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OLG Hamm Beschluss vom 11.01.2006 - 2 Ws 319/05 - Keine strafbare falsche Anschuldigung, wenn sich zwei mögliche Täter gegenseitig belasten

OLG Hamm v. 11.01.2005: Keine strafbare falsche Anschuldigung, wenn sich zwei mögliche Täter gegenseitig belasten




Das OLG Hamm (Beschluss vom 11.01.2006 - 2 Ws 319/05) hat entschieden:

   Ein die Tat wahrheitswidrig leugnender Beschuldigter hält sich auch dann noch im Rahmen zulässigen Verteidigungsverhaltens und macht sich nicht wegen falscher Verdächtigung strafbar, wenn nach Lage der Sache nur zwei Personen als Täter in Betracht kommen, das Bestreiten des einen also die Behauptung beinhaltet, der andere sei der Täter. Der leugnende Beschuldigte bleibt auch straflos, wenn er über das bloße Bestreiten hinausgeht und die andere Person ausdrücklich der Tat bezichtigt. Anders ist es allerdings, wenn der Beschuldigte über diese Grenzen hinausgeht und für seine positive Behauptung zusätzliche Tatsachen liefert, Beweismittel vorlegt, auf die Beweisaufnahme so einwirkt, dass der Verdacht zum Nachteil der anderen Person deutlich verstärkt wird oder gar eine förmliche Strafanzeige erstattet.

Siehe auch
Falschangaben über den Fahrzeugführer gegenü9ber der Bußgeldstelle
und
Falsche Verdächtigung

Zum Sachverhalt:


Die Staatsanwaltschaft Bochum hat den Angeschuldigten unter dem 16. März 2004 angeklagt, sich am 7. Juli 2003 in Bochum einer falschen Verdächtigung schuldig gemacht zu haben, § 164 Abs. 1 StGB. Mit der Anklageschrift wird ihm dabei folgendes zur Last gelegt:

   "Am Tattag habe sich der Angeschuldigte als Angeklagter des Verfahrens 5 Js 44/01 im Rahmen seiner Vernehmung zur Sache vor der 13. Strafkammer des Landgerichts Bochum dahingehend eingelassen, der Anklagevorwurf zu Ziffer 4 der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Bochum vom 30. Oktober 2002 sei falsch. Er habe die ihm zur Last gelegte Tat zum Nachteil eines Dortmunder Fußballfans vom 10. September 2002 - nämlich eine gefährliche Körperverletzung - nicht begangen. Soweit er durch den Zeugen PK S. unmittelbar nach der Tat vorläufig festgenommen worden sei und hierüber auch ein entsprechender Festnahmevermerk durch den Zeugen gefertigt worden sei, sei dieses durch den Zeugen wider besseres Wissen und wahrheitswidrig geschehen, um ihn - den Angeklagten - zu Unrecht einer Straftat zu bezichtigen. Es habe sich um eine "Willküraktion" des Zeugen PK S. gehandelt. Soweit der Zeuge PK S. niedergelegt habe, er habe beobachtet, wie er - der Angeklagte - einem Dortmunder Fußballfan mit der Faust in das Gesicht geschlagen habe, handele es sich um eine bewusst wahrheitswidrige Darlegung des Zeugen. Der Zeuge habe gehandelt, um ihm - dem Angeklagten - zu schaden.




Obwohl der Angeklagte unmittelbar nach dieser Einlassung durch den Zeugen und damaligen Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft Bochum, Staatsanwalt O., darauf hingewiesen worden sei, dass diese Einlassung ein strafbares Verhalten, nämlich eine falsche Verdächtigung des Zeugen PK S. in Bezug auf das Verbrechen der Verfolgung Unschuldiger {§ 344 StGB) darstelle, sei der Angeklagte bei seiner Einlassung geblieben. Tatsächlich habe der Angeklagte aber entgegen seiner Einlassung am 10. September 2002 in Bochum im Bereich der Massenbergstraße einen Dortmunder Fußballfan mit der Faust in das Gesicht geschlagen."

Durch Beschluss vom 21. November 2005 hat die 13. Strafkammer des Landgerichts Bochum aus rechtlichen, hilfsweise aus tatsächlichen Gründen die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bochum, die Erfolg hatte.





Aus den Entscheidungsgründen:


"... 1. Die Anklage ist mit ihrer rechtlichen Würdigung zur Hauptverhandlung zuzulassen. Denn der Angeschuldigte ist einer falschen Verdächtigung gemäß § 164 Abs. 1 StGB hinreichend i.S.v. § 203 StPO verdächtig. Hinreichender Verdacht besteht bei vorläufiger Tatbewertung in der Wahrscheinlichkeit der späteren Verurteilung, also dann, wenn nach der vorhandenen Beweislage wahrscheinlich eine Verurteilung erfolgen wird (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 203 Rdnr. 2 m.w.N.). Diese Anforderungen sind im Hinblick auf eine Straftat des Angeschuldigten nach § 164 Abs. 1 StGB erfüllt.

a) Es besteht hinreichender Verdacht dafür, dass der Angeschuldigte einen anderen einer rechtswidrigen Tat i.S.v. § 164 StGB verdächtigt hat. Denn bei der im Anklagesatz dargestellten und durch Zeugenaussagen belegten Äußerung des Angeschuldigten über das Verhalten des Zeugen PK S. hätte sich dieser einer Verfolgung Unschuldiger gemäß § 344 Abs. 1 Satz 1 StGB schuldig gemacht. PK S. ist als Polizeibeamter Amtsträger i.S.v. §§ 11 Abs. 1 Ziffer 2. a), 344 Abs. 1 StGB und als solcher zur Mitwirkung an einem Strafverfahren berufen. Denn nicht nur die das Strafverfahren leitenden Personen, sondern auch ihre Hilfsorgane wie Polizeibeamte - können Täter des § 344 StGB sein (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl., § 344 Rdnr. 2 m.w.N.). In dieser Eigenschaft hätte PK S. bezüglich des Angeschuldigten als Unschuldigen auf eine strafrechtliche Verfolgung hingewirkt, weil er mit seiner Strafanzeige vom 18. September 2002 ein Verfahren gegen ihn eingeleitet hat, obwohl der Angeschuldigte die gefährliche Körperverletzung zulasten des unbekannten Dortmunder Fußballfans nicht begangen hatte. Nach der im Anklagesatz dargestellten Äußerung des Angeschuldigten geschah dies bewusst wahrheitswidrig und damit zumindest wissentlich im Hinblick auf eine Unschuld des Angeschuldigten und die damit unberechtigte Verfahrenseinleitung.




b) Der Angeschuldigte verdächtigt den Zeugen PK S. auch dieser rechtswidrigen Tat. Denn der Täter verdächtigt i.S.d. § 164 StGB, wenn er für die rechtswidrige Tat Tatsachen behauptet (vgl. Tröndle/Fischer , StGB, 53. Aufl., § 164 Rdnr. 3 m.w.N.). Mit der im Anklagesatz dargestellten Äußerung behauptet der Angeschuldigte konkrete Tatsachen in Bezug auf eine Straftat des Zeugen S.. Sie stellen sich nicht nur als Kundgabe einer Meinung, d.h. eines Werturteils dar. Denn die Darlegungen des Angeschuldigten, er habe den Dortmunder Fußballfan nicht geschlagen, PK S. habe dies gewusst und dennoch eine Strafanzeige erstattet, sind - wie die Beweisaufnahme der 13. Strafkammer in der Hauptverhandlung vom 9. Juli 2003 zeigt - einer Überprüfung auf ihren Wahrheitsgehalt zugänglich. Deshalb kann für diese Frage dahingestellt bleiben, ob es sich auch bei der zusätzlichen Äußerung des Angeschuldigten, es handele sich um eine "Willküraktion" des Zeugen S., um eine weitere Tatsachenbehauptung handelt oder um eine Meinungsäußerung.

Die Strafbarkeit dieser Äußerungen des Angeschuldigten nach § 164 StGB entfällt nicht, weil er sie in der Eigenschaft als Angeklagter im Rahmen seiner Einlassung zur Sache am 1. Hauptverhandlungstag vom 7. Juli 2003 machte. Es besteht nämlich hinreichender Verdacht i.S.v. § 203 StGB dafür, dass der Angeschuldigte mit dieser Äußerung über den Rahmen des zulässigen Verteidigungsverhaltens eines bestreitenden Beschuldigten hinausgegangen ist.

In Rechtsprechung und Literatur ist unbestritten, dass ein die Tat wahrheitswidrig leugnender Beschuldigter sich auch dann noch im Rahmen zulässigen Verteidigungsverhaltens hält und nicht wegen falscher Verdächtigung strafbar macht, wenn nach Lage der Sache nur zwei Personen als Täter in Betracht kommen, das Bestreiten des einen also die Behauptung beinhaltet, der andere sei der Täter (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 53. Auf!., § 164 Rdnr. 3 a m.w.N.) Der Senat schließt sich darüber hinaus auch der in der Rechtsliteratur und der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung jedenfalls überwiegend vertretenen Auffassung an, dass der leugnende Beschuldigte auch straflos bleibt, wenn er über das bloße Bestreiten hinausgeht und die andere Person ausdrücklich der Tat bezichtigt (vgl. Münchener Kommentar, StGB 1. Auf!., § 164 Rdnr. 25; Schönke-Schröder, StGB, 26. Aufl. § 164 Rdnr. 5 jeweils m.w.N.; BGH, Urt. V. 14. November 1990 - 3 StR 160/90 in BGHR StGB § 46 II "Verteidigungsverhalten" Nr. 10; BGH, Beschl. v. 28. November 20004 StR 488/00 in StV 2001, 618; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21. August 1991 - 5 Ss 232/91 -76/911 in NJW 1992,1119,1120; BayObLG, Beschl. v. 21.5.1985 - RReg. 1 St 73/85 in NJW 1986, 441, 442). Denn der Beschuldigte behauptet damit nur das positiv, was er mit dem bloßen Leugnen schon zum Ausdruck brachte. Die durch § 164 StGB geschützten Belange der Rechtspflege werden dadurch nicht stärker beeinträchtigt.


Anders ist es allerdings nach der genannten Rechtsliteratur und Rechtsprechung, wenn der Beschuldigte über diese Grenzen hinausgeht und für seine positive Behauptung zusätzliche Tatsachen liefert, Beweismittel vorlegt, auf die Beweisaufnahme so einwirkt, dass der Verdacht zum Nachteil der anderen Person deutlich verstärkt wird oder gar eine förmliche Strafanzeige erstattet (vgl. auch Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl. § 164 Rdnr. 3b). Insofern besteht für eine derartige weitere Verstärkung der Verdachtslage gegen den Zeugen S. durch den Angeschuldigten ein hinreichender Tatverdacht i.S.v. § 203 StPO, so dass die Anklage der Staatsanwaltschaft zuzulassen war. Denn der Angeschuldigte hat sich zu dem maßgeblichen Sachverhalt ausweislich des. Hauptverhandlungsprotokolls vom 9. Juli 2003 auch an diesem 2. Hauptverhandlungstag u. a. anhand von 11 Fotos des Tatortes Massenbergstraße zur Sache eingelassen. Diese Fotos sind mit handschriftlichen Zusätzen versehen, die ausweislich des Textes (z.B. "Meine Person") von dem Angeschuldigten stammen. Mit ihnen hoffte der Angeschuldigte offenbar zu belegen, dass ihn die Zeugen S. und Zedler aufgrund der örtlichen Gegebenheiten, der Entfernungen, der zur Tatzeit herrschenden Dunkelheit und Sichtbehinderungen nicht gesehen und deshalb nicht erkannt haben können. Dabei wird die Nachdrücklichkeit dieser weiteren Einlassung des Angeklagten zusätzlich durch die Ausführungen der 13. Strafkammer in ihrem Urteil vom 28. Juli 2003 belegt. In dem inzwischen rechtskräftigen Urteil berücksichtigt die Strafkammer strafschärfend, dass der Angeschuldigte "nicht davor zurückschreckt, Polizeibeamte zu beschuldigen, vorsätzlich im Amt gegen Unschuldige vorzugehen und wider besseren Wissen diese belastenden schriftlichen Aufzeichnungen gefertigt zu haben". Diese Rechtsprechung zur strafschärfenden Berücksichtigung des Verteidigungsverhaltens des Angeschuldigten lässt sich im Rahmen der Strafzumessung (vgl. BGH, Urt. v. 9. September 1987 - 3 StR 307/87 in BGHR, StGB § 46 II Verteidigungsverhalten 1; BGH, Beschl. v. 11. Mai 1989 - 1 StR 184/89 in BGHR, StGB § 46 II Verteidigungsverhalten 5; BGH, Beschl. v. 25. April 1990 - 3 StR 85/90 in BGHR, StGB § 46 II, Verteidigungsverhalten 8 und BGH, Urt. v. 14. November 1990 - 3 StR 160/90 a.a.O.) nur darauf stützen, dass der Angeschuldigte über seine Einlassung vom 7. Juli 2003 hinaus in der Hauptverhandlung vom 9. Juli 2003 in erheblicher Weise zum Nachteil des Zeugen S. auf die Beweisaufnahme eingewirkt hat. Ein solches Verhalten ist aber nicht mehr vom Verteidigungsrecht des Angeschuldigten gedeckt und deshalb eine falsche Verdächtigung i.S.v. § 164 StGB.

Auch der Einwand, der Angeschuldigte sei mit seiner Einlassung völlig unglaubwürdig gewesen, greift nicht durch. Zwar muss die Verdächtigung geeignet sein, einen Anfangsverdacht zu begründen und damit ein Verfahren auszulösen oder aufrechtzuerhalten. Das ist nicht der Fall, wenn nach der Einlassung des Täters offenkundig ausgeschlossen ist, dass die Verdächtigung zu einem Verfahren führt (vgl. Tröndle/Fischer , StGB, 53. Aufl. , § 164, Rdnr. 5 a, 5 b). Eine solche Offenkundigkeit liegt aber nicht vor, wenn es um die Glaubwürdigkeit einer Person oder die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage geht. Denn die Beurteilung dieser Frage ist nicht jedem möglich, sondern nur demjenigen, der den Angeklagten mit seiner Einlassung erlebt hat.

c. Der Angeklagte äußerte diese Verdächtigung bei einem zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Amtsträger. Denn sie wurde in der laufenden Hauptverhandlung in Gegenwart des Staatsanwaltes O. abgegeben. Der Staatsanwalt ist zuständig für die Entgegennahme dieser "Anzeige".



d. Es besteht schließlich auch hinreichender Verdacht für den subjektiven Tatbestand des § 164 Abs. 1 StGB. Der hinreichende Tatverdacht für ein Handeln des Angeschuldigten "wider besseres Wissen" ergibt sich zwangsläufig aus der Aussage des Zeugen S., wonach der Angeschuldigte sehr wohl die gefährliche Körperverletzung zu Lasten des unbekannten Dortmunder Fußballfans beging. Trifft dies zu, dann weiß der Angeschuldigte, dass seine Einlassung falsch ist.

Es sind auch hinreichende Indizien für das Bewusstsein und den Willen des Angeschuldigten vorhanden, ein Strafverfahren gegen den Zeugen S. werde notwendige Folge seiner Einlassung sein, so dass er absichtlich i.S.v. § 164 StGB handelte. Zum einen warf der Angeschuldigte dem Zeugen S. vor, seine Anzeige sei "wieder" - also zum wiederholten Male - "so eine Willküraktion" gewesen. Dabei handelte der Angeschuldigte ausweislich der Urteilsgründe bis zuletzt in dem Bemühen, zu belegen, dass er sich aus der Gewaltszene der Fußballfans des VfL. Bochum gelöst habe (BI. 23 der U.A.). Der Angeschuldigte hat zum anderen in dem oben genannten Sinne weiter auf die Beweisaufnahme eingewirkt, obwohl er zuvor von dem Zeugen Staatsanwalt O. auf die mögliche Strafbarkeit nach § 164 StGB hingewiesen worden ist und obwohl ihm von der Strafkammer in der Hauptverhandlung der Hinweis erteilt worden war, dass es auch unabhängige Zeugen für die von ihm bestrittene Schlägerei gebe. Die Kombination dieser Umstände lässt den hinreichenden Schluss darauf zu, dass der Angeschuldigte auch die Einleitung eines Strafverfahrens gegen den Zeugen S. um seiner nachhaltig weiter verfolgten Einlassung wegen wollte. ..."

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