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BGH Urteil vom 07.04.1981 - VI ZR 32/80 - Zum Quotenvorrecht des Sozialversicherungsträgers und zum Familienprivileg im Sozialversicherungsrecht

BGH v. 07.04.1981: Zum Quotenvorrecht des Sozialversicherungsträgers und zum Familienprivileg im Sozialversicherungsrecht


Der BGH (Urteil vom 07.04.1981 - VI ZR 32/80) hat entschieden:
Nachdem der Gesetzgeber die Frage, ob nach RVO § 1542 dem Sozialversicherungsträger (SVT) ein "Quotenvorrecht" zusteht, im Sozialgesetzbuch (SGB) neu regeln wird, ist es dem BGH versagt, der Neuregelung durch Änderung der Rechtsprechung vorzugreifen. Die entsprechende Anwendung des VVG § 67 Abs 2 auf Ansprüche aus RVO § 1542 kommt nur in Betracht, wenn es sich um einen Anspruch des Geschädigten gegen einen mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebenden Familienangehörigen handelt.


Siehe auch Forderungsübergang und Quotenvorrecht in der Vollkaskoversicherung (Differenztheorie) und in der Sozialversicherung und Das Familienprivileg im privaten Versicherungs- und im Sozialrecht - Haftungsausschluss im Familien- und Partnerschaftsverband und in eheähnlichen Lebensgemeinschaften


Tatbestand:

Der Ehemann der Klägerin wurde am 3. Dezember 1976 bei einem Verkehrsunfall durch Verschulden des Erstbeklagten getötet. Dieser und die Zweitbeklagte als dessen Haftpflichtversicherer haben zur Hälfte für den Unfallschaden einzustehen. Streitig ist nur noch, ob die Klägerin sich auf die von ihr geltend gemachten Beerdigungskosten (§ 844 Abs. 1 BGB) von insgesamt 4.638,21 DM das von der gesetzlichen Krankenversicherung ihres Ehemannes, der DAK, in Höhe von 2.581,-- DM gezahlte Sterbegeld anrechnen lassen muss. Die Klägerin hat das Sterbegeld von den 4.638,21 DM in Abzug gebracht und den restlichen Betrag von 2.750,21 DM (richtig: nur 2.057,21 DM) eingeklagt. Das Landgericht hat, davon ausgehend, dass die Ansprüche der Klägerin dem Grunde nach nur zur Hälfte gerechtfertigt sind, ihr unter Abzug einer Vorteilsausgleichung bei der Trauerkleidung von 384,95 DM einen Betrag von 1.182,63 DM zuerkannt (2.750,21 abzüglich 384,95 = 2.365,26 : 2).

Die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen.

Mit der (zugelassenen) Revision verfolgen die Beklagten ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.


Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht führt aus: Die Meinung des Landgerichts, dass die Klägerin sich auf die Beerdigungskosten das Sterbegeld anrechnen lassen müsse, sei nicht richtig. Allerdings unterliege das von einer gesetzlichen Krankenversicherung nach §§ 201 ff RVO zum Ausgleich der Beerdigungskosten gezahlte Sterbegeld grundsätzlich dem Forderungsübergang nach § 1542 RVO, indes sei der Übergang nach der Rechtsprechung (BGHZ 41, 79) in entsprechender Anwendung des § 67 Abs. 2 VVG ausgeschlossen, wenn sich der Ersatzanspruch des Geschädigten gegen einen mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebenden Familienangehörigen richte. Dieses "Familienprivileg" müsse, so meint das Berufungsgericht, auch beim Übergang eigener Ersatzansprüche der begünstigten Angehörigen beachtet werden. Dies führe dazu, dass dem Angehörigen, so wie dem Versicherungsnehmer nach § 67 Abs. 1 Satz 2 VVG, gegenüber den Trägern der Sozialversicherung das Vorrecht zustehe. Danach berechne sich der Anspruch der Klägerin wie folgt: Nach Anrechnung der Ersparnis bei der Trauerkleidung beliefen sich die Beerdigungskosten noch auf 4.253,26 DM, wovon die Beklagten die Hälfte = 2.126,63 DM zu ersetzen hätten. Da die Klägerin an Sterbegeld 2.581,-- DM erhalten habe, betrage ihr ungedeckter Aufwand 1.672,26 DM (4.253,26 abzüglich 2.581,--). Infolgedessen seien die Beklagten durch ihre Verurteilung zur Zahlung von 1.182,63 DM nicht beschwert.


II.

Die Revision muss Erfolg haben. Das Berufungsgericht hat die hier entscheidenden rechtlichen Gesichtspunkte verkannt.

1. Richtig ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, nämlich dass das vom gesetzlichen Krankenversicherer des getöteten Ehemannes der Klägerin, der DAK, bezahlte Sterbegeld dem Forderungsübergang des § 1542 RVO unterliegt. Wie der Senat im Urteil vom 18. Januar 1977 (VI ZR 250/74 = VersR 1977, 427), wenn auch zu §§ 122, 87 a BBG entschieden hat, dient das Sterbegeld demselben Zweck wie die Beerdigungskosten. Aus denselben Erwägungen ist die Kongruenz auch hinsichtlich des nach §§ 201 ff RVO vom gesetzlichen Krankenversicherer zu zahlenden Sterbegeldes zu bejahen; das ergibt sich insbesondere aus § 203 RVO, wonach vom Sterbegeld zunächst die Kosten der Bestattung zu bestreiten und ein (etwa) verbleibender Überschuss in der dort näher bezeichneten Reihenfolge an Angehörige auszuzahlen ist. Soweit die DAK Sterbegeld gezahlt hat, ist der Ersatzanspruch der Klägerin somit nach § 1542 RVO auf sie übergegangen (einhellige Meinung; s. Senatsurt. v. 14. November 1958 - VI ZR 240/57 = VersR 1959, 231, 232).

Wenn demgegenüber die Klägerin auf das Senatsurteil vom 29. November 1977 (VI ZR 177/76 = VersR 1978, 249) hinweist, in welchem der Senat die Anrechnung eines nach § 41 BAT bezahlten Sterbegeldes auf Ansprüche aus § 844 Abs. 1 BGB verneint hat, so geht dies fehl. Auch in jenem Urteil hat der Senat die (zumindest teilweise) gleiche Zweckbestimmung bejaht. Dass die Witwe sich dennoch das nach § 41 BAT vom Arbeitgeber ihres Ehemannes gezahlte Sterbegeld nicht anrechnen lassen musste, beruht auf der Erwägung, dass Maßnahmen, die der sozialen Sicherung und Fürsorge gegenüber dem Dienstpflichtigen und seinen Angehörigen entspringen, nicht den Schädiger entlasten sollen. Der Unterschied zu jenem Sachverhalt liegt darin, dass für die in § 41 BAT vorgesehenen Sozialbezüge kein gesetzlicher Forderungsübergang eintritt. Im Streitfall hat der SVT dagegen kraft des Forderungsüberganges des § 1542 RVO den Anspruch der Klägerin gegen den Schädiger auf Ersatz des Sterbegeldes erworben.

2. Verfehlt ist jedoch die Ansicht des Berufungsgerichts, der Rechtsübergang nach § 1542 RVO entfalle aus dem Grundgedanken des § 67 Abs. 2 VVG.

Die entsprechende Anwendung dieser Vorschrift auf Ansprüche aus § 1542 RVO (s. BGHZ 41, 79; 43, 72, 77) kommt nur in Betracht, wenn es sich um einen Anspruch des Geschädigten gegen einen mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebenden Familienangehörigen handelt. Im Streitfall ist der Schädiger (Erstbeklagte) aber kein Angehöriger der Klägerin. Sollte das Berufungsgericht gemeint haben, der in § 67 Abs. 2 VVG zum Ausdruck gekommene Gedanke könne auch hier sinngemäß angewendet werden, so steht dem das Fehlen der dafür erforderlichen ähnlichen Ausgangslage, wie sie in der in § 67 Abs. 2 VVG ausgesprochenen Wertung des Gesetzes zum Ausdruck kommt, entgegen. Die jene Vorschrift tragende Erwägung, dass sich ein Rückgriff des Versicherers dann verbietet, wenn der Versicherte im praktischen Ergebnis das, was er mit der einen Hand erhalten hat, mit der anderen wieder hergeben müsste, stellt sich in der Tat immer dann, wenn Schädiger und Geschädigter in häuslicher Gemeinschaft zusammenleben und damit eine wirtschaftliche Einheit bilden. Davon ist hier aber keine Rede.

Die vom Berufungsgericht vertretene, indes nicht näher begründete Ansicht, das in § 67 Abs. 2 VVG enthaltene "Familienprivileg" müsse auch beim Übergang eigener Ansprüche der begünstigten Angehörigen beachtet werden, ist rechtsirrig. Das Berufungsgericht verkennt in seiner Bezugnahme auf das Urteil des OLG Nürnberg in VersR 1978, 774, dass es sich bei jener Entscheidung darum handelt, dass der Schädiger der Witwe, die gemäß §§ 846, 254 Abs. 1 BGB nur eine Quote ihres Unterhaltsersatzanspruchs erhält, die von ihr erzielten Einkünfte insoweit belassen muss, als sie sie zur Deckung der nicht zu ersetzenden Quote benötigt (vgl. dazu BGHZ 16, 265, 275 und Urteil vom 6. April 1976 - VI ZR 240/74 = VersR 1976, 877, 878 m.w.Nachw.). Dies besagt aber nichts für das hier in Rede stehende Quotenvorrecht des SVT.

Das Berufungsgericht will (offenbar nur) den Angehörigen einen Vorrang gegenüber den Trägern der Sozialversicherung gewähren, will also in diesem begrenzten Umfang das Quotenvorrecht der Sozialversicherungsträger, das bisher in der Rechtsprechung anerkannt worden ist, beseitigen. Dem kann, jedenfalls im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht und aus dem (zuvor dargelegten) Schutzzweck des § 67 Abs. 2 VVG schon gar nicht in dem auf "Angehörige" begrenzten Umfang zugestimmt werden. Die Frage, ob entgegen der jahrzehntelangen Rechtsübung das (absolute) Quotenvorrecht der Sozialversicherungsträger beseitigt werden soll, indem die Auslegung des § 1542 RVO an die des § 67 VVG und des § 87 a BBG angeglichen wird, hat den Bundesgerichtshof mehrfach beschäftigt. So hat der Senat schon im Urteil vom 28. Februar 1961 (VI ZR 114/60 = VersR 1961, 628) darauf hingewiesen, dass "mit beachtlichen Gründen" de lege ferenda der Versagung dieses Quotenvorrechts das Wort geredet werde. Trotz der Zunahme der kritischen Stimmen und der Gewichte ihrer Gründe hat der Senat im Urteil vom 29. Oktober 1968 (VI ZR 280/67 = VersR 1968, 1182 = NJW 1969, 98) unter eingehender Erörterung des Problems seine Rechtswirksamkeit bejaht, jedoch hinzugefügt, er sehe sich im Hinblick darauf, dass eine Klarstellung der streitigen Frage im Gesetzgebungswege vorbereitet wurde (Reform des 5. Buches der RVO: Referenten-Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensrechtlicher Vorschriften von 1967), nicht in der Lage, seine bisherige jahrzehntelange Rechtsprechung zu ändern. Er hat dann nochmals in seinem Urteil vom 29. November 1977 (BGHZ 70, 67, 70) erklärt, die Lösung der Frage sei eine an sich dem Gesetzgeber vorbehaltene Aufgabe, bis dahin spreche viel dafür, aus Gründen der Rechtskontinuität und der Rechtssicherheit an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten. Allerdings hatte er schon damals die Frage aufgeworfen, ob diese Zurückhaltung auch dann noch angezeigt sei, wenn sich der Gesetzgeber nicht zu einer klarstellenden Regelung entschließe, hat diese Frage aber in dem dort zur Entscheidung stehenden Sonderfall auf sich beruhen lassen können (aaO S. 71).

Jetzt jedoch hat die Bundesregierung im Bundestag den Entwurf eines Gesetzes (3. Kapitel zum X. Buch des Sozialgesetzbuches: Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten) eingebracht, in dessen § 122 das Quotenvorrecht des Sozialversicherungsträgers neu geregelt werden soll (BT-Drucksache 9/95 vom 13. Januar 1981). Dabei wird in den Fällen, in denen der Ersatzanspruch des Geschädigten aufgrund des § 254 BGB begrenzt ist, eine differenzierte Lösung angestrebt (vgl. dazu Entschließung des 19. Verkehrsgerichtstags Januar 1981; s. auch Küppersbusch VersR 1981, 313); der Geschädigte soll nicht, wie das die Kritiker der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verfochten haben, das (absolute) Vorrecht vor dem Sozialversicherer erhalten. Ersichtlich würde der Bundesgerichtshof, wenn er durch Änderung seiner Rechtsprechung dem Verletzten das Vor-Recht gewährte, dem Gesetzgeber vorgreifen; eine differenzierte Lösung - etwa in der Art, wie sie der § 122 des Entwurfs vorsieht - zu entwickeln, ist der Bundesgerichtshof nicht befugt. Allen Überlegungen, das Problem des Quotenvorrechts durch eine Änderung der Rechtsprechung zu lösen, steht entgegen, dass dem Gesetzgeber die Prärogative zukommt; jetzt machen Rechtssicherheit und Rechtskontinuität das Festhalten an der bisherigen Rechtsprechung unausweichlich. Zudem würde der Bundesgerichtshof vor das schwer zu lösende Problem gestellt sein, ob und in welchem Umfang seiner geänderten Rechtsprechung rückwirkende Kraft zukommen sollte. Nicht zuletzt hatte diese Frage des zeitlichen Übergangs den Senat in seinem Urteil vom 29. Oktober 1968 bestimmt, an seiner Rechtsprechung festzuhalten, bis der Gesetzgeber gesprochen hatte. Denn dieser kann eine eindeutige Übergangsregelung treffen, etwa dahin, dass das neue Recht nur für Schadensfälle gilt, die sich nach dem Inkrafttreten des Gesetzes ereignet haben, aber auch dahin, dass ein bestimmter Stichtag maßgebend sein soll - übrigens eine Frage, die sich nach dem Entwurf der Bundesregierung nicht klar beantworten lässt.

3. Müssen aber die Beklagten, die der Klägerin im Hinblick auf § 254 BGB nicht mehr als 2.126,63 DM schulden, zunächst der Krankenkasse gemäß § 1542 RVO das von dieser (in Höhe von 2.581 DM) gezahlte Sterbegeld erstatten, so ergibt sich, dass der Anspruch der Klägerin abzuweisen ist.