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OLG Düsseldorf Urteil vom 08.11.2011 - I-1 U 14/11 - Fiktive Abrechnung auf Neuwagenbasis und zur Schadensminderungspflicht bei der Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs

OLG Düsseldorf v. 08.11.2011: Zur Zulässigkeit der fiktiven Abrechnung auf Neuwagenbasis und zur Schadensminderungspflicht bei der Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs


Das OLG Düsseldorf (Urteil vom 08.11.2011 - I-1 U 14/11) hat entschieden:
  1. Voraussetzung für den Anspruch auf Neuwagenbasis ist, dass der Geschädigte ein fabrikneues Ersatzfahrzeug tatsächlich anschafft. Eine fiktive Abrechnung auf Neuwagenbasis ist unzulässig (BGH Urteil vom 09.06.2009, VI ZR 110/08, NJW 2009, 3022). Denn die Zubilligung der Abrechnung auf Neuwagenbasis, die für den Schädiger einen höheren Aufwand bei der Schadensbeseitigung mit sich bringt, ist nur gerechtfertigt, wenn der Geschädigte sein besonderes Interesse an der Nutzung eines Neufahrzeugs durch eine vorgenommene Ersatzbeschaffung nachweist.

  2. Der Schädiger hat nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB die durch die Anmietung eines Ersatzfahrzeugs entstandenen Kosten zu ersetzen, soweit sie erforderlich gewesen sind. Der insoweit maßgebliche Zeitraum erfasst ab dem Unfallzeitpunkt die Zeitspanne bis zum Vorliegen eines Schadensgutachtens, je nach den Umständen eine Überlegungszeit von ein bis zwei Tagen sowie die Reparaturdauer.

  3. Zwar ist ein Geschädigter grundsätzlich nicht verpflichtet, den Schaden zunächst aus eigenen Mitteln zu beseitigen oder sich die finanziellen Mittel hierfür anderweitig zu besorgen. Es ist - wie das Landgericht und der Kläger prinzipiell zutreffend ausführen - grundsätzlich Sache des Schädigers, die vom Geschädigten zu veranlassende Schadensbeseitigung zu finanzieren. Der Schädiger kann damit die Nachteile zu ersetzen haben, die mangels einer sofortigen Ersatzleistung zusätzlich entstanden sind. Es ist das Risiko des Schädigers, wenn er auf einen Geschädigten trifft, der finanziell nicht in der Lage ist, die zur Ersatzbeschaffung notwendigen Mittel vorzustrecken und sich hierdurch der Zeitraum des Nutzungsausfalls und der Umfang der damit einhergehenden Schäden vergrößert. Hieraus erwächst die Obliegenheit des Geschädigten, den Anspruchsgegner auf fehlende Finanzmittel zur Schadensbeseitigung hinzuweisen und ihm die Möglichkeit zur Verringerung der Kostengefahr durch Zahlung eines Vorschusses zu geben.

Siehe auch Ersatzanspruch auf Neuwagenbasis und Schadensminderungspflicht bei der Ausfallentschädigung - Ausfalldauer bei Mietwagen und Nutzungsausfall


Gründe:

Die Berufung ist zulässig und begründet. Dem Kläger stehen entgegen der Auffassung des Landgerichts die geltend gemachten Freistellungsansprüche wegen der entstandenen Mietwagenkosten weder gemäß §§ 7 Abs. 1, 17 StVG, § 823 Abs. 1, 2 BGB i.V.m. §§ 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, § 1 PflVG noch aus einem anderen Rechtsgrund zu.

Zwar haften der Beklagte zu 1. als Halter und die Beklagte zu 2. als dessen Versicherer für sämtliche Folgen aus dem Unfallereignis vom 17.08.2010. Jedoch sind die Beklagten nicht verpflichtet, Mietwagenkosten für einen längeren Zeitraum als 19 Tagen seit dem Unfallereignis zu erstatten. Der Kläger war als Geschädigter aufgrund seiner Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 BGB gehalten, unverzüglich einen Reparaturauftrag zu erteilen oder zügig eine Ersatzbeschaffung zu veranlassen. Soweit ihm dies aus finanziellen Gründen nicht möglich war, hätte er die Beklagten hierauf ausdrücklich hinweisen und ihnen damit die Gelegenheit geben müssen, durch eine Vorschusszahlung weitere Mietwagenkosten zu vermeiden. Dies hat der Kläger jedoch nicht getan.

1. Dem Kläger steht zur erforderlichen Schadensbeseitigung gemäß § 249 Abs. 2 BGB ein Freistellungsanspruch wegen der Mietwagenkosten weder als Inhalt der Reparaturkosten noch als Bestandteil der Schadensabrechnung auf Neuwagenbasis zu.

a. Da der Kläger keine Schadensabrechnung auf Neuwagenbasis verlangen kann, steht ihm als Inhalt dieses Schadens auch kein Anspruch auf Ersatz der geltend gemachten Mietwagenkosten zu. Zwar mag dem Kläger aufgrund des Unfallereignisses zunächst dem Grunde nach ein Anspruch zugestanden haben, den Schaden auf Neuwagenbasis abzurechnen. Hierfür spricht, dass das beschädigte Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt erst seit 14 Tagen zugelassen war, eine km-Laufleistung von 1.895 aufwies und die Beschädigung der A-Säule jedenfalls kein unerheblicher Schaden gewesen ist. Voraussetzung für den Anspruch ist jedoch weiter, dass der Geschädigte ein fabrikneues Ersatzfahrzeug tatsächlich anschafft. Eine fiktive Abrechnung auf Neuwagenbasis ist unzulässig (BGH Urteil vom 09.06.2009, VI ZR 110/08, NJW 2009, 3022).

Der Kläger ist jedoch in keiner Weise in die Ersatzbeschaffung eingetreten und hat kein Ersatzfahrzeug bestellt oder sonst erworben. Er trägt noch nicht einmal vor, wie lange eine Ersatzbeschaffung gedauert hätte. So hätte der für eine Ersatzbeschaffung erforderliche Zeitraum bis zur Auslieferung des Fahrzeugs zwar die Grundlage für einen Ersatz von Mietwagenkosten bilden können. Denn der bei einem Verkehrsunfall Geschädigte hat für die Dauer der Wiederbeschaffung eines dem beschädigten Pkw entsprechenden gleichwertigen Fahrzeugs grundsätzlich einen Anspruch auf Nutzung einer vergleichbaren Sache (vgl. nur BGHZ 56, 214). Dieses setzt jedoch bei einer Abrechnung auf Neuwagenbasis voraus, dass der Geschädigte die Ersatzbeschaffung tatsächlich veranlasst. Eine fiktive Abrechnung des Schadens auf Neuwagenbasis - d.h. ohne die reale Durchführung der Ersatzbeschaffung - ist nicht zulässig (vgl. BGH Urteil vom 09.06.2009, VI ZR 110/08, NJW 2009, 3022). Denn die Zubilligung der Abrechnung auf Neuwagenbasis, die für den Schädiger einen höheren Aufwand bei der Schadensbeseitigung mit sich bringt, ist nur gerechtfertigt, wenn der Geschädigte sein besonderes Interesse an der Nutzung eines Neufahrzeugs durch eine vorgenommene Ersatzbeschaffung nachweist (BGH a.a.O.)

b. Aber auch unter dem Gesichtspunkt des für die Wiederherstellung erforderlichen Reparaturbetrages sind die entstandenen Mietwagenkosten nicht erstattungsfähig. Der Geschädigte kann zwar auch unter diesem Gesichtspunkt die fehlende Nutzungsmöglichkeit eines beschädigten Fahrzeuges durch die Anmietung eines Ersatzfahrzeuges kompensieren. In diesem Fall hat der Schädiger nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB die durch die Anmietung entstandenen Kosten zu ersetzen, soweit sie erforderlich gewesen sind; sie sind damit Bestandteil des erforderlichen Herstellungsaufwands (BGH Urteil vom 07.05.1996, VI ZR 138/95, NJW 1996, 1958 m.w.N.). Der insoweit maßgebliche Zeitraum erfasst ab dem Unfallzeitpunkt die Zeitspanne bis zum Vorliegen eines Schadensgutachtens, je nach den Umständen eine Überlegungszeit sowie die Reparaturdauer. Das seitens des Klägers vorgelegte Schadensgutachten vom 24.08.2009 sieht eine Reparaturzeit von fünf Arbeitstagen vor. Addiert man hierzu - trotz des dem Gutachten zufolge bereits erteilten Reparaturauftrags - die Zeit ab dem Unfall am 17.08.2009 sowie noch eine Überlegungszeit von ein bis zwei Tagen, war der ursprüngliche Zustand des Fahrzeugs jedenfalls bis zum 05.09.2009 herzustellen. Für einen Zeitraum von 19 Tagen und damit bis zum 05.09.2009 hat die Beklagte zu 2. die Mietwagenkosten erstattet.

c. Soweit der Kläger einwendet, er habe die erforderlichen finanziellen Mittel für eine Ersatzbeschaffung oder eine Reparatur nicht besessen, hätte er die Beklagten hierauf hinweisen müssen. Dies hat er nicht getan. Zwar ist ein Geschädigter grundsätzlich nicht verpflichtet, den Schaden zunächst aus eigenen Mitteln zu beseitigen oder sich die finanziellen Mittel hierfür anderweitig zu besorgen. Es ist - wie das Landgericht und der Kläger prinzipiell zutreffend ausführen - grundsätzlich Sache des Schädigers, die vom Geschädigten zu veranlassende Schadensbeseitigung zu finanzieren. Der Schädiger kann damit die Nachteile zu ersetzen haben, die mangels einer sofortigen Ersatzleistung zusätzlich entstanden sind (Senat, Urteil vom 29. Oktober 2001, AZ: 1 U 211/00 mit Hinweis auf BGH Urteil vom 26.05.1988, III ZR 42/87, NJW 1989, 290, 291 und weiteren Nachweisen). Es ist das Risiko des Schädigers, wenn er auf einen Geschädigten trifft, der finanziell nicht in der Lage ist, die zur Ersatzbeschaffung notwendigen Mittel vorzustrecken und sich hierdurch der Zeitraum des Nutzungsausfalls und der Umfang der damit einhergehenden Schäden vergrößert.

Andererseits trifft in diesem Zusammenhang auch den Geschädigten die in § 254 Abs. 2 BGB enthaltene Obliegenheit, den Schaden im Rahmen des Zumutbaren gering zu halten (BGH Urteil vom 24.06.1986, VI ZR 222/85; NJW 1986, 2945; Senat Urteil vom 29.06.2010, I-1 U 240/09; Urteil vom 22. Januar 2007, I-1 U 151/06 mit Hinweis auf Urteil vom 29. Oktober 2001, 1 U 211/00 und weiteren Nachweisen). So kann der Geschädigte für die Überbrückung der Ausfallzeit seines beschädigten Wagens durch die Anmietung eines Ersatzwagens nur den Betrag ersetzt verlangen, den ein wirtschaftlich und vernünftig denkender Mensch in seiner Lage aufgewendet hätte. Begrenzt wird diese Pflicht durch die Zumutbarkeit für den Geschädigten im Einzelfall (BGH a.a.O.). Folge dieser Obliegenheit ist die in § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB ausdrücklich genannte Warnpflicht des Geschädigten, den Schuldner auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen. Hieraus erwächst die Obliegenheit des Geschädigten, den Anspruchsgegner auf fehlende Finanzmittel zur Schadensbeseitigung hinzuweisen und ihm die Möglichkeit zur Verringerung der Kostengefahr durch Zahlung eines Vorschusses zu geben (OLG Frankfurt Urteil vom 27.06.1984; 9 U 112/83, DAR 1984, 318; Hentschel/König, a.a.O., § 12 StVG Rdnr. 32). Einen solchen Warnhinweis hat der Kläger der Beklagten jedoch nicht erteilt. Der vorprozessuale Schriftverkehr lässt einen Rückschluss auf finanzielle Schwierigkeit als Grund für eine unterlassene Schadensbeseitigung nicht zu. In keinem Schreiben des Klägers oder seiner anwaltlichen Vertreter - vom 31.08.2009, 04.09.2009, 14.10.2009, 29.10.2009, 01.12.2009 - beruft er sich auf fehlende Mittel für eine Neuanschaffung oder auch nur für eine Reparatur. Zwar weist er in den anwaltlichen Schreiben vom 14.10.2009 sowie 29.10.2009 sowie - wenn auch bestritten - in Telefonaten darauf hin, dass laufend Mietwagenkosten entstünden. Jedoch lässt dieser Hinweis nicht den Schluss zu, dass ihm die Liquidität für eine Reparatur oder Ersatzbeschaffung gefehlt hätte. Dieses musste die Beklagte zu 2. auch nicht hinterfragen. Denn es verbleibt nach den vorstehenden Ausführungen im Risikobereich des Klägers, wenn er die Schadensbeseitigung hinausschiebt.

9 Der Warnhinweis verbunden mit der Bitte um Vorschuss war auch nicht deswegen entbehrlich, weil dieses vorn herein aussichtslos gewesen wäre. So kann eine Warnung nur erwartet werden, wenn nicht feststeht, dass der Schädiger sie ohnehin missachtet hätte (BGH Urteil vom 26.05.1988, III ZR 42/87, NJW 1989, 290). Es sind jedoch keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass die Beklagte zu 2. unter den gegebenen Umständen keinen Vorschuss gezahlt hätte. Denn die Beklagte zu 2. stellte insbesondere mit dem Schreiben vom 10.09.2009, in dem sie die Gegenüberstellung der Fahrzeuge fordert, ihre Haftung für die Folgen des Verkehrsunfalls nicht grundsätzlich in Frage. Vielmehr wollte sie den Schadenshergang aufgrund der widersprüchlichen Schadensmeldungen nachvollziehbarerweise weiter aufklären. Damit erscheint nicht von vornherein als aussichtslos, dass die Beklagte zu 2. einem Vorschussverlangen des Klägers nachgekommen wäre. Auf der Grundlage der vorstehenden Ausführungen kann zugleich dahingestellt bleiben, ob der Kläger verpflichtet gewesen wäre, zur schnellen Schadensbehebung auf seine Kaskoversicherung zurückzugreifen oder eine Notreparatur des beschädigten Fahrzeugs durchzuführen.

d. Insbesondere kann der Kläger auch nicht unter dem Gesichtspunkt Freistellung von den Mietwagenkosten verlangen, dass die Beklagte zu 2. erst am 26.11.2009 ihre Einstandspflicht für das Unfallereignis dem Grunde nach erklärte. Der Geschädigte darf mit der Erteilung des Reparaturauftrages oder der Ersatzbeschaffung nicht bis zur Übernahmebestätigung durch den Haftpflichtversicherer warten (Hentschel/König, a.a.O., § 12 StVG Rdnr. 37 m.w.N.). Denn das Risiko, dem Geschädigten überhaupt zum Ersatz verpflichtet zu sein, trägt der Schädiger, während es umgekehrt zu Lasten des Geschädigten geht, wenn ein anfänglicher Streit über den Haftungsgrund später zu seinen Ungunsten geklärt wird (BGH Urteil vom 26.05.1988, III ZR 42/87, NJW 1989, 290, 291). Daher darf der Geschädigte die Entscheidung über die Beseitigung der Schäden nicht wegen einer etwaigen Unsicherheit des Haftungsumfangs zurückstellen. Aufgrund dessen durfte der Kläger mit der Reparatur nicht bis in den Dezember hinein warten oder eine Ersatzbeschaffung unterlassen, bis ihm die Haftungserklärung der Beklagten zu 2. vom 26.11.2009 vorlag.

e. Der Kläger durfte die Schadensbeseitigung auch nicht deswegen aufschieben, weil die Beklagte zu 2. mit Schreiben vom 10.09.2009 mitteilte, vor Abgabe einer Erklärung zum Haftungsgrund solle wegen unterschiedlicher Erklärungen des Beklagten zu 1. zum Unfallhergang eine Gegenüberstellung der Fahrzeuge durchgeführt werden. Zum einen hätte der Kläger bis zu diesem Zeitpunkt bereits die Reparatur veranlasst haben müssen. Zum anderen enthält dieses Schreiben jedenfalls keine ausdrückliche Aufforderung, den Schadenszustand am Fahrzeug des Klägers unverändert zu lassen. Denn die Beklagte zu 2. verlangt keine eigene Begutachtung des Schadens, sondern eine Gegenüberstellung der unfallbeteiligten Fahrzeuge, um - etwa durch einen Höhenvergleich - die Plausibilität des geschilderten Unfallhergangs zu überprüfen. Da nicht nur der Beklagte zu 1., sondern auch der Kläger in seinem Schreiben vom 31.08.2009 und 04.09.2009 unterschiedliche Angaben zum Geschehensablauf machten, ist diese Vorgehensweise der Beklagten zu 2. ohne weiteres nachvollziehbar. Das Schreiben des von der Beklagten zu 2. beauftragten Sachverständigenbüros vom 12.10.2009 fragt dementsprechend die Besichtigung des "beschädigten bzw. reparierten" Fahrzeugs an. Das Hinauszögern der Reparatur hat die Beklagte zu 2. damit nicht verlangt.

2. Da ein Anspruch des Klägers auf Freistellung der Mietwagenkosten schon dem Grunde nach nicht besteht, erübrigen sich Ausführungen zur Höhe des Anspruchs.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Anordnung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Zur Zulassung der Revision besteht kein Anlass, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.

Gegenstandswert für den Berufungsrechtszug: 8.206,27 €.