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OLG Koblenz Urteil vom 29.11.2010 - 12 U 1275/09 - Zur Haftung des mit zu hoher Geschwindigkeit in den Kreisverkehr einfahrenden Kfz-Führers

OLG Koblenz v. 29.11.2010: Zur Haftung des mit zu hoher Geschwindigkeit in den Kreisverkehr einfahrenden Kfz-Führers und zum Zurücktreten der Betriebsgefahr des Geschädigten




Das OLG Koblenz (Urteil vom 29.11.2010 - 12 U 1275/09) hat entschieden:
   Erkennt ein Kfz-Führer beim unmittelbar bevorstehenden Einfahren in den Kreisverkehr, dass ein weiterer Kfz-Führer gleichzeitig in den Kreisverkehr einfahren will, so muss er sich hierauf einstellen und seine Geschwindigkeit verringern und sich reaktionsbereit halten. Kommt es entweder wegen der zu hohen Geschwindigkeit oder wegen einer unzureichenden Vermeidungsreaktion zum Unfall, braucht sich der hierdurch Geschädigte die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs nicht anrechnen zu lassen.

Siehe auch
Kreisverkehr
und
Stichwörter zum Thema Vorfahrt

Gründe:


Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 4.02.2008 im Verlauf der ...[X]straße in ...[Y], Höhe freie Tankstelle, im dortigen Kreisverkehr in Anspruch. Wegen der Sachverhaltsdarstellung wird auf die tatsächlichen Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO).

Das Landgericht hat dem Kläger nach Durchführung einer Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugin ... und der Einholung eines Sachverständigengutachtens 75 % seines Schadens zugesprochen und ihm in Höhe der verbleibenden 25 % die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs zugerechnet. Dazu hat das Landgericht ausgeführt, nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Ing. ... vom 28.04.2009 könne nicht von einer Vorfahrtsverletzung durch den Kläger ausgegangen werden, da der Beklagte zu 1. sich noch nicht im Kreisverkehr befunden habe, als der Kläger in den Kreisel gefahren sei. Allenfalls könnten beide gleichzeitig eingefahren sein. Der Kläger müsse sich aber die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs anrechnen lassen, da eine besondere Schwere des Verkehrsverstoßes auf Seiten des Beklagten zu 1. nicht festgestellt werden könne.




Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er seinen restlichen Schaden geltend macht. Wegen der wörtlichen Fassung seiner Anträge im Berufungsverfahren wird auf Bl. 173, 193 GA Bezug genommen.

Die Beklagten beantragen

   die Zurückweisung der Berufung.

Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg; der Kläger hat Anspruch auf Ersatz seines gesamten Unfallschadens (§§ 7, 17 StVG i. V. mit §§ 115, 116 VVG).




Das Landgericht geht zutreffend davon aus, dass der Beklagte zu 1. sich noch nicht im Kreisverkehr befunden hat, als der Kläger seinerseits in den Kreisel einfuhr. Zwar war der Beklagte zu 1. - entgegen der Einlassung des Klägers und der Aussage der Zeugin ..., der Lebensgefährtin des Klägers - bereits in Sichtweite, als der Kläger losfuhr. Das ergibt sich aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Ing. ... (Bl. 114 GA, 12 des Gutachtens). Danach konnte der Kläger die ...straße, auf der sich der Beklagte zu 1. näherte, mehr als 100 m einsehen. Da sich der Beklagte zu 1. aber noch nicht im Kreisverkehr befand, durfte der Kläger einfahren. Er musste nicht warten, bis der Beklagte zu 1. in den Kreisel einfuhr und brauchte auch nicht auf dessen Fahrverhalten zu achten. Vielmehr durfte er darauf vertrauen, dass sich der Beklagte zu 1. auf sein eigenes Einbiegen einstellen würde (vgl. OLG Hamm in DAR 2000, 163). Ein Verkehrsverstoß des Klägers liegt daher nicht vor.

Hingegen hat der Beklagte zu 1. gegen § 1 Abs. 2 StVO verstoßen, als er sich nicht auf das vor ihm im Kreisel befindliche Fahrzeug des Klägers, etwa durch eine Verringerung seiner Geschwindigkeit, einstellte. Der Beklagte zu 1. hätte, wenn er bei angepasster Geschwindigkeit rechtzeitig reagiert und gebremst hätte, sein Fahrzeug vor dem Kollisionsort zum Stillstand bringen können. Das bedeutet, dass er entweder mit zu hoher Geschwindigkeit gefahren ist oder zu spät reagiert hat. Er musste in der Annäherung zum Kreisel erkennen, dass der Kläger nahezu gleichzeitig mit ihm in den Kreisel einfährt. Darauf hätte er sich einstellen und seine Geschwindigkeit reduzieren müssen. Dann hätte er den Unfall nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. Ing. ... sicher vermeiden können.


Bei der nach § 17 StVG vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile überwiegt das schuldhafte Fehlverhalten des Beklagten zu 1. so, dass die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Klägers zurücktritt.

Der Kläger hat daher Anspruch auf Ersatz seines gesamten Unfallschadens, dessen Höhe zwischen den Parteien unstreitig ist. In der Berufungsbegründung macht er nur noch -wie vom Landgericht zugesprochen- Zinsen ab dem 18.04.2008 geltend.



Auch hinsichtlich der Freistellung von außergerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten besteht grundsätzlich ein Anspruch des Klägers in voller Höhe. Er hat allerdings in seinem Antrag in der Berufungsbegründung vom 16.11.2009 den Antrag gestellt, ihm über den vom Landgericht zuerkannten Betrag von 603,93 € weitere 225,21 € zu zusprechen. Dies ergibt lediglich einen Gesamtbetrag von 829,14 €, der hinter den ursprünglich in erster Instanz geltend gemachten Antrag (835,14 €) zurückbleibt. Gemäß § 528 ZPO ist der Senat an den Antrag gebunden.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 2, 100 Abs. 4, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 2.279,16 €.

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