Die Klagepartei beantragt die Zurückweisung dieser Berufung.

Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Parteien in beiden Rechtszügen wird auf die gewechselten Schriftsätze und die gerichtlichen Sitzungsprotokolle verwiesen.




II.

Die zulässige Berufung der Klagepartei ist unbegründet, die zulässige Berufung der Beklagten ist weitgehend begründet.

1. Die Beklagte ist hinsichtlich der erhobenen Klage passivlegitimiert.

Sie ist die Herstellerin des im streitgegenständlichen Fahrzeug, einem VW Tiguan, verbauten Motors. Nach ihrer Intention sollte dieses Fahrzeug einschließlich des bezeichneten Motors im Vertriebsweg den Endkunden erreichen.

2. Die Klagepartei hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 826 BGB (vorsätzliche sittenwidrige Schädigung).

Hierbei kann sie Erstattung des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises verlangen, muss sich aber den gezogenen Nutzungsvorteil sowie den Erlös aus dem Weiterverkaufs des Fahrzeugs anrechnen lassen.

a) Der Senat folgt der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19).

Danach steht es wertungsmäßig einer unmittelbaren arglistigen Täuschung des Fahrzeugkäufers gleich, wenn ein Fahrzeughersteller - wie hier - im Rahmen einer von ihm bei der Motorenentwicklung getroffenen strategischen Entscheidung die Typgenehmigungen der Fahrzeuge durch arglistige Täuschung des Kraftfahrtbundesamts erschleicht und die derart bemakelten Fahrzeuge alsdann in Verkehr bringt und dadurch die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer gezielt ausnutzt.


Im vorliegenden Fall bestehen zudem hinreichende Anhaltspunkte für die Kenntnis zumindest eines vormaligen Mitglieds des Vorstands von einer so getroffenen strategischen Entscheidung. Deshalb trägt die Beklagte als Herstellerin des Motors die sekundäre Darlegungslast für die Behauptung, eine solche Kenntnis habe nicht vorgelegen.

Dieser Darlegungslast ist die Beklagte nicht nachgekommen.

b) Der der Klagepartei kausal entstandene Schaden liegt im Abschluss eines Kaufvertrags über ein infolge der erschlichenen Typgenehmigung bemakeltes Fahrzeug, den sie bei Kenntnis der Fakten nicht geschlossen hätte. Denn bei einem Kaufvertrag über einen Pkw ist nach allgemeiner Lebenserfahrung davon auszugehen, dass ein Käufer kein Fahrzeug erwerben würde, dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht und bei dem zum Zeitpunkt des Erwerbs nicht absehbar ist, ob dieses Problem behoben werden kann.

c) Zur Rückgängigmachung der Folgen des Abschlusses des Kaufvertrags hat die Beklagte an die Klagepartei grundsätzlich eine Zahlung in Höhe des von dieser geleisteten Kaufpreises zu erbringen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch die Klagepartei.

3. Der Umstand, dass das streitgegenständliche Fahrzeug zwischenzeitlich veräußert wurde, lässt die Schadensersatzpflicht nicht entfallen. Die Klagepartei hat sich aber den Verkaufserlös anrechnen zu lassen.

a) Die Frage der Auswirkung der Weiterveräußerung des Fahrzeugs, dessen Erwerb Folge der sittenwidrigen Schädigung ist, ist höchstgerichtlich noch nicht geklärt.

b) Der Senat schließt sich insoweit den Oberlandesgerichten Stuttgart (Urteil vom 29. September 2020 - 12 U 449/19 -, Rn. 33, juris), Koblenz (Urteil vom 26. Januar 2021 - 3 U 1283/20 -, Rn. 25, juris), Frankfurt (Urteil vom 18. Dezember 2020 - 13 U 326/19 -, Rn. 23, juris; Urteil vom 17. Februar 2021 - 17 U 210/19 -, Rn. 28, juris) und Oldenburg (Urteil vom 21. Februar 2020 - 6 U 286/19 -, Rn. 61, juris) an, welche ein Entfallen des Schadenersatzanspruchs allein durch Weiterveräußerung des Fahrzeugs verneinen.

aa) Der Schaden besteht im Eingehen einer ungewollten Verpflichtung, in einem als unvernünftig anzusehenden Vertragsschluss. Der Geschädigte hat durch den ungewollten Vertragsschluss über das Fahrzeug VW Tiguan mit einem Motor EA 189 eine Leistung erhalten, die für seine Zwecke nicht voll brauchbar war (BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn. 48ff, beck-online). Dies begründet einen Schadensersatzanspruch, der darauf gerichtet ist, so gestellt zu werden, als ob der Geschädigte den Vertrag nicht abgeschlossen hätte (BGH ebenda Rn 55).

bb) Dieser Schaden entfällt nicht durch einen Weiterverkauf des Fahrzeugs.




Der Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB ist mit Vertragsschluss entstanden und richtet sich nach dem negativen Interesse. Der Kläger ist so zu stellen, wie er ohne das haftungsbegründende Ereignis stünde. Nach einer Weiterveräußerung, die in einem Zeitpunkt stattfand, als dem Kläger der Schadensersatz bereits zustand, ist eine Rückabwicklung gegen Anrechnung des Vorteilsausgleichs zwar nicht mehr möglich. Der Kläger hat jedoch durch seine Eigeninitiative den Schaden aus seiner Sicht gemindert, indem er nicht abwartete, sondern das Fahrzeug veräußerte. Seine Belastung, die er mit dem bemakeltem Fahrzeug zu tragen hatte, hat er zeitlich begrenzt. Mit dieser Schadensminderung hat der Kläger seine bereits zuvor erworbenen Schadensersatzansprüche grundsätzlich nicht gänzlich verloren. Das OLG Stuttgart argumentiert in seiner Entscheidung vom 29.09.2020, Az. 12 U 449/19, die Manipulation des Klägers, die zu dem Kaufvertrag über das Fahrzeug geführt habe, könne nicht im Nachhinein durch einen erfolgten Weiterverkauf an einen Dritten rückgängig gemacht werden. Die Weiterveräußerung führe lediglich in der Zukunft dazu, dass der Käufer das gekaufte Fahrzeug nicht mehr nutzen muss. Der Schutzbereich des § 826 BGB sei in einem solchen Fall weiterhin betroffen.

Zutreffend führt das OLG Koblenz (Urteil vom 26. Januar 2021 - 3 U 1283/20 -, Rn. 25) aus, dass sich der Fahrzeugkäufer aufgrund der Weiterveräußerung zwar einiger Folgen des ungewollten Vertragsschlusses, namentlich des Eigentums und des Besitzes am erworbenen Fahrzeug, gegen Kaufpreiserlös entledigen kann. Damit wird der ungewollte Vertragsschluss aber nicht zwingend vollständig kompensiert. Mit dem OLG Koblenz ist eine Wiederherstellung des vor dem Erwerb bestehenden Zustands durch Weiterverkauf (so aber Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 22. November 2019 - 17 U 70/19 -, Rn. 28, juris) zu verneinen. Auch lässt sich die Sachlage nicht mit derjenigen vergleichen, wenn eine zu reparierende Sache veräußert wird und damit eine Herstellung des geschuldeten Zustands im Wege der Naturalrestitution nicht mehr möglich ist (OLG Frankfurt, Urteil vom 18. Dezember 2020 - 13 U 326/19 -, Rn. 24, juris). Vorliegend bezweckt § 826 BGB den Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen (vgl. BGH Urt. v. 25.05.2020 - VI ZR 252/19, BeckRS 2020, 10555 Rn. 47, beck-online). Gerade im Hinblick auf diesen Schutzzweck ist 1auch zu beachten, dass der durch den Abschluss eines ungewollten Vertrags Geschädigte ein weiteres Mal in seiner Dispositionsfreiheit beeinträchtigt wäre, wenn er zur Vermeidung eines Entfallens des Schadens von einem möglichen Weiterverkauf des durch den ungewollten Vertrag erlangten Fahrzeugs absehen müsste (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 26. Januar 2021 - 3 U 1283/20 -, Rn. 25) oder anderenfalls unbilligerweise (so auch OLG Stuttgart, Urteil vom 29. September 2020 - 12 U 449/19 -, Rn. 33, juris; OLG Koblenz ebenda) Gefahr liefe, dass sich das ihm mit Vertragsabschluss aufgedrängte Risiko eines Mindererlöses bei Weiterverkauf verwirklicht.

cc) Den grundsätzlichen Fortbestand eines Schadensersatzanspruchs nach § 826 BGB hat der BGH im Fall eines Schadensausgleichs in Form der Naturalrestitution infolge eines durch sittenwidrige Täuschung verursachten Aktienerwerbs trotz Weiterverkaufs der Aktien durch die geschädigten Anleger bejaht (vgl. BGH, Urteil vom 09. Mai 2005 - II ZR 287/02 -, Rn. 13, Rn. 18, juris).

c) Auch wenn der Schadensanspruch durch den Weiterverkauf nicht grundsätzlich entfällt, hat sich die Klagepartei aber den Erlös aus dem Weiterverkauf anrechnen zu lassen.

aa) Hierbei handelt es sich um einen mit dem schadensbegründenden Vertragsschluss in adäquatem Zusammenhang stehenden Vorteil der Klagepartei. Die Grundsätze der Vorteilsausgleichung gelten auch für einen Anspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB.

bb) Ein solcher Vorteil führt nach ständiger Rechtsprechung des BGH zu einer Schadensersatzpflicht nur Zug um Zug gegen Herausgabe des Vorteils (BGH, Urteil vom 23. Juni 2015 - XI ZR 536/14 -, Rn. 22, juris) bzw. im Fall der Gleichartigkeit der Ansprüche - wie vorliegend - zu einer Anrechnung (vgl. BGH, Urteil vom 09. Mai 2005 - II ZR 287/02 -, Rn. 13, juris).

cc) Der auf Ersatz des Kaufpreises von 33.540,00 € gerichtete Anspruch ist folglich um den unstreitig gebliebenen Weiterverkaufserlös in Höhe von 5.120,00 € zu kürzen (=28.420,00 €).

4. Die Klagepartei hat sich ferner die von ihr durch die Nutzung des Fahrzeugs gezogenen Vorteile anrechnen zu lassen.

a) Die Höhe des anzurechnenden Nutzungsvorteils hat der Senat nach folgender Formel ermittelt:

    Nutzungsvorteil = [Bruttokaufpreis x gefahrene Strecke (seit Erwerb) ] / erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt.

Dabei geht der Senat von einer zu erwartenden Gesamtlaufleistung des klägerischen Fahrzeugs von 250.000 km aus (§ 287 ZPO).

b) Die Klagepartei hat das streitgegenständliche Fahrzeug zu einem Kaufpreis von 33.540,00 € neu erworben (vgl. Anlage K1).

c) Zum Zeitpunkt des Weiterverkaufs am 20.02.2020 wies dieses Fahrzeug eine Fahrleistung von 203.632 km auf. Dies ergibt einen anzurechnenden Nutzungsvorteil von 27.319,27 €.

d) Damit reduziert sich der Anspruch der Klagepartei auf 1.100,73 €. Auf den ursprünglichen Kaufpreis von 33.540,00 € hat sich der Kläger sowohl den Vorteilsausgleich infolge der Nutzung des Fahrzeugs in Höhe von 27.319,27 € als auch infolge des Weiterverkaufs, mithin den Verkaufserlös in Höhe von 5.120,00 €, anrechnen zu lassen. Somit verbleibt ein Schadenersatzanspruch in Höhe von 1.100,73 €, der dem Kläger zugesprochen wird.

5. Ein Anspruch auf Zinsen besteht für die Zeit ab 24.01.2019.

a) Deliktszinsen gemäß § 849 BGB stehen der Klagepartei nicht zu.

Sie hat für die Hingabe ihres Geldes beim Kauf des Fahrzeugs - im Wege des Leistungsaustauschs - eine in tatsächlicher Hinsicht voll nutzbare Gegenleistung erhalten. In diesem Fall kompensiert die tatsächliche Nutzbarkeit der Gegenleistung die Nutzungsmöglichkeit des Geldes (BGH, Urteile vom 30.07.2020, VI ZR 354/19 und VI ZR 397/19).

b) Auch unter Verzugsgesichtspunkten besteht kein Zinsanspruch zu Gunsten der Klagepartei (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 86).

Der Schuldner kann nur in Verzug geraten, wenn der Gläubiger die ihm obliegende Gegenleistung ordnungsgemäß anbietet. Das war hier nicht der Fall. Die Klagepartei hat, weil sie einen Nutzungsersatz nicht in Abzug gebracht hat (vgl. Anlage K 2), die Zahlung eines deutlich höheren Betrags verlangt, als sie ihn hätte beanspruchen können.

c) Die Klagepartei kann aber gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB Prozesszinsen seit Rechtshängigkeit der Klage geltend machen.

Die Rechtshängigkeit ist mit Zustellung der Klage am 23.01.2019 eingetreten (§ 261 Abs. 1 ZPO). Deshalb sind der Klagepartei Zinsen aus der zuzuerkennenden Schadensersatzforderung in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem auf die Zustellung folgenden Tag zuzusprechen (vgl. BGH, Urteil vom 04.07.2017 - XI ZR 562/15, BGHZ 215, 172, Rn. 103).

Unter dem Gesichtspunkt einer bei Eintritt der Rechtshängigkeit noch höheren Forderung, die durch den Ausgleich für die nachfolgende Fahrzeugnutzung bis zur Veräußerung am 20.02.2020 teilweise aufgezehrt wurde, schuldet die Beklagte noch weitere Zinsen (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 397/19, Rn. 38). Diese schätzt der Senat gemäß § 287 ZPO auf 130,00 €.

6. Feststellung des Annahmeverzugs könnte die Klagepartei nur beanspruchen, wenn sie der Beklagten die Leistung so wie geschuldet - insbesondere am richtigen Ort (§ 269 BGB), im richtigen Umfang (§ 266 BGB) und in der richtigen Weise - angeboten hat. Dieses Angebot muss so vorgenommen werden, dass der Gläubiger nichts weiter zu tun braucht, als zuzugreifen und die Leistung anzunehmen (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 85; Palandt/Grüneberg, BGB, 80. Aufl., § 294 Rn. 2, 3 m.w.N.).

Ein entsprechendes Angebot wurde von der Klagepartei nicht unterbreitet; insbesondere hat sich diese keine Nutzungsentschädigung anrechnen lassen.

7. Der Klagepartei wurden Anwaltskosten für außergerichtliches Vorgehen bei Ansatz einer 1,5-Geschäftsgebühr aus einem Gegenstandswert von 33.540,00 € zugesprochen. a) Grundsätzlich können vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten beansprucht werden. Als Teil des Schadensersatzanspruchs nach § 826 BGB besteht ein materiellrechtlicher Kostenerstattungsanspruch. Die Schadensersatzpflicht der Beklagten erstreckt sich nämlich auch auf die durch die Geltendmachung und Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs verursachten Kosten, insbesondere auf Rechtsanwaltskosten.

Diese Ersatzpflicht setzt allerdings voraus, dass die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts erforderlich und zweckmäßig war (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 80. Aufl., § 249 Rn. 56, 57 m.w.N.). Bei der vorliegenden Fallgestaltung ist dies nach Ansicht des Senats gegeben.

b) Hinsichtlich der in Ansatz gebrachten Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV-RVG sieht das Gesetz einen Gebührenrahmen von 0,5 bis 2,5 vor, wobei eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Dies ist aber weder konkret dargelegt noch bei der vorliegenden Fallgestaltung - insbesondere unter Berücksichtigung der anwaltlichen Tätigkeit in einer Vielzahl gleichgelagerter Parallelverfahren - ohne weiteres anzunehmen.

c) Der von der Klagepartei angesetzte Gegenstandswert berücksichtigt ferner nicht, dass die als Schadensersatz verlangte Rückzahlung des Kaufpreises nur unter Abzug von Nutzungsentschädigung beansprucht werden kann. Gegenstandswert der vorgerichtlichen Anwaltstätigkeit ist deshalb hier nur die Forderung, die der Klagepartei zum Zeitpunkt des anwaltlichen Tätigwerdens zustand.

Entsprechend der von den Parteien dahin erzielten Einigung, insoweit den Kilometerstand zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Verhandlung (196.063 km), die sich hieraus ergebende Nutzungsentschädigung (26.303,81 €) und die bei Abzug dieser Nutzungsentschädigung errechnete Forderungshöhe (7.236,19 €) als gerechtfertigt anzusehen, hat der Senat einen Gegenstandswert von 7.236,19 € angenommen.

d) Hieraus ergibt sich folgende Berechnung:

   [folgt eine für die laufende Wiedergabe im Smartphone zu breite Abbildung, die durch Anklicken in einem neuen Tab geöffnet wird]

Die Klagepartei hat insoweit lediglich Freistellung beantragt. Dieser Anspruch ist - da keine Geldschuld - nicht zu verzinsen.

8. Die Klagepartei war der Berufung verlustig zu erklären, soweit sie ihre Berufung in der mündlichen Verhandlung durch Antragsänderung zurückgenommen hat: Der Antrag in der Hauptsache wurde um 5.120,00 € zurückgenommen, ferner die das erstinstanzliche Urteil übersteigende Zinsforderung mit Ausnahme der weiter verfolgten Zinsansprüche in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 21.183,81 € seit 24.01.2019 und zuletzt die weiteren vorgerichtlichen Anwaltskosten von 334,87 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.

9. Soweit die Klagepartei weitergehende Forderungen geltend gemacht hat, ist die Klage auf die Berufung der Beklagten abzuweisen. Die Berufung der Klagepartei, die eine Zahlung weiterer 21.183,81 € nebst Zinsen hieraus zum Gegenstand hat, ist zurückzuweisen.



III.

1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 2, § 97 Abs. 1 ZPO sowie - soweit die Klagepartei ihre Berufung zurückgenommen hat - aus § 516 Abs. 3 ZPO.

Hierbei ist auch das Teilunterliegen der Klagepartei mit deren Zinsforderungen zu berücksichtigen, auch wenn diese Zinsen sich nicht streitwerterhöhend auswirken (BGH, Urteil vom 04.06.1992 - IX ZR 149/91, Rn. 108). Die erstinstanzlich zugesprochenen Zinsen bis zur Rechtshängigkeit haben einen Wert von 13.202,81 €, die von der Klagepartei zwischenzeitlich begehrten weiteren Zinsen (Schriftsatz vom 24.04.2020) übersteigen die zugesprochenen jedenfalls um 2.144,69 €. Die rechnerisch 28.448,50 € (26.303,81 € + 2.144,69 €) betragende Berufung der Klagepartei blieb erfolglos bzw. wurde zurückgenommen. Hinsichtlich der Berufung der Beklagten mit rechnerischem Wert von 20.439,00 € (7.236,19 + 13.202,81 €) obsiegt die Klagepartei lediglich mit 1.230,73 € (1.100,73 € + 130,00 €). Das Unterliegen der Beklagten ist daher nur geringfügig und hat keine weiteren Kosten veranlasst.

2. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

3. Die Revision war zuzulassen, § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO. Die Frage der Auswirkung des Weiterverkaufs der Sache, die Gegenstand des ungewollten Vertrags ist, wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung gegensätzlich beantwortet. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts geboten; es liegen widersprüchliche Entscheidungen zu dieser Rechtsfrage vor.

4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO. Der Anteil der jeweiligen Berufung beträgt hinsichtlich des anfänglichen Streitwerts von 33.540,00 € auf Klägerseite 26.303,81 € und auf Beklagtenseite 7.236,19 €, hinsichtlich des Streitwerts von 28.420,00 € auf Klägerseite 21.183,81 € und auf Beklagtenseite 7.236,19 €. Die übrigen Anträge betreffen nur Nebenforderungen, welche unberücksichtigt bleiben.

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