Das Verkehrslexikon

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OLG Dresden Beschluss vom 16.02.2009 - Ss (OWi) 15/09 - Keine wirksame Zustellung des Bußgeldbescheides an Sozietät oder Bürogemeinschaft

OLG Dresden v. 16.02.2009: Keine wirksame Zustellung des Bußgeldbescheides an Sozietät oder Bürogemeinschaft


Das OLG Dresden (Beschluss vom 16.02.2009 - Ss (OWi) 15/09) hat entschieden:
Hat der Betroffene in der Vollmacht einen bestimmten einzelnen Anwalt einer Sozietät oder Bürogemeinschaft mit der Verteidigung beauftragt, ist die Zustellung des Bußgeldbescheides an die aus mehreren Rechtsanwälten bestehende Kanzlei nicht wirksam und nicht geeignet, die Verjährung zu unterbrechen.


Siehe auch Zustellungen an Sozietäten und Bürogemeinschaften und Verjährung von Verkehrsordnungswidrigkeiten


Entscheidungsgründe:

I.

Dem Betroffenen lag eine fahrlässige Überschreitung der innerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 36 km/h am 04. April 2008 zur Last. Unter dem 18. April 2008 versandte die Zentrale Bußgeldbehörde der Stadt … wegen dieses Vorwurfs einen Anhörungsbogen an den Betroffenen. Am 28. April 2008 zeigte Rechtsanwalt Sch gegenüber der Bußgeldbehörde die Vertretung des Betroffenen an und reichte am 08. Mai 2008 eine außergerichtliche Vollmacht zu den Akten. Am 26. Mai 2008 fertigte die Bußgeldbehörde den Bußgeldbescheid, der an die „Rechtsanwälte Sch & Coll.“ adressiert war und diesen am 28. Mai 2008 zugestellt wurde. Am 02. Juni 2008 ging ein durch Rechtsanwältin Sa aus der Kanzlei Sch & Coll. unterzeichnetes Einspruchsschreiben vom 29. Mai 2008 bei der Bußgeldbehörde ein.

Die Akten sind am 18. Juli 2008 beim Amtsgericht Leipzig eingegangen. Mit Schreiben vom 11. August 2008 beantragte Rechtsanwalt Sch die Einstellung des Verfahrens wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen mit Urteil vom 30. September 2008 wegen fahrlässigen Überschreitens der innerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 100,00 EUR verurteilt und ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats gegen ihn verhängt.

Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der form- und fristgerecht eingelegten Rechtsbeschwerde, die er rechtzeitig mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet hat.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, die Rechtsbeschwerde des Betroffenen als unbegründet zu verwerfen.


II.

Das Verfahren war wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung gemäß § 46 Abs. 1 OWiG, § 206a Abs. 1 StPO einzustellen.

Die Verjährungsfrist beträgt bei Verkehrsordnungswidrigkeiten nach § 24 StVG drei Monate, solange wegen der Handlung weder ein Bußgeldbescheid ergangen noch öffentliche Klage erhoben ist, danach sechs Monate, § 26 Abs. 3 StVG.

1. Der Lauf der dreimonatigen Verjährungsfrist wurde vorliegend allein durch die Versendung des Anhörungsbogens an den Betroffene am 18. April 2008 gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG wirksam unterbrochen. Die Verjährungsfrist endete damit am 17. Juli 2008, weshalb eine weitere Unterbrechung mit Eingang der Akten beim Amtsgericht am 18. Juli 2008 gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 10 OWiG nicht mehr erfolgen konnte, da die Verfolgungsverjährung bereits eingetreten war.

2. Insbesondere ist eine weitere Unterbrechung der Verjährungsfrist vorliegend nicht durch den Erlass des Bußgeldbescheides (§ 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG) eingetreten. Nach dieser Vorschrift wird die Verjährung durch den Erlass des Bußgeldbescheides, sofern er binnen zwei Wochen zugestellt wird, ansonsten durch die Zustellung, unterbrochen.

Vorliegend mangelt es jedoch, worauf der Beschwerdeführer zu Recht hinweist, an einer wirksamen Zustellung des Bußgeldbescheides.

2. a. Zustellungsadressat ist grundsätzlich der Betroffene selbst (§ 51 Abs. 2 OWiG). Nach § 51 Abs. 3 OWiG kann auch an den Verteidiger zugestellt werden, dessen Vollmacht sich bei den Akten befindet. Dies ist und war vorliegend ausschließlich Rechtsanwalt Sch, weshalb gemäß § 51 Abs. 3 OWiG allein dieser als ermächtigt gilt, für den Betroffenen Zustellungen entgegenzunehmen. Die an die „Rechtsanwälte Sch & Coll.“ erfolgte Zustellung war mithin nicht wirksam (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 31. August 2004, Az.: 1 Ss 237/04; OLG Hamm, Beschluss vom 17. März 2006, Az.: 4 Ss [OWi] 145/06).

2. b. Dieser Zustellungsmangel ist vorliegend auch nicht geheilt worden.

Da das Verfahren nicht durch eine Verwaltungsbehörde des Bundes durchgeführt wurde, waren für das Zustellungsverfahren nicht die Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG), sondern die landesrechtlichen Vorschriften des Sächsischen Verwaltungszustellungsgesetzes (SächsVwZG) anzuwenden. Gemäß § 9 Abs. 1 SächsVwZG gilt ein Schriftstück, dessen formgerechte Zustellung sich nicht nachweisen lässt oder das unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es der Empfangsberechtigte nachweislich erhalten hat. Gemäß Abs. 2 der Vorschrift gilt dies jedoch nicht, wenn - wie hier - mit der Zustellung eine Frist für die Einlegung oder Begründung eines Rechtsbehelfs oder die Erhebung einer Klage beginnt.

Soweit die Generalstaatsanwaltschaft Dresden die Auffassung vertritt, die Heilungswirkung des § 9 Abs. 1 SächsVwZG werde durch § 9 Abs. 2 VwZG nur insoweit versagt, als es um die Ingangsetzung der Frist geht, andere mit der Zustellung verbundene Rechtswirkungen - wie auch die Unterbrechung der Verjährung - mit dem tatsächlichen Zugang beim Empfangsberechtigten aber eintreten, hält der Senat diese Auffassung mit dem Wortlaut des § 9 Abs. 2 SächsVwZG nicht für vereinbar. Unabhängig davon lässt sich vorliegend jedenfalls der Nachweis, dass der Bußgeldbescheid dem Empfangsberechtigten - Rechtsanwalt Sch - noch vor Ablauf der Verjährungsfrist tatsächlich zugegangen ist, nicht führen. Insbesondere ist die Tatsache, dass Rechtsanwältin Sa unter dem 29. Mai 2008 Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt hat, nicht geeignet nachzuweisen, dass auch der Empfangsberechtigte Rechtsanwalt Sch das Schriftstück tatsächlich erhalten hat. Vielmehr hat Rechtsanwalt Sch erstmals mit Schreiben vom 11. August 2008 und mithin nach Ablauf der Verjährungsfrist auf den Bußgeldbescheid reagiert.

Bei dieser Sachlage kam allein eine Einstellung des Verfahrens gemäß § 46 Abs. 1 OWiG, § 206a Abs. 1 StPO in Betracht.


III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG, § 467 Abs. 1 StPO.