Das Verkehrslexikon

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Bundesverwaltungsgericht Urteil vom 18.11.2010 - 3 C 42/09 - Zu den Voraussetzungen für die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht

BVerwG v. 18.11.2010: Zu den Voraussetzungen für die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht


Das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 18.11.2010 - 3 C 42/09) hat entschieden:
Eine Radwegebenutzungspflicht darf nur angeordnet werden, wenn aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Rechtsgutbeeinträchtigung erheblich übersteigt (§ 45 Abs. 9 Satz 2 der Straßenverkehrs-Ordnung - StVO).


Siehe auch Anordnung der Radwegebenutzungspflicht und Radweg und Radwegbenutzungspflicht


Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht.

Der in beide Fahrtrichtungen freigegebene Fuß- und Radweg, der die Ortsteile Graß, Leoprechting und Oberisling der Beklagten verbindet, schließt südlich an die Brunn-, Liebhart- und Rauberstraße an. Der Weg beginnt am östlichen Ortsrand von Graß und geht von dort durch ein im Wesentlichen unbebautes Gebiet; dieser Abschnitt endet kurz nach Beginn der geschlossenen Ortslage von Leoprechting. Vom östlichen Rand dieses Ortsteils durchquert der Weg ein ebenfalls überwiegend unbebautes Gelände und führt bis in die geschlossene Ortslage von Oberisling. Die Ortsdurchfahrten sind als Tempo-30-Zonen ausgewiesen; außerorts ist die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 60 km/h beschränkt.

Die Beklagte ordnete am 8. September 1987 an, den Fuß- und Radweg zwischen Leoprechting und Oberisling in beiden Richtungen mit dem damaligen Zeichen 244 (Gemeinsamer Rad- und Fußweg; vgl. VkBl 1976 S. 767) nach der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) zu beschildern; das erfolgte am 18. September 1987. Am 13. Dezember 2002 ordnete sie an, den Fuß- und Radweg zwischen Graß und Leoprechting in beiden Richtungen mit den Zeichen 240 (Gemeinsamer Fuß- und Radweg) sowie den Zusatzzeichen 1022-11 (Mofas frei) und 1000-31 (frei in beide Richtungen) zu beschildern; diese Anordnung wurde am 18. Dezember 2002 umgesetzt.

Der ortsansässige Kläger legte mit Schreiben vom 8. Januar 2003 Widerspruch gegen die Anordnung der Radwegebenutzungspflicht zwischen Graß und Leoprechting ein und beantragte, die Radwegebenutzungspflicht zwischen Leoprechting und Oberisling aufzuheben. Mit Schreiben vom 11. Juni 2003 teilte die Beklagte dem Kläger mit, sie könne seinem Widerspruch nicht abhelfen. Die Fuß- und Radwege seien errichtet worden, da bei einer Fahrbahnbreite von 5,50 m wegen des dort stattfindenden Schwerlast- und Omnibusverkehrs eine Mischnutzung nicht länger vertretbar gewesen sei. Den Widerspruch des Klägers wies die Regierung der Oberpfalz hinsichtlich beider Streckenabschnitte zurück.

Seine Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Die Radwegebenutzungspflicht diene im Interesse der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs der Trennung von motor- und muskelbetriebenen Fahrzeugen und damit der Ordnung des Verkehrs. Dieser Regelungszweck dürfe nicht unter Hinweis auf § 45 Abs. 9 StVO unterlaufen werden.

Auf die Berufung des Klägers hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die erstinstanzliche Entscheidung mit Urteil vom 11. August 2009 geändert und die angegriffenen Bescheide aufgehoben. Zur Begründung wird ausgeführt: Die Klage sei hinsichtlich beider Streckenabschnitte als Anfechtungsklage zulässig. Die Beklagte habe in ihrem Schreiben vom 11. Juni 2003 auch den Antrag des Klägers auf Aufhebung der bestandskräftigen Anordnung vom 8. September 1987 abgelehnt und insofern einen Zweitbescheid erlassen. Die angeordnete Radwegebenutzungspflicht sei rechtswidrig. Sie beinhalte eine Beschränkung des fließenden Verkehrs im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO. Diese Regelung gehe ebenso wie die Neufassung von § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO auf die Vierundzwanzigste Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften (im Folgenden: 24. Änderungsverordnung) zurück; bereits das widerlege die Annahme, dass § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO nicht für Radwegebenutzungspflichten gelte. Außerdem sei § 45 Abs. 9 StVO mittlerweile zweimal geändert worden, um bestimmte verkehrsrechtliche Anordnungen von der Anwendung von Satz 2 auszunehmen; im Hinblick auf die Radwegebenutzungspflicht sei das nicht geschehen. Die Voraussetzungen von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO seien bei den hier in Rede stehenden Streckenabschnitten nicht erfüllt. Die Fahrbahn sei kurvenarm und übersichtlich; durch die angebrachte Beleuchtung seien die Sichtverhältnisse auch nachts überdurchschnittlich gut. Die Unfallzahlen zeigten, dass auch ansonsten keine überdurchschnittliche Unfallgefahr für Radfahrer bestehe. Auch nach den von der Forschungsstelle für Straßen- und Verkehrswesen herausgegebenen "Empfehlungen für Radverkehrsanlagen" (ERA 1995) könne keine besondere Gefahrenlage angenommen werden. Danach sollten, wenn der Radverkehr außerhalb bebauter Gebiete auf der Fahrbahn geführt werde, die Verkehrsstärke 2 500 Kfz/Tag und die zulässige Höchstgeschwindigkeit in kurvenreichen Strecken 70 km/h nicht überschreiten. Beides sei hier aber der Fall. Auch wenn ein nicht unerheblicher Teil der Kraftfahrer die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschreite, sei eine Trennung der Verkehrsarten nicht angezeigt, da die Empfehlung kurvenreiche Strecken betreffe. Ebenso wenig seien die in § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO genannten Voraussetzungen in Bezug auf die Straßenbreite erfüllt. Zwar heiße es in den "Richtlinien für die Anlage von Straßen - Teil: Querschnitte" (RAS-Q 96), dass eine vom Kraftfahrzeugverkehr getrennte Führung der Radfahrer und Fußgänger aus Gründen der Verkehrssicherheit anzustreben sei und dass an außerorts gelegenen Straßen der Fußgänger- und Radfahrerverkehr in der Regel auf einseitig angelegten gemeinsamen Geh- und Radwegen geführt werde. Doch hätten die Richtlinien keinen normativen Charakter. Zudem reiche die Fahrbahnbreite von 5,50 m für die hier zu erfüllende untergeordnete Verkehrsfunktion aus. Die in der Richtlinie genannte Verkehrsmenge von täglich 3 000 Kraftfahrzeugen werde bei Weitem nicht erreicht. Der deutlich über dem in der Richtlinie angegebenen Schwellenwert liegende Schwerverkehr bestehe hier im Wesentlichen aus den Bussen des öffentlichen Nahverkehrs, deren Fahrer sich gegenüber Radfahrern in der Regel aufmerksam und rücksichtsvoll verhielten. Komme kein anderes Fahrzeug entgegen, könne selbst ein Bus oder ein ähnlich breites anderes Fahrzeug einen ausreichenden Sicherheitsabstand beim Überholen eines Radfahrers einhalten. Bei Gegenverkehr müsse abgewartet werden, bis das entgegenkommende Fahrzeug vorbeigefahren sei. Die Zahl der Radfahrer und die Verkehrsdichte seien so gering, dass das zu keinen nennenswerten Erschwernissen führe.

Gegen dieses Urteil haben die Beklagte und die Landesanwaltschaft Bayern Revision eingelegt.

Zu deren Begründung trägt die Beklagte vor: Die Annahme des Berufungsgerichts, die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht sei an § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO zu messen, verletze Bundesrecht. Das Zeichen 240 beinhalte weder eine Beschränkung noch ein Verbot des fließenden Verkehrs im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO. Darunter fielen nur Verkehrs- und Streckenverbote gemäß § 41 Abs. 2 Nr. 6 und 7 StVO. Demgegenüber kennzeichneten die Zeichen 237, 240 und 241 Sonderwege und dienten der Verkehrsführung. Die Radfahrer dürften in der eingeschlagenen Richtung weiterfahren, ihnen werde dabei nur die Nutzung des Radweges geboten. Dass sie die Fahrbahn zu meiden hätten, sei nur eine mittelbare Folge dieses Gebotes und kein Verbot. Aus denselben Gründen sei auch § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO nicht anwendbar. Rechtlicher Maßstab für eine Radwegebenutzungspflicht sei daher allein § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO. Dessen Voraussetzungen seien erfüllt. Die Anordnung der Radwegebenutzungspflicht sei im Sinne dieser Vorschrift zwingend geboten, da die allgemeinen und besonderen Verhaltensvorschriften der Straßenverkehrs-Ordnung die Radfahrer nicht dazu verpflichteten, die für sie errichteten Sonderwege zu benutzen. Eine solche Benutzungspflicht sei aber außerorts und auf stark befahrenen Vorfahrtstraßen auch innerorts in aller Regel schon deshalb zwingend erforderlich, weil Radfahrer besonders gering geschützte Verkehrsteilnehmer seien. Abgesehen davon lägen hier wegen der geringen Fahrbahnbreite, der verbreiteten Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit und dem hohen Schwerlastanteil besondere Umstände vor. Selbst bei Anwendbarkeit von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO wäre das Berufungsurteil fehlerhaft. Bei der Bewertung der Gefahrenlage habe das Berufungsgericht wesentlichen Akteninhalt nicht berücksichtigt und damit den Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 VwGO) verletzt. Nach den Ergebnissen der Verkehrszählungen habe die Mehrzahl der Kraftfahrer die zulässige Höchstgeschwindigkeit zum Teil beträchtlich überschritten

Auch die Landesanwaltschaft Bayern hält § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO und § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO bei der Anordnung von Radwegebenutzungspflichten für nicht anwendbar. Rechtlicher Maßstab sei allein § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO, der auch für die insoweit vergleichbaren Umleitungen gelte. Im Sinne eines intendierten Ermessens spreche viel dafür, eine Radwegebenutzungspflicht immer schon dann anzuordnen, wenn ein Radweg vorhanden sei, er den baulichen Anforderungen genüge und keine ungewöhnlich niedrige Gefahrenschwelle bestehe.

Der Kläger tritt den Revisionen entgegen.

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht ist in Übereinstimmung mit dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung der Auffassung, dass § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO auf Radwegebenutzungspflichten anwendbar ist.


Entscheidungsgründe:

Die Revisionen sind unbegründet; das Urteil des Berufungsgerichts steht im Einklang mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Nachdem der Kläger in der mündlichen Verhandlung klargestellt hat, dass sich sein Klageantrag nur gegen die Radwegebenutzungspflicht als solche richtet, also nicht auch gegen den weiteren Regelungsgehalt des Zeichens 240, ist die seiner Klage stattgebende Entscheidung des Berufungsgerichts lediglich um die Maßgabe zu ergänzen, dass die durch das Zeichen 240 bekanntgemachten verkehrsrechtlichen Anordnungen der Beklagten und der Widerspruchsbescheid nur aufgehoben werden, soweit sie die Radwegebenutzungspflicht regeln.

1. Nicht zu beanstanden ist, dass das Berufungsgericht die Anfechtungsklage hinsichtlich beider Streckenabschnitte für zulässig gehalten hat. Das ist für die Radwegebenutzungspflicht zwischen Graß und Leoprechting unproblematisch, die auf eine am 18. Dezember 2002 durch Aufstellen des Zeichens 240 umgesetzte verkehrsrechtliche Anordnung zurückgeht; der Kläger hat insoweit fristgerecht (Anfechtungs-)Widerspruch eingelegt. Dagegen beruht die Radwegebenutzungspflicht zwischen Leoprechting und Oberisling auf einer schon am 18. September 1987 angebrachten Beschilderung. Diese Regelung wurde dem Kläger gegenüber unstreitig bestandskräftig. Doch wurde ihm auch insofern die Möglichkeit einer Anfechtungsklage jedenfalls dadurch wieder eröffnet, dass die Widerspruchsbehörde über sein Überprüfungs- und Aufhebungsbegehren in der Sache entschieden hat, ohne sich auf die Bestandskraft der Regelung zu berufen (vgl. etwa Urteil vom 27. Februar 1963 - BVerwG 5 C 105.61 - BVerwGE 15, 306 <310 f.> = Buchholz 436.0 § 122 BSHG Nr. 1 S. 4 m.w.N.).

2. Verkehrsbezogene Ge- und Verbote in Form von Verkehrszeichen - zu denen auch das hier in Rede stehende Zeichen 240 gehört - sind regelmäßig den Dauerverwaltungsakten zuzurechnen (stRspr, vgl. u.a. Urteil vom 21. August 2003 - BVerwG 3 C 15.03 - Buchholz 310 § 42 Abs. 2 VwGO Nr. 19 m.w.N.). Maßgeblich für den Erfolg einer Anfechtungsklage ist daher regelmäßig die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten tatsachengerichtlichen Verhandlung (stRspr; vgl. für verkehrsbeschränkende Anordnungen u.a. Urteile vom 27. Januar 1993 - BVerwG 11 C 35.92 - BVerwGE 92, 32 <35 f.> = Buchholz 442.151 § 45 StVO Nr. 24 S. 13 f. und vom 14. Dezember 1994 - BVerwG 11 C 25.93 - BVerwGE 97, 214 <220> = Buchholz 442.151 § 45 StVO Nr. 31 S. 18, vom 21. August 2003 a.a.O. sowie zuletzt vom 23. September 2010 - BVerwG 3 C 32 und 37.09 - bislang n.v.), hier also der 11. August 2009.

Danach ergibt sich der rechtliche Maßstab für die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Radwegebenutzungspflichten aus der Straßenverkehrs-Ordnung in der Fassung der Fünfundvierzigsten Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 26. März 2009 (BGBl I S. 734). Dagegen ist, anders als die Revisionsführer meinen, die Sechsundvierzigste Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 5. August 2009 (BGBl I S. 2631) schon deshalb nicht anwendbar, weil sie nach ihrem Art. 9 erst zum 1. September 2009 in Kraft treten sollte. Dahinstehen kann daher, ob diese Änderungsverordnung ohnehin keine Anwendung finden könnte, weil sie - wie der Vertreter des Bundesinteresses in Übereinstimmung mit dem Bundesministerium des Innern und dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vorgetragen hat - wegen eines Verstoßes gegen das Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG insgesamt nichtig sei.

3. Das Berufungsgericht hat angenommen, dass eine durch Zeichen 240 verlautbarte Radwegebenutzungspflicht an den in § 45 Abs. 9 Satz 2 und § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO genannten Voraussetzungen zu messen ist. Das steht im Einklang mit Bundesrecht.

Gemäß § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO dürfen - abgesehen von hier nicht einschlägigen Ausnahmen - insbesondere Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs nur angeordnet werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter - also etwa der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs - erheblich übersteigt. Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO, der durch die Anfügung von § 45 Abs. 9 StVO zwar modifiziert und ergänzt, nicht aber ersetzt worden ist (vgl. Urteil vom 5. April 2001 - BVerwG 3 C 23.00 - Buchholz 442.151 § 45 StVO Nr. 41), können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten.

Die Radwegebenutzungspflicht nach Zeichen 240 (Gemeinsamer Fuß- und Radweg) ist - ebenso wie bei Zeichen 237 (Radfahrer) und Zeichen 241 (Getrennter Rad- und Fußweg) - eine Beschränkung des fließenden Verkehrs im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO und eine Beschränkung der Benutzung der Straße im Sinne von § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO. Diese Zeichen bedeuten nach § 41 Abs. 2 Nr. 5 Buchst. a StVO, dass Radfahrer die für sie bestimmten Sonderwege nutzen müssen. Dem entspricht § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO; danach müssen Radfahrer Radwege benutzen, wenn die jeweilige Fahrtrichtung mit Zeichen 237, 240 oder 241 gekennzeichnet ist. Kehrseite dieses Nutzungsgebotes ist das Verbot für Radfahrer, auf den so gekennzeichneten Strecken die Fahrbahn zu benutzen. Ob dieses Verbot - wie die Revisionsführer meinen - nur mittelbare Folge oder Reflex des Gebotes ist, wirkt sich auf die rechtliche Einordnung des Verkehrszeichens nicht aus. Entscheidend ist vielmehr die reglementierende Wirkung für den Fahrradverkehr. Das Verkehrszeichen begründet zwar kein Verbot der Benutzung der Straße (zu der auch Radwege zählen), wohl aber einen Ausschluss der Fahrradfahrer von der Benutzung der Fahrbahn und damit eine Beschränkung in Bezug auf die allgemeine Verkehrsregel, dass Fahrzeuge einschließlich Fahrräder die Fahrbahn benutzen (§ 2 Abs. 1 StVO).

Dass die eine Radwegebenutzungspflicht verlautbarenden Zeichen 237, 240 und 241 in § 41 Abs. 2 StVO nicht unter den "Verkehrsverboten" nach dessen Nummer 6 oder unter den "Streckenverboten" nach dessen Nummer 7, sondern gesondert unter Nummer 5 als Regelung von Sonderwegen aufgeführt werden, belegt keineswegs, dass es sich dabei nicht um Beschränkungen oder Verbote des Verkehrs im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 2 und § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO handelt. Denn dort wird auf die reglementierende Wirkung der Verkehrsregelung abgestellt, nicht aber auf die innerhalb von § 41 StVO vorgenommene Einordnung. Hätte der Verordnungsgeber die Anwendung von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO - wie die Revisionsführer meinen - auf Verkehrsverbote und Streckenverbote im Sinne von § 41 Abs. 2 Nr. 6 und 7 StVO begrenzen wollen, hätte er diese Begriffe in § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO übernehmen können; stattdessen hat er dort jedoch eine allgemeinere Formulierung verwendet.

Auch sonst ergeben sich aus den Materialien zur Entstehung von § 2 Abs. 4 Satz 2 und § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO, die beide auf die 24. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 7. August 1997 (BGBl I S. 2028, ber. BGBl I 1998 S. 515) zurückgehen, keine Hinweise darauf, dass der Verordnungsgeber § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO nicht auf Radwegebenutzungspflichten angewendet wissen wollte. Allein aus dem Umstand, dass § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO auf eine Bundesratsinitiative zurückgeht, wogegen § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO bereits im ursprünglichen Verordnungsentwurf enthalten war (vgl. BRDrucks 374/97 S. 1 und 374/1/97 S.10), kann das nicht hergeleitet werden. Beide Regelungen zielen darauf ab, die Eigenverantwortung der Verkehrsteilnehmer zu stärken, § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO durch strengere Anforderungen an den Einsatz von Verkehrszeichen zum Zweck von Beschränkungen und Verboten des fließenden Verkehrs und § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO durch eine Begrenzung der Benutzungspflicht von Radwegen.

Gegen die Annahme der Revisionsführer spricht zudem, dass der Verordnungsgeber nach dem Inkrafttreten der 24. Änderungsverordnung ausdrücklich zwei Ausnahmen von der Anwendung von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO vorgesehen hat, nämlich bei der Anordnung von Tempo-30-Zonen und von Zonen-Geschwindigkeitsbegrenzungen sowie für Beschränkungen und Verbote zur Unterbindung von Mautausweichverkehr. Dagegen hat er auf eine solche Ausnahmeregelung für die Anordnung von Radwegebenutzungspflichten verzichtet, obwohl in der Rechtsprechung der Instanzgerichte § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO schon seit längerem verbreitet für anwendbar gehalten wird.

Aus alledem folgt zugleich, dass die Annahme der Landesanwaltschaft Bayern nicht zutrifft, Radfahrer seien stets auf einen Radweg zu verweisen, wenn er vorhanden sei, den baulichen Anforderungen nach der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 2 Abs. 4 StVO genüge und keine im Einzelfall ungewöhnlich niedrige Gefahrenschwelle bestehe.

Ist § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO anwendbar, scheidet damit zugleich § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO als Rechtsgrundlage für die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht aus. Als in Bezug auf Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs speziellere Regelung konkretisiert und verdrängt § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO in seinem Anwendungsbereich die allgemeine Regelung in § 39 Abs. 1 und § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO (vgl. Urteile vom 23. September 2010).

4. Die Annahme des Berufungsgerichts, dass bei den beiden streitigen Streckenabschnitten die nach § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO für die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

a) § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO setzt für Verbote und Beschränkungen des fließenden Verkehrs eine Gefahrenlage voraus, die - erstens - auf besondere örtliche Verhältnisse zurückzuführen ist und - zweitens - das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der relevanten Rechtsgüter (hier insbesondere: Leben und Gesundheit von Verkehrsteilnehmern sowie öffentliches und privates Sacheigentum) erheblich übersteigt (vgl. Urteile vom 5. April 2001 a.a.O. und vom 23. September 2010). In solchen Fällen dient die Trennung von motor- und muskelbetriebenen Fahrzeugen der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs (vgl. Beschluss vom 31. Mai 2001 - BVerwG 3 B 183.00 - Buchholz 442.151 § 2 StVO Nr. 2).

b) Besondere örtliche Verhältnisse im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO können - wie der Senat im Zusammenhang mit Geschwindigkeitsbeschränkungen und Lkw-Überholverboten bereits entschieden hat - bei verkehrsbehördlichen Maßnahmen insbesondere in der Streckenführung, dem Ausbauzustand der Strecke, witterungsbedingten Einflüssen (z.B. Nebel, Schnee- und Eisglätte), der dort anzutreffenden Verkehrsbelastung und den daraus resultierenden Unfallzahlen begründet sein (vgl. zuletzt Urteile vom 23. September 2010). Diese Grundsätze sind auch in Bezug auf die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht anwendbar. Dass auch hier für die Beurteilung ein ganzes Bündel von Faktoren von Bedeutung ist, bestätigt die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO). Danach kommt die Anlage von Radwegen im Allgemeinen dort in Betracht, wo es die Verkehrssicherheit, die Verkehrsbelastung und der Verkehrsablauf erfordern (vgl. VkBl 1997 S. 691).

Eine auf besondere örtliche Verhältnisse zurückgehende qualifizierte Gefahrenlage liegt hier nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht vor. Danach ergibt sich aus dem Straßenverlauf wegen der Übersichtlichkeit und guten Ausleuchtung kein besonderes Gefährdungspotenzial für Radfahrer. Eine qualifizierte Gefahrenlage im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO nimmt der Verwaltungsgerichtshof auch deshalb nicht an, weil es auf den streitigen Streckenabschnitten in der Zeit vom 1. Januar 2003 bis zum 31. Oktober 2004 zu keinem Unfall mit Beteiligung eines Radfahrers gekommen und auch zwischen dem 1. November 2004 bis zum 30. Juni 2009 kein Unfall auf der Fahrbahn gemeldet worden sei. Das Berufungsgericht hat dabei berücksichtigt, dass während dieser Zeiträume die Radwegebenutzungspflicht zwar schon galt, gleichwohl aber ein nicht unerheblicher Teil der Radfahrer weiterhin die Fahrbahn benutzte; somit konnte es davon ausgehen, dass dem Ausbleiben von Unfällen durchaus Aussagekraft zukommt. Eine besondere Gefährdungslage im Hinblick auf den Ausbauzustand der Straße und die dortige Verkehrsbelastung hat das Berufungsgericht unter Bezugnahme auf die "Empfehlungen für Radverkehrsanlagen" und die "Richtlinien für die Anlage von Straßen" ebenfalls verneint.

c) An diese tatsächliche Würdigung der Gefahrenlage ist der Senat gebunden, nachdem die Beklagte keine durchgreifenden Verfahrensrügen erhoben hat (§ 137 Abs. 2 VwGO). Ihre Rüge, das Berufungsgericht habe den Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 VwGO) verletzt, ist unbegründet.

Die Beklagte stützt diesen Einwand zum einen darauf, dass der Umfang der auf den Streckenabschnitten festgestellten Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit unbeachtet geblieben sei. Doch geht auch das Berufungsgericht von zahlreichen Geschwindigkeitsüberschreitungen aus (vgl. UA S. 36); gleichwohl sieht es allein in überhöhter Geschwindigkeit noch keine qualifizierte Gefahrenlage im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO begründet, weil damit noch keine Gefährdung von Radfahrern durch Überholen mit zu geringem Seitenabstand oder zu knappem Einscheren dargetan sei, zumal bei der geringen Verkehrsdichte. Ein Verstoß gegen allgemeine Beweiswürdigungsgrundsätze liegt darin nicht; vielmehr bestätigen die Unfallzahlen die tatsächliche Einschätzung.

Ebenso wenig greift ihre Rüge, ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 VwGO liege in der Annahme des Berufungsgerichts, Omnibusfahrer verhielten sich gegenüber Radfahrern besonders rücksichtsvoll. Diese Rüge ist nicht schlüssig. Selbst wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit auch von Nahverkehrsbussen überschritten worden sein sollte, folgt daraus noch keine Gefährdung von Radfahrern. Abgesehen davon handelt es sich um eine tatsächliche Einschätzung des Berufungsgerichts, der gegenüber sich die Beklagte nur auf einen Verstoß gegen allgemeine Beweiswürdigungsgrundsätze und Denkgesetze berufen kann. Einen solchen Verstoß hat sie nicht dargetan.



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