Das Verkehrslexikon

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OLG Frankfurt am Main Beschluss vom 22.10.2002 - 18 W 216/02 - Zur Erstattungsfähigkeit der Kosten eines während des laufenden Zivilprozesses eingeholten Privatgutachtens

OLG Frankfurt am Main v. 22.10.2002: Zur Erstattungsfähigkeit der Kosten eines während des laufenden Zivilprozesses eingeholten Privatgutachtens


Das OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 22.10.2002 - 18 W 216/02) hat entschieden:
Die Kosten eines privaten Sachverständigen sind nur ausnahmsweise und unter engen Voraussetzungen zu erstatten. Denn grundsätzlich hat in einem zivilrechtlichen Rechtsstreit die Klärung entscheidungsrelevanter streitiger Behauptungen in der gerichtlichen Beweisaufnahme bzw. in einem selbständigen Beweisverfahren zu erfolgen. Ausnahmsweise kann die Beauftragung eines privaten Sachverständigen durch eine Partei zu einem entsprechenden Erstattungsanspruch gegen den unterliegenden Prozessgegner führen, wenn etwa das Gericht eine Substantiierung des Parteivortrags verlangt, die ohne die Hilfe eines Sachverständigen nicht möglich ist, wenn die Partei andernfalls nicht in der Lage wäre, sachgerechte Fragen an den gerichtlichen Sachverständigen zu stellen oder sein Gutachten substantiiert zu widerlegen, oder wenn allgemein aus dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit die Einholung eines Privatgutachtens geboten ist.


Siehe auch Sachverständigenkosten im Verkehrsrecht und Zur Kostenerstattung für Privatgutachten, die in das Verfahren eingebracht oder nicht eingebracht wurden


Gründe:

Die Parteien streiten um die Festsetzung von Kosten, welche die Beklagte für einen privaten Sachverständigen aufgewandt hat.

Die Klägerin hat nach Einholung eines Privatgutachtens die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens beantragt und sodann Klage u. a. auf Zahlung von mehr als 8 Millionen DM erhoben. In der Sache ging es dabei um die Sanierung eines Lager- und Verwaltungsgebäudes in ... wegen die Nutzung als Lagerhaus mit Gabelstaplerbetrieb beeinträchtigender konstruktiver Mängel und daraus resultierenden Schäden am statisch tragenden Gefüge aus Stützen, Unterzügen und Geschossdecken. Beide Parteien haben sich während des selbständigen Beweisverfahrens und des Hauptsacherechtsstreits der Hilfe privater Sachverständiger bedient. Bezüglich der Einzelheiten wird auf die nicht bestrittenen Ausführungen der Beklagten in dem Schriftsatz vom 19 Dezember 2001, Bl. 653 ff. d.A., Bezug genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und die Kosten des Rechtsstreits der Klägerin auferlegt. Die Beklagte hat sodann private Sachverständigenkosten in Höhe von insgesamt 104.925,55 DM zur Festsetzung angemeldet und zur Begründung fünf Rechnungen des Sachverständigen ... vorgelegt, Bl. 642 ff. d.A.

Das Landgericht hat unter anderem den Betrag der Rechnung des Sachverständigen ... vom 16.10.1998, Bl. 647 d. A., in Höhe von netto 36.000,00 DM abgesetzt und lediglich verbleibende Sachverständigenkosten in Höhe von 27.984,54 Euro festgesetzt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Klägerin ist durch Beschluss vom 13. Mai 2002, Az. 18 W 72/02, zurück gewiesen worden. Zur Begründung der teilweisen Absetzung der Sachverständigenkosten hat das Landgericht ausgeführt, es sei insoweit lediglich eine Pauschale geltend gemacht worden, so dass die Notwendigkeit für das vorliegende Verfahren nicht zu erkennen sei.

Mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde hat die Beklagte geltend gemacht, das Landgericht habe zu Unrecht Gerichtskosten in Höhe von 14.500,00 DM nicht hinzugesetzt. Außerdem seien die Kosten für den privaten Sachverständigen zu erstatten. Es habe sich um das Honorar für die Erarbeitung eines Instandsetzungsvorschlags gehandelt, welcher in den Rechtsstreit eingeführt worden sei.

Mit Beschluss vom 8. Juli 2002, Bl. 702 f. d. A., hat das Landgericht der sofortigen Beschwerde teilweise bezüglich der hinzuzusetzenden Gerichtskosten abgeholfen und weitere 7.183,65 Euro nebst Zinsen zu Lasten der Klägerin festgesetzt. Im Übrigen hat es ausgeführt, die weiter geltend gemachten Sachverständigenkosten seien nicht notwendig gewesen.

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

Die von der Beklagten angemeldeten Kosten des Sachverständigen ... sind auch bezüglich der noch geltend gemachten 36.000,00 DM zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig im Sinne des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Das Gericht hat bereits in dem Beschluss vom 13. Mai 2002 ausgeführt, dass nach ständiger Rechtsprechung des Senats die Kosten eines privaten Sachverständigen nur ausnahmsweise und unter engen Voraussetzungen zu erstatten sind. Denn grundsätzlich hat in einem zivilrechtlichen Rechtsstreit die Klärung entscheidungsrelevanter streitiger Behauptungen in der gerichtlichen Beweisaufnahme bzw. in einem selbständigen Beweisverfahren zu erfolgen. In diesem Rahmen ist erforderlichenfalls auch der notwendige Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu erheben. Ausnahmsweise kann die Beauftragung eines privaten Sachverständigen durch eine Partei zu einem entsprechenden Erstattungsanspruch gegen den unterliegenden Prozessgegner führen, wenn etwa das Gericht eine Substantiierung des Parteivortrags verlangt, die ohne die Hilfe eines Sachverständigen nicht möglich ist, wenn die Partei andernfalls nicht in der Lage wäre, sachgerechte Fragen an den gerichtlichen Sachverständigen zu stellen oder sein Gutachten substantiiert zu widerlegen, oder wenn allgemein aus dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit die Einholung eines Privatgutachtens geboten ist (vgl. Zöller/Herget, ZPO 22. Aufl. § 91 Rn 13 Privatgutachten m.w.Nachw.). Ein derartiger Ausnahmefall liegt hier vor. Dabei fällt zunächst ins Gewicht, dass das von der Klägerin eingeleitete selbständige Beweisverfahren sowie das anschließende Klageverfahren außerordentlich komplexe und technisch schwierige Fragen zum Gegenstand hatte, deren Beurteilung sich den Parteien ohne sachverständige Hilfe nicht erschließen konnte. Hinzu kommt, dass die tatsächlichen Vorgänge bereits eine geraume Zeit zurück lagen. Besitzt aber weder die Partei noch ihr Prozessbevollmächtigter die erforderliche Sachkunde und stehen ihnen auch nicht entsprechende Erkenntnisquellen zur Verfügung, um technische Fragen subtiler Art und in detaillierter Form ausreichend beurteilen zu können, so sind die Gutachterkosten ausnahmsweise erstattungsfähig (vgl. Göttlich/Mümmler, BRAGO 20. Aufl., Privatgutachten 2.2.2 m.w.Nachw.). Die Beklagte wäre andernfalls nicht in der Lage gewesen, in dem selbständigen Beweisverfahren und dem anschließenden Hauptsacheprozess in substantiierter Weise vorzutragen. Hinzu kommt, dass auch die Klägerin sich in erheblichem Umfang bereits vor dem Prozess sowie während des selbständigen Beweis- und des Hauptsacheverfahrens sachverständiger Hilfe bediente.

Hieran wird nach erneuter Prüfung der Sach- und Rechtslage festgehalten. Auch die von der Beklagten angemeldeten Kosten gemäß der Rechnung vom 16.10.1998 sind als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig im Sinne des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO anzusehen, da die Beklagte in der konkreten Prozesssituation berechtigt war, sich auch bei der Ermittlung der Höhe der möglichen Sanierungskosten sachverständiger Hilfe zu bedienen und von dem Sachverständigen mehrere Sanierungsvarianten prüfen lassen durfte. Andernfalls hätte sie im Hinblick auf die Komplexität und Schwierigkeit der Materie insoweit nicht ausreichend substantiiert vortragen können.

Die Höhe der Kosten richtet sich, worauf ebenfalls bereits in dem Beschluss vom 13. Mai 2002 hingewiesen worden ist, nicht nach dem ZSEG. Ihre Angemessenheit ist vielmehr nach freiem Ermessen zu beurteilen. Die Höhe des Honorars von 36.000,00 DM ist dabei nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat durch Vorlage des Angebots des Sachverständigen vom 29.7.1998, Bl. 690 ff. d. A., nachvollziehbar dargelegt, dass bei Zugrundelegung der HOAI ein Honorar in Höhe von 48.059,44 DM angefallen wäre, so dass der vereinbarte Pauschalpreis von 36.000,00 DM jedenfalls das Maß des Angemessenen nicht übersteigt. Die Höhe des Gesamthonorars steht darüber hinaus zu dem Wert des Streitgegenstandes noch in einem angemessenen Verhältnis.

Die zu erstattende Gesamtforderung beträgt somit 98.946,21 Euro (Beschluss vom 1. März 2002: 73.356,05 Euro; Beschluss vom 8. Juli 2002: weitere 7.183,65 Euro; dazu weitere 18.406,51 Euro (36.000,00 DM) Sachverständigenkosten).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Ein Anlass, der Beklagten die Kosten der Beschwerde gemäß § 97 Abs. 2 ZPO aufzuerlegen, bestand nicht. Die Beklagte hat bereits vor Erlass des Kostenfestsetzungsbeschlusses mit Schriftsatz vom 19.12.2001, Bl. 653 ff. d. A., die hier relevanten Kosten in noch ausreichender Form erläutert.

Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 574 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2, Abs. 1 Nr. 2 ZPO nicht vorliegen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs als Rechtsbeschwerdegericht.

Der Beschwerdewert beläuft sich auf den Wert der in dem angegriffenen Beschluss abgesetzten Kosten, deren Festsetzung die Beklagte mit ihrem Rechtsmittel begehrt hat.