Das Verkehrslexikon

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Kammergericht Berlin Beschluss vom 2 Ss 241/04 - 3 Ws (B) 584/04 - Geschwindigkeitsverstöße auf der Berliner Stadtautobahn: Regelfahrverbot bei einer Überschreitung von 31 km/h

KG Berlin v. 2 Ss 241/04: Geschwindigkeitsverstöße auf der Berliner Stadtautobahn: Regelfahrverbot bei einer Überschreitung von 31 km/h


Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 2 Ss 241/04 - 3 Ws (B) 584/04) hat entschieden:

   Geschwindigkeitsüberschreitungen auf der Berliner Stadtautobahn sind in der Regel als innerörtliche Verstöße zu behandeln (Festhaltung KG Berlin, 5. November 2001, 3 Ws (B) 416/01). Denn die nach der Tatbegehung innerhalb und außerhalb geschlossener Ortschaften differenzierenden Regelungen des Bußgeldkatalogs sind auf die im Bereich geschlossener Ortschaften höhere abstrakte Gefahr von Geschwindigkeitsüberschreitungen zurückzuführen, ohne daß es dabei auf die verkehrsrechtliche Klassifizierung der Straße ankommt. der Umstand, daß der Bußgeldkatalog bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von (wie hier) 31 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften kein Fahrverbot vorsieht, kann dem Betroffenen nicht zugute gehalten werden.

Siehe auch
Die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen im Bußgeldverfahren
und
Innerstädtische Stadtautobahnen

Gründe:


Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Zuwiderhandlung gegen §§ 41 Abs. 2 Nr. 7 (zu ergänzen: Z 274), 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO nach § 24 StVG zu einer Geldbuße von 180,-- Euro verurteilt. Die - wie die Gesamtheit der erfolgten Begründung ergibt - wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft Berlin, mit der die Verletzung sachlichen Rechts gerügt wird, ist gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG zulässig; sie ist auch begründet.




Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat in ihrer Stellungnahme zu dem vo n ihr vertretenen Rechtsmittel folgendes ausgeführt:

   „Zu Recht bemängelt die Beschwerdeführerin, daß das Absehen von der Anordnung des Regelfahrverbots durch den Tatrichter rechtsfehlerhaft ist. Sofern - wie hier - die Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV vorliegen, ist nach der zugrunde liegenden normativen Vorbewertung bei Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit - verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfG NZV 1996, 284) - regelmäßig von einer groben Pflichtverletzung des Betroffenen als Kraftfahrzeugführer im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG auszugehen (vgl. BGHSt 43, 241, 247 f.; KG, Beschluß vom 22. September 2004 - 3 Ws (B) 418/04 - m.w.N.). Die abstrakte Gefährlichkeit der von dem Betroffenen begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung um rund 50% muß hier um so mehr bejaht werden, als sich andere Kraftfahrer erfahrungsgemäß nicht darauf einstellen, daß die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit von einem einzelnen Kraftfahrer in einem derart hohen Maß überschritten wird. Durch die festgestellte Tatsache, daß der Betroffene sowohl das Verkehrszeichen, mit dem die zulässige Geschwindigkeit beschränkt worden ist, als auch das Ortseingangsschild übersehen hat, ist auch in subjektiver Hinsicht eine grobe Pflichtverletzung indiziert. Nur wenn der Sachverhalt zugunsten des Betroffenen so erheblich abweicht, daß er als Ausnahme zu werten ist, kann die Anwendung der Regelbeispielstechnik des Bußgeldkatalogs unangemessen sein. Dem tatrichterlichen Beurteilungsspielraum sind jedoch der Gleichbehandlung und der Rechtssicherheit wegen enge Grenzen gesetzt, und seine Feststellungen müssen die Annahme eines Ausnahmefalles nachvollziehbar erscheinen lassen (vgl. KG a.a.O.). Das ist hier nicht der Fall.

Soweit das Amtsgericht darauf abstellt, daß der Verstoß „auf einer Autobahn erfolgte, wo die besondere Gefahrenlage des innerörtlichen Verkehrs nicht besteht“, stellt dies keinen den Betroffenen begünstigenden Umstand dar. Nach der ständigen Rechtsprechung des Kammergerichts (vgl. KG, Beschluß vom 5. November 2001 - 3 Ws (B) 416/01 - m.w.N.) sind Geschwindigkeitsüberschreitungen auf der Berliner Stadtautobahn in der Regel - wie es auch das Amtsgericht zutreffend annimmt - als innerörtliche Verstöße zu behandeln; denn die nach der Tatbegehung innerhalb und außerhalb geschlossener Ortschaften differenzierenden Regelungen des Bußgeldkatalogs sind auf die im Bereich geschlossener Ortschaften höhere abstrakte Gefährlichkeit von Geschwindigkeitsüberschreitungen zurückzuführen, ohne daß es dabei auf die verkehrsrechtliche Klassifizierung der Straße ankommt. Dabei ist nicht entscheidend, daß auf der Stadtautobahn kein Querverkehr zu erwarten ist und auch nicht mit Radfahrern und Fußgängern gerechnet werden muß. Vielmehr folgt die erhöhte abstrakte Gefährlichkeit eben auch auf der Stadtautobahn in der Regel beispielsweise aus der Vielzahl der Ein- und Ausfahrten, der verhältnismäßig kurvenreichen Streckenführung, dem überdurchschnittlichen Verkehrsaufkommen auch außerhalb des Berufsverkehrs sowie daraus, daß jederzeit mit Verkehrsstauungen gerechnet werden muß (vgl. KG a.a.O.).

Auch die weiteren Urteilsfeststellungen lassen ein fehlerfreies Absehen von der Anordnung eines Fahrverbots nicht erkennen. Daß der Bußgeldkatalog bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von - wie hier - 31 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften kein Fahrverbot vorsieht, kann dem Betroffenen nicht zugute gehalten werden, weil er einen innerörtlichen Verstoß begangen hat. Daß die Regelanordnung bei einer Überschreitung von 30 km/h beginnt, macht die Überschreitung von 31 km/h nicht zum Ausnahmefall im oben erörterten Sinn. Der Hinweis auf einen lediglich fahrlässig begangenen Verstoß rechtfertigt kein Abweichen vom Regelfall; vielmehr geht der Bußgeldkatalog bei den von ihm vorgesehenen Rechtsfolgen von fahrlässiger Begehung aus (§ 1 Abs. 2 BKatV). Inwieweit die Tatsache, „daß die Geschwindigkeitsbegrenzung erst unmittelbar vor dem Ort der Feststellung begann“, sich zugunsten des Betroffenen auswirken könnte, erschließt sich aus den Urteilsgründen nicht.

Die mitgeteilte einschlägige Vorbelastung des Betroffenen ist dagegen bei der Entscheidung, von der Anordnung eines Fahrverbots abzusehen, rechtsfehlerhaft unberücksichtigt geblieben.“

Diese zutreffenden Ausführungen macht sich der Senat zu eigen. Er hebt daher den Rechtsfolgenausspruch der angefochtenen Entscheidung auf und verweist die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts zurück; es bot sich hier nicht an, von dem Regelfall abzuweichen.

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