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Oberlandesgericht Schleswig Urteil vom 27.01.2022 - 6 U 88/19 - Zur Annahme einer eigenen sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung eines Automobilherstellers

OLG Schleswig v. 27.01.2022: Zur Annahme einer eigenen sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung eines Automobilherstellers




Das Oberlandesgericht Schleswig (Urteil vom 27.01.2022 - 6 U 88/19) hat entschieden:

   Eine Gesamtabwägung aller Umstände im Rahmen der Beweiswürdigung kann zur Annahme einer eigenen sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung eines Automobilherstellers führen, wenn dieser einen Motor in seinen Fahrzeugen verwendet und in den Verkehr bringt, der von einer Konzerntochter mit einer unzulässigen Prüfzykluserkennung und damit verbundener Manipulation der Abgaswerte hergestellt worden ist.

Siehe auch
Autokauf - Abgasskandal - Sittenwidrigkeit
und
Stichwörter zum Thema Autokaufrecht

Gründe:


I.

Der Kläger nimmt die Beklagte als Herstellerin eines Fahrzeuges VW Touareg 3,0 TDI in Anspruch.

Der Kläger, dem es nach seinem Bekunden beim Erwerb des ca. 2,4t schweren, 262 PS starken Autos auf ein umweltfreundliches Fahrzeug ankam, kaufte den Wagen gemäß Rechnung vom 27. Januar 2017 bei einem VW-Vertragshändler als Gebrauchtfahrzeug mit einem Kilometerstand von 21.441 km zu einem Preis von 43.738,30 €. Im Februar 2018 wurde er von der Beklagten angeschrieben, dass bei dem Fahrzeug ein Software-Update notwendig sei (Anlage K7 im Anlagenband Kläger/Anlage K 22, Bl. 266 d. A.). Weiter heißt es dort u. a.:

   "In einem begrenzten Fertigungszeitraum sind Dieselmotoren mit einer Motorsteuergeräte-Software verbaut worden, durch welche die Stickoxidwerte (NOx) im Vergleich zwischen Prüfstandlauf (NEFZ) und realem Fahrbetrieb verschlechtert werden."

Der Kläger ließ das Update aufspielen. Er forderte die Beklagte mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten erfolglos auf, ihm bis zum 22. Mai 2018 gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeuges den Kaufpreis zu erstatten (Anlage K18 im Anlagenband Kläger).




Der Kläger hat behauptet, sein Fahrzeug sei mit einer illegalen Abschalteinrichtung versehen gewesen, wie dies auch bei den Motoren der Entwicklungsreihe EA 189 der Fall sei. Die Software erkenne den Prüfstandmodus und reduziere in diesem Fall die Stickoxidemissionen. Das Software-Update wirke sich negativ auf den Motor aus. Der in seinem Fahrzeug verbaute Motor sei unter Federführung der Beklagten entwickelt worden, er werde zudem in einem Werk der Beklagten produziert.

Erstinstanzlich hat der Kläger Rückzahlung des gesamten Kaufpreises ohne Anrechnung einer Nutzungsentschädigung (S. 81 der Klageschrift, Bl. 81 d. A.) zuzüglich Zinsen gem. § 849 BGB gegen Rückübereignung und Rückgabe des Fahrzeuges verlangt, zudem die Feststellung, dass sich die Beklagte im Annahmeverzug befinde.

Die Beklagte hat behauptet, die Software, die zum Rückruf des Fahrzeuges und dem Update geführt habe, sei nicht mit der des Motors EA 189 vergleichbar. Hierfür sei maßgeblich, dass das Kraftfahrtbundesamt (KBA) den sog. Warmlaufmodus für nicht ausreichend halte. Dieser sei dafür verantwortlich, dass sich der SCR-Katalysator (Selective Catalytic Reduction) schnell aufheize und so auch in den ersten Betriebsminuten nach dem Kaltstart die Stickoxidemissionen effizient reduziert würden. Der streitgegenständliche Motor sei nicht von der Beklagten, sondern ihrer Tochtergesellschaft Audi entwickelt worden und werde in einem Werk in Györ, Ungarn gebaut.

Das Landgericht hat die Beklagte unter Klagabweisung im Übrigen zur Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich einer anhand einer angenommenen Gesamtlaufleistung von 250.000 km bemessenen Nutzungsentschädigung verurteilt, Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges. Es hat zudem den Annahmeverzug festgestellt und die zu ersetzenden vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren mit einer 1,3-fachen anstelle einer 1,5-fachen Gebühr angesetzt. Der Hauptsacheanspruch folge aus § 826 i. V. m. § 31 BGB. Der Vortrag der Beklagten, der Motorentyp manipuliere nicht wie die EA 189 Modellreihe die Abgasreinigung, sei widerlegt. Das Schreiben, mit dem sie den Kläger zum Update der Motorensoftware aufgefordert habe, entspreche dem, das sie im Zusammenhang mit dem EA 189 Motor versandt habe, womit für das Landgericht feststehe, dass eine entsprechende unzulässige Abschalteinrichtung verwendet worden sei. Die Beklagte habe den Motor hergestellt, mit der Steuersoftware ausgestattet und das Fahrzeug in den Verkehr gebracht.

Soweit die Beklagte bestreite, dass das Fahrzeug zwischen Straßen- und Prüfstandmodus unterscheide, sei dies vor dem Hintergrund ihres Schreibens, in dem sie selbst bescheinigt, dass sich die Abgaswerte im Verhältnis zum Prüfstandmodus verschlechterten, unbeachtlich. Hintergrund des Prüfstandmodus könne lediglich die Überschreitung der Abgaswerte im Normalbetrieb sein, weil ansonsten kein Anlass für die Verwendung einer derartigen Software bestehe. Damit sei die rechtliche Lage so, wie in der umfangreich zum Motor EA 189 ergangenen Rechtsprechung zu bewerten.

Der Kläger habe hinreichend vorgetragen, dass zumindest Teile des Vorstandes der Beklagten auch zum hier gegenständlichen Motor vom Einsatz der Manipulationssoftware gewusst hätten. Da es sich um eine alle Konzerntöchter betreffende Entscheidung gehandelt habe, liege dies auch nahe. Während der Kläger hierzu nicht weiter vortragen könne, obliege es der Beklagten, Angaben zu den konkreten Personen oder Abteilungen zu machen, die für den Einsatz der Software verantwortlich gewesen seien. Der insoweit entstandene Schaden sei auch nicht durch das Software-Update entfallen, da negative Folgen für den Motor zu befürchten seien.

Beide Parteien haben gegen das Urteil Berufung eingelegt. Der Kläger hat zunächst hierzu die Auffassung vertreten, eine Nutzungsentschädigung sei nicht abzuziehen, hilfsweise sei diese anhand einer angenommenen Gesamtlaufleistung von 500.000 km zu berechnen. Zudem habe er einen Anspruch auf Zinsen gem. § 849 BGB. Er hat mit dem Schriftsatz vom 04.03.2021 eine Anordnung einer nachträglichen Nebenbestimmung zur EU-Typengenehmigung der Fahrzeuge VW Touareg 3,0l Diesel Euro 6 vorgelegt (Anlage BE 2). Diese richtet sich offenbar an die Volkswagen AG. Dort heißt es auf S. 4 u. a.:

   "Die von VW applizierten Schaltkriterien sind so gewählt, dass die Aufheizstrategie und damit die erhöhte Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems mit Sicherheit im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) aktiviert, bzw. nicht abgeschaltet wird."

Zuvor wird im Einzelnen dargelegt, woran deutlich wird, dass die Steuerung die Bedingungen auf dem Prüfstand erkennt und die Funktion entsprechend ändert. Auf S. 5 des Dokumentes wird angegeben, dass Messungen von VW belegen würden, dass unter Idealbedingungen die Werte auch mit abgeschalteter Aufheizstrategie eingehalten würden, diese Messungen hätten jedoch beim KBA nicht immer bestätigt werden können. Auch im Zusammenhang mit der Einspritzung von AdBlue werde die Abgasbehandlung unzulässig verringert. Die Parteien haben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat unstreitig gestellt, dass sich dieses Schreiben auf den im Fahrzeug des Klägers eingebauten Motor bezieht.

Mit Schriftsatz vom 22.11.2021 hat der Kläger, nachdem das Fahrzeug mit einem Kilometerstand von 85.167 km zu einem Preis von 25.174,00 € verkauft worden war, den Rechtsstreit "im übrigen" für erledigt erklärt und beantragt nunmehr,

   die Beklagte unter Abänderung des angefochtenen Urteils zu verurteilen,
   an ihn 8.558,28 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.05.2018 bis zum 18.11.2021 auf einen Betrag von 43.738,30 € sowie seither in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf den Betrag von 8.558,28 € zu zahlen.



Die Beklagte verfolgt mit ihrer Berufung ihr Ziel der vollständigen Abweisung der Klage weiter. Zur Begründung wiederholt sie ihr erstinstanzliches Vorbringen. Bei dem verwendeten Motor handele es sich um den Typ EA 896 Gen. 2.




II.

Die Berufung des Klägers hat nach der Anpassung seines Antrages insoweit Erfolg, als eine Anpassung des Zahlungsbetrages an die veränderte Nutzung des Fahrzeuges auf Basis der nunmehr auch vom Kläger vertretenen Gesamtlaufleistung von 300.000 km erfolgt und wegen des Differenzbetrages zwischen dem landgerichtlichen Urteil und dem jetzigen Zahlungsantrag die Feststellung der Erledigung in der Hauptsache erfolgt.

Die Berufung der Beklagten hat lediglich dahingehend Erfolg, dass der vom Landgericht ausgesprochene Zinsanspruch anzupassen war und die Klage im Hinblick auf die Feststellung des Annahmeverzuges und des Ersatzes vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten abzuweisen war.

1. Der Kläger hat dem Grunde nach einen Anspruch auf Schadensersatz aus § 826 BGB wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung.

a) Die Klägerin hat im Rahmen der Typenzulassung und dem Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Motors sittenwidrig gehandelt.

aa) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Es genügt regelmäßig nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, NJW 2017, 250, 251 f., Rn. 16).

Danach kann ein Autohersteller, der auf der Grundlage einer grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts systematisch, langjährig und in hohen Stückzahlen Fahrzeuge in Verkehr bringt, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten werden, sittenwidrig handeln. Damit ist die Gefahr verbunden, dass bei Aufdeckung der unzulässigen Abschalteinrichtung Betriebsbeschränkungen oder -untersagungen erfolgen. Ein solches Verhalten ist im Verhältnis zu einer Person, die eines der betroffenen Fahrzeuge in Unkenntnis der illegalen Abschalteinrichtung erwirbt, besonders verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 16).




bb) Der Kläger hat hinreichend dazu vorgetragen, dass sein Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet war, die zum Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt geführt hat.

(1) Eine Abschalteinrichtung ist nach Art. 3 Nr. 10 VO 715/2007/EG ein Konstruktionsteil, das bestimmte Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird. Nach Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig, wenn nicht bestimmte Ausnahmen vorliegen.

Diese Vorschriften sind dahin auszulegen, dass eine Abschalteinrichtung vorliegt, wenn die Motorsteuerung während des Tests Parameter ermittelt, um die Leistung des Emissionskontrollsystems bei diesem Test zu verbessern, auch dann, wenn solche Verbesserung auch unter normalen Nutzungsbedingungen punktuell eintreten (EuGH, Urteil vom 17.12.2020, C-693/18, NJW 2020, 1216, 1220 f., Rn. 91 ff., Rn. 102). Ein solches System ist auch dann nicht von der Ausnahme nach § 5 abs. 2 lit. a VO 715/2007/EG gedeckt, wenn es dazu beiträgt, den Verschleiß oder die Verschmutzung des Motors zu verhindern (a. a. O, S. 1221, Rn. 103 ff., Rn. 115).

(a) Der Kläger hat mit der als Anlage zum Schriftsatz vom 04.03.2021 vorgelegten Anordnung einer Nebenbestimmung hinreichend belegt, dass der im Fahrzeug verwendete Motor eine solche unzulässige Abschalteinrichtung verwendet. Die Nebenbestimmung bezieht sich auf den streitgegenständlichen Motor, was die Parteien in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat unstreitig gestellt haben (S. 1 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 29.04.2021).

Hierin ist aufgeführt, die Klägerin habe durch Umrüstung alle unzulässigen Abschalteinrichtungen aus dem Emissionskontrollsystem zu entfernen. Im Sachverhalt des Bescheides wird ausgeführt, die verwendeten Strategien A und B würden nahezu ausschließlich unter den Bedingungen der Prüfung Typ 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 genutzt. Die Werte seien so eng bedatet, dass die Aufheizstrategie nahezu ausschließlich im NEFZ und den dort definierten Prüfbedingungen wirke (S. 3 des Bescheides). Schon kleine Abweichungen führten zur Abschaltung der Aufheizstrategie. Die Fahrzeuge besäßen keine Strategie, die unter normalen Betriebsbedingungen einen Einstieg in die auf dem Prüfstand verwendete Aufheizstrategie ermöglichten. Zwar belegten von VW vorgelegte Messungen, dass unter Idealbedingungen die Emissionsgrenzwerte des Testzyklus eingehalten würden, auch wenn die Aufheizstrategie abgeschaltet sei. Dem stehe aber gegenüber, dass diese Werte durch Messungen des KBA nicht immer bestätigt werden konnten. Die Wirkung des Emissionskontrollsystems werde durch die Verwendung einer Prüfzykluserkennung außerhalb dieser Bedingungen in unzulässigem Umfange verringert (S. 5 des Bescheides).

Dieses Ergebnis entspricht auch dem Aufforderungsschreiben der Beklagten, mit dem sie selbst ausgeführt hat, die Stickoxidwerte würden im Vergleich zwischen Prüfstandslauf und Realbetrieb verschlechtert. Das Anschreiben an den Kläger verwendet hierbei fast denselben Wortlaut, wie das in den Fällen des EA 189 verwendete Schreiben.

(b) Die Beklagte hat weder im Hinblick auf den Wortlaut ihres eigenen Schreibens noch auf die Feststellungen des KBA erläutert, warum es sich nicht um Abschalteinrichtungen handeln sollte, die zielgerichtet darauf ausgelegt sind, im Typenzulassungsverfahren unter Täuschung des KBA und schließlich der Verbraucher die Abgaswerte einzuhalten, während im Realbetrieb die Abgasregelung nicht in der gleichen Weise funktioniert. Im Realbetrieb sind somit die Emissionswerte nicht einzuhalten. Die Ausführungen des KBA belegen auch, dass die Entwicklung nicht unter Ausschöpfung gesetzlicher Spielräume oder durch eine Missinterpretation der Vorschriften erfolgte. Vielmehr wurde die Erkennung der maßgeblichen Parameter absichtlich darauf ausgelegt, den Prüfzyklus zu erkennen und nur für diesen Fall die Abgasreinigung innerhalb der geforderten Parameter funktionieren zu lassen.

(2) Die unzulässige Abschalteinrichtung konnte grundsätzlich dazu führen, dass die Zulassungsbehörde eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach § 5 Abs. 1 FZV vornahm, weil das Fahrzeug wegen der gegen Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG verstoßenden Abschalteinrichtung nicht dem genehmigten Typ (§ 3 Abs. 1 Satz 2 FZV) entsprach (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Januar 2019 VIII ZR 225/17, NJW 2019, 1133 Rn. 20; BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 VI ZR 252/19, Rn 21f.). Damit ist dem Kläger ein Schaden entstanden, der - unberührt vom späteren Software-Update - in Gestalt einer ungewollten Verbindlichkeit gegeben ist, da anzunehmen ist, dass der Kläger das Fahrzeug in Kenntnis der Sachlage nicht erworben hätte (BGH, Urteil vom 30. Juli 2020, VI ZR 397/19, Rn. 16).




b) Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Motor des Fahrzeuges des Klägers nicht von der Beklagten hergestellt wurde und bei Unterstellung, dass auch die Entwicklung des Motors durch die Konzerntochter Audi erfolgte, haftet die Klägerin selbst aus sittenwidriger Vorsätzlicher Schädigung gem. §§ 826, 31 BGB. Sie handelte sittenwidrig, da sie das Fahrzeug mit dem von der Konzerntochter Audi gelieferten Motor in den Verkehr brachte, obwohl wenigstens eine verantwortlich für sie handelnde Person wusste, dass der Motor mit einer auf arglistige Täuschung des KBA abzielenden Prüfstandserkennungssoftware (s. o.) ausgestattet war (vgl. BGH, Urteil vom 8. März 2021, VI ZR 505/19, Rn. 21).

aa) Bereits die objektive Sittenwidrigkeit des Herstellens und des Inverkehrbringens von Kraftfahrzeugen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Verhältnis zum Fahrzeugerwerber setzt voraus, dass dies in Kenntnis der Abschalteinrichtung und im Bewusstsein ihrer - billigend in Kauf genommenen - Unrechtmäßigkeit geschieht (BGH, Urteil vom 16. September 2021 - VII ZR 192/20 Rn. 22, WM 2021, 2056; Beschluss vom 9. März 2021 - VI ZR 889/20 Rn. 28, VersR 2021, 661; Urteil vom 8. März 2021 - VI ZR 505/19 Rn. 21, NJW 2021, 1669; Beschluss vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19 Rn. 19, VersR 2021, 388, BGH, Urteil vom 25. November 2021 - VII ZR 238/20 -, Rn. 19 - 20).

bb) Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Hierbei ergibt sich die Kenntnis der Beklagten nicht aus einer Zurechnung des Wissens von Mitarbeitern ihrer Konzerntochter, einer unzulässigen Organisation im Typengenehmigungsverfahren oder einer Verpflichtung der Beklagten, den von der Konzerntochter gelieferten Motor eigenständig auf Gesetzesverstöße zu überprüfen (vgl. BGH, Urteil vom BGH, Urteil vom 25. November 2021 - VII ZR 238/20 -, Rn. 24-28).

(1) Allerdings ist es für den Senat schlicht nicht vorstellbar, dass ein mit einer Manipulationssoftware ausgestatteter Motor als zentrales Bauteil von einer Konzerntochter geliefert wird, ohne dass jemand aus der Gruppe der Vorstandsmitglieder oder anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter i. S. v. § 31 BGB, also auch leitender Angestellter, hiervon Kenntnis hatte, dies billigte und den entsprechenden Täuschungs- und Schädigungsvorsatz hatte.

(2) Hierfür spricht zunächst, dass der Motor zwar unstreitig in Verantwortung der Audi-AG entwickelt und hergestellt wurde, es sich aber bereits nach der Kennzeichnung des Entwicklungsauftrages ("EA") um einen konzernweiten Auftrag handelte, was auch dem Konzept des Konzens entspricht, einzelne Entwicklungen und Plattformen in gleicher Form in Fahrzeugen der Konzerntöchter und der Beklagten zu verwenden.

(2) Der Kläger hat zudem umfangreich zu den personellen Verflechtungen und den Wechseln leitender Angestellter und Vorstände der Klägerin mit der Audi AG vorgetragen, insbesondere zu solchen Personen, die mit der Entwicklung der Motoren befasst waren. Die Beklagte ist insoweit zwar einzelnen Details der Aufgabenfelder oder Zeitpunkte entgegengetreten. Insgesamt ergibt sich jedoch ein Bild, dass ein reger personeller Austausch auf Leitungsebene zwischen den Unternehmen erfolgte und damit auch das Wissen über die Entwicklung und vor allem das Abgasmanagement, das wegen der strenger werdenden Zulassungskriterien in Europa und den USA von zentraler Bedeutung war, zwischen den Unternehmen erfolgte. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass die Konzernunternehmen mit denselben Zulieferunternehmen zusammenarbeiteten.

(3) Von entscheidender Bedeutung ist jedoch bei einer Gesamtbetrachtung der vorgetragenen Umstände, dass nicht vorstellbar ist, dass kein i. S. d. § 31 BGB verantwortlicher Mitarbeiter der Beklagten bei der Konzerntochter Audi Erkundigungen einzog, aus welchem Grunde diese mit dem hier relevanten Motor die vorgeschriebenen Abgasgrenzwerte einhalten konnte, während die Beklagte selbst dies offenbar beim Motor EA 189 nicht erreichen konnte und aus diesem Grunde auf eine Manipulationssoftware zurückgriff. Dies ist umso weniger vorstellbar, als es sich bei den von der Beklagten selbst entwickelten Motorenreihe um solche mit weniger Hubraum und Leistung handelte, während die Audi AG hier einen Motor mit erheblich mehr Leistung zulieferte, der aber die Grenzwerte einhalten sollte. Zum damaligen Zeitpunkt bestanden offenbar zahlreiche technische Hindernisse, die Grenzwerte auf legalem Wege einzuhalten. Der Beklagten musste bewusst sein, dass dies auch für die Audi AG der Fall war, sodass mit Sicherheit angenommen werden kann, dass eine Nachfrage erfolgte, ob dies ggf. unter Manipulation der Steuerungssoftware erfolgte. Anderenfalls hätte eine Übernahme der technischen Erkenntnisse der Konzerntochter für die eigenen Motoren der Beklagten nahe gelegen, wozu sich allerdings keine Anhaltspunkte finden.

(4) Hinzukommt, dass der Beklagten, die sich selbst bei der Motorenvariante EA 189 für eine Manipulationssoftware entschieden hatte, die erhebliche haftungsrechtliche Konsequenz einer solchen zur Täuschung entworfenen Prüfstandserkennung bewusst sein musste. Vor diesem Hintergrund ist nicht erklärlich, dass bei Zulieferung eines die Grenzwerte einhaltenden Motors der Konzerntochter keine Nachfrage zu den technischen Hintergründen erfolgt sein sollte.

(5) Dabei unterscheidet sich die Verwendung eines Motors, der von einer Konzerntochter hergestellt wird, signifikant vom Einbau eines sonstigen Zulieferteils eines Drittherstellers. Wegen der beschriebenen zentralen Bedeutung des Motors und der Einhaltung der Abgaswerte erscheint es ausgeschlossen, dass die Beklagte diese Entscheidung ohne Kenntnis der wesentlichen Merkmale des Motors getroffen hätte und nicht zumindest ein Repräsentant i. S. d. § 31 BGB hierüber informiert war. Diese zentrale Bedeutung für den Verkauf und die Öffnung streng regulierter Märkte für die entwickelten Fahrzeuge schließt auch aus, dass die Beklagte die Antriebseinheit lediglich unter Zurkenntnisnahme der von der Audi AG mitgeteilten Rahmendaten entgegennahm und sich für die Verwendung entschied. Aufgrund der Stellung der Beklagten als Konzernmutter ist auch ohne weiteres anzunehmen, dass die Audi AG bei einer Nachfrage die entsprechenden Manipulationsstrategien offengelegt hat.


cc) Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Abgaswerte für die Vermarktung der Fahrzeuge, der konzernweiten Verwendung der Motoren und der personellen und technischen Verflechtung ist der Senat daher der Überzeugung, dass die Klägerin den hier relevanten Motor in ihre grundlegende strategische Entscheidung, die Einhaltung der Abgaswerte mittels Täuschung des KBA und der Verbraucher nur scheinbar einzuhalten, aufgenommen hat. Sie wirkte hierbei nicht lediglich mit oder nahm die Manipulation zur Kenntnis, sondern traf eine eigene strategische Entscheidung. Aufgrund der genannten Umstände handelt es sich hierbei nicht lediglich um eine Bewertung, die einer nicht näher substantiierten Annahme des Klägers folgt (anders Brandenburgisches OLG, Urteil vom 28. April 2021, 4 U 107/19, Rn. 47), sondern um eine eigene, tatrichterliche Bewertung des Senates im Rahmen der freien Beweiswürdigung gem. § 286 ZPO (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 25. November 2021, VII ZR 238/20, Rn. 29-31). Eines Rückgriffs auf eine sekundäre Darlegungs- und Beweislast der Beklagten (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 39) bedarf es hierfür nicht.

c) Die Repräsentanten der Beklagten handelten, indem sie das Fahrzeug in Kenntnis der Abschalteinrichtung und der Täuschung des KBA und der Verbraucher in den Verkehr brachten, mit Schädigungsvorsatz. Die Annahme eines solchen Vorsatzes bezogen auf den ungewollten Vertragsschluss entspricht der Lebenserfahrung (BGH Urteil vom 30. Juli 2020, VI ZR 397/19, Rn. 18).

2. Dem Kläger steht somit ein Anspruch auf Schadensersatz zu. Im Rahmen dieses Schadensersatzes, der auf Rückabwicklung des ungewollten Kaufvertrages gerichtet ist, hätte der Kläger das Fahrzeug Zug um Zug gegen die Rückerstattung einer Entschädigung für die zwischenzeitliche Nutzung an die Beklagte herauszugeben. Nach dem zwischenzeitlichen Verkauf des Fahrzeuges entfällt der Anspruch nicht, allerdings tritt im Fall des Weiterverkaufs im Rahmen der Vorteilsausgleichung der erzielte marktgerechte Verkaufserlös an die Stelle des herauszugebenden und zu übereignenden Fahrzeugs. Mangels anderer Anhaltspunkte ist anzunehmen, dass der vom Kläger für sein Fahrzeug erzielte Verkaufspreis marktgerecht ist.

a) Entgegen seiner erstinstanzlichen Auffassung und der Berufungsbegründung lässt sich der Kläger nunmehr eine Nutzungsentschädigung für die zurückgelegte Strecke anrechnen, die er entsprechend der ständigen Senatsrechtsprechung für Fahrzeuge mit Motoren mit größerem Hubraum anhand einer angenommenen Gesamtlaufleistung von 300.000 km berechnet.

Auf Basis der Formel zur Berechnung der Nutzungsentschädigung (Bruttokaufpreis * gefahrene Kilometer / Gesamtfahrleistung) nicht zu beanstandenden Formel (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020, VI ZR 252/19, Rn 79ff), die auch das Landgericht verwendet hat, ergibt sich bei den hier vorliegenden Werten (Kaufpreis 43.738,30 € bei einem Kilometerstand von 21.411 km, Verkaufspreis 25.174,00 € bei 85.167 km und Gesamtfahrleistung von 300.000 km) ein Nutzungsvorteil von 10.009,65 €, den sich der Kläger zusammen mit dem Kaufpreis entgegenhalten lassen muss, sodass der tenorierte Betrag verbleibt.

3. Die Entscheidung des Landgerichtes war jedoch insoweit zu korrigieren, als es dem Kläger Zinsen bereits ab Ablauf der mit Schreiben vom 08.05.2018 gesetzten Frist zugesprochen hat. Dieses Schreiben (Anlage K18, Anlagenband) hatte keine verzugsbegründende Wirkung, da der Kläger sein Fahrzeug zum damaligen Zeitpunkt Zug um Zug zur Rückgabe und Übereignung anzubieten hatte, dies aber nicht in ordnungsgemäßer Weise angeboten hat, da er seinerseits diese Leistungen von einer zu hohen Gegenleistung abhängig gemacht hat, nämlich insbesondere ohne Anrechnung einer Nutzungsentschädigung (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020, VI ZR 252/19, Rn. 86). Der Zinsanspruch besteht somit erst ab Rechtshängigkeit, § 286 Abs .1 S. 2 BGB.



4. Die Berufung hat auch insoweit teilweise Erfolg, als der Kläger wegen eines Betrages in Höhe von 27.852,83 € die Erledigung erklärt hat. Im weiteren Umfang der Erledigungserklärung war jedoch die Klage abzuweisen.

a) Da sich die Beklagte der Erledigungserklärung nicht angeschlossen hat, sind die übrigen geltend gemachten Ansprüche in einen Antrag auf Feststellung der Erledigung umgewandelt worden (Zöller-Althammer, ZPO, 34. Aufl., § 91a Rn. 37). Dieser Antrag hat in Höhe 35.180,02 € Erfolg, da die Berufung in dieser Höhe zunächst erfolgreich gewesen wäre, jedoch durch ein nach Rechtshängigkeit eintretendes Ereignis unbegründet worden ist. Dies betrifft zunächst den Anteil des Zahlungsanspruchs, der durch den Umstand unbegründet geworden ist, dass der Wagen des Klägers verkauft worden ist und der daher an die Stelle des Rückübereignungsanspruches getreten ist. Im Übrigen ist in diesen Betrag die dem Zahlungsanspruch entgegenzuhaltende Nutzungsentschädigung einzurechnen, die durch die bestimmungsgemäße Verwendung im Verlaufe der Rechtshängigkeit angestiegen ist.

b) Im Übrigen (Annahme einer höheren Gesamtlaufleistung des Fahrzeuges bei Berechnung der Nutzungsentschädigung; Feststellung des Annahmeverzuges; Verzinsung) war der Feststellungsantrag jedoch abzuweisen. Zur Verzinsung und Höhe der angenommenen Gesamtfahrleistung wurde bereits ausgeführt. Der Antrag auf Feststellung des Annahmeverzuges war jedoch von Beginn an unbegründet. (S. u.)

5. Insoweit hat die Berufung der Beklagten Erfolg. Der Kläger hat, da er sich eine Nutzungsentschädigung nicht entgegenhalten lassen wollte, das Fahrzeug der Beklagten nicht in einer Weise angeboten, dass sie in Annahmeverzug geraten wäre (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020, VI ZR 252/19, Rn. 85).

6. Erfolg hat die Berufung auch, soweit das Landgericht dem Kläger Ersatz für die durch das vorgerichtliche Aufforderungsschreiben entstandenen Rechtsanwaltskosten zugesprochen hat. Zum Zeitpunkt dieses Schreibens im Mai 2018 war bekannt, dass die Beklagte auf derartige vorgerichtliche Schreiben nicht reagiert und Klageverfahren erforderlich werden. Damit war ein solches Schreiben, zumal wenn es kein ordnungsgemäßes Angebot der eigenen Gegenleistung enthielt, zur erfolgversprechenden Rechtsverfolgung weder geeignet noch notwendig.

7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

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