Das Verkehrslexikon

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Oberverwaltungsgericht Münster Beschluss vom 14.11.2019 - 8 B 629/19 - Kennzeichen-Änderung wegen politisch extremistischem Symbolgehalt

OVG Münster v. 14.11.2019: Amtliche Kennzeichen-Änderung wegen politisch extremistischem Symbolgehalt




Das Oberverwaltungsgericht Münster (Beschluss vom 14.11.2019 - 8 B 629/19) hat entschieden:

   Kfz.-Kennzeichen mit politisch extremistischem Symbolgehalt sind sittenwidrig. Die Zulassungsbehörde handelt rechtmäßig, wenn sie ein zugeteiltes Wunschkennzeichen in einem solchen Fall ändert und die Vorführung des Kfz anordnet.

Siehe auch
Kfz-Kennzeichen
und
Kennzeichenanzeige

Gründe:


Die zulässige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 30. April 2019, soweit dieses den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Nr. 1 der angefochtenen Ordnungsverfügung abgelehnt hat, hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, stellt den angegriffenen Beschluss nicht durchgreifend in Frage.

Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass sich die unter Nr. 1 der Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 7. Januar 2019 verfügte Kennzeichenänderung bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage als rechtmäßig erweisen wird.

1. Der angefochtenen Verfügung steht nicht die Bestandskraft der Zuteilung des bisherigen Wunschkennzeichens entgegen. Rechtsgrundlage für die Änderung des Kennzeichens ist § 8 Abs. 3 FZV. Danach kann die Zulassungsbehörde das zugeteilte Kennzeichen von Amts wegen oder auf Antrag ändern und hierzu die Vorführung des Fahrzeugs anordnen. Es ist gerade der Zweck einer solchen Verfügung, die Zuteilung des bisherigen Kennzeichens aufzuheben und eine davon abweichende Zuteilung vorzunehmen. Dass der Antragsgegner mit dem angefochtenen Bescheid eine solche Änderung auch verfügt hat, hat das Verwaltungsgericht im Ergebnis zutreffend festgestellt und insoweit zulässigerweise zur Auslegung des Bescheides auch auf das Anhörungsschreiben abgestellt.

   Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juli 2014 - 3 C 23.13 -, juris Rn. 18; OVG NRW, Beschluss vom 8. November 2016 - 8 B 1395/15 -, juris Rn. 45 ff.

2. Das Beschwerdevorbringen stellt die Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht durchgreifend in Frage, dass der angefochtene Bescheid hinsichtlich Nr. 1 seines verfügenden Teils materiell rechtmäßig ist.

Da die Kennzeichenänderung gemäß § 8 Abs. 3 FZV von Amts wegen erfolgen kann und der Antragsgegner nicht entscheidend darauf abgestellt hat, dass Dritte bereits Anstoß an dem Kennzeichen genommen haben, kommt es nicht darauf an, ob es - was der Antragsteller bestreitet - tatsächlich eine Beschwerde aus der Bevölkerung gegeben hat.

Der Antragsgegner hat die angefochtene Verfügung fehlerfrei darauf gestützt, dass das zu ändernde Kennzeichen gegen die guten Sitten im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 3 FZV verstößt. Ein solcher Verstoß liegt vor, wenn die Kombination gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dabei sind vor allem die Anschauungen der in Betracht kommenden beteiligten Kreise zu berücksichtigen, wobei das Durchschnittsmaß von Redlichkeit und Anstand zugrunde zu legen ist.

   Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. April 2012 - 7 C 11.11 -, juris Rn. 19; BGH, Urteil vom 16. Juli 2019 - II ZR 426/17 -, juris Rn. 24 (jeweils zu § 138 BGB).

Sittenwidrig sind z. B. Kennzeichen mit politisch extremistischem Symbolgehalt.

   Vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage 2019, § 8 FZV Rn. 18.

Gemessen hieran ist die dem Antragsteller zugeteilte Kennzeichenkombination KK-HH 1933 aufgrund der offensichtlichen, sich aufdrängenden Bezüge der Zeichenkombination der Erkennungsnummer zum Nationalsozialismus sittenwidrig. Für einen durchschnittlichen Bürger der Bundesrepublik Deutschland ist - insbesondere in der Kombination der Buchstaben- und Zahlenkombination - offenkundig, dass es sich um die Abkürzung des Hitlergrußes sowie das Jahr der Machtergreifung der Nationalsozialisten handelt. Unerheblich ist, ob der Antragsteller subjektiv mit diesem Wunschkennzeichen seine Sympathie zum NS-Regime oder eine "NS-Affinität" zum Ausdruck bringen möchte. Entscheidend ist hier, dass die Buchstaben-Zahlen-Kombination "HH 1933" aufgrund des allgemeinen Geschichtsbewusstseins objektiv geeignet ist, ohne Weiteres eine Assoziation mit dem NS-Regime herzustellen. Das Kennzeichen kann zudem als öffentliches Bekenntnis zum NS-Regime oder mindestens als Sympathisierung mit ihm verstanden werden. Ist ein solches Bekenntnis schon bei einem Durchschnittsmaß von Redlichkeit und Anstand inakzeptabel, gilt dies erst recht, wenn dieser Effekt durch ein amtliches Kennzeichen ausgelöst wird. Weiterer besonderer Umstände bedarf es deshalb entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht, um die Sittenwidrigkeit des Wunschkennzeichens anzunehmen.




Auch müssen entgegen dem Vorbringen des Antragstellers nicht folgerichtig alle Kennzeichen der in der Hansestadt Hamburg zugelassenen Fahrzeuge geändert werden. Abgesehen davon, dass § 8 FZV die Sittenwidrigkeit allein aufgrund des Unterscheidungszeichens (für den Verwaltungsbezirk) nicht vorsieht, fehlt es insoweit an der spezifischen, die Assoziation mit dem NS-Regime geradezu provozierenden Buchstaben-Zahlen-Kombination, wie sie hier in Rede steht.

Aus demselben Grund geht auch der Hinweis auf Registerzeichen der Justiz sowie vermeintliche NS-Bezüge im Beschluss des Verwaltungsgerichts - so die Beschlussfassung am 30. April (Hitlers Todestag) und der Umfang des Beschlusses von 14 Seiten ohne Rechtsmittelbelehrung (die Zahl "14" als Code in rechtsextremen Kreisen) - fehl.

Der Antragsteller kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass andere Kennzeichen existieren, die möglicherweise auch sittenwidrig sind. Darin liegt kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 GG). Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts verwiesen. Soweit der Antragsteller darüber hinaus auf einen anzulegenden einheitlichen Sittenwidrigkeitsmaßstab verweist, verhilft dies der Beschwerde ebenfalls nicht zum Erfolg. Allein aus der Tatsache, dass Fahrzeuge mit derartigen Kennzeichen zugelassen sind, kann nicht hergeleitet werden, dass diese Kennzeichen nicht sittenwidrig sind.

Aus der im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Tatsache, dass die Sittenwidrigkeit dem Sachbearbeiter nicht unmittelbar bei Erteilung des Kennzeichens aufgefallen ist, kann der Antragsteller nichts für sich herleiten. Weder spricht dies gegen die Sittenwidrigkeit noch begründet dies einen Vertrauensschutztatbestand.

Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen bestehen auch keine Bedenken gegen die Ermessensentscheidung des Antragsgegners.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG. In der Hauptsache hält der Senat das Interesse des Antragstellers mit dem halben Auffangstreitwert gemäß § 52 Abs. 2 GKG für angemessen bewertet und reduziert diesen Wert im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit auf die Hälfte. Der Senat ist befugt, den erstinstanzlichen Streitwert von Amts wegen zu ändern (§ 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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