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Amtsgericht Bremen Urteil vom 18.10.2002 - 7 C 244/02 - Zur Haftungsabwägung bei einem Unfall mit einem Reitpferd bei Einhaltung eines unzureichenden Seitenabstandes

AG Bremen v. 18.10.2002: Zur Haftungsabwägung bei einem Unfall mit einem Reitpferd bei Einhaltung eines unzureichenden Seitenabstandes


Das Amtsgericht Bremen (Urteil vom 18.10.2002 - 7 C 244/02) hat entschieden:
Wird ein Schaden durch ein Kraftfahrzeug und durch ein Tier verursacht, so hängt im Verhältnis des Fahrzeughalters und des Tierhalters zueinander die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Die Seitenabstände zum Überholten und zum Gegenverkehr müssen so ausreichend groß sein, dass sie Schreckreaktionen anderer Verkehrsteilnehmer ausschließen. Der Seitenabstand darf insbesondere nicht bedrängend gering sein. Bei der Haftungsabwägung führt das Nichteinhalten eines ausreichenden Seitenabstandes unter Berücksichtigung der hohen Tiergefahr zu einer Schadensteilung.


Siehe auch Seitenabstand und Tierhalterhaftung/Tiergefahr


Gründe:

Die Klage ist unbegründet.

Der Kläger hat gegenüber dem Beklagten aufgrund des Verkehrsunfalles vom 4. Oktober 2001 über den bereits vorgerichtlich gezahlten Betrag von Euro 870,00 keinen weiteren Schadensersatzanspruch gem. § 833 S. 1 BGB aus Tierhalterhaftung für das Pferd M.-A..

Die Klage ist daher in voller Höhe und damit in Höhe von Euro 821,76 abzuweisen.

Der Kläger haftet allerdings unstreitig dem Grunde nach gem. § 833 S. 1 BGB für die Schäden, die dem Kläger durch das Schadensereignis vom 4. Oktober 2001 entstanden sind.

Der Kläger hat aber gem. § 17 Abs. 1 iVm. Abs. 2 StVG a.F. (entsprechend: § 17 Abs. 1 und Abs. 4 StVG n.F.) und auch gem. § 254 Abs. 1 BGB keinen Anspruch auf Ersatz seines vollen Schadens.

Wird ein Schaden nämlich durch ein Kraftfahrzeug und durch ein Tier verursacht, so hängt im Verhältnis des Fahrzeughalters und des Tierhalters zueinander die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.

Bei der danach vorzunehmenden Abwägung ist zu Lasten des Klägers nicht nur die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs gem. § 7 Abs. 1 StVG sondern auch sein Verschulden als Fahrzeugführer gem. § 5 StVO und hierbei insbesondere gem. § 5 Abs. 4 S. 2 StVO zu berücksichtigen.

Nach der letztbenannten Regelung muss beim Überholen ein ausreichender Seitenabstand zu anderen Verkehrsteilnehmern eingehalten werden.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger gegen diese ihm obliegende Pflicht zur Wahrung eines ausreichenden Sicherheitsabstandes verstoßen hat. Er hätte weitergehend angesichts der Örtlichkeiten an dieser Stelle gänzlich von einem Überholvorgang absehen müssen.

So haben die Zeuginnen E. und S. doch sehr überzeugend und nachvollziehbar und auch in Übereinstimmung mit den von den Parteien vorgelegten Fotografien und Lageskizzen bekundet, dass sich beide mit ihren Pferden, welche hintereinander im Schritt gegangen seien, gerade auf Höhe der „zwei Pfähle“ (H.a. die eingereichten Fotografien, Bl. 36 ff. d.A.) befunden hätten und zwar links von diesen und damit auf der dort engen Straße, als das Klägerfahrzeug an diese von hinten herangefahren sei, zum Überholen angesetzt habe und zwar in einem sehr geringen Abstand von nur ca. 60 cm. Die Zeugin S., die angab, sich nach hinten zur Zeugin E. umgedreht zu haben, hat dies sehr eindrucksvoll geschildert. Danach sei sie darüber erschrocken gewesen, dass das Kl.-Fzg. nur einen ganz geringen Abstand zu deren Pferd gehabt habe. Beide pferdekundigen Zeuginnen haben ferner bekundet, dass das Pferd M.-A. gerade durch das zu dicht vorbeifahrende Kl-Fzg. erschreckt worden sei.

Die Zeuginnen haben danach gerade nicht den entgegenstehenden Vortrag des Klägers bestätigt, wonach sich die drei Pferde auf dem Seitenstreifen befunden hätten, hierbei stehend und in der gedachten Fluchtlinie zwischen den „zwei Pfählen“ und den „drei Pfählen“.

Die Zeuginnen bestätigten allerdings auch nicht den Vortrag des Beklagten, dass der Kläger sein Fahrzeug mit einer unangemessen hohen Geschwindigkeit geführt hätte und dass es zu mehr als einem Anstoß des Pferdes gegen das Kl.-Fzg. gekommen sei.

Das Gericht hat keine Bedenken, den überzeugenden Angaben der Zeuginnen zu folgen. Diese haben auch einen sehr glaubwürdigen Eindruck vermittelt.

Damit steht der schuldhafte Verstoß des Klägers gegen die ihm gem. § 5 StVO obliegenden Verpflichtungen fest.

Der Überholer muss den ausreichenden Abstand iSd. § 5 Abs. 4 S. 2 StVO zu jedem Verkehrsteilnehmer und damit auch zu Reitpferden, die sich auch bestimmungsgemäß im Straßenverkehr aufhalten dürfen (arg. § 28 Abs. 1 StVO), einhalten und zwar bis zur Beendigung. Hierbei richtet sich dieser „ausreichende Seitenabstand“ u.a. nach der Eigenart des Eingeholten bzw. zu Überholenden. Die Seitenabstände zum Überholten und zum Gegenverkehr müssen so ausreichend groß sein, dass sie Schreckreaktionen anderer Verkehrsteilnehmer ausschließen. Der Seitenabstand darf insbesondere nicht bedrängend gering sein (vgl. nur: Jagusch/Hentschel RdNr. 54 f. zu § 5 StVO mwN).

Beim Überholen von Reitern ist besondere Vorsicht nötig. Der Pkw-Fahrer muss bereits vorsorglich weit nach links in die freie Gegenfahrbahn ausweichen und seine Geschwindigkeit reduzieren, um mögliche Irritationen des Pferdes zu vermeiden (vgl. nur: OLG Hamm, Urt.v. 16.12.1993, NZV 1994, S. 190; vgl. zur Schreckhaftigkeit von Pferden auch: Bundesgerichtshof, Urt.v. 27. Mai 1986, NJW 1986, S. 2501 f.).

Dieser Gesichtspunkt relativiert natürlich auch die subjektive Einschätzung der Zeuginnen zur Geschwindigkeit des Kl.-Fzg.’s. So mag diese bei einem normalen Abstand, welchen das Gericht mit ca. 1,50 m – 2,0 m annimmt, angemessen sein. Je geringer der Abstand aber ist, um so geringer hat die angemessene Geschwindigkeit zu sein.

Gerade angesichts des gerichtsbekannten starken Motorengeräusches des Kl.-Fzg.’s und eingedenk des Umstandes, dass sich das Kl.-Fzg. den Pferden von hinten näherte, war der Seitenabstand von ca. 60 cm bei weitem zu gering, um den dargestellten Anforderungen Genüge zu tun (vgl. zum Seitenabstand von 40 cm, einem hohen Motorengeräusch und einer Geschwindigkeit von ca. 30 km/h nur: OLG Düsseldorf, Urt.v. 6. November 1969, VersR 1970, S. 771).

Bei Abwägung der maßgebenden Umstände iSd. § 17 StVG ist die Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs und etwaiges Verschulden seines Halters oder Führers, auf der anderen Seite die natürliche Tiergefahr und etwaiges Verschulden des Tierhalters oder Tierhüters zu berücksichtigen (vgl. nur Hentschel/Jagusch RdNr. 25 zu § 17 StVG mwN).

Ein Verschulden der Zeugin E. als „Tierhüters“ in diesem Sinne war auch unter Berücksichtigung des § 28 Abs. 2 S. 1 StVO, wonach diese die Vorschriften und Bestimmungen der StVO entsprechend zu beachten hatte, nicht festzustellen. Dagegen war zu Lasten des Beklagten die naturbedingt große Tiergefahr bei einem Reittier, welches im Straßenverkehr bewegt wird, zu berücksichtigen. So verwirklicht dieses, wenn es, wie im vorliegenden Fall, erschreckt wird, ein hohes Gefahrenpotential. Pferde sind wegen der ihnen eigenen Sensibilität in der Regel schreckhaft und reagieren oft auf Geräusche und andere ungewohnte Ereignisse unberechenbar (vgl. hierzu nur: Bundesgerichtshof, aaO.). Im vorliegenden Fall stellt die Querbewegung des Pferdes zur Fahrbahn hin einen Ausfluss der spezifischen Tiergefahr dar. Hier hat sich die Unberechenbarkeit tierischen Verhaltens mit ausgewirkt (vgl. hierzu nur: OLG Hamm, aaO, S. 191), auch wenn dies durch das Überholmanöver des Klägers ausgelöst wurde.

Zu Lasten des Klägers ist hingegen neben der Betriebsgefahr seines Fahrzeugs auch sein vorstehend dargestelltes Verschulden zu berücksichtigen. Der Kläger hatte es auch sehr viel mehr in der Hand als die Zeugin E., den Schadenseintritt abzuwenden, näherte er sich doch Pferd und Reiterin von hinten. Die Zeugin war der Situation ausgesetzt, die vom Kläger geschaffen worden war (vgl. hierzu nur: OLG Hamm, aaO).

Unter Berücksichtigung der dargestellten Umstände ist eine jeweilige Haftung von 50% angemessen.

Auf der Grundlage des vom Kläger geltend gemachten Schadens von Euro 1.691,76 besteht bei einer Mithaftung von 50% mithin nur ein Schadensersatzanspruch von Euro 845,88. Demgegenüber hat die Versicherung des Beklagten vorgerichtlich Zahlung in Höhe von Euro 870,00 bezahlt, so dass der Anspruch bereits (über-)erfüllt ist.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.