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Oberverwaltungsgericht Lüneburg (Beschluss vom 17.01.2023 - 12 ME 149/22 - Zur "Wahlfeststellung" bei mehreren ernsthaft in Betracht kommenden zwingenden Gründen, aus denen sich die alkoholbedingte Fahrungeeignetheit eines an sich trockenen Alkoholikers ergibt

OVG Lüneburg v. 17.01.2023: Zur "Wahlfeststellung" bei mehreren ernsthaft in Betracht kommenden zwingenden Gründen, aus denen sich die alkoholbedingte Fahrungeeignetheit eines an sich trockenen Alkoholikers ergibt




Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg (Beschluss vom 17.01.2023 - 12 ME 149/22) hat entschieden:

   Der Fall eines vormals "trockenen" Alkoholikers, der die Voraussetzungen der Nr. 8.4 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV erfüllt hatte, nach Neuerteilung der Fahrerlaubnis aber wieder Alkohol konsumierte, eröffnet - in Abhängigkeit von den weiteren Umständen - vier verschiedene Möglichkeiten der rechtlichen Einordnung. Bei einem gerechtfertigten Ausschluss aller Sachverhaltsvarianten, die zu einer Kraftfahreignung des betroffenen Fahrerlaubnisinhabers führen würden, kann die Fahrerlaubnisbehörde unaufgeklärt lassen, welche von mehreren verbleibenden Sachverhaltsvarianten der alkoholkonsumbedingten Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen vorliegt. Denn insoweit ist sie zu einer Art "Wahlfeststellung" berechtigt.

Siehe auch
Alkohol und Fahrerlaubnisentzug und -erteilung im Verwaltungsverfahren
und
Stichwörter zum Thema Alkohol

Gründe:


Mit seiner Beschwerde wendet sich der 1982 geborene, arbeitslose Antragsteller dagegen, dass es die Vorinstanz abgelehnt hat, ihm vorläufigen Rechtsschutz gegen den Sofortvollzug des im Klagewege angefochtenen Bescheides des Antragsgegners vom 23. Juni 2022 (Bl. 4 ff. der Gerichtsakte [GA]) zu gewähren. Durch diesen Bescheid entzog der Antragsgegner dem Antragsteller unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fahrerlaubnis (u. a. der Klasse B). Diese Fahrerlaubnis war dem Antragsteller nach mehrfachen strafgerichtlichen Entziehungen wegen Trunkenheitsfahrten (und zwischenzeitlichen Neuerteilungen) zuletzt im August 2020 (vgl. S. 276 f. der elektr. Beiakte - eBA - 1) auf der Grundlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens des Dekra e. V. Dresden vom 18. Mai 2020 (S. 232 ff. [247] eBA 1) wiedererteilt worden. Denn dieses Gutachten rechtfertigte den Schluss, der Antragsteller habe seine - für die Vergangenheit unstreitige und nach den Beurteilungskriterien der ICD-10 ärztlich diagnostizierte - Alkoholabhängigkeit dergestalt (im Sinne der Nr. 8.4 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV) überwunden, dass nicht mit weiteren Trunkenheitsfahrten zu rechnen sei. Die Gutachter waren nämlich zu der Einschätzung gelangt, dass die Laborbefunde die Angabe einer Alkoholabstinenz des Antragstellers über einen Zeitraum von 12 Monaten stützten und die verhaltenspsychologischen Befunde darauf schließen ließen, er habe seine Alkoholabhängigkeit und die ihr zugrundeliegende Problematik bewältigt. Seine Alkoholabstinenz sei nachvollziehbar motiviert, auf Dauer angelegt und könne als stabil gewertet werden, sodass kein Rückfall in die ehemaligen problematischen Trink- und Verhaltensmuster zu erwarten sei. Dabei würdigten die Gutachter unter anderem einen "provozierten Rückfall" des Antragstellers im Dezember 2018 (S. 245 eBA 1). Damals hatte der Antragsteller nach zwischenzeitlicher Entgiftung und Abstinenz "aus Neugier" einen (vermeintlich letzten) Versuch unternommen, wieder kontrolliert zu trinken, musste aber feststellen, dass er dazu nicht fähig war.

Zu der nunmehr umstrittenen Entziehungsverfügung sah sich der Antragsgegner veranlasst, nachdem ihm aus einer polizeilichen Mitteilung vom 7. Januar 2022 (S. 281 ff. eBA 1) bekannt geworden war, dass der Antragsteller am 6. Januar 2022 unter dem Verdacht stand, häusliche Gewalt gegen seine Lebensgefährtin geübt zu haben, und dabei in stark alkoholisiertem Zustand angetroffen wurde. Ein anlässlich des Polizeieinsatzes durchgeführter Atemalkoholtest - dessen Aussagekraft der Antragsteller allerdings unter Hinweis darauf bestreitet, dass er unmittelbar zuvor Spirituosen getrunken habe - hatte einen Wert von 1,7 mg/l (? 3,4 ? BAK) ergeben.




Das Verwaltungsgericht hat seinen angefochtenen Beschluss im Wesentlichen begründet wie folgt:

(1) Die überschaubaren Erfolgsaussichten der Klage geböten es nicht, dem Eilantrag zu entsprechen, weil der Antragsgegner sehr wahrscheinlich berechtigt gewesen sei, dem Antragsteller die Fahrerlaubnis zu entziehen. Denn nach § 3 Abs. 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 3 FeV sei die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweise, was der Fall sei, wenn eine Erkrankung nach Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV vorliege. Diese Voraussetzungen seien im maßgebenden Zeitpunkt der Entziehungsentscheidung gegeben gewesen. Nach Nr. 8.3 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV besäßen Personen, die alkoholabhängig seien, die Fahreignung unabhängig davon nicht, ob eine Fahrt unter Alkohol vorliege oder eine sonstige Verbindung zum Straßenverkehr bestehe. Nach den Ausführungen in dem Gutachten des DEKRA e. V. Dresden vom 18. Mai 2020 habe sich in der Alkoholvorgeschichte des Antragstellers eine hinreichende Anzahl von Merkmalen ergeben, die die Diagnose einer Alkoholabhängigkeit begründeten. Es gebe keine Anhaltspunkte, diese Diagnose in Zweifel zu ziehen.

(a) Zwar sei der Antragsgegner im Zuge der am 4. August 2020 erfolgten Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von der wiederhergestellten Fahreignung des Antragstellers nach Nr. 8.4 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV ausgegangen. Daraus folge indessen nicht, dass die in der Vergangenheit festgestellte Alkoholabhängigkeit vollständig überwunden sei und die Erkrankung keinerlei Relevanz für den Fortbestand der Fahreignung habe. Denn nach überwiegender verkehrsmedizinischer Auffassung bestehe eine Alkoholabhängigkeit, wie sie beim Antragsteller diagnostiziert worden sei, auch bei Alkoholabstinenz bzw. Symptomfreiheit fort. Das von einem ehemals alkoholabhängigen Kraftfahrer ausgehende Verkehrsrisiko sei nur dann hinnehmbar, wenn Wiedererlangung und Fortbestand der Fahreignung vom Bestehen einer strikten Alkoholabstinenz abhängig gemacht würden. Hiervon gingen ersichtlich auch die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung aus. Hieran gemessen dränge es sich (unabhängig von der genauen Höhe der Blut- bzw. Atemalkoholkonzentration) schon aufgrund der in dem Polizeibericht geschilderten unbestrittenen alkoholtypischen Ausfallerscheinungen des Antragstellers auf, dass er massiv unter der Wirkung von Alkohol gestanden und ein Rückfall in seine Alkoholkrankheit vorgelegen habe. Die gemäß den Begutachtungsleitlinien für Kraftfahreignung nach der Diagnose einer Alkoholabhängigkeit zwingend erforderliche Einhaltung einer stabilen Abstinenz sei damit gerade nicht (mehr) gegeben.

(b) Es begegne keinen Bedenken, dass der Antragsgegner hier ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen, insbesondere ohne Einholung eines ärztlichen oder medizinisch-psychologischen Gutachtens (§ 13 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 Buchst. d] und e] FeV), von der Fahrungeeignetheit des Antragstellers ausgegangen sei. Denn der Beleg einer für den Fortbestand der Fahreignung verlässlichen und stabilen Abstinenz setze nach den Begutachtungsleitlinien für Kraftfahreignung bei bereits diagnostizierter Alkoholabhängigkeit voraus, dass für einen Zeitraum von einem Jahr ein Abstinenznachweis durch geeignete Befunde erbracht werde. Dieser Zeitraum habe im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt schon aus zeitlichen Gründen nicht eingehalten werden können.

(c) Es sei unerheblich, ob tatsächlich - wie der Antragsteller geltend mache - die begründete Erwartung einer Trunkenheitsfahrt [nicht] bestehe. Denn seine Fahrungeeignetheit ergebe sich nicht aus einem fehlenden Trennungsvermögen zwischen dem Führen von Fahrzeugen und einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum (Nr. 8.1 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV), sondern aus seiner fortbestehenden Alkoholabhängigkeit als solcher (Nr. 8.4 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV).


(d) Keinerlei Relevanz habe es, ob sich die Rahmenbedingungen im Umfeld des Antragstellers infolge der offenbar nach dem Polizeieinsatz erfolgten Trennung von seiner Lebensgefährtin zum Positiven geändert hätten und deshalb von seiner zukünftigen Abstinenz auszugehen sei. Dies sei ein Gesichtspunkt, der erst im Verfahren auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis bei der Frage zu prüfen sei, ob der Antragsteller in Ansehung seiner Vorgeschichte wieder fahrgeeignet sei.

(2) Im Übrigen - und insoweit selbständig tragend - gebiete es auch eine von den Erfolgsaussichten der Klage losgelöste Interessenabwägung, die sofortige Vollziehung der Entziehungsentscheidung aufrechtzuerhalten. Es sei nicht zu verantworten, dass der langjährig alkoholkranke Antragsteller, dem im Zusammenhang mit Trunkenheitsfahrten wiederholt strafgerichtlich die Fahrerlaubnis entzogen worden sei und der nach Durchführung einer Alkoholentwöhnungsbehandlung und Inanspruchnahme langjähriger therapeutischer Begleitung trotz der im Dezember 2018 gemachten entsprechenden Erfahrung rückfällig geworden sei, ohne vorherige positive medizinische Begutachtung weiter am Straßenverkehr teilnehme.

(a) Denn wegen seines unstreitigen Rückfalls in die "nasse Phase" der Alkoholsucht bestünden zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung durchgreifende Zweifel an seiner Kraftfahreignung. Diese Zweifel seien vor allem dadurch begründet, dass er zum wiederholten Male die in dem medizinisch-psychologischen Gutachten geforderte strikte und dauerhafte Alkoholabstinenz aufgegeben habe. Allein der Rückfall in den Alkoholkonsum in der Beziehungskrise mit seiner Lebensgefährtin mache ein Wiederaufleben seiner Alkoholabhängigkeit wahrscheinlich.

(b) Darauf, ob er am Straßenverkehr mit einem Kraftfahrzeug teilnehme, komme es für seine Fahreignung nicht an.

(c) Die mit dieser Entscheidung für den Antragsteller verbundenen Nachteile, die wegen seiner Arbeitslosigkeit - von Reisen zu Vorstellungsgesprächen abgesehen - vornehmlich seine private Lebensführung beträfen, müssten wegen des Gewichts von Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer hingenommen werden.




II.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 11. November 2022 ist gemäß § 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO als unzulässig zu verwerfen.

Nach § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO ist die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes - wie hier gemäß § 80 Abs. 5 VwGO - innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung muss unter anderem die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung aufzuheben oder abzuändern ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO).

Um sich im Sinne des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO mit der angefochtenen Entscheidung auseinanderzusetzen, muss ein Beschwerdeführer von der Begründungsstruktur dieser Entscheidung ausgehen und das Entscheidungsergebnis in Frage stellen (Stuhlfauth, in: Bader u. a., VwGO, 8. Aufl. 2021, § 146 Rn. 31). Die erforderliche Dichte seiner eigenen Ausführungen hat sich dabei an der Dichte der Begründung der angefochtenen Entscheidung zu orientieren (Happ, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 146 Rn. 22a). Hat das Verwaltungsgericht seine Entscheidung auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, muss ein Beschwerdeführer zudem alle diese Begründungen angreifen und erschüttern (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 7.6.2006 - 2 ME 661/06 -, NVwZ-RR 2006, 650 f. [650]; Stuhlfauth, in: Bader u. a., VwGO, 8. Aufl. 2021, § 146 Rn. 31, m. w. N.). Je intensiver die gerichtliche Entscheidung begründet ist, umso eingehender muss der Beschwerdeführer die sie tragende Argumentation entkräften. Es reicht deshalb grundsätzlich nicht aus, wenn er lediglich eine eigene Würdigung der Sach- und Rechtslage vorträgt, die im Ergebnis von derjenigen des Verwaltungsgerichts abweicht. Vielmehr muss er in der Regel den einzelnen tragenden Begründungselementen der angefochtenen Entscheidung geeignete Gegenargumente konkret gegenüberstellen und - soweit möglich - deren Vorzugswürdigkeit darlegen (Nds. OVG, Beschl. v. 16.11.2016 - 12 ME 132/16 -, ZNER 2017, 70 ff., hier zitiert nach juris, Rn. 56, und Beschl. v. 10.2.2014 - 7 ME 105/13 -, juris, Rn. 26). Hieraus folgt, dass es regelmäßig nicht genügt, wenn er pauschal auf sein erstinstanzliches Vorbringen Bezug nimmt oder dieses unverändert wiederholt (vgl. Stuhlfauth, in: Bader u. a., VwGO, 8. Aufl. 2021, § 146 Rn. 31, m. w. N.).

Die innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO eingereichte Begründung der Beschwerde wird diesen Anforderungen nicht gerecht.


1. Soweit der Antragsteller am Ende seiner Beschwerdeschrift vom 28. November 2022 auf seine "Klagebegründung vom 27.06.2022" Bezug nimmt, ist damit zwar offensichtlich eine Verweisung auf die der Beschwerdeschrift in Ablichtung beigefügte Klage- und Antragsschrift vom 6. Juli 2022 gemeint. Diese Bezugnahme ist aber nicht statthaft, weil diese Klageschrift keine Auseinandersetzung mit den Gründen des (ihr zeitlich nachfolgenden) Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 11. November 2022 enthält. Gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO findet folglich in dem hiesigen Beschwerdeverfahren auch keine obergerichtliche Prüfung der Klagegründe des Antragstellers anhand der Klageschrift statt; denn diese Klagegründe sind als Beschwerdegründe nicht ordnungsgemäß dargelegt.

2. Der Antragsteller macht insbesondere gegenüber den oben unter I. 1. b) und d) wiedergegebenen Erwägungen des Verwaltungsgerichts geltend, der Antragsgegner wäre im vorliegenden Fall gehalten gewesen, zunächst die Beibringung eines medizinisch-psychologischen oder ärztlichen Gutachtens von ihm zu fordern. Der Vorfall vom 6. Januar 2022 sei ein der schwierigen Beziehung zur Lebensgefährtin geschuldeter "Ausrutscher" gewesen, auf den er mit einer Trennung von dieser Gefährtin und mit einer Änderung seines Verhaltens reagiert habe. Die Frage nach seiner aktuellen Alkoholabhängigkeit dürfe nur anhand von Feststellungen beantwortet werden, die sich an fachlichen Standards orientierten. Eine überwiegende verkehrsmedizinische Auffassung ersetze keine fachlich-medizinische Prüfung.

Dieses Vorbringen enthält keine hinreichende argumentative Auseinandersetzung mit den oben unter I. 1. b) und d) wiedergegeben Gründen des angefochtenen Beschlusses, sondern setzt diesen lediglich eine abweichende Würdigung der Sach- und Rechtslage entgegen.

Dieser Würdigung wäre im Übrigen nicht zu folgen: Auszugehen ist davon, dass der - hier vorliegende - Fall eines vormals "trockenen" Alkoholikers, der die Voraussetzungen der Nr. 8.4 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV erfüllt hatte, aber danach erneut Alkohol konsumiert - in Abhängigkeit von den weiteren Umständen - vier verschiedene Möglichkeiten der rechtlichen Einordnung eröffnet.

Erstens kann der Betroffene in das Vollbild seiner vormals überwundenen Alkoholabhängigkeit zurückgefallen sein und ist dann gemäß Nr. 8.3 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet, ohne dass es darauf ankäme, ob er seit der Wiederaufnahme seines Alkoholkonsums zwischen Trinken und Fahren getrennt hat. Denn bei alkoholabhängigen Personen besteht krankheitsbedingt jederzeit die Gefahr eines Kontrollverlusts und der Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss (Bay. VGH, Beschl. v. 16.11.2016 - 11 CS 16.1957 -, juris, Rn. 10).

Zweitens kann es sich um einen nur kurzfristigen Alkoholkonsum während einer ansonsten eingehaltenen Abstinenz handeln, der sich als "Ausrutscher" qualifizieren lässt. Zwar entfällt im Regelfall bei jedem Alkoholkonsum eines bis dahin "trockenen" Alkoholikers die Kraftfahreignung (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 9.11.2022 - 12 ME 118/22 -, S. 4 der Abschrift). Ausnahmsweise kommt allerdings etwas Anderes in Betracht, wenn sich ein nur vereinzelter Alkoholkonsum (noch) mit der Erwartung einer langfristig alkoholabstinenten Lebensweise vereinbaren lässt (vgl. Bay. VGH, Beschl. v. 28.4.2022 - 11 CS 22.467 -, juris, Rn. 15, m. w. N.). Dann kann der Betroffene - ggf. trotz ein Jahr unterschreitenden Abstinenz seit diesem Konsum (vgl. DGVP und DGVM [Hrsg.], Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung Beurteilungskriterien, 3. Aufl. 2013, S. 132 f., Kriterium A 1.7 N, Nr. 1) - (weiter) gemäß Nr. 8.4 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet sein. Dies erfordert allerdings unter anderem, dass er nur in einer begrenzten Zeitspanne während einer ansonsten noch andauernden Abstinenzphase Alkohol getrunken hatte und dass er akzeptiert, dass sein Abstinenzentschluss Einschränkungen und Ausnahmen nicht verträgt (vgl. DGVP und DGVM [Hrsg.], a. a. O., Kriterium A 1.7 N, Nrn. 3, 4 und 7). Ein unschädlicher "Ausrutscher" darf folglich insbesondere dann nicht angenommen werden, wenn der Kraftfahrer sich zukünftig wieder gelegentlichen Alkoholkonsum gestatten will und/oder die Risiken eines Abstinenzabbruches herunterspielt (vgl. DGVP und DGVM [Hrsg.], a. a. O., Kriterium A 1.7 N, am Ende).




Drittens kann ein lediglich vereinzelter Alkoholkonsum vorliegen, dessen Einordnung als unschädlicher "Ausrutscher" ausscheidet. In diesem Regelfall der Einordnung nur vereinzelten Alkoholkonsums (vormals) "trockener" Alkoholiker sind die Voraussetzungen der Nr. 8.4 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV nicht mehr erfüllt (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 9.11.2022 - 12 ME 118/22 -, S. 4 der Abschrift). Der Betroffene ist deshalb ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, selbst wenn das Vollbild einer Alkoholabhängigkeit im Sinne der Nr. 8.3 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV (noch) nicht wieder eingetreten ist. Es mag hier dahinstehen, ob diese Fallgestaltung dem Tatbestand der Alkoholabhängigkeit nach Nr. 8.3 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV zugeordnet werden kann, oder sie in der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV nicht oder nur unvollständig geregelt ist; denn dies wäre im Hinblick auf den gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV nicht abschließenden Charakter der Anlage 4 unschädlich.

Viertens mag es schließlich (höchst seltene) Ausnahmefälle geben, in denen ein vormals Alkoholabhängiger aufgrund besonderer menschlicher Veranlagung und/oder besonderer Verhaltenssteuerungen (im Sinne der Vorbemerkung Nr. 3 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV) die Fähigkeit eines nicht an der Alkoholsucht vorerkrankten Gesunden zu kontrolliertem Trinken zurückerworben hat. Auch dann würde ein (maßvoller) Alkoholkonsum des Betroffenen nicht zum Verlust der Kraftfahreignung führen.

Wie sich insbesondere aus § 11 Abs. 7 FeV (i. V. m. § 46 Abs. 3 FeV) ergibt, kann ein Kraftfahrer im Verwaltungsverfahren zur Entziehung seiner Fahrerlaubnis nicht schematisch beanspruchen, dass ihm vor der behördlichen Feststellung seiner Nichteignung ausnahmslos aufgegeben wird, zunächst ein ärztliches oder ggf. medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen (vgl. auch Bay. VGH, Beschl. v. 9.12.2014 - 11 CS 14.1868 -, juris, Rn. 21, und Beschl. v. 16.11.2016 - 11 CS 16.1957 -, juris, Rn. 9). Vielmehr setzt die Notwendigkeit einer solchen Aufklärungsanordnung stets einen entsprechenden fachgutachterlichen Klärungsbedarf voraus. Dieser kann sich zwar daraus ergeben, dass aufzuhellen ist, welche der o.a. Sachverhaltsalternativen vorliegt, wenn die eine mit der Kraftfahreignung des Fahrerlaubnisinhabers verbunden wäre, während die andere dessen Ungeeignetheit bedeuten würde. Die Fahrerlaubnisbehörde muss aber durch die Anordnung einer Begutachtung nicht "ins Blaue hinein" Geschehensvarianten abklären und ausschließen, die untypisch sind und für die nach den Umständen des Einzelfalls und dem Vorbringen des betroffenen Kraftfahrers ohnehin keine tatsächlichen Anhaltspunkte sprechen. Bei einem gerechtfertigten Ausschluss aller Sachverhaltsvarianten, die zu einer Kraftfahreignung des Betroffenen führen würden, kann die Behörde zudem unaufgeklärt lassen, welche von mehreren verbleibenden Sachverhaltsvarianten der alkoholkonsumbedingten Nichteignung vorliegt. Denn insoweit ist sie zu einer Art "Wahlfeststellung" berechtigt.

Beginnt man hiernach im Zuge rechtlicher Prüfung sinnvollerweise damit, dem Antragsteller günstige Sachverhaltsvarianten auszuschließen, ergibt sich Folgendes: Es kann kein weiterer Klärungsbedarf dahin erkannt werden, ob der Antragsteller als (jedenfalls vormals) Alkoholabhängiger aufgrund besonderer menschlicher Veranlagung und/oder besondere Verhaltenssteuerungen (im Sinne der Vorbemerkung Nr. 3 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV) vor dem Ergehen der angefochtenen Entziehungsverfügung die Fähigkeit eines nicht an der Alkoholsucht vorerkrankten Gesunden zu kontrolliertem Trinken zurückerworben hatte. Denn der Antragsteller hatte bereits Ende 2018 in einem entsprechenden "Selbstversuch" das Gegenteil bewiesen, er hat sich auch am 6. Januar 2022 maßlos betrunken, und er hat erst recht nicht substantiiert dargelegt, wie und wo er die Fähigkeit zu kontrolliertem Trinken wiedererworben haben sollte. Dementsprechend ordnet auch er selbst in seiner Versicherung an Eides Statt vom 10. Juli 2022 (S. 329 eBA 1) seinen Alkoholkonsum am 6. Januar 2022 als "Rückfall" ein. Es bedarf deshalb keines Fachgutachtens, um hier festzustellen, dass eine Ausnahme vom Regelfall im Sinne der Vorbemerkung Nr. 3 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV nicht in Betracht kommt.



Auch die Voraussetzungen dafür, den Alkoholkonsum vom 6. Januar 2022 als "Ausrutscher" zu qualifizieren, der die Fahreignung nicht ausschließt, liegen hier so deutlich nicht vor, dass sich dies gemäß § 11 Abs. 7 FeV (i. V. m. § 46 Abs. 3 FeV) aus eigener Sachkunde der Behörde (und nachfolgend der Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit) beurteilen lassen dürfte. Denn der Antragsteller hat nicht einmal substantiiert dargelegt (geschweige denn durch entsprechende ärztlich Abstinenzkontrollen glaubhaft gemacht), dass, seit wann genau und wodurch motiviert er nach dem Vorfall vom 6. Januar 2022 (etwa) wieder eine ausnahmslose Alkoholabstinenz einhalte. Obwohl ihm aufgrund seiner Alkoholvorgeschichte spätestens seit Ende 2018 die zentrale Bedeutung derartiger Abstinenz gerade für seine eigene Kraftfahreignung bestens bekannt ist, trägt er (entgegen § 138 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 173 Satz 1 VwGO) hierzu nicht detailliert vor. Seine pauschale und dürftige Behauptung in der eidesstattlichen Versicherung vom 10. Juli 2022 (S. 329 eBA 1), seit Ende 2018 sei er "alkoholabstinent", kann solchen Vortrag aber nicht ersetzen und lässt sich zudem bereits im Hinblick darauf nicht verabsolutieren, dass er zugleich den Alkoholkonsum am 6. Januar 2022 eingeräumt hat. Außerdem deutet die Argumentation des Antragstellers in seiner Beschwerdeschrift, als Arbeitsloser gerate er nicht in den Konflikt, nach einem Alkoholkonsum am nächsten Tage wieder ein Auto fahren zu müssen, in hohem Maße darauf hin, dass er beabsichtigt oder zumindest einkalkuliert, sich auch künftig einen gelegentlichen Alkoholkonsum zu gestatten, aber glaubt, andere Verkehrsteilnehmer vor den davon ausgehenden Gefahren aufgrund (angeblichen) eigenen Trennungsvermögens zwischen Trinken und Fahren abschirmen zu können. Damit spielt er jedoch die in seinem Fall gegebenen spezifischen Risiken des Abstinenzabbruchs eines an der Alkoholsucht Vorerkrankten herunter.

Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner Klärung, ob der Antragsteller seit dem 6. Januar 2022 wieder in das Vollbild einer Alkoholabhängigkeit zurückgefallen und daher nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV i. V. m. Nr. 8.3 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist, oder ob ihm die Kraftfahreignung nur deshalb fehlt, weil sich der Vorfall vom 6. Januar 2022 nicht als "Ausrutscher" einordnen lässt, folglich die Voraussetzungen der Nr. 8.4 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV nicht mehr vorliegen und sich infolgedessen die mangelnde Kraftfahreignung des Antragstellers (allein) aus seiner Vorerkrankung an der Alkoholsucht in Verbindung mit dem jedenfalls eingetretenen Fortfall einer berechtigten Erwartung seiner stabiler Abstinenz ergibt. Das Ergebnis der von dem Antragsteller - allerdings angegriffenen - polizeilichen Atemalkoholmessung würde (jedenfalls bei uneingeschränkter Verwertbarkeit) wohl eher für eine akute Alkoholabhängigkeit sprechen (vgl. Bay. VGH, Beschl. v. 16.11.2016 - 11 CS.16.1957 -, juris, Rn. 12, m. w. N.).

3. Die mit der Beschwerde dargelegte Auffassung des Antragstellers, wer über ein Jahr "trocken" gewesen sei, könne aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht ohne [fachgutachterliche] Prüfung "für die frühere Alkoholsucht" die Fahrerlaubnis verlieren und dürfe nicht gehindert werden, seine Fahreignung noch im Entziehungs- und nicht erst im Neuerteilungsverfahren nachzuweisen, geht von unrichtigen Prämissen aus und ist unschlüssig.



Wer - wie der Antragsteller - infolge einer Vorerkrankung an der Alkoholsucht nur unter der Voraussetzung einer berechtigten Erwartung seiner fortbestehenden stabilen Abstinenz geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist, verliert mit dem Fortfall dieser Erwartung nicht "für die frühere Alkoholsucht" die Fahrerlaubnis, sondern er verliert wegen der aktuellen Instabilität seiner Abstinenz und der daraus (zumindest) abzuleitenden gegenwärtigen Gefahr seines Abgleitens in das Vollbild der Alkoholabhängigkeit zunächst die Kraftfahreignung. Deshalb ist dann allerdings auch die Entziehung seiner Fahrerlaubnis (im weiteren Sinne) verhältnismäßig, d. h. zur Gefahrenabwehr geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne. Es können Gründe der Verhältnismäßigkeit keine Beweisermittlungen im Fahrerlaubnisentziehungsverfahren erfordern, die - wie hier - gegenwärtig unerheblich sind, sondern dem betroffenen Kraftfahrer allenfalls bei einer Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse während des Ermittlungsvorgangs den Verlust der Fahrerlaubnis, und damit ein späteres Neuerteilungsverfahren, ersparen würden. Vielmehr gestattet es § 10 Satz 2 VwVfG (i. V. m. § 1 Abs. 1 NVwVfG) nicht, ein Entziehungsverfahren unter Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer zweckwidrig in die Länge zu ziehen, um so zugunsten des betroffenen Kraftfahrers ein späteres Neuerteilungsverfahren zu erübrigen.

4. Der Antragsteller meint, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts (vgl. oben unter I. 1. c] und 2. b]) spiele es für die Abwägung eine Rolle, ob er berufsbedingt ständig auf seinem Führerschein angewiesen sei oder "nicht in den Konflikt gerate, am nächsten Tag wieder Auto zu fahren". Auch darin ist ihm nicht zu folgen, weil er sich - wie ausgeführt - hier nicht erfolgreich auf ein Trennungsvermögen zwischen Trinken und Fahren berufen kann, und zwar gleichgültig, ob er nun bereits in das Vollbild einer Alkoholabhängigkeit zurückgefallen ist oder nur durch die anzunehmende Instabilität seiner Abstinenz die gegenwärtige Gefahr seines Abgleitens in dieses Vollbild begründet hatte.

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