Das Verkehrslexikon

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OLG Celle Urteil vom 19.06.2003 - 14 U 268/02 - Zum Anspruch des Unfallgeschädigten auf Regulierung auf Neuwagenbasis

OLG Celle v. 19.06.2003: Zum Anspruch des Unfallgeschädigten auf Regulierung auf Neuwagenbasis


Das OLG Celle (Urteil vom 19.06.2003 - 14 U 268/02) hat entschieden:
Eine Abrechnung auf Neuwagenbasis kommt nur in Betracht, wenn der Unfall nicht ausschließlich solche Teile des Pkw betroffen hat, durch deren spurenlose Auswechslung der frühere Zustand voll wiederhergestellt werden kann (vgl. Urteil des Senats vom 20. Juni 2002, 14 U 209/01, OLGR 2002, 278 f. m.w.N.). Danach ist es insbesondere erforderlich, dass Karosserie oder Fahrwerk des Pkw so stark beschädigt sind, dass sie in wesentlichen Teilen wieder aufgebaut werden müssen und nicht bloß Montageteile auszutauschen sind, selbst wenn dies mit einer Teillackierung der Karosserie einhergeht. Sogar dann, wenn zusätzlich zum Austausch von Blechteilen auch Richtarbeiten geringeren Umfangs bei den tragenden Fahrzeugteilen erforderlich sind, ist dem Geschädigten die Weiternutzung des reparierten Unfallwagens zuzumuten.


Siehe auch Neuwagenanspruch und Reparaturschaden


Gründe:

(§ 540 Abs. 1 ZPO)

I.

Der Kläger begehrt Schadensersatz wegen der Folgen eines Verkehrsunfalls, der sich am 27. März 2002 ereignet hat. Wegen der näheren Sachdarstellung wird auf das Urteil des Landgerichts Bezug genommen. Der Einzelrichter hat der Klage ganz überwiegend stattgegeben, dem Kläger insbesondere den zwischen den Parteien streitigen Schadensersatz auf Neuwagenbasis zugebilligt. Die Laufleistung des verunfallten Fahrzeuges habe unter 1.000 km betragen und die Art der Beschädigungen sei geeignet, eine Abrechnung auf Neuwagenbasis zu rechtfertigen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie rügen, dass das Landgericht ihr Bestreiten hinsichtlich der Laufleistung des Fahrzeuges unberücksichtigt gelassen habe (schließlich sei der Tachostand bei Gutachtenerstellung mit 1.344 km festgestellt worden). Zum anderen habe das Landgericht die rechtlichen Voraussetzungen der Entschädigung auf Neuwagenbasis verkannt. Eine Reparatur des Fahrzeugs sei spurenlos durch Austausch von Anbauteilen möglich, Richtarbeiten seien nur in ganz geringem Umfang erforderlich.

Die Beklagten beantragen,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen, soweit die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung eines über 7.179,51 € hinausgehenden Betrages verurteilt worden sind.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.


II.

Die Berufung der Beklagten erweist sich - mit Ausnahme eines Teils der mit angefochtenen Nebenentscheidung - als begründet. Der Kläger kann von den Beklagten derzeit weitergehenden Schadensersatzanspruch, als in derjenigen Höhe, in der die Beklagten das landgerichtliche Urteil nicht angefochten haben (voraussichtliche Reparaturkosten laut Sachverständigengutachten, Wertminderung, Sachverständigenkosten, Nutzungsausfallentschädigung sowie Kostenpauschale) nicht beanspruchen. Insbesondere ist der Kläger, worauf der Senat frühzeitig hingewiesen hat, nicht berechtigt, auf sog. Neuwagenbasis abzurechnen, d.h. die Kosten der Beschaffung eines gleichwertigen Neufahrzeuges - Zug um Zug gegen Rückgabe des verunfallten Altfahrzeuges - in Ansatz zu bringen.

Eine Abrechnung auf Neuwagenbasis ist nur dann zulässig, wenn bei dem Unfall ein fabrikneues Kraftfahrzeug erheblich beschädigt worden ist. An der letztgenannten Voraussetzung, nämlich einer erheblichen Beschädigung in diesem Sinne fehlt es, weshalb es dahinstehen kann, ob das Fahrzeug des Klägers angesichts seiner Laufleistung als fabrikneu anzusehen wäre (wozu der Senat ungeachtet des zwischen den Parteien im Einzelnen streitigen genauen Kilometerstandes zum Zeitpunkt des Unfalles neigen würde, weil der Zeitraum zwischen Erstzulassung und Unfall mit nicht einmal 2 Wochen sehr kurz gewesen ist).

Jedenfalls aber stellt sich die Beschädigung des Fahrzeugs nicht als so schwerwiegend dar, dass ein zureichender Schadensersatz nur dann möglich wäre, wenn es nicht lediglich repariert, sondern durch ein gleichwertiges Neufahrzeug ersetzt würde. Nach ständiger Rechtsprechung des (für Verkehrsunfallsachen fachzuständigen) Senats kommt eine solche Abrechnung auf Neuwagenbasis nur in Betracht, wenn der Unfall nicht ausschließlich solche Teile des Pkw betroffen hat, durch deren spurenlose Auswechslung der frühere Zustand voll wiederhergestellt werden kann (vgl. Urteil des Senats vom 20. Juni 2002, 14 U 209/01, OLGR 2002, 278 f. m.w.N.). Danach ist es insbesondere erforderlich, dass Karosserie oder Fahrwerk des Pkw so stark beschädigt sind, dass sie in wesentlichen Teilen wieder aufgebaut werden müssen und nicht bloß Montageteile auszutauschen sind, selbst wenn dies mit einer Teillackierung der Karosserie einhergeht. Sogar dann, wenn zusätzlich zum Austausch von Blechteilen auch Richtarbeiten geringeren Umfangs bei den tragenden Fahrzeugteilen erforderlich sind, ist dem Geschädigten die Weiternutzung des reparierten Unfallwagens zuzumuten. So liegt es hier. Aus der Schadenskalkulation des vom Kläger selbst in Auftrag gegebenen Sachverständigengutachtens ist ersichtlich, dass im Wesentlichen die Heckwand des Fahrzeuges (also die Heckklappe, der hintere Stoßfänger und das Bodenblech hinten) beschädigt worden ist. Dies sind typischerweise Teile, die ohne weiteres und spurenlos ausgewechselt werden können. Eine solche Einschätzung ergibt sich auch aus den Fotografien des Fahrzeugs des Klägers, wie sie dem Sachverständigengutachten anliegen (Bl. 65 f. d.A.). Anhaltspunkte dafür, dass tragende Teile des Fahrzeuges so gravierend beschädigt sein könnten, dass eine folgenlose und ordnungsgemäße Reparatur nicht mehr möglich wäre, sind nicht ersichtlich. Insbesondere sind nach der Schadenskalkulation des Sachverständigen keine Richtarbeiten von mehr als geringerem Umfang erforderlich. Vielmehr wird, so der Sachverständige, die Richtbank lediglich deswegen benötigt, um eine Kontrolle der Karosserie beim Aufbauen zu ermöglichen (S. 7 des Gutachtens, Bl. 61 d.A.). Dem entspricht es auch, dass der Sachverständige nur vergleichsweise geringe Arbeitswerte für die Verwendung der Richtbank kalkuliert hat, die umgerechnet nur 1,5 Stunden entsprechen.

Auf die Relation zwischen den Reparaturkosten und dem Kaufpreis des Fahrzeuges, die bei für den Kläger günstigster Berechnung etwa 15 % ausmacht, kommt es dagegen nicht an. Ebenso wenig ist es erheblich, dass der erlittene Fahrzeugschaden natürlich bei einer späteren Weiterveräußerung des Wagens offenbarungspflichtig ist. Der Abgeltung des damit verbundenen merkantilen Minderwertes des Fahrzeuges dient der vom Sachverständigen des Klägers mit 1.200 € kalkulierte merkantile Minderwert, den die Beklagten anerkannt haben. Ein besonderes emotionales Interesse des Klägers an seinem Fahrzeug, der sich damit einen "Lebenstraum" verwirklicht hat (ein Argument, welches üblicherweise in der Regel dazu herangezogen wird, auf Reparaturkostenbasis abzurechnen, auch wenn diese den Wiederbeschaffungswert übersteigen, also dem umgekehrten Fall), ist für eine Abrechnung auf Neuwagenbasis ebenfalls nicht berücksichtigungsfähig.

Mehr als das, was die Beklagten gegen sich gelten lassen (und was sie nach ihrer Darstellung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 26. Februar 2003 auch bereits gezahlt haben), kann der Kläger deswegen nicht beanspruchen.

Dem Kläger ist zuzugeben, dass er die unterschiedliche Rechtsprechung zweier Gerichte (Landgericht und Senat) nur schwer verstehen wird. Dass es dazu gekommen ist, beruht allerdings darauf, dass das Landgericht weder die (veröffentlichte) Rechtsprechung des Senats, die in Einklang mit der obergerichtlichen Rechtsprechung steht, berücksichtigt noch sich sonst in den Entscheidungsgründen mit irgendwelcher Rechtsprechung oder Literatur auseinander gesetzt hat, was allemal geboten gewesen wäre.

Hingegen ist der zuerkannte Betrag, wie vom Landgericht zutreffend ausgeführt, unter dem Gesichtspunkt eines Verzugsschadens in der genannten Höhe zu verzinsen. Soweit der Berufungsantrag der Beklagten dahin geht, nur den zuerkannten Betrag, jedoch ohne Zinsen, gegen sich gelten zu lassen, war die Berufung daher teilweise zurückzuweisen. Mit der Zahlung des von den Beklagten nunmehr anerkannten Betrages haben sich diese in Verzug befunden, und zwar ungeachtet dessen, dass der Kläger zunächst einen höheren Betrag, diesen jedoch nur Zug um Zug gegen Herausgabe des verunfallten Fahrzeuges, geltend gemacht hat. Den von ihnen jetzt anerkannten Betrag, der auf einer Abrechnung auf Reparaturkostenbasis zuzüglich Nebenkosten beruht, schuldeten die Beklagten als Mindestbetrag. Der Sache nach handelt es sich um ein "weniger" gegenüber der vom Kläger geltend gemachten Entschädigung auf Neuwagenbasis.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1 (für den ersten Rechtszug) bzw. 92 Abs. 2 (für den zweiten Rechtszug). Die weiteren Nebenentscheidungen folgen §§ 708 Nr. 10, 711, 108 Abs. 1 Satz 2 ZPO; 26 Nr. 8 EGZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern, § 543 ZPO.