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OLG Hamm Urteil vom 15.06.2005 - 13 U 63/05 - Kein Wegfalls des Direktanspruchs des Halters gegen den Haftpflichtversicherer bei Unfallbetrug

OLG Hamm v. 15.06.2005: Kein Wegfalls des Direktanspruchs des Halters gegen den Haftpflichtversicherer bei Unfallbetrug


Das OLG Hamm (Urteil vom 15.06.2005 - 13 U 63/05) hat entschieden:
  1. Die Haftung der Kfz-Pflichtversicherung ist gegenüber dem vorsätzlich handelnden Fahrer, der das Fahrzeug als Waffe benutzt hat, gemäß § 152 VVG ausgeschlossen.

  2. Der Fortfall des Deckungsanspruchs des mitversicherten Fahrers gegen die Pflichtversicherung wegen vorsätzlicher Herbeiführung des Schadens wirkt aber nicht zugleich gegen die Halterin und Versicherungsnehmerin, der kein vorsätzliches Verhalten zur Last fällt (im Anschluss an BGH VersR 1971, 239; OLG Hamm VersR 1993, 1372 = NJW RR 1993, 1180).

Siehe auch Die grobfahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls in der Voll- oder Teilkaskoversicherung und Vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls in der Kfz-Versicherung


Gründe:

I.

In der Nacht vom 02.11. auf den 03.11.2002 kam es kurz nach Mitternacht an einem Bierstand der Herbstkirmes auf dem Rathausplatz in V zwischen dem Beklagten zu 1) und dessen Cousin X, beide Schausteller, zu einer Auseinandersetzung, in deren späterem Verlauf sich der Beklagte zu 1) von dem Kirmesgelände entfernte und seine Frau, die Beklagte zu 2) anrief, um sich - angeblich - abholen zu lassen. Als die Beklagte zu 2) den Beklagten zu 1) traf, setzte sich dieser unter Zurücklassung der Beklagten zu 2) an das Steuer und fuhr zu dem Kirmesgelände zurück. Die Einzelheiten, wie es ihm gelang, das Fahrzeug in seine Gewalt zu bringen, sind streitig. Der Beklagte zu 1) beschleunigte den Pkw der Beklagten zu 2) auf dem O-​Straße und fuhr in die Einmündung der C-​Straße in V ein, wo die Kirmesbuden aufgebaut waren. Nach dem Passieren des ca. 15 m langen Toilettenwagens vollführte der Beklagte eine Drehbewegung von ca. 45°, um zu der erwartungsgemäß an dem Bierstand stehenden Personengruppe zu gelangen, zu der auch der Cousin X gehörte, mit dem er zuvor die Auseinandersetzung hatte. Der Beklagte zu 1) fuhr auf diese Personengruppe zu und streifte zunächst mit der rechten vorderen Seite des Pkw die äußerst linke Ecke des dort stehenden Imbissstandes des Klägers, wodurch der auf Holzböcken stehende Stand um 90° gedreht und dabei beschädigt wurde.

Der Kläger macht gegen den Beklagten zu 1) als Fahrer, die Beklagte zu 2) als Halterin und die Beklagte zu 3) als Haftpflichtversicherung des schädigenden Kraftfahrzeuges Schadensersatz wegen Beschädigung seines Imbißstandes geltend. Die Beklagten zu 2) und 3) machen geltend, die Beschädigung des Imbißstandes des Klägers sei durch den Beklagten zu 1) vorsätzlich herbeigeführt worden, so daß sie von der Haftung freigestellt seien. Der Beklagte zu 1) habe sich durch Anwendung einer List bzw. Täuschung der Beklagten zu 2) in den Besitz des Pkw gebracht.

Das Landgericht hat die Beklagten unter Abzügen in der Höhe des Anspruchs als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 16.056,45 EUR zu zahlen. Es hat die Haftungsvoraussetzungen gegenüber allen Beklagten bejaht und den Haftungsausschluß zugunsten der Beklagten zu 2) und 3) gem. § 152 VVG mit der Begründung verneint, der Beklagte zu 1) habe - entgegen der Auffassung der Strafkammer in dem gegen den Beklagten zu 1) geführten Strafverfahren 190 Js 516/02 V StA Dortmund - im Hinblick auf die Schädigung der Imbißstube des Klägers nicht bedingt vorsätzlich gehandelt. Vorsatz lasse sich insbesondere deshalb nicht feststellen, weil der Beklagte zu 1) zur Zeit der Tatbegehung mit 2,28 o/oo eine sehr hohe Blutalkoholkonzentration gehabt habe, die typischerweise dazu führe, daß er hier auf die Personengruppe in selbstüberschätzender Weise an dem Imbißstand vorbeigefahren sei, den er primär nicht habe treffen wollen. Die Beklagte zu 2) hafte, weil nicht bewiesen sei, daß der Beklagte zu 1) sich gegen deren Willen an das Steuer gesetzt habe.

Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten zu 2) und 3). Die Beklagte zu 2) beruft sich auf die Haftungsfreistellung nach § 7 Abs. 3 S. 1 StVG und behauptet weiterhin, der Beklagte zu 1) habe sie überrumpelt und ohne ihr Wissen und Wollen das Fahrzeug in seine Gewalt gebracht. Die Beklagte zu 3) beruft sich ferner auf § 152 VVG.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze, das angefochtene Urteil und die beigezogene Strafakte Bezug genommen.


II.

Die Berufung ist unbegründet. Neben dem Beklagten zu 1), dessen Haftung sich aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG a.F., §§ 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 303 StGB ergibt, haftet die Beklagte zu 2) aus § 7 Abs. 1 StVG, die Beklagte zu 3) aus § 3 Nr. 1 PflVG. Dem Landgericht kann jedoch insoweit nicht gefolgt werden, daß die gesamtschuldnerische Haftung der Beklagten zu 2) deshalb nicht eingreife, weil sie nicht erkannt habe oder hätte erkennen können, daß der Beklagte zu 1) schwer angetrunken war und daß die Beklagte zu 3) sich auf den Haftungsausschluß nach § 152 VVG ohne Erfolg berufe, weil der Schädigungsvorsatz des Beklagten zu 1) nicht feststellbar sei. Die gesamtschuldnerische Haftung der Beklagten zu 2) und 3) ergibt sich vielmehr aus den nachstehend dargelegten Erwägungen.

1. Die Beklagte zu 2) ist grundsätzlich nach § 7 Abs. 1 StVG als Halterin des schädigenden Kraftfahrzeuges für die Beschädigung des Imbissstandes durch ihr Fahrzeug verantwortlich, weil der Schaden beim Betrieb ihres Kraftfahrzeuges verursacht wurde. Sie kann von der Haftung dem Grunde nach nur dann freigestellt sein, wenn zu ihren Gunsten die Voraussetzungen des § 7 Abs. 3 S. 1 StVG eingreifen. Nach dieser Bestimmung haftet der Halter nicht, wenn jemand sein Kraftfahrzeug ohne Wissen und Wollen benutzt, es sei denn, daß die Benutzung des Fahrzeuges durch sein Verschulden ermöglicht wurde.

Hier bestehen schon aufgrund der Aussage der Zeugin E - BA Bd. II, Bl. 82) Zweifel, ob der von der Beklagten zu 2) gegenüber der Zeugin geschilderte Sachverhalt zutrifft, wonach sie von dem Beklagten zu 1) aus dem Auto gezogen wurde und dieser sie überrumpelte, so daß es ihm gelang, sich trotz seiner schweren alkoholbedingten Beeinflussung an das Steuer zu setzen und davonzufahren. Selbst wenn der Beklagte zu 1) sie überrumpelte, muss dieses nicht heißen, daß er gegen ihren Willen das Auto benutzte. Eheleute überlassen sich grundsätzlich ihre Fahrzeuge zur wechselseitigen Benutzung. Das kann jedoch im Ergebnis dahingestellt bleiben, da jedenfalls die Beklagte zu 2) nicht alles unternommen hat, die Fahrt des Beklagten zu 1) gegen ihren Willen zu verhindern. Zu den Sorgfaltsanforderungen eines Halters, eine unberechtigte Fahrt auszuschließen, werden nach der Rechtsprechung (vgl. OLG Hamm NJW-​RR 1990, 289; OLG Oldenburg NZV 1999, 294; OLG Karlsruhe NZV 1992, 485) strengste Sorgfaltsanforderungen gestellt, wobei zugunsten des beweisbelasteten Geschädigten der Anscheinsbeweis einer Sorgfaltspflichtverletzung spricht, wenn es gleichwohl zu der unberechtigten Benutzung kommt. Hier liegen eine Reihe von gewichtigen Indizien vor, die den sicheren Schluß zulassen, daß die Beklagte zu 2) gerade nicht die erforderliche Sorgfalt hat walten lassen, um die Fahrt des Beklagten zu 1) zu verhindern. Zum einen war der Beklagten zu 2) bekannt, daß der Beklagte zu 1) in erheblichem Maße dem Alkohol zugesprochen hatte. Aus diesem Grunde wollte er auch von ihr abgeholt werden. Vor allem ist das Vorbringen der Beklagten zu 2) auch nicht einheitlich. Im vorliegenden Verfahren beruft sie sich darauf, sie habe dem Beklagten zu 1) die Beifahrertür öffnen wollen und sei deshalb ausgestiegen, in dieser Situation sei der Beklagte zu 1) wider Erwarten zur Fahrerseite gegangen, habe sich in das Auto gesetzt und sei losgefahren, während die Zeugin E im Strafverfahren bekundet hat, die Beklagte zu 2) habe ihr geschildert, von dem Beklagten zu 1) aus dem Auto gezogen und überrumpelt worden zu sein. Gegenüber der Zeugin hat die Beklagte zu 2) also einen anderen, von ihrem Vorbringen im Prozess abweichenden Sachverhalt geschildert. In jedem Falle hatte die Beklagte zu 2) die Verpflichtung, es unter allen Umständen zu verhindern, daß der offensichtlich angetrunkene Beklagte zu 1) sich an das Steuer ihres Fahrzeuges bei laufendem Motor setzen konnte. Daß dies dem Beklagten zu 1) trotzdem gelang, begründet den von der insoweit beweisbelasteten Klägerin den Anschein einer schuldhaften Verletzung der nach gefestigter Rechtsprechung höchsten Sorgfaltsanforderungen des Halters. Der der Beklagten zu 2) als Halterin obliegende Entlastungsbeweis für die Anwendung genügender Sorgfalt (vgl. OLG Karlsruhe NZV 1992, 485) ist dagegen nicht geführt.

2. Die Beklagte zu 3) haftet allein schon deshalb gem. § 3 Nr. 1 PflVG, weil die Halterhaftung nach § 7 StVG nicht durch § 7 Abs. 3 S. 1 2. Halbsatz StVG ausgeschlossen ist. Zwar muß die Beklagte zu 3) nicht für die Haftung des Beklagten zu 1) eintreten, da insoweit die Haftung gem. § 152 VVG ausgeschlossen ist.

Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß von dem Schädigungsvorsatz des Beklagten zu 1) auch der Schadenseintritt an der Würstchenbude umfaßt war und er insoweit zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt hat. Bedingter Vorsatz ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH dann gegeben, wenn der Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht völlig unwahrscheinlich erkannt und gebilligt wird. Die Annahme von Billigung liegt nahe, wenn der Täter sein Vorhaben trotz starker Gefährdung des betroffenen Rechtsgutes durchführt, ohne auf einen glücklichen Ausgang oder überhaupt das Nichtvorliegen des objektiven Tatbestandes vertrauen zu können, und wenn er es dem Zufall überläßt, ob sich die von ihm erkannte Gefahr verwirklicht oder nicht (vgl. BGH JZ 1981, 35; BGH NJW-​RR 2002, 740). Die entscheidende Frage für die Feststellung des bedingten Schädigungsvorsatzes besteht darin, ob der Beklagte zu 1) für den Fall, daß er die Möglichkeit der Schädigung des Klägers an seiner Würstchenbude in seine Vorstellungen aufgenommen hätte, von der Amokfahrt abgesehen haben würde. Das ist aus mehreren Gründen im Streitfall widerlegt: Der Beklagte zu 1) wollte sogar andere Personen in hohem Maße durch seine ungebremste Fahrt in die schmale Gasse gefährden und auch tatsächlich verletzen. Insoweit war er auch einer natürlichen Willensbildung trotz seiner alkoholbedingten Beeinflussung fähig. Er nahm dabei sogar in Kauf, daß auch Dritte, mit denen er zuvor keine Auseinandersetzung geführt hatte, verletzt werden konnten, wie sich aus den Aussagen von C und C2 (Bl. 41, 49 BA Bd. I) ergibt. Der Beklagte zu 1) wußte ferner, wohin er fuhr und er sah auch, daß der Raum eng war. Er war in der Lage, dies noch aufzunehmen, da er zielgerichtet in die schmale Gasse steuerte. Nach der Fahrweise - mindestens 35 km/h -, seiner alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit und der örtlichen Verhältnisse war dem Beklagten bei natürlicher Betrachtungsweise auch unter Berücksichtigung seiner alkoholbedingten Beeinflussung klar, daß es leicht zu Schäden kommen konnte. Dass diese auftreten würden, hat er mithin offenkundig billigend in Kauf genommen. Wieso das dann im Hinblick auf die Kollision mit dem Imbißstand nicht der Fall gewesen sein soll, ist nicht einzusehen. Die davon abweichende Auffassung des Landgerichts kann nicht darauf gestützt werden, daß bei der Prüfung, ob der Vorsatz des den Schaden Herbeiführenden auch die konkrete Verletzungsfolge umfasse, eine starke Alkoholisierung berücksichtigt werden müsse (BGH NJW-​RR 1998, 1321; OLG Hamm r+s 1999, 102). Diese von der Rechtsprechung zu Recht für erforderlich gehaltene Prüfung betrifft gerade die Frage der Vorhersehbarkeit aus der Sicht des Täters zur Zeit seiner Handlung. Hier sprechen jedoch alle Anhaltspunkte dafür, daß der Beklagte die von ihm herbeigeführten Schäden in ihrem wesentlichen Umfang als möglich erkannt und für den Fall ihres Eintritts gewollt oder im Sinne des bedingten Vorsatzes billigend in Kauf genommen hatte.

Die Haftungsfreistellung der Beklagten zu 3) gegenüber dem Beklagten zu 1) nach § 152 VVG, dessen Voraussetzungen folglich vorliegen, führt aber nicht automatisch auch dazu, daß jegliche Haftung der Beklagten zu 3) entfällt. Der Fortfall des Deckungsanspruchs des mitversicherten Fahrers gegen die Pflichtversicherung wegen vorsätzlicher Herbeiführung des Schadens wirkt nicht zugleich gegen die Versicherungsnehmerin, der kein vorsätzliches Handeln zur Last fällt (vgl. BGH VersR 1971, 239; OLG Köln VersR 1982, 383; OLG Hamm VersR 1993, 1372 = NJW-​RR 1993, 1180; OLG Schleswig VersR 1995, 827; Prölls/Martin/Voit/Knappmann, VVG, 27. Aufl., § 152 Rn. 5; Becker/Böhme/Biela, Kraftverkehrshaftpflichtschäden, 22. Aufl., P 18).

Die Haftungsfreistellung der Beklagten zu 3) gegenüber der Beklagten zu 2) könnte demnach nur dann in Betracht kommen, wenn die Beklagte zu 2) selbst Mittäterin oder Gehilfin der Vorsatztat des Beklagten zu 1) war. Das behauptet die Beklagte zu 3) aber selbst nicht. Dem stehen auch gewichtige Gründe entgegen. Aus der polizeilichen Aussage der Zeugin E a.a.O. ergibt sich eher, daß die zum Abholen ihres Mannes herbeigerufene Beklagte zu 2) vom Tatplan des Beklagten zu 1) nichts wußte. Daß die Beklagte zu 2) selbst einmal in einschlägiger Weise auffällig geworden ist, reicht jedenfalls nicht aus, dies anzunehmen. Es ist auch nicht einleuchtend, daß sie mit der Eigenschädigung des Autos im Rahmen der Benutzung als Waffe einverstanden gewesen wäre.

3. Einwendungen zur Schadenshöhe werden mit der Berufung nicht erhoben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

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