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Amtsgericht Tübingen Beschluss vom 03.04.2020 - 16 OWi 713/20 - Ermittlungspflicht vor einem Kostenbescheid nach § 25a StvG

AG Tübingen v. 03.04.2020: Ermittlungspflicht vor einem Kostenbescheid nach § 25a StvG




Das Amtsgericht Tübingen (Beschluss vom 03.04.2020 - 16 OWi 713/20) hat entschieden:

   Gibt der Halter eines Fahrzeugs in der Anhörung wegen eines Parkverstoßes den Namen eines Fahrzeugführers auch ohne weitere persönliche Daten an, sind der Verwaltungsbehörde zumindest einfache Nachforschungen zumutbar, um den Fahrzeugführer zu ermitteln.

Siehe auch
Kostenbescheid gem. § 25 a StVG nach Parkverstoß
und
Stichwörter zum Thema Fahrtenbuch


Gründe:


I.

Die Betroffene GmbH begehrt gerichtliche Entscheidung gegen einen Kostenbescheid.

Die Stadt .... stellte am 28. November 2019 um 9.30 Uhr fest, daß das Fahrzeug M. B., amtliches Kennzeichen ..., in der ...-Straße vor der ... auf dem Gehweg abgestellt war.

Am 3. Dezember 2019 ermittelte die Stadt .... über eine Anfrage im zentralen Fahrzeugregister die betroffene ...-GmbH als Halterin des Fahrzeugs. Mit Schreiben vom 16. Dezember 2019 hörte die Stadt .... die Betroffene unter der im Fahrzeugregister niedergelegten Anschrift als Zeugin zu dem Verstoß an. Sie wies außerdem darauf hin, daß gegen den Halter ein Kostenbescheid nach § 25a StVG ergehen könne und hörte auch hierzu an.

Am 5. Januar 2020 teilte der Geschäftsführer der Betroffenen mit, daß sein namentlich genannter Bote ... das Fahrzeug geführt habe. Dieser habe die Universität mit Buchwerk beliefert.. Der Innenhof des Gebäudes sei gesperrt gewesen, so daß er woanders an dem Gebäude habe halten müssen.




Die Stadt ... teilte dem Geschäftsführer daraufhin mit, daß sie seiner Argumentation nicht folgen könne. Der Geschäftsführer solle die angebotene Verwarnung zahlen oder die Personalien des Fahrzeugführers (Name, Anschrift und Geburtsdaten) mitteilen. Der Geschäftsführer reagierte mit Schreiben vom 15. Januar 2020 und teilte mit, daß seinem Boten ein ordnungsgemäßes Verhalten unmöglich sei. Die Stadt ... vereitele seinen Geschäftszweck, weil sie die ... großflächig mit Halteverbot umstelle. Am 17. Januar 2020 erwiderte die Stadt ..., daß die Betroffene auf Nachfrage keine weiteren Fahrerdaten mitgeteilt habe. In einem weiteren Schreiben vom 23. Januar 2020 teilte der Geschäftsführer der Betroffenen keine weiteren Fahrerdaten mit.

Daraufhin stellte die Stadt ... am 28. Februar 2020 das Ordnungswidrigkeitenverfahren ein und erließ zeitgleich den Beschluß, daß die Betroffene die Verfahrenskosten zu tragen habe.

Mit am 4. März 2020 bei der Stadt ... eingegangenen Schreiben beantragt die Betroffene gerichtliche Entscheidung.

Sie bezieht sich auf den bisherigen Schriftwechsel.

Am 10. März 2020 gab die Verwaltungsbehörde das Verfahren an das Amtsgericht Tübingen ab.





II.

1. Das Schreiben der Betroffenen ist als Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG zu werten. Zuständig ist das Amtsgericht Tübingen, weil die Verwaltungsbehörde (Stadt ...) ihren Sitz im Bezirk des Amtsgerichts Tübingen hat, § 68 Abs. 1 OWiG.

Als solcher ist der Antrag gegen den Kostenbescheid statthaft, § 25a Abs. 3 StVG. Die Frist von zwei Wochen ist eingehalten, § 25a Abs. 3 Satz 1 StVG.

2. Der Antrag ist begründet.

a) Der Bescheid ist formell korrekt von der zuständigen Behörde ergangen. Insbesondere wurde die Betroffene auch zur Möglichkeit angehört, daß ihr als Halter die Kosten auferlegt werden könnten.

Der Bescheid ist formell nicht zu beanstanden. Zwar gibt er als Begründung lediglich den Wortlaut des § 25a StVG wieder. Indes sieht § 25a StVG nicht vor, daß der Kostenbescheid überhaupt zu begründen wäre. Deshalb ist die vorliegende Formulierung ausreichend.

b) Nach § 25a Abs. 1 StVG kann die Verwaltungsbehörde dem Halter eines Fahrzeugs die Kosten des Bußgeldverfahrens auferlegen, wenn sie einen Halt- oder Parkverstoß feststellt und der Führer, der den Verstoß begangen hat, nicht innerhalb der Verfolgungsfrist ermittelt werden kann.

α) Halt- oder Parkverstöße sind insbesondere Verstöße gegen die §§ 1 Abs. 2, 12, 13 und 18 Abs. 8 StVO. Im vorliegenden Fall befand sich das Fahrzeug auf dem Gehweg abgestellt. Dort hat das Fahrzeug nichts verloren, denn nach § 2 Abs. 1 StVO haben Fahrzeuge die Fahrbahn zu benutzen. Zum Halten und Parken ist nach § 12 Abs. 4 StVO der Seitenstreifen oder Fahrbahnrand zu nutzen.

Das Parken auf dem Gehweg ist daher unzulässig. Dieser Verstoß ist auch gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 12 StVO bußgeldbewehrt.




Die vorgebrachten Argumente können den Fahrer hiervon nicht entlasten. Wer eine Universität mit Büchern beliefert, erwirbt damit nicht das Recht, auf dem Gehweg zu parken. Er muß einen freien Stellplatz suchen und von dort mit seinen Händen und Beinen die Bücher zum Besteller bringen. Die Stadt T. greift damit nicht in die Gewerbefreiheit und das grundrechtlich geschützte Recht der freien Berufsausübung ein. Insbesondere wird die Betroffene nicht daran gehindert, Bücher zu verkaufen. Die Unannehmlichkeit, ein Kraftfahrzeug nicht vor der Haustür eines Kunden abstellen zu dürfen, schränkt die Berufs- und Gewerbefreiheit nicht in relevantem Maße ein. Vielmehr schützen §§ 2, 12 StVO Fußgänger und Radfahrer im Kindesalter vor ungezügeltem Lieferverkehr und damit die schwächeren Verkehrsteilnehmer gegenüber den motorisierten. Wenn die Betroffene meint, ihr stünde ein Parkrecht an der ... zu, möge sie das Fahrzeug entsprechend § 2 StVO auf der Fahrbahn abstellen. Dann würde sie wenigstens keine schwächeren, sondern gleich starke Verkehrsteilnehmer behindern. Diese einfache Abwägung hätte auch die Betroffene oder der Fahrzeugführer vornehmen und zum Ergebnis gelangen können, daß das Abstellen des Fahrzeugs auf dem Gehweg einfach gar nicht geht.

β) Die Betroffene ist Halter des Fahrzeugs.

Halter des Fahrzeugs ist - grundsätzlich unabhängig von der Eigentümerstellung - derjenige, der das Fahrzeug für eigene Rechnung in Gebrauch hat (d. h. die Nutzungen aus der Verwendung zieht und die Kosten für die Unterhaltung und den laufenden Betrieb trägt) und die tatsächliche Verfügungsgewalt innehat, die ein solcher Gebrauch voraussetzt (d. h. Anlass, Zeit, Dauer und Ziel der Fahrten selbst bestimmen kann; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 2.9.1997 - 10 S 1670/97 -, DÖV 1998, 297, juris Rdn. 3 ff., u. v. 30.10.1991 - 10 S 2544/91 -, NZV 1992, 167, juris Rdn. 3). Nicht zuletzt wegen der Zielrichtung des Fahrzeugregisters, schnell und zuverlässig Auskunft über das Fahrzeug und seinen Halter zu geben (§ 32 Abs. 2 StVG), und im Interesse einer einheitlichen Bestimmung des Halterbegriffs im Straßenverkehrsrecht kommt der Erfassung im Fahrzeugregister als objektivem Gesichtspunkt im Außenverhältnis zu anderen Verkehrsteilnehmern und der Allgemeinheit sowie zu Behörden eine ausschlaggebende Rolle zu. Da gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 FZV im Zulassungsverfahren der Name des Halters bei der Zulassung anzugeben und bei einer Änderung der Angaben zum Halter diese unverzüglich der Zulassungsstelle mitzuteilen ist (vgl. § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FZV), dürfte in aller Regel derjenige, auf den der Pkw (als Halter) zugelassen ist, auch tatsächlich der Halter sein. Die aus der Eintragung als Halter im Fahrzeugregister folgende Indizwirkung kann nur durch plausibles und substantiiertes Vorbringen dazu, die Verfügungsbefugnis über das Kraftfahrzeug stehe einem anderen zu, entkräftet werden (OVG Lüneburg, Beschluss vom 30. Mai 2016 – 12 LA 103/15 –, Rn. 10, juris).

Anhaltspunkte hierfür sind nicht vorhanden.


Es kommt nicht darauf an, wer das Fahrzeug geführt hat. Die Haftung nach § 25a StVG besteht, weil der Halter des Gegenstands auch dafür verantwortlich ist, daß dieser aufgeräumt wird.

γ) Der Führer hätte jedoch möglicherweise vor Eintritt der Verfolgungsverjährung ermittelt werden können.

Die Verwaltungsbehörde muß keinen unverhältnismäßigen Aufwand zur Ermittlung des Fahrzeugführers betreiben. Hier kann auf die Grundzüge zu § 31a StVZO verwiesen werden (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. München 2017, § 25a StVG, Rn 7). Zeitraubende, kaum aussichtsreiche Ermittlungen sind nicht veranlaßt (Hentschel/König/Dauer a. a. O., § 31a StVZO, Rn 33). Sofern der Halter nicht mitwirkt, sind weitere Ermittlungen in der Regel nicht zumutbar (Hentschel/Dauer a. a. O.). Auch Ermittlungen im außereuropäischen Ausland sind kaum verhältnismäßig (vgl. AG Tübingen, Beschluß vom 27. März 2020 - 16 Owi 788/20). Erteilt der Halter hingegen konkrete Hinweise auf den verantwortlichen Fahrzeugführer, etwa, dass der Ehepartner „das Fahrzeug in Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit nutze“, sind Ermittlungen dahingehend nicht unverhältnismäßig (AG Rudolstadt, Beschluß vom 9. November 2007 - Owi 141/07 - DAR 2008, 38). Das Gleiche gilt, wenn sich ein konkreter und identifizierbarer Mitarbeiter eines Unternehmens als Fahrzeugführer bekennt, auch wenn er hierbei seinen Namen verschweigt (AG Aachen, Beschluß vom 15. Mai 1995 - 49 Owi 121/95 - NZV 1996, 166).

Im vorliegenden Fall hat die Halterin sogar den Namen des Fahrers benannt (pp..). Der Akte ist nicht zu entnehmen, ob die Stadt T. hierauf weitere Ermittlungen angestellt hat. Die Stadt T. hat zwar von der Halterin verlangt, Geburtstag und Geburtsort des Fahrers anzugeben. Weitere Ermittlungen ergeben sich aus der Akte aber nicht.



Das ist im vorliegenden Fall, in dem ein einfacher Angestellter einer lokalen Buchhandlung einen fremdländischen und nicht allzu gewöhnlichen Namen hat, zu wenig. Die Stadt hätte zum Beispiel im Telefonbuch recherchieren können, um dann festzustellen, daß eine Person gleichen Namens zwar nicht in T., aber in einem Teilort wohnt. Auch hätte eine Eingabe des Namens im Internet zahlreiche Treffer gegeben. Neben der Anschrift läßt sich auf Geburtsort, Geburtsjahr (…) und ein Künstlerleben des mutmaßlichen Fahrers schließen, das sogar vom Kulturamt der Stadt T. unterstützt wurde.

Das Gericht ist davon überzeugt, daß die Stadt T. hier mit zumutbarem Aufwand hätte prüfen können, ob die leicht zu ermittelnde Künstlerpersönlichkeit Verbindungen zur betroffenen Buchhandlung hat und daher möglicherweise mit dem benannten Fahrer identisch ist.

Dies wäre auch bei einem Bußgeld von nur 20,- Euro zumutbar und verhältnismäßig gewesen. III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 und 3 StPO. Die Kosten sind der Staatskasse aufzuerlegen, die den Kostenbescheid erlassen hat (Hentschel/König/Dauer a. a. O., § 25a, Rn 19; MüKoStVR/Weidig StVG § 25a Rn. 36; AG Saarbrücken, Beschluß vom 29. Juni 1988 - 22 Owi 336/88 - NZV 1989, 125). Von der Überbürdung der notwendigen Auslagen der Betroffenen sieht das Gericht nach § 467 Abs. 3 StPO ab. Die Stadt T. hat die Betroffene aufgefordert, die Geburtsdaten des Betroffenen anzugeben, was diese nicht getan hat.

Diese Entscheidung kann nicht angefochten werden, § 25a Abs. 3 StVG.

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