Das Verkehrslexikon

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BGH Beschluss vom 24.03.2021 - 4 StR 416/20 - Beihilfe zum versuchten Mord durch Unterlassen - Garantenstellung aus Ingerenz als besonderes persönliches Merkmal

BGH v. 24.03.2021: Beihilfe zum versuchten Mord durch Unterlassen - Garantenstellung aus Ingerenz als besonderes persönliches Merkmal




Der BGH (Beschluss vom 24.03.2021 - 4 StR 416/20) hat entschieden:

  1. 
  a.  Die Garantenstellung aus Ingerenz ist ein besonderes persönliches Merkmal im Sinne von § 28 Abs. 1 StGB.

  b.  Fehlen mehrere besondere persönliche Merkmale, welche die Strafbarkeit des Täters begründen, beim Teilnehmer, so ist dessen Strafe nach § 28 Abs. 1 StGB i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB nur einmal zu mildern (insoweit nicht tragend).

  2.  Die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB gilt nur für den Täter.

--

Siehe auch
Fahrlässigkeit im Verkehrsrecht
und
Verkehrsstrafrecht


Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beihilfe zum versuchten Mord und zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von fünf Jahren keine Fahrerlaubnis zu erteilen. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

Der Angeklagte und der Mitangeklagte fuhren nach dem Besuch einer Gaststätte nachts mit ihren Fahrzeugen hintereinander auf einer außerorts gelegenen, schmalen Gemeindestraße. Beide standen unter Alkoholeinfluss und besaßen keine Fahrerlaubnis. Der Mitangeklagte fuhr mit einer den Straßenverhältnissen nicht angepassten Geschwindigkeit von mindestens 75 km/h voraus, während ihm der Angeklagte in einem Abstand von ca. 50 Meter folgte. An einer Kreuzung übersah der Mitangeklagte einen von rechts kommenden, vorfahrtsberechtigten Fahrradfahrer und erfasste ihn mit seinem Fahrzeug. Dieser erlitt durch den Zusammenstoß unter anderem einen Abriss der Hauptschlagader, was innerhalb von ein bis zwei Minuten zu seinem Tod führte. Der Mitangeklagte hatte das Risiko eines solchen Unfalls erkannt, aber darauf vertraut, dass es sich nicht realisieren werde.

Der Angeklagte passierte die Unfallstelle etwa zwei Sekunden nach der Kollision und erkannte, dass der Mitangeklagte einen Fahrradfahrer erfasst hatte und dieser schwer verletzt sein musste. Dennoch setzte er die Fahrt fort, weil es ihm besser erschien, die Unfallstelle wegen seiner fehlenden Fahrerlaubnis und des Fahrens unter Alkoholeinfluss schnellstmöglich zu verlassen.

Der Mitangeklagte hielt sein Fahrzeug an, stieg aus und begab sich zur Unfallstelle. Dort sah er das Unfallopfer regungslos am Straßenrand liegen. Er hielt es für möglich, dass es noch lebte und gerettet werden konnte. Gleichwohl entschloss er sich, keine Rettungsmaßnahmen einzuleiten und zu flüchten. Zwar ging er davon aus, dass vom Unfallopfer keine Entdeckungsgefahr drohte; er befürchtete aber, beim Veranlassen von Rettungsmaßnahmen wegen fahrlässiger Körperverletzung, Fahrens ohne Fahrerlaubnis und Fahrens unter Alkoholeinfluss strafrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden. Ein Versterben des Unfallopfers infolge unterlassener Rettungsmaßnahmen nahm er billigend in Kauf. Dem Mitangeklagten gelang es jedoch nicht, mit seinem Fahrzeug wegzufahren. Deswegen rief er den Angeklagten an, der in der Zwischenzeit bei der Wohnung des Mitangeklagten angekommen war, und bat ihn, mit einem Abschleppseil zur Unfallstelle zurückzukehren.

Der Angeklagte kam dem nach. Ihm war klar, dass der Mitangeklagte keine Rettungsmaßnahmen einleiten wollte. Er beabsichtigte einerseits, dem Mitangeklagten zu helfen, die Spuren des Unfalls zu beseitigen und das Unfallopfer ohne Hilfe zurückzulassen, um den Mitangeklagten vor einer strafrechtlichen Verfolgung zu schützen. Andererseits hatte er ein eigenes Interesse an der Verdeckung des Unfalls, weil er Sorge hatte, dass der Mitangeklagte bei einer polizeilichen Vernehmung seine Anwesenheit beim Unfall verraten würde und er dann auch selbst mit einer strafrechtlichen Verfolgung und einem Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung zu rechnen hätte. Er schleppte das Fahrzeug des Mitangeklagten ab und brachte ihn nach Hause. Das Unfallopfer ließen sie an der Kreuzung zurück. Dabei ging der Angeklagte ebenfalls davon aus, dass das Unfallopfer möglicherweise noch lebte und gerettet werden konnte, nahm aber dessen Versterben durch das Unterlassen von Rettungsmaßnahmen billigend in Kauf.

II.

1. Während der Schuldspruch keinen rechtlichen Bedenken begegnet, hält der Strafausspruch einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand, soweit das Landgericht den Angeklagten wegen Beihilfe zum versuchten (Verdeckungs-)Mord durch Unterlassen in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis und Beihilfe zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort verurteilt hat. Das Landgericht hat nicht bedacht, dass neben der vorgenommenen doppelten Milderung des Strafrahmens des § 211 StGB gemäß § 27 Abs. 2 StGB und § 23 Abs. 2 StGB eine weitere Strafrahmenverschiebung nach § 28 Abs. 1 StGB i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB in Betracht kommt. Es hat daher der Bemessung der Strafe nicht ausschließbar einen zu weiten Strafrahmen zugrunde gelegt.

a) Eine Milderung nach § 28 Abs. 1 StGB ist zu gewähren, wenn besondere persönliche Merkmale (§ 14 Abs. 1 StGB) beim Teilnehmer fehlen, welche die Strafbarkeit des Täters begründen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird zwischen täterbezogenen persönlichen Merkmalen, die als besondere persönliche Merkmale im Sinne des § 28 Abs. 1 StGB behandelt werden, und tatbezogenen persönlichen Merkmalen, auf welche die Vorschrift keine Anwendung findet, unterschieden (vgl. BGH, Urteile vom 29. September 1993 – 2 StR 336/93, BGHSt 39, 326, 327 f.; vom 25. Januar 1995 – 5 StR 491/94, BGHSt 41, 1 f. mwN; und vom 23. Oktober 2018 – 1 StR 454/17, BGHSt 63, 282 ff.).

Die Abgrenzung hängt davon ab, ob das betreffende Merkmal im Schwergewicht die Tat oder die Persönlichkeit des Täters kennzeichnet (st. Rspr.; BGH, Urteile vom 29. September 1993 – 2 StR 336/93, BGHSt 39, 326, 328; vom 25. Januar 1995 – 5 StR 491/94, BGHSt 41, 1 f. mwN; und vom 23. Oktober 2018 – 1 StR 454/17, BGHSt 63, 282 ff.; Beschluss vom 22. Januar 2013 – 1 StR 234/12, BGHSt 58, 115, 117 f.). Umstände, die eine besondere Gefährlichkeit des Täterverhaltens anzeigen oder die Ausführungsart des Delikts beschreiben, sind in der Regel tatbezogen (vgl. BGH, Urteile vom 25. Januar 1995 – 5 StR 491/94, BGHSt 41, 1, 2 mwN; und vom 23. Oktober 2018 – 1 StR 454/17, BGHSt 63, 282 ff.). Im Bereich der durch Pflichten gekennzeichneten Merkmale ist für die Abgrenzung letztlich maßgeblich, welche Art von Pflicht das Merkmal umschreibt. Handelt es sich um eine vorstrafrechtliche Sonderpflicht, wird eher die Persönlichkeit des Täters gekennzeichnet, ist das Merkmal täterbezogen. Handelt es sich dagegen um ein strafrechtliches, an jedermann gerichtetes Gebot, wird eher die Tat gekennzeichnet, ist das Merkmal tatbezogen (vgl. BGH, Urteile vom 25. Januar 1995 – 5 StR 491/94, BGHSt 41, 1, 4 f. mwN; und vom 23. Oktober 2018 – 1 StR 454/17, BGHSt 63, 282 ff.; Beschluss vom 22. Januar 2013 – 1 StR 234/12, BGHSt 58, 115, 117 f.).

b) Das Landgericht hat eine Verdeckungsabsicht des Angeklagten, bei der es sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs um ein besonderes persönliches Merkmal im Sinne von § 28 Abs. 1 StGB handelt (vgl. BGH, Urteile vom 15. Juli 1969 – 5 StR 704/68, BGHSt 23, 39, 40; vom 8. November 1983 – 5 StR 517/83, StV 1984, 69; Beschluss vom 17. Januar 2002 – 4 StR 482/01, NStZ-RR 2002, 139, 140), nicht tragfähig belegt. Bereits aus diesem Grund ist nicht auszuschließen, dass es den Strafrahmen des § 211 StGB (zusätzlich) nach § 28 Abs. 1 StGB i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB hätte mildern müssen.

aa) Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und die vom Tatrichter gezogenen Schlussfolgerungen nicht nur eine Vermutung darstellen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. Januar 2018 – 2 StR 238/17, NStZ-RR 2018, 119; vom 6. April 1990 – 2 StR 627/89, BGHR § 261 StPO Identifizierung 6; vom 8. November 1996 – 2 StR 534/96, BGHR § 261 StPO Überzeugungsbildung 26; jeweils mwN).

bb) Dem wird die Beweiswürdigung zur Verdeckungsabsicht des Angeklagten weder in Bezug auf die Straftaten des Mitangeklagten noch hinsichtlich der eigenen Taten des Angeklagten gerecht.

(1) Das Landgericht hat eine Verdeckungsabsicht des Angeklagten zugunsten der Taten des Mitangeklagten (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 27. Januar 1956 – 2 StR 432/55, BGHSt 9, 180, 182; Beschluss vom 26. März 2014 – 2 StR 505/13 Rn. 10, NStZ-RR 2014, 203) beweiswürdigend nicht belegt.

(2) Auch die Annahme, der Angeklagte habe dem Mitangeklagten in der Absicht geholfen, eigene Straftaten zu verdecken, erweist sich mangels einer tragfähigen Grundlage als bloße Vermutung. Zwar ist insoweit der Ausgangspunkt des Landgerichts, dass sich bei der nächtlichen Fahrt auch der Angeklagte jedenfalls wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis strafbar machte und für ihn das Risiko des Widerrufs einer früher bewilligten Strafaussetzung zur Bewährung bestand, rechtlich nicht zu beanstanden. Dem Urteil sind aber keine tatsächlichen Anhaltspunkte zu entnehmen, welche die Annahme des Landgerichts belegen, der Angeklagte habe zum Tatzeitpunkt befürchtet, der Mitangeklagte könnte ihn bei Bekanntwerden seiner Tatbeteiligung in einer späteren Vernehmung verraten. Der Angeklagte hat sich nicht zur Sache eingelassen. Die Folgerung des Landgerichts versteht sich angesichts des Umstands, dass der Mitangeklagte das Tatgeschehen selbst verschleiern wollte, auch nicht von selbst.

c) Eine Strafrahmenverschiebung nach § 28 Abs. 1 StGB ist aber jedenfalls deshalb angezeigt, weil der Angeklagte anders als der Mitangeklagte im Hinblick auf die Erfolgsabwendung keine Garantenstellung aus Ingerenz hatte. Denn diese Garantenstellung ist ein strafbarkeitsbegründendes besonderes persönliches Merkmal im Sinne dieser Vorschrift.

aa) Der Bundesgerichtshof hat sich zu der Frage, ob die Garantenstellung aus Ingerenz ein besonderes persönliches Merkmal im Sinne des § 28 Abs. 1 StGB ist, noch nicht tragend geäußert. Der 5. Strafsenat hat in seinem Urteil vom 25. Januar 1995 (5 StR 491/94, BGHSt 41, 1 ff.) ausdrücklich offengelassen, ob und inwieweit die aus den Garantenstellungen der unechten Unterlassungsdelikte fließenden Pflichten besondere persönliche Merkmale sind. Er hat in diesem Zusammenhang allerdings ausgeführt, dass der Garant, der zur Erfolgsabwendung verpflichtet sei, vielfach die Verantwortung für einen bestimmten Lebensbereich trage und seine Haftung häufig auf einer vorstrafrechtlichen Sonderpflicht mit einem starken persönlichen Einschlag beruhe.

bb) In der Literatur werden hierzu unterschiedliche Auffassungen vertreten.

Nach einem Teil der Literatur ist die die Handlungspflicht des Täters und seine Strafbarkeit wegen eines unechten Unterlassungsdelikts begründende Garantenstellung generell ein besonderes persönliches Merkmal im Sinne von § 28 Abs. 1 StGB (vgl. SK-StGB/Hoyer, StGB, 9. Aufl., § 28 Rn. 35; LK-StGB/Weigend, 13. Aufl., § 13 Rn. 87; Heine/Weißer in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 28 Rn. 19; SSW-StGB/Kudlich, 5. Aufl., § 13 Rn. 49; SSW-StGB/Murmann, 5. Aufl., § 28 Rn. 8; NK-StGB/Puppe, 5. Aufl., § 28 Rn. 72; Eisele in Baumann/Weber, Strafrecht AT, 12. Aufl., § 26 Rn. 151; Ingelfinger in Dölling/Duttge/König/Rössner, Gesamtes Strafrecht, 4. Aufl., § 28 Rn. 7; Jakobs, Strafrecht AT, 2. Aufl., 23. Abschn. Rn. 25; Langer in Festschrift Lange, 1992, S. 241, 262; Vogler in Festschrift Lange, 1992, S. 283; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, 49. Aufl., § 16 IV 1 Rn. 873; Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl., § 51 Rn. 9; Satzger, Jura 2015, 1055, 1060 f.; Grunst, NStZ 1995, 548, 551; Hake, JR 1996, 161, 164; Hinderer JA 2009, 25, 28). Sie charakterisiere den Täter und sei dessen besondere persönliche Verpflichtung zur Erfolgsabwendung. Die Garantenstellung unterscheide sich strukturell nicht von den Pflichten des Amtsträgers oder des Täters der Untreue, die im Rahmen ihrer Aufgaben in gleicher Weise wie der Unterlassungstäter Garanten der ihnen anvertrauten Güter seien. Der Gehilfe habe eine solche täterbezogene Schutzpflicht dagegen nicht, weshalb eine Strafrahmenverschiebung angemessen sei.

Die Gegenauffassung lehnt eine Anwendung des § 28 Abs. 1 StGB auf Garantenstellungen ab (vgl. MüKo-StGB/Freund, 4. Aufl., § 13 Rn. 261 ff.; Haas in Matt/Renzikowski, StGB, 2. Aufl., § 28 Rn. 15; Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl., § 28 Rn. 6; LK-StGB/Schünemann, 12. Aufl., § 28 Rn. 58; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts AT, 5. Aufl., S. 658; Freund in Festschrift Herzberg, 2008, S. 225, 238 mwN; Schlüchter in Festschrift Salger, 1995, S. 139, 143 mwN; Geppert, ZStW 82 (1970), 40, 70; Herzberg, ZStW 88 (1976), 68, 109; Arzt JA 1980, 553, 557; Ranft, JZ 1995, 1186, 1187; widersprüchlich Fischer, StGB, 68. Aufl., § 13 Rn. 93 [ablehnend] und § 28 Rn. 5a [befürwortend]). Diese hätten lediglich die Funktion, positives Tun und Unterlassen bei der Zurechnung des tatbestandsmäßigen Erfolgs gleichzustellen. Die Begehungstat und die unechte Unterlassungstat hätten denselben Strafrahmen, weshalb die Garantenstellung das Tatunrecht nicht erhöhe. Wenn dem Täter beide Varianten zur Verfügung stünden, erscheine es nicht sachgerecht, dem nicht garantenpflichtigen Teilnehmer eines unechten Unterlassungsdelikts eine Strafmilderung zuzugestehen, dem Teilnehmer an einem durch aktives Tun verwirklichten Tatbestand hingegen nicht.

Eine differenzierende Meinung hält jedenfalls die Garantenstellung aus Ingerenz bzw. die Stellung als Überwachungsgarant für kein besonderes persönliches Merkmal (vgl. Renzikowski in Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht AT, Teilband 2, 8. Aufl., § 53 Rn. 74; Otto in Festschrift Gössel, 2002, S. 99, 109 ff.; ders., Jura 2004, 469, 473; Valerius, Jura 2013, 15, 19; Herzberg, GA 1991, 145, 162). Die Garantenstellung aus Ingerenz sei von der Person des Handelnden losgelöst, weil die Überwachungspflicht an ein pflichtwidriges Vorverhalten anknüpfe. Anders als die anderen Garantenstellungen entstehe sie erst kurz vor der Tat durch situative – also tatbezogene – Umstände. „Vortäter“ könne jedermann sein, ohne die Garantenstellung durch einen besonderen Vertrauensakt erworben zu haben.

cc) Der Senat erachtet die Garantenstellung aus Ingerenz als strafbarkeitsbegründendes besonderes persönliches Merkmal im Sinne von § 28 Abs. 1 StGB und schließt sich den Argumenten der erstgenannten Literaturmeinung an.

Ein Garant aus Ingerenz ist aufgrund seines pflichtwidrigen Vorverhaltens, das die nahe Gefahr des tatbestandsmäßigen Erfolgs verursacht hat, zur Erfolgsabwendung verpflichtet (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 25. September 1991 – 3 StR 95/91, BGHR § 13 Abs. 1 Garantenstellung 7; vom 23. September 1997 – 1 StR 430/97, NStZ 1998, 83; jeweils mwN). Diese Verpflichtung ist eine Sonderpflicht mit starkem persönlichen Einschlag. Sie richtet sich nicht an jedermann, sondern nur an denjenigen, der sich vor der Tat pflichtwidrig verhalten und die Gefahr geschaffen hat. Nur der Garant trägt persönlich die Verantwortung für die Abwendung des tatbestandsmäßigen Erfolges. Die Garantenstellung ist ausschließlich in seiner Person verankert und kennzeichnet damit die Persönlichkeit des Unterlassungstäters. Das unterscheidet sie maßgeblich von der im Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung gemäß § 323c Abs. 1 StGB normierten Hilfspflicht, die für jedermann besteht. Ein struktureller Unterschied zu den Pflichten eines Amtsträgers oder eines Täters der Untreue besteht nicht. Nach den von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entwickelten Grundsätzen zur Abgrenzung zwischen täter- und tatbezogenen Merkmalen, an denen der Senat festhält, kommt es nicht entscheidend darauf an, ob die vorstrafrechtliche Sonderpflicht auf einem besonderen Vertrauensakt beruht. Schließlich steht der Qualifizierung der Garantenstellung aus Ingerenz als strafbarkeitsbegründendes besonderes persönliches Merkmal nicht entgegen, dass ihre Entstehung an situative Umstände des Vorverhaltens anknüpft. Hierbei handelt es sich nur um die pflichtenbegründenden Gegebenheiten des Vorgeschehens. Sie sind gerade keine tatbezogenen Umstände der späteren Unterlassungstat, die eine besondere Gefährlichkeit des Täterverhaltens anzeigen oder die Ausführungsart des Delikts beschreiben.

d) Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung der Einzelstrafe. Der Senat kann angesichts der hohen Einzelstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten nicht ausschließen, dass das Landgericht bei einer weiteren Strafrahmenverschiebung nach § 28 Abs. 1 StGB auf eine geringere Strafe erkannt hätte. Die Aufhebung der Einzelstrafe zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich.

2. Die Anordnung der isolierten Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis nach § 69a Abs. 1 Satz 3 StGB kann ebenfalls nicht bestehen bleiben. Das Landgericht hat die Ungeeignetheit des Angeklagten zum Führen von Kraftfahrzeugen maßgeblich auf die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB beim unerlaubten Entfernen vom Unfallort gestützt. Das begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil die Regelvermutung nur für Täter gilt.

a) Die Anordnung einer isolierten Sperrfrist kommt in Betracht, wenn der Täter keine Fahrerlaubnis hat (§ 69a Abs. 1 Satz 3 StGB). Voraussetzung ist, dass der Täter wegen einer rechtswidrigen Tat, die er bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, verurteilt oder wegen Schuldunfähigkeit nicht verurteilt wird und sich aus der Tat ergibt, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist (§ 69 Abs. 1 Satz 1 StGB). Nach der Rechtsprechung kann die Maßregel zwar gegen einen Teilnehmer angeordnet werden (vgl. bereits BGH, Urteil vom 29. Mai 1957 – 2 StR 195/57, BGHSt 10, 333 [zu § 42m aF]). Bei Beteiligung mehrerer an der mit Strafe bedrohten Handlung kann ein Teilnehmer diese selbst dann im Zusammenhang mit der Führung eines Kraftfahrzeugs begangen haben, wenn er es nicht eigenhändig gelenkt hat (vgl. BGH, Urteile vom 29. Mai 1957 – 2 StR 195/57, BGHSt 10, 333; vom 5. Juli 1978 – 2 StR 122/78; Beschlüsse vom 17. Februar 2004 – 4 StR 585/03, NStZ 2004, 617; vom 9. Oktober 2003 – 3 StR 322/03, NStZ-RR 2004, 57; Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 69 Rn. 16 mwN).

Die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB, wonach bei Begehung einer Katalogtat die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen vermutet wird, gilt aber nur für den Täter. Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Vorschrift, der sich ausdrücklich nur auf „Täter“ bezieht. Auch der Gesetzgeber hatte ausweislich der Gesetzesbegründung zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 27. September 1962 lediglich die täterschaftliche Begehung der Katalogtaten vor Augen (vgl. BT-Drucks. IV/651 S. 18). Zudem sprechen Sinn und Zweck der Vorschrift gegen eine Anwendung der Regelvermutung für Teilnehmer, weil deren Tatbeitrag die Verkehrssicherheit regelmäßig weniger beeinträchtigt als die Tatverwirklichung durch den Täter und daher nicht ohne Weiteres eine Vermutung für eine Ungeeignetheit des Teilnehmers zum Führen von Kraftfahrzeugen trägt. Da die Regelwirkung des § 69 Abs. 2 StGB auf Teilnehmer nicht anwendbar ist, muss dessen Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen im Wege einer Gesamtabwägung der Tatumstände und der Täterpersönlichkeit gemäß § 69 Abs. 1 StGB festgestellt werden (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 26. Juni 1987, NJW 1988, 152; Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 69 Rn. 34; SSW-StGB/Harrendorf, 5. Aufl., § 69 Rn. 41; Eschelbach in Matt/Renzikowski, StGB, 2. Aufl., § 69 Rn. 45; LK-StGB/Valerius, 13. Aufl., § 69 Rn. 118; Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl., § 69 Rn. 7; Kerkmann/Blum in Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsstrafrecht, 2. Aufl., § 69 Rn. 24; Dreher/Fad, NZV 2004, 231).

b) Hiervon ausgehend hat das Landgericht der Anordnung der Sperrfrist teilweise unzutreffende Erwägungen zugrunde gelegt.

Zwar liegt es nahe, dass sich der Angeklagte schon aufgrund des von ihm täterschaftlich begangenen typischen Verkehrsdelikts des Fahrens ohne Fahrerlaubnis, seiner insoweit einschlägigen Vorverurteilungen und der deswegen verhängten Sperrfristen für die Erteilung einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat. Darauf hat das Landgericht aber seine Anordnung nicht alleine gestützt, sondern seine Begründung maßgeblich aus der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB hergeleitet. Der Senat kann daher nicht ausschließen, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Würdigung jedenfalls eine kürzere Sperrfrist angeordnet hätte.

III.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

1. Sollte der Tatrichter im neuen Rechtsgang neben dem Fehlen der Garantenstellung des Angeklagten eine eigene Verdeckungsabsicht verneinen und deshalb in der Person des Angeklagten die Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 StGB in zweifacher Hinsicht als gegeben ansehen, ist nach dieser Regelung der Strafrahmen nur einmal zu mildern.

Die Vorschrift soll das Spannungsverhältnis zwischen Akzessorietät der Teilnahme und Strafgerechtigkeit mildern, indem solche Umstände, die allein in der Person des Täters für die Strafbarkeit von Bedeutung sind, nur bei diesem Berücksichtigung finden (vgl. BT-Drucks. IV/650 S. 152 f.; SSW-StGB/Murmann, 5. Aufl., § 28 Rn. 1; Heine/Weißer in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 28 Rn. 1; Haas in Matt/Renzikowski, StGB, 2. Aufl., § 28 Rn. 1). Der Teilnehmer ist, obwohl ihm selbst die betreffenden strafbarkeitsbegründenden Merkmale fehlen, weiterhin wegen Teilnahme an der vom Täter begangenen Tat zu bestrafen, allerdings ist das Fehlen der besonderen persönlichen Merkmale strafmildernd zu berücksichtigen (vgl. MüKo-StGB/Joecks/Scheinfeld, 4. Aufl., § 28 Rn. 4). Dabei ist die Anzahl der beim Teilnehmer fehlenden besonderen persönlichen Merkmale für die Strafrahmenverschiebung nach § 28 Abs. 1 StGB unerheblich. Auch bei Fehlen mehrerer solcher Merkmale ist die Milderung nur einmal zu gewähren (vgl. BGH, Urteil vom 8. November 1983 – 5 StR 517/83, StV 1984, 69 [Teilnehmer fehlen zwei täterbezogene Mordmerkmale]). Eine mehrfache Strafrahmenverschiebung ist aus Gerechtigkeitsgründen nicht erforderlich. Fehlen beim Teilnehmer mehrere besondere persönliche Merkmale, welche die Täterschaft begründen, kann diesem Umstand regelmäßig bei der konkreten Strafzumessung des Teilnehmers Rechnung getragen werden.

2. Das Landgericht hat auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen zu Recht beim Angeklagten keinen Gebrauch von einer Milderung des Strafrahmens nach § 13 Abs. 2 StGB i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB gemacht, weil er den Haupttäter aktiv unterstützte.

Die Möglichkeit einer solchen Strafrahmenverschiebung kommt für einen Tatbeteiligten nur in Betracht, wenn dessen Tatbeitrag in einem Unterlassen besteht. Sie scheidet aus, wenn ein Täter den Taterfolg durch aktives Tun herbeiführt. Gleiches gilt für einen Teilnehmer, der eine Unterlassungstat durch aktives Tun veranlasst oder sicherer macht (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juni 1984 – 3 StR 144/84, NStZ 1984, 452). Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte mit der Vorschrift „eine Milderungsmöglichkeit für die Unterlassungsfälle“ geschaffen werden, weil das Unterlassen bei sonst gleichen Umständen weniger schwer wiegen kann als positives Tun (vgl. Zweiter Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, BT-Drucks. V/4095, S. 8; vgl. auch BGH, Urteil vom 21. Juli 1989 – 2 StR 214/89, BGHSt 36, 227, 228). Dieser Grund für die Strafrahmenverschiebung trifft indes nur auf denjenigen Teilnehmer zu, dessen Tatbeitrag in einem Unterlassen besteht (vgl. SK-StGB/Stein, 9. Aufl., § 13 Rn. 89; SSW-StGB/Kudlich, 5. Aufl., § 13 Rn. 49; Bosch/Perron/Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 13 Rn. 64; LK-StGB/Weigend, 13. Aufl., § 13 Rn. 86; Heuchemer in von Heintschel-Heinegg, StGB, 3. Aufl., § 13 Rn. 99).

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