- Die Aufrechnung eines aus einem Unfall in vollem Umfang haftenden Haftpflichtversicherers mit einem vermeintlichen Anspruch auf Ersatz von Kosten für ein seinerseits eingeholtes Gegengutachten (zur Entkräftung des vom geschädigten Anspruchsteller vorgelegten Schadensgutachtens) gegen die Schadensersatzforderung des klagenden Anspruchstellers scheitert jedenfalls dann, wenn die Kosten des Gegengutachtens nicht durch pflichtwidriges Verhalten des Klägers veranlasst worden sind.
- Die Kosten eines vom Geschädigten eingeholten Gutachtens sind grundsätzlich vom Schädiger auch dann zu ersetzen, wenn das Gutachten unvertretbar objektiv mangelhaft oder unbrauchbar ist.
Tatbestand:
Der Kläger beansprucht von der beklagten Haftpflichtversicherung Ersatz restlichen materiellen Schadens aus einem Verkehrsunfall vom 08.01.1998 um 12.10 Uhr in G. auf der dort vierspurigen Bundesstraße 61 in Fahrtrichtung R, bei dem der Lkw-Fahrer mit einem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Lkw mit Anhänger beim Wechsel von der linken auf die rechte Fahrspur mit dem dort befindlichen Pkw Porsche Carrera 911/1993 des Klägers kollidierte.
Nach Begutachtung des Fahrzeugschadens durch den Sachverständigen F veräußerte der Kläger das Fahrzeug an das vom Schwager und Arbeitgeber des Sachverständigen betriebene Autohaus L in S, von dem er es zuvor erworben hatte.
Der Kläger hat behauptet, der Lkw-Fahrer habe seinen Pkw beim Fahrspurwechsel übersehen, und hieraus eine alleinige Haftung der Beklagten hergeleitet. Er hat einen Gesamtschaden von 43.962,21 DM geltend gemacht, wobei er die Reparaturkosten auf der Grundlage eines Schadensgutachtens des Sachverständigen F auf netto 36.160,79 DM, die Wertminderung auf 1.200,-- DM, die Kosten der Anmietung eines Ersatzfahrzeugs für 14 Tage auf netto 5.335,96 DM und die Sachverständigenkosten auf 1.261,55 DM beziffert und nach Abzug einer vorgerichtlichen Zahlung der Beklagten in Höhe von 14.937,53 DM restliche 29.024/68 DM beansprucht hat.
Die Beklagte hat zunächst erklärt, zum Haftungsgrund würden von ihr keine Einwendungen erhoben, später hingegen geltend gemacht, der Unfall sei für den Kläger nicht unabwendbar gewesen, und hierzu behauptet, dieser müsse mit höherer Geschwindigkeit versucht haben, rechts neben dem Lkw vorbeizufahren. Im übrigen hat die Beklagte die Höhe des Fahrzeugschadens bestritten und - gestützt auf ein von ihr eingeholtes Gutachten des Sachverständigen L - behauptet, die Reparaturkosten betrügen nur 16.014,91 DM netto; eine Wertminderung sei wegen eines - unstreitigen - erheblichen Vorschadens nicht eingetreten. Mietwagenkosten könne der Kläger nur in Höhe von 3.201,-- DM beanspruchen; die Kosten des unbrauchbaren Sachverständigengutachtens F, der den Pkw Porsche unstreitig als Angestellter des Autohauses L selbst bei einem früheren Unfall geführt hatte, seien nicht zu erstatten. Schließlich hat sie den von ihr anerkannten materiellen Schaden von 19.603,41 DM wegen der ihr entstandenen Kosten des Gutachtens L um 4.665,88 DM gekürzt.
Das Landgericht hat die Beklagte nach Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dipl. Ing. P zur Höhe des Fahrzeugschadens zur Zahlung weiterer 10.687,21 DM verurteilt und die weitergehende Klage abgewiesen mit im wesentlichen folgender Begründung: Dem Grunde nach könne der Kläger vollen Schadensersatz beanspruchen, weil der Unfall nach der eigenen Darstellung des Lkw-Führers W durch dessen unachtsamen Fahrstreifenwechsel, somit durch einen Verstoß gegen § 7 Abs. 5 StVO verursacht worden sei, was wegen der besonderen Sorgfaltsanforderungen an den Fahrspurwechsel auch dann eine alleinige Haftung der Beklagten begründe, wenn der Unfall für den Kläger nicht unabwendbar gewesen sei. Die Klage sei jedoch bezüglich der geltend gemachten Schadenshöhe teilweise abzuweisen. Nach dem überzeugenden Gutachten des Sachverständigen P betrügen die unfallbedingten Reparaturkosten nur 19.717,38 DM. Infolge der Unfallschäden sei keine Wertminderung des Pkw Porsche zu berücksichtigen, weil dieser mehrere erhebliche, teilweise unfachmännisch reparierte Vorschäden auf gewiesen habe. Die Kosten für das angemietete Ersatzfahrzeug seien in Höhe von 4.802,36 DM zu erstatten, weil dem Kläger kein Vorwurf einer Anmietung dieses Fahrzeugs zu überhöhten Kosten gemacht werden könne, er sich aber die Ersparnis eigener Kosten in Höhe von 10 % des Rechnungsbetrages anrechnen lassen müsse. Nicht beanspruchen könne der Kläger Ersatz der Kosten des Gutachtens F, weil dieses gravierende Mängel aufweise, wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend festgestellt habe, und auch ein gewisses Auswahlverschulden des Klägers nicht von der Hand zu weisen sei, da die Nähe des Gutachters zum Autohaus L von vornherein Zweifel an der Objektivität des Sachverständigen begründeten. Ohne Erfolg rechne die Beklagte hingegen mit den Kosten des von ihr eingeholten Gutachtens L von 4.665,38 DM auf, weil insoweit dem Grunde nach kein Erstattungsanspruch bestehe. Im übrigen lägen die Kosten dieses Gutachtens über den üblichen, weil der Sachverständige auch dem unbegründeten Verdacht einer Unfallmanipulation nachgehen sollte. Der Kläger könne danach insgesamt 25.624/74 DM, abzüglich gezahlter 14.937,53 DM, somit noch 10.687,21 DM beanspruchen.
Gegen dieses Urteil, auf das wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen wird, richten sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihr Klageabweisungsbegehren weiter verfolgt, sowie die unselbständige Anschlussberufung des Klägers, mit der er Ersatz der Kosten des Gutachtens F in Höhe von 1.261/55 DM begehrt.
Die Beklagte meint zunächst, sie hafte für die Unfallfolgen dem Grunde nach nur zur Hälfte, und behauptet, der Pkw Porsche habe den Lkw unmittelbar vor einer Fahrspurverjüngung mit überhöhter Geschwindigkeit von mehr als 70 km/h rechts überholt. Das Landgericht habe die Feststellungen zum Unfallhergang - insbesondere zur Geschwindigkeit des Pkw - nicht ohne Sachverständigengutachten beurteilen können. Im übrigen verbleibt die Beklagte dabei, sie könne mit einem Anspruch auf Ersatz der Kosten von 4.665,38 DM für das Gutachten L aufrechnen. Insoweit bestehe ein Anspruch aus pVV, weil der Kläger durch Einschalten des Sachverständigen F ein eklatant falsches Gutachten zur Darlegung der Schadenshöhe genutzt habe. Er habe diese Falschbegutachtung sogar selbst provoziert, weil ihm als dem früheren Prozessbevollmächtigten des Autohauses L in einem Rechtsstreit vor dem Amtsgericht W bekannt gewesen sei, dass der Sachverständige selbst am 17.06.1995 einen Vorschaden des Pkw Porsche verschuldet habe.
Die Beklagte beantragt,abändernd die Klage abzuweisen und die Anschlussberufung zurückzuweisen.Der Kläger beantragt,die Berufung zurückzuweisen und die Beklagte abändernd zu verurteilen, an ihn weitere 1.261,55 DM nebst 4 % Zinsen für die Zeit vom 25.07.1998 bis zum 22.08.1999 und 5,25 % Zinsen ab dem 23.08.1999 auf insgesamt 11.984,76 DM zu zahlen.Er verteidigt die angefochtene Entscheidung gegen die Angriffe der Beklagten, meint jedoch, er könne auch die Kosten des Gutachtens F beanspruchen, weil ihm kein Auswahlverschulden vorzuwerfen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zwischen den Parteivertretern gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Akten 5 C 45/96 AG Warendorf waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten bleibt ohne Erfolg, während die Anschlussberufung des Klägers begründet ist.
Der Kläger kann von der Beklagten auf der Grundlage der im übrigen unangegriffenen Feststellungen des Landgerichts zur Schadenshöhe Zahlung von noch 11.948,76 DM beanspruchen, weil die Beklagte ihm gemäß §§ 7, 17 StVG, 3 PflVG dem Grunde nach zu uneingeschränktem Ersatz des Unfallschadens verpflichtet ist (1.), sie nicht mit einem eigenen Schadensersatzanspruch in Höhe der Kosten des Sachverständigen L aufrechnen kann (2.) und weil sie schließlich auch zum Ersatz der Kosten des Sachverständigen F verpflichtet ist (3.).
1. Ohne Erfolg wendet sich die Beklagte gegen die Annahme ihrer vollen Haftung dem Grunde nach. Ihr zweitinstanzlicher Versuch, den Unfall auf Fahrfehler des Klägers zurückzuführen, bleibt schon wegen ihres erstinstanzlichen deklaratorischen Schuldanerkenntnisses zum Haftungsgrund ohne Erfolg. Die unmissverständliche Erklärung der selbst bezüglich der rechtlichen Abwicklung von Unfallschadensfällen erfahrenen und im übrigen anwaltlich vertretenen Beklagten, Einwendungen zum Haftungsgrund würden nicht erhoben, ist aus Sicht des Erklärungsempfängers als deklaratorisches Schuldanerkenntnis zu bewerten, zumal die Beklagte diese Erklärung nach Befragung des Fahrers des bei ihr versicherten Fahrzeugs und Einholung eines unfallanalytisches Gutachten abgegeben hatte. Ein solches deklaratorisches Anerkenntnis, das auf den Grund des Anspruchs beschränkt sein kann (BGH in NJW 1973, 620; Palandt, 60. Aufl., Rn. 5 zu § 781; Geigel, Der Haftpflichtprozess, 22. Auf., Kap. 38, Rn. 8), schließt weitere Einwendungen des Anerkennenden, mit denen zumindest zu rechnen war, aus, somit hier auch den jetzt erhobenen Mitverschuldenseinwand.
2. Die Aufrechnung der Beklagten ist unbegründet. Dabei kann dahinstehen, ob die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs gegenüber einer Haftpflichtversicherung eine vertragsähnliche Beziehung begründet, die Schadensersatzansprüche aus positiver Vertragsverletzung (pVV) begründen könnte. Denn der von der Beklagten geltend gemachte Schaden - die Kosten des Privatgutachtens I - ist jedenfalls nicht durch ein pflichtwidriges Verhalten des Klägers veranlasst worden. Da die Beauftragung dieses Privatgutachters auf einem freien Entschluss der Beklagten beruhte und sie - die Beklagte - hierdurch erst nach dem zum Anlass der Ersatzforderung genommenen Geschehen in den in Gang gesetzten Kausalverlauf eingegriffen hat, ist ein Zurechnungszusammenhang mit dem gerügten Verhalten des Klägers allenfalls dann zu bejahen, wenn die Beauftragung des Gutachters L durch das haftungsbegründende Ereignis herausgefordert wurde und eine nicht unangemessene Reaktion darauf darstellte (vgl. BGH in NJW 2001, 513). Dies kann nicht festgestellt werden, weil für die Einholung eines zweiten Privatgutachtens wegen der berechtigten Zweifel an der Richtigkeit des vom Kläger vorgelegten Gutachtens F kein Anlass bestand. Nachdem der Beklagten, wie ihre Schreiben vom 09.02.1998 an den Sachverständigen F und an den Kläger deutlich belegen, konkrete Hinweise auf verschiedene Fehler des Gutachtens F vorlagen, hätte sie sich im Hinblick auf die Beweislast des Klägers bezüglich der Schadenshöhe ohne weiteres auf ein Bestreiten der Richtigkeit des Gutachtens und die substantiierte Darlegung der von ihr selbst festgestellten Verdachtsmomente beschränken können, um so eine Sachverhaltsaufklärung durch ein seitens des Gerichts einzuholendes Gutachten zu veranlassen. Hingegen konnte die Einholung eines eigenen Privatgutachtens ihre rechtliche Position von vornherein nicht verbessern, weil dieses Gutachten in einem Rechtsstreit nicht ohne weiteres verwertbar war, was für die insoweit juristisch erfahrene Beklagte auf der Hand gelegen haben muss. Im übrigen weist das Landgericht zu Recht darauf hin, dass die erheblichen Kosten des Gutachters L von knapp 4.500,-- DM überwiegend dadurch verursacht worden sind, dass die Beklagte den Gutachter beauftragt hatte, unfallanalytisch dem - dann nicht bestätigten - Verdacht einer Unfallmanipulation nachzugehen.
3. Der Kläger kann Ersatz der Kosten des Sachverständigen F beanspruchen, obgleich dessen Gutachten unstreitig objektiv schwere Fehler aufwies und keine brauchbare Grundlage für die Feststellung der Schadenshöhe sein konnte. Die Kosten eines Gutachters sind nämlich grundsätzlich vom Schädiger auch dann zu ersetzen, wenn das Gutachten objektiv mangelhaft oder gar unbrauchbar ist (vgl. Geigel, a.a.O., Kap. 4, Rn. 101; Palandt, 60. Aufl., Rn. 22 zu § 249 BGB). Dies gilt nur dann nicht, wenn dem Geschädigten die Auswahl des Gutachters, der für die unbrauchbare Arbeit verantwortlich ist, vorzuwerfen ist, weil der Geschädigte sich dann entgegen halten lassen muss, dass die von ihm schuldhaft veranlassten Kosten zur Bemessung der Schadenshöhe von vornherein untauglich gewesen sind. Hinreichende Feststellungen zu einem solchen Auswahlverschulden des Klägers sind allerdings vorliegend nicht zu treffen, weil sich die wesentlichen gegen die Fachkunde oder gegen die Neutralität des Gutachters sprechenden Gesichtspunkte erst aus dem erstatteten Gutachten selbst ergeben, während zuvor begründete Zweifel insoweit nicht ersichtlich waren. Allein aufgrund der Nähe des Sachverständigen zum Autohaus L und aufgrund des Umstandes, dass der Sachverständige selbst etwa 2 1/2 Jahre zuvor einen relativ geringen Schaden dieses Fahrzeugs verursacht hatte, mussten sich dem Kläger keine Zweifel an der Objektivität des Sachverständigen, zu der dieser aufgrund des ihm erteilten Auftrags verpflichtet war, aufdrängen. Im übrigen ist nicht einmal feststellbar, dass der Kläger sich schon zum Zeitpunkt der Beauftragung des Gutachters zum Verkauf des Fahrzeuges an das Autohaus L entschieden hatte.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 284, 286, 288 BGB, 97 Abs. 1, 92 Abs. 1, 708 Nr. 10 ZPO, 713 ZPO.