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Kammergericht Berlin Beschluss vom 24.10.2007 - 2 W 114/07 - Zur Erstattungsfähige von fiktiven Reisekosten des auswärtigen Rechtsanwaltes eines klagenden Unternehmens

KG Berlin v. 24.10.2007: Zur Erstattungsfähige von fiktiven Reisekosten des auswärtigen Rechtsanwaltes eines klagenden Unternehmens


Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 24.10.2007 - 2 W 114/07) hat entschieden:
Die Berücksichtigung von fiktiven Reisekosten des auswärtigen Rechtsanwaltes eines klagenden Unternehmens scheitert dann nicht an dem Umstand, dass der Kläger über ausreichendes Personal zur schriftlichen Instruktion seines Hauptbevollmächtigten verfügt, wenn seine Geschäftstätigkeit den laufenden Anfall bundesweiter Gerichtsverfahren zur Folge hat.


Siehe auch Reisekosten und Anwaltskosten


Gründe:

I.

Die Beschwerdeführerin ist eine Bank mit Sitz in München, deren wesentliches Geschäft in bundesweiten Finanzdienstleistungen, insbesondere Darlehensvergaben, beim Kauf eines Fahrzeuges des B. Konzernes besteht. Im Hauptverfahren vor dem Landgericht Berlin machte sie Ansprüche aus einem derartigen Darlehensvertrag geltend. Dabei ließ sie sich von einem Rechtsanwalt mit Kanzleisitz in München vertreten. Dieser vertritt die Beschwerdeführerin in vergleichbaren Angelegenheiten, die jährlich mehrere tausend betragen, ständig. Das geschieht so, dass die Beschwerdeführerin dem Rechtsanwalt regelmäßig die Unterlagen der betreffenden Vorgänge per EDV-Standleitung übersendet und ihm Zugriff auf weitere Informationen per EDV zur selbständigen Bearbeitung gewährt. Die Beschwerdeführerin verfügt über qualifiziertes Personal, das zur schriftlichen Instruktion des Rechtsanwalts im Einzelfall in der Lage wäre. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht ließt sich die Beschwerdeführerin von einem Berliner Rechtsanwalt in Untervollmacht vertreten. Das Landgericht hat es in seinem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 24. Mai 2007, der Beschwerdeführerin zugestellt am 8. Juni 2007, abgelehnt, die Mehrkosten für die Unterbevollmächtigung - insgesamt 1.159,66 EUR, einschl. MwSt - festzusetzen. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde, beim Landgericht eingegangen am 12. Juni 2007. Die Beschwerdeführerin macht zur Begründung des Rechtsmittels geltend, dass die Kosten für die Unterbevollmächtigung notwendig im Sinne von § 91 ZPO gewesen seien, weil sie sich im Rahmen dieser Vorschrift habe eines Münchener Rechtsanwaltes als Hauptbevollmächtigten bedienen dürfen. Vorsorglich begehrt sie zumindest die Festsetzung der fiktiven Reisekosten ihres Hauptbevollmächtigten zum Verhandlungstermin in Berlin. Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und sie durch Verfügung vom 13. Juni 2007 (Bl. 48 d.A.) dem Kammergericht zur Entscheidung vorgelegt.


II.

1. Das Beschwerdegericht ist zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde befugt.

Zwar ist die Nichtabhilfe- und Vorlageentscheidung des Landgerichts gemäß § 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO insofern verfahrensfehlerhaft als diese Entscheidung durch schlichte Verfügung getroffen wurde. Dass die Nichtabhilfe- und Vorlageentscheidung durch Beschluss zu ergehen hat, entspricht der ganz herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur ( OLG Stuttgart MDR 2003 110 [111]; OLG Koblenz Rpfleger 1978, 104 [105], zur Nichtabhilfe und Vorlage nach § 11 RPflG a.F.; Lipp in Münchener Kommentar zur ZPO, 3. Aufl. 2007, § 572 Rdnr. 10; Gummer in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 572 Rdnr. 10; Hartmann in Baubach/Lauterbach, ZPO, 65. Aufl. 2007, § 572 Rdnr. 8; Grunsky in Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl. 1994, § 571 a.F. Rdnr. 4 und 6). Dieser Auffassung hat sich der Senat angeschlossen ( KG , Beschl. vom 6. September 2007 - 2 W 147/07, mit näherer Begründung).

Der Mangel des Vorlageverfahrens führt jedoch nicht zu einer Unwirksamkeit der Nichtabhilfe- und Vorlageentscheidung. Das Beschwerdegericht ist folglich auch bei mangelhaftem Abhilfeverfahren zur Entscheidung über die Beschwerde befugt (ebenso: OLG Stuttgart , a.a.O.; KG , a.a.O.; Lipp in Münchener Kommentar zur ZPO, 3. Aufl. 2007, § 572 Rdnr. 14). Von seiner gleichwohl bestehenden Befugnis, die Sache aus diesem Grund an das Ausgangsgericht zur ordnungsgemäßen Bescheidung zurückzuverweisen (ebenso: OLG Stuttgart , a.a.O.; KG , a.a.O.; Lipp in Münchener Kommentar zur ZPO, a.a.O.), macht der Senat vorliegend keinen Gebrauch.

2. Die sofortige Beschwerde ist nach § 11 Abs. 2 Satz 3 RVG, § 11 Abs. 1 RPflG, §§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 104 Abs. 3, 567 Abs. 2, 569 ZPO zulässig; über sie hat nach § 568 Satz 1 und 2 ZPO der Einzelrichter zu entscheiden.

3. In der Sache hat die sofortige Beschwerde teilweisen Erfolg.

a) In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass bei einer Partei, welche an einem auswärtigen Gericht klagt und sich dabei von einem Rechtsanwalt mit Kanzleisitz am Wohnort der Partei vertreten lässt, entweder (1.) die Kosten für die Reise des Rechtsanwaltes zum gerichtlichen Verhandlungstermin oder (2.) die Kosten für die Beauftragung eines am Gerichtssitz ansässigen Unterbevollmächtigten zur Wahrnehmung des Verhandlungstermines notwendige Kosten des Rechtsstreits gemäß § 91 ZPO sind. Im Falle der Beauftragung eines Unterbevollmächtigten (2. Alternative) dürfen die Kosten allerdings nicht 110% der fiktiven Reisekosten des Hauptbevollmächtigten übersteigen ( BGH NJW-RR 2005, 707 [708]; BGH BGHR 2004, 70 [71]; BGH NJW 2003, 898 [901]; Herget in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 91 Rdnr. 13 „Unterbevollmächtigter“). Sollte dies im Einzelfall doch der Fall sein, kann die Partei 110% der fiktiven Reisekosten geltend machen (ebenso Senatsbeschluss vom 23. Oktober 2007, 2 W 136/07; OLG Frankfurt OLGR 2005, 33 [34]; Herget in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 91 Rdnr. 13 „Unterbevollmächtigter“ a.E.).

Nach diesen Grundsätzen sind vorliegend höchstens 275 EUR festzusetzen. Denn die Wahrnehmung des gerichtlichen Verhandlungstermines durch den Münchener Hauptbevollmächtigten hätte mutmaßlich etwa 250 EUR (einschl. MwSt.) an Kosten ausgelöst; davon hätten die Transportkosten zwischen München und Berlin - z.B. mit einem Flug von L., der 3-4 Wochen im voraus gebucht wurde - etwa 200 EUR betragen und die jeweiligen innerstädtischen Transportkosten - mit den öffentlichen Verkehrsmitteln - etwa 10 EUR; hinzugekommen wäre ein Tage- und Abwesenheitsgeld gemäß Nr. 7005 Ziff. 2 VV RVG von gut 40 EUR (einschl. MwSt.). Die Kosten der Unterbevollmächtigung übersteigen die mutmaßlichen Reisekosten um mehr als 10%. Demgemäß waren den o.g. 250 EUR 10% hinzuzurechnen. Soweit die Beschwerdeführerin die fiktiven Reisekosten mit insgesamt 243,48 EUR ansetzt, unterliegt sie einem mehrfachen Irrtum. Denn zum einen sind bei einer Kostenabrechnung wegen PKW-Eigennutzung gemäß Nr. 7003 VV RVG nicht nur die einfache Fahrt, sondern die Hin- und Rückfahrt in Ansatz zu bringen ( Hartmann , KostG, 37. Aufl. 2007, Nr. 7300 VV RVG Rdnr. 17). Bei dem sich damit ergebenden Fahrtkostenaufwand von 416,26 EUR wäre allerdings ein Linienflug kostengünstiger gewesen. Nachdem jede Partei im Rahmen von § 91 ZPO die Obliegenheit trifft, unter mehreren gleichgearteten Rechtsverfolgungsmaßnahmen die kostengünstigere auszuwählen (vgl. für viele: BGH VersR 2006, 1089 [1090]), waren daher vorliegend nur die fiktiven Flugkosten festsetzbar. Zum anderen beläuft sich der für den vorliegenden Zeitraum maßgeblich Umsatzsteuersatz auf 19%, nicht 16%.

b) Der Bundesgerichtshof (4. Zivilsenat) hat ferner entschieden, dass bei Parteien, deren Geschäftstätigkeit den laufenden Anfall bundesweiter Gerichtsverfahren zur Folge hat (im Falle des BGH waren es jährlich 120-150 Gerichtsverfahren), die Kosten der Beauftragung eines Hauptbevollmächtigten mit Kanzleisitz am Sitz der Partei und folglich auch die o.g. Reise- bzw. Unterbevollmächtigungskosten zu den notwendigen Kosten des Rechtsstreits selbst dann gehören, wenn die Partei über qualifiziertes Personal verfügt, das zur schriftlichen Instruktion eines etwaigen Hauptbevollmächtigen mit Kanzlei am Sitz des Gerichtes in der Lage wäre ( BGH BGHR 2006, 1334 [1335]). Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an. Zwar steht sie in einem gewissen Widerspruch zu der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, wonach es für die Frage der Festsetzbarkeit der Reise- bzw. Unterbevollmächtigungskosten im Allgemeinen darauf ankommt, ob zum Zeitpunkt der Beauftragung des Hauptbevollmächtigten damit zu rechnen ist, dass ein eingehendes Mandantengespräch zwischen der Partei und dem Hauptbevollmächtigten erforderlich sein wird, wobei dies in aller Regel dann nicht der Fall sein soll, wenn die Partei über eine Rechtsabteilung verfügt, die in der Lage ist, den Rechtsanwalt im Einzelfall angemessen schriftlich zu instruieren (vgl. Herget in Zöller, 26. Aufl. 2007, § 91 Rdnr. 13 „Reisekosten b., des Anwalts“, m. Rspr. N.). Auch im Falle eines Haftpflichtversicherers mit mutmaßlich vielzähligen jährlichen Gerichtsverfahren hat der Bundesgerichtshof (6. Zivilsenat) diese allgemeine Regel angewandt ( BGH VersR 2006, 1089 [1090]). Aus Sicht des Senates spricht jedoch entscheidend für die o.g., weitergehende Auffassung des Bundesgerichtshof (4. Zivilsenat), dass es einer Partei mit massenhaften, bundesweit anfallenden Gerichtsverfahren nicht zuzumuten ist, am Sitz eines jeden deutschen Landgerichtes einen gesonderten Rechtsanwalt als Hauptbevollmächtigten zu beauftragen.

Nach diesen Grundsätzen kommt es vorliegend auf die Überlegung des Landgerichts, dass die Sache keine besondere Schwierigkeit aufweist, nicht an. Denn bei der Beschwerdeführerin fallen - nach ihrem unbestritten gebliebenen Vortrag - bundesweit jährlich mehrere tausend Gerichtsverfahren an. Schon deshalb war es ihr nicht zuzumuten, einen Berliner Rechtsanwalt als Hauptbevollmächtigten zu beauftragen.

c) Nach alledem war der Betrag, der nach dem Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts von dem Beklagten an die Klägerin zu erstatten ist, um die fiktiven Reisekosten von 275,00 EUR zu erhöhen.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens entspricht gemäß § 3 ZPO dem Betrag, den das Landgericht an Kosten für die Unterbevollmächtigung abgesetzt hat.

5. Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 574 Abs. 3 Satz 1 ZPO nicht zuzulassen, nachdem weder die Beschwerdesache grundsätzliche Bedeutung hat noch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes für die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.