Das Verkehrslexikon

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Kammergericht Berlin Beschluss vom 24.06.2010 - 12 U 178/09 - Zur Haftung des verkehrswidrig die Straße überquerenden Fußgängers bei Kollision mit rückwärts einparkendem Fahrzeug

KG Berlin v. 24.06.2010: Zur Haftung des verkehrswidrig die Straße überquerenden Fußgängers bei Kollision mit rückwärts einparkendem Fahrzeug


Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 24.06.2010 - 12 U 178/09) hat entschieden:

Verletzt ein Fahrzeugführer beim rückwärts Einparken in eine Parklücke mit der ausschwenkenden linken Fahrzeugseite einen auf der Fahrbahn befindlichen 16jährigen Fußgänger, der zuvor unter Verstoß gegen § 25 Abs. 3, 4 StVO ein Absperrgitter überstiegen hatte, um an unzulässiger Stelle die Fahrbahn zu überqueren und auch bemerkt hatte, dass das Fahrzeug rückwärts einparken würde, so tritt die Haftung aus Betriebsgefahr gegenüber dem groben Eigenverschulden des Fußgängers zurück.

Eine Pflicht des rückwärts einparkenden Kraftfahrers, der vor Beginn des Rückwärtsfahrens den rückwärtigen Verkehrsraum überprüft hatte, vor Einschwenken in die Parklücke den Verkehrsraum links neben seinem Fahrzeug nochmals darauf zu überprüfen, dass sich dort kein anderer Verkehrsteilnehmer befindet, besteht nicht gegenüber dem grob verkehrswidrig handelnden Fußgänger, mit dem er nicht hat rechnen müssen.


Siehe auch Fußgänger allgemein und Verkehrsunfälle mit Fußgängerbeteiligung und Berücksichtigung der Betriebsgefahr bei Kfz-Unfällen mit Fußgängern


Gründe:


1. Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg, die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern keine Entscheidung des Berufungsgerichts, § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO.

Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Beides ist nicht der Fall.

Zu Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen, weil die Klägerin den Verkehrsunfall durch ihr grob verkehrswidriges Verhalten selbst schuldhaft verursacht hat.

Unstreitig hat die Klägerin die Schönhauser Allee nicht nur außerhalb eines Fußgängerüberweges überquert, sondern zudem an einer Stelle, wo das Überqueren der Fahrbahn durch angebrachte Stangengeländer sogar verhindert werden sollte.

Damit hat sie, wie das Landgericht richtig ausgeführt hat, nicht nur gegen § 25 Abs. 3 StVO, sondern auch gegen § 25 Abs. 4 StVO verstoßen, was auch die Berufung nicht in Abrede stellt. Ebenfalls hat sie von dem Überqueren nicht abgesehen, obwohl sie ausweislich ihrer eigenen Einlassungen und ihres Vorbringens bemerkt hatte, dass der Beklagte zu 1) beabsichtigte, rückwärts Einzuparken, mithin erkennbar war, dass er seine Fahrt nicht aus der Richtung der Klägerin sich entfernend fortsetzen würde.

Entgegen den Ausführungen der Berufung ist dem Beklagten zu 1) hingegen kein schuldhaftes Verhalten vorzuwerfen. Das Landgericht hat richtig ausgeführt, dass der Beklagte zu 1) an der Unfallstelle nicht mit von links in den Verkehrsraum eintretenden Fußgängern rechnen musste.

Ob für den Beklagten zu 1) die Pflicht bestanden hätte, vor dem Einschwenken in die Parklücke nochmals den Verkehrsraum links neben seinem Fahrzeug darauf zu überprüfen, ob sich dort kein anderer Verkehrsteilnehmer befand, kann vorliegend dahin stehen. Eine entsprechende Sorgfaltspflicht würde jedenfalls nicht gegenüber der Klägerin als die Fahrbahn an unzulässiger Stelle und nach Übersteigen eine Absperrgitters sorgfaltswidrig überquerende Fußgängerin bestehen, sondern wäre lediglich hinsichtlich sich näherndem gleichgerichteten Fahrzeugverkehr erheblich.

Soweit die Berufung meint, der Beklagte zu 1) hätte sich durch direktes Umschauen nach links vergewissern müssen, dass die Straße für sein Einparkmanöver tatsächlich frei war, hat der Beklagte zu 1) nach seinem eigenen unbestrittenen Vorbringen den Verkehrsraum vor dem Beginn des Einparkens überprüft. Der Beklagte zu 1) hat sich nach seiner unbestrittenen Einlassung vor dem Beginn des Einparkens darüber versichert, dass der Verkehrsraum hinter ihm frei war, was im Hinblick darauf, dass die sich hinter ihm befindliche Ampel rotes Licht zeigte, der Fall war. Von dort konnten sich mithin zum Zeitpunkt des Einparkens keine Verkehrsteilnehmer nähern. Dass sich auf dem mittleren Fahrstreifen bereits andere Verkehrsteilnehmer befanden, konnte der Beklagte zu 1), der diesen Fahrstreifen unmittelbar vor dem Anhalten befahren hatte, ausschließen.

Eine Verpflichtung, sich während des Einparkens erneut darüber zu versichern, dass zwischenzeitlich links neben dem Fahrzeug kein Fußgänger aufgetaucht war, kann, wie ausgeführt, jedenfalls nicht gegenüber der Klägerin angenommen werden.

Dem groben Verschulden der Klägerin steht mithin lediglich die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Beklagten zu 1) gegenüber.

Ist kein Verschulden des Kraftfahrers an der Kollision mit einem sorglos die Fahrbahn überquerenden Fußgänger festzustellen, tritt dessen Haftung aus der Betriebsgefahr seines Fahrzeugs hinter dem groben Eigenverschulden des Fußgängers zurück (st. Rechtspr., vgl. schon Senat , Urteil vom 29. September 2003 - 12 U 315/01 - KGR 2004, 50).

Daran ändert auch nichts, dass die Klägerin zum Zeitpunkt des Unfalls noch kurz vor ihrem 16. Geburtstag stand, mithin minderjährig war. Zwar ist bei der Abwägung des Mitverschuldens von Kindern und Jugendlichen davon auszugehen, dass deren Mitverschulden in der Regel geringer zu bewerten ist, als das eines Erwachsenen. Ist der Sorgfaltsverstoß jedoch, wie hier, sowohl altersspezifisch als auch subjektiv besonders vorwerfbar, steht dies einer Abwägung dahin, dass die Betriebsgefahr des Fahrzeugs hinter dem Verschulden des die Fahrbahn grob sorgfaltswidrig überquerenden Fußgängers zurücktritt, nicht entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 18. November 2003 - VI ZR 31/02).

Dass die Klägerin an der Unfallstelle die Fahrbahn nicht Überqueren durfte und im Fall des Überquerens, wie das Landgericht richtig ausgeführt hat, deshalb nochmals erhöhte Sorgfalt walten lassen musste, weil sie damit rechnen musste, dass Autofahrer nicht mit Fußgängern aus dieser Richtung rechnen und auf diese achten würden, war auch für die kurz vor ihrem 16. Geburtstag stehende Klägerin erkennbar.

2. Es wird deshalb anheim gestellt, die weitere Durchführung der Berufung zu überdenken.

3. Es ist beabsichtigt, den Berufungsstreitwert auf 7.000,- + 5.000,- + 5.000,- EUR = 17.000,- EUR festzusetzen.

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