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OLG Köln Urteil vom 09.05.2012 - 16 U 48/11 - Zum Familienprivileg im Sozialrecht bei nichtehelichen Lebensgemeinschaften

OLG Köln v. 09.05.2012: Zum Familienprivileg im Sozialrecht bei nichtehelichen Lebensgemeinschaften


Das OLG Köln (Urteil vom 09.05.2012 - 16 U 48/11) hat entschieden:
  1. Der in § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X normierte Haftungsausschluss, nach dem ein Anspruchsübergang bei nicht vorsätzlichen Schädigungen durch Familienangehörige, die im Zeitpunkt des Schadensereignisses mit dem Geschädigten oder seinen Hinterbliebenen in häuslicher Gemeinschaft leben, ausgeschlossen ist, ist auf Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft analog anwendbar (Anschluss BGH, 22. April 2009, IV ZR 160/07, NJW 2009, 2062).

  2. Eine nichteheliche Lebensgemeinschaft liegt vor, wenn es sich um eine Lebensgemeinschaft im Sinne einer Verantwortungsgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau handelt, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weiteren Lebensgemeinschaften gleicher Art zulässt und sich durch Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitigen Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehung in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen.

  3. Einer gesetzlichen Rentenversicherung stehen aus übergegangenem Recht nach § 116 SGB X daher keine Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall zu, bei dem die Lebensgefährtin eines Fahrzeugführers und Kraftfahrzeughalters als Beifahrerin schwer verletzt wurde.

Siehe auch Forderungsübergang auf die Sozialversicherungs- und Sozialhilfeträger und Forderungsübergang im Schadensfall


Gründe:

I.

Die Klägerin macht als Trägerin der gesetzlichen Rentenversicherung aus übergegangenem Recht nach § 116 SGB X Schadensersatzansprüche ihrer Versicherten, der Zeugin T., aus einem Verkehrsunfall vom 29.05.1993 gegenüber der Beklagten als Haftpflichtversicherer des Fahrers und Halters des Unfallfahrzeugs, Herrn K., geltend. Der Versicherungsnehmer der Beklagten war wegen Übermüdung von der Fahrbahn abgekommen. Er verstarb noch an der Unfallstelle, Frau S. als Beifahrerin wurde schwer verletzt. Streitig ist, ob zwischen der Zeugin S. und ihrem Lebensgefährten, Herrn K., zur Unfallzeit eine häusliche Gemeinschaft bestand und ob auf eine nicht eheliche Lebensgemeinschaft das Familienprivileg des § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X Anwendung findet.

Wegen des Sachverhalts wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das LG Köln hat über die Frage des Bestehens einer häuslichen Gemeinschaft durch Vernehmung der Zeugin S. Beweis erhoben und die Klage mit Schlussurteil vom 17.03.2011 – soweit nicht durch Teilanerkenntnisurteil vom 08.02.2011 zugesprochen - abgewiesen. Wegen der Begründung wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Unter Bezugnahme ihres erstinstanzlichen Vortrages ist sie der Auffassung, das LG habe in tatsächlicher Hinsicht rechtsfehlerhaft das Vorliegen einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft in häuslicher Gemeinschaft angenommen. Erstmals in der Berufungsbegründung führt die Klägerin aus, dass gegen die Annahme einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft i. S. einer wirtschaftlichen Einheit auch spreche, dass die Zeugin S. keinen eigenen Mietvertrag mit den Eigentümern der Wohnung, den Eltern des Versicherungsnehmers der Beklagten, gehabt habe. Die Eltern hätten die Zeugin jederzeit aus der Wohnung verweisen können, was ebenfalls ein Indiz dafür sei, dass lediglich ein unverbindliches Zusammenleben mit Alleinverantwortung der Mutter für ihre Kinder ohne gemeinsames Familienbudget geführt worden sei. Im Übrigen ist sie weiterhin der Auffassung, § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X sei nicht analog auf die nicht eheliche Lebensgemeinschaft anwendbar. Das Landgericht habe sich darüber hinaus nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob eine Schutzbedürftigkeit bei einer bestehenden Haftpflichtversicherung überhaupt bestehe. Weiterhin liege im konkreten Fall auch keine Schutzbedürftigkeit vor, als sich die Frage eines potentiellen Rückgriffes nicht stelle, weil der Schädiger bei dem Unfall verstorben sei. Außerdem ist die Klägerin der Ansicht, wegen der Rechtsprechungsänderung zum Familienprivileg, die erst nach dem Unfallereignis erfolgte, bestehe Bestandsschutz beim Forderungsübergang für den abschließend entschiedenen Sachverhalt vor 2001. Zuletzt wendet sich die Klägerin gegen die Kostenentscheidung und meint, die Voraussetzungen eines sofortigen Anerkenntnisses hätten nicht vorgelegen.

Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil des Landgerichts Köln zu ändern und

  1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 84.976,12 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

  2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr im Rahmen der Übergangsfähigkeit nach § 116 SGB X die unfallbedingten Aufwendungen zu erstatten, die die sie aufgrund neuer Gesetze künftig an T. zu erbringen hat.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung. Ergänzend trägt sie vor, dass die Klägerin sich nicht auf einen Bestandsschutz berufen könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien und die von ihnen vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.


II.

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.

1. Die Beklagte haftet zwar grundsätzlich auf Schadensersatz gegenüber der Zeugin S., die bei der Klägerin gesetzlich rentenversichert ist, aus §§ 7, 18 StVG, § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. § 3 PflVG a.F.. Das Landgericht hat aber zutreffend angenommen, dass einem Anspruchsübergang auf die Klägerin (§ 116 Abs. 1 SGB X) der Haftungsausschluss nach § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X analog entgegensteht.

Hiernach ist ein Anspruchsübergang bei nicht vorsätzlichen Schädigungen durch Familienangehörige, die im Zeitpunkt des Schadensereignisses mit dem Geschädigten oder seinen Hinterbliebenen in häuslicher Gemeinschaft leben, ausgeschlossen. Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Norm auf die Partner einer auf Dauer angelegten nicht eheliche Lebensgemeinschaft analog anzuwenden ist, wenn diese – wie nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme feststeht - in häuslicher Gemeinschaft leben.

Partner einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft stehen "Familienangehörigen" gleich.

Dies ist für die mit § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X inhaltgleiche Vorschrift des § 67 Abs. 2 VVG a. F. inzwischen anerkannt (BGH, Urt. v. 22.04.2009 – IV ZR 160/07, NJW 2009, 2062 ff) und gilt auch für § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X (OLG Rostock, Urt. v. 26.11.2007 – 3 U 80/07, NJW-RR 2008, 694; Bieresborn in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 116 Rn. 35; Lang, NZV 2009, 425 ff, 427; Dahm, NZV 2008, 280 f; Jahnke, NZV 2008, 57 ff; Delank, zfs 2007, 183 ff, 188; Röthel, NZV 2001, 329 ff,331; Kothe, NZV 1991, 89 ff).

Struktur und Interessenlage beider Vorschriften sind vergleichbar. Der Gleichlauf wird insbesondere auch vom Bundesgerichtshof betont, der ausführt, dass nach der Gesetzesbegründung § 116 Abs. 6 SGB X wegen gleicher Interessenlage der Vorschrift des § 67 Abs. 2 VVG a.F. nachgebildet sei (BGH, Urt. v. 1.12.1987 – VI ZR 50/87, juris Rz. 12, NJW 1988, 1091 ff; Urt. v. 28.06.2011 – VI ZR 194/10, juris Rz. 11, NJW 2011, 3715 ff).

Der Begriff des "Familienangehörigen" ist für jede Regelung mit Blick auf deren Sinn und Zweck unter Berücksichtigung des allgemeinen Sprachgebrauchs zu ermitteln. Sinn und Zweck der Vorschrift des § 67 Abs. 2 VVG a.F. wie auch der Regelung in § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X liegen darin, zu verhindern, dass der Versicherungsnehmer durch einen Rückgriff gegen einen in seiner häuslichen Gemeinschaft lebenden Familienangehörigen selbst wirtschaftlich in Mitleidenschaft gezogen wird. Zugleich soll im Interesse der Erhaltung des häuslichen Friedens verhindert werden, dass Streitigkeiten über die Verantwortung von Schadenszufügungen gegen Familienangehörige ausgetragen werden (so für § 67 Abs. 2 VVG a.F. BGH , Urt. v. 22.04.2009 – IV ZR 160/07, juris Rn. 9 m.w.N.; Urt. v. 28.06.2011 – IV ZR 194/10, juris Rn. 10 m.w.N.).

Eine Erstreckung dieses Schutzbereichs auch auf Partner einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft ist geboten, wie es der BGH für § 67 Abs. 2 VVG a.F. auch entschieden hat (BGH, Urt. v. 22.04.2009 – IV ZR 160/07, juris Rn. 17). Die Begründung des BGH trifft gleichermaßen für die Einbeziehung nicht ehelicher Lebenspartner in den Schutzbereich der inhaltsgleichen Vorschrift des § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X zu: In einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft, für die gemeinsame Mittelaufbringung und Mittelverwendung prägende Merkmale sind, trifft die Inanspruchnahme des Partners den Versicherungsnehmer wirtschaftlich nicht minder als in einer Ehe. Der häusliche Friede zwischen Partnern nicht ehelicher Lebensgemeinschaften kann durch zwischen diesen auszutragenden Streitigkeiten über die Verantwortung für Schadenszufügungen in gleicher Weise gestört werden wie bei Ehegatten. Höherrangiges Recht, insbesondere Art. 6 Abs. 1 GG, steht einer Einbeziehung nicht entgegen (BVerfGE 82, 6, 15; 9, 20, 34 f). Abgrenzungsschwierigkeiten, die für die Entscheidung des BGH vom 01.12.1987 noch ausschlaggebend waren (Urt. v. 01.12.1987 - VI ZR 50/87, juris Rn. 26, 27), können mit Blick auf den herausgearbeiteten Begriff der nicht ehelichen Lebensgemeinschaft durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 87, 234, 264 f) und dessen weite Akzeptanz (etwa BGHZ 121, 116, 124; BVerwGE 98, 195; BSGE 72, 125, 127) als ausgeräumt betrachtet werden. So hat auch der für die Auslegung des § 116 Abs. 6 SGB X primär zuständige VI. Zivilsenat auf Anfrage des IV. Zivilsenats erklärt, an seiner diesbezüglichen Rechtsauffassung nicht mehr festhalten zu wollen (BGH, Urt. v. 22.04.2009 – IV ZR 160/07, juris Rn. 17).

Die gegen eine Übernahme dieser Rechtsprechung auf die Sozialversicherung in der Literatur und von der Klägerin angeführten Argumente überzeugen nicht.

Die Schutzwürdigkeit des Partners einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft fehlt in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht bereits deshalb, weil durch einen (Teil-) Erlass gem. § 76 Abs. 2 Nr. 3 SGB IV geholfen werden könne (so aber Plagemann in Geigel, Haftpflichtprozess, 26. Aufl. 2011, 30. Kap., Rn. 78). Nach § 76 Abs. 2 Nr. 3 SGB IV kann der Versicherungsträger Ansprüche nur erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beiträge erstattet oder angerechnet werden. Damit handelt es sich bei § 76 Abs. 2 Nr. 3 SGB IV um eine Regelung, die bei privatrechtlichen Ansprüchen ebenso wie bei Ansprüchen aus öffentlich-rechtlichen Verträgen zwischen dem Versicherungsträger und dem Schuldner vertraglich zu vereinbaren, in den übrigen Fällen dem Schuldner durch Verwaltungsakt bekannt zu geben ist (Brandt in Kreikebohm, SGB IV, 1. Auflage 2008, § 76 SGB IV Rn. 20). Von einem mit § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X, als gesetzliche Haftungsprivilegierung, vergleichbaren Schutzniveau kann keine Rede sein. Hinzu kommt, dass gerade der vorliegende Fall zeigt, dass ein Erlass nach § 76 Abs. 2 Nr. 3 SGB IV in der Praxis dann auf erhebliche Schwierigkeiten stößt, wenn der Schuldner, hier also der Versicherungsnehmer der Beklagten, bereits verstorben ist.

Es ist weiterhin – anders als teilweise angenommen (Plagemann in Geigel, a.a.O., 30. Kap., Rn. 78) – durchaus zu berücksichtigen, dass beim Regress gegen den Partner (hier den Versicherungsnehmer der Beklagten) sich dessen anzurechnendes Einkommen mindert und dadurch beispielsweise der Alg-II-Anspruch des Verletzten erhöht wird. Diese Überlegung zeigt deutlich, dass die nicht eheliche Lebensgemeinschaft gerade im Sozialrecht wirtschaftlich einer Ehe gleichgestellt ist wird. Dies ist z. B. bei § 122 BSHG a. F., § 7 Abs. 3 Nr. 3c, Abs. 3a SGB II, § 20 SGB XII und bei § 18 WohngeldG der Fall. Es erscheint wenig systemkonform, wenn die nicht eheliche Lebensgemeinschaft einerseits bei der Frage der Bedürftigkeit zu ihren Lasten als wirtschaftliche Einheit betrachtet wird (Jahnke, MDR 2005, 668,669) und Leistungen gekürzt werden, und an der Stelle, an der es um einen Regress geht, das Argument der wirtschaftlichen Einheit gerade nicht zu Gunsten der nicht ehelichen Lebensgemeinschaft herangezogen wird.

Wenn gegen eine Analogie vorgebracht wird, dass die Partner einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft einander nicht unterhaltspflichtig seien (OLG Schleswig, Urt. v. 11.04.1978, 9 U 113/77, VersR 1979, 669; Möller, NZV 2009, 218, 220), ist dieses Argument zu Recht seit langem für den Bereich des Sozialversicherung als unbeachtlich angesehen worden (BGH, Urt. v. 15.01.1980, VI ZR 181/78, juris, Rn. 21; Urt. v. 01.12.1987, VI ZR 50/87, juris, Rn. 14; wohl auch Urt. v. 22.04.2009, IV ZR 160/07, juris, Rn. 10).

Auch die für eine Analogie erforderliche planwidrige Regelungslücke liegt vor.

Der Gesetzgeber hat die Frage inzwischen im Zuge der Reform des Versicherungsvertragsgesetzes für die private Versicherung dahin klargestellt, dass er das Angehörigenprivileg in § 86 Abs. 3 VVG auf die nicht eheliche Lebensgemeinschaft erstreckt hat. Hieraus lässt sich indes nicht folgern, dass der Gesetzgeber nunmehr die Regressfrage für die private Versicherung und die Sozialversicherung unterschiedlich regeln und die Anwendung des Angehörigenprivilegs auf die nicht eheliche Lebensgemeinschaft auf das Privatversicherungsrecht beschränken wollte (so aber Möller, NZV 2009, 218 ff, 220). Aus den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks 16/3946, S. 82) lässt sich ein solcher Schluss nicht ziehen, denn diese schweigen zu dieser Frage. Das Sozialversicherungsrecht war nicht Thema der VVG-Reform. Es bestand daher kein Anlass, alle anderen Gesetze an diesen im Zusammenhang mit der gesamten VVG-Reform unbedeutenden Punkt anzupassen. Angesichts der Tatsache, dass § 67 Abs. 2 VVG a. F. und § 116 Abs. 6 SGB X bisher stets gleich ausgelegt wurden und auch der Gesetzgeber bei Schaffung des § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X von einer Vergleichbarkeit ausging, hätte es wohl näher gelegen, dass der Gesetzgeber – hätte er das Problem gesehen – hierzu ausdrücklich Stellung bezogen hätte (Lang, NZV 2009, 425, 429).

Einer Analogie kann auch nicht entgegengehalten werden, dass eine Einbeziehung der nicht ehelichen Lebensgemeinschaft in den Schutzbereich des Angehörigenprivilegs Aufgabe des Gesetzgebers und nicht Aufgabe der Rechtsprechung sei (OLG Koblenz, Urt. v. 23.12.2002, 12 U 1404/01, VersR 2003, 1381). Eine solche Sichtweise lässt die hinter den gesetzlichen Regelungen stehenden Wertungsgesichtspunkte außer Acht und könnte als reiner Formalismus jeder (richterlichen) Rechtsfortbildung entgegengehalten werden.

Auch soweit die Klägerin die Auffassung vertritt, dass das Angehörigenprivileg nicht greifen könne, wenn die Haftung des privilegierten Angehörigen durch eine Haftpflichtversicherung ausgeschlossen sei, weil das Familienprivileg nicht dazu diene, den Haftpflichtversicherer zu schützen, ist dem nicht zuzustimmen. Die von der Klägerin zum Beleg ihrer Auffassung angeführte Entscheidung (BGH, Urt. v. 29.01.2008, VI ZR 98/07, NJW 2008, 1591 – 1593) betrifft die Auswirkungen einer bestehenden Haftpflichtversicherung bei Sportveranstaltungen. Die Frage, wie sich das Bestehen einer Haftpflichtversicherung auf das Familienprivileg und insbesondere im Verhältnis von Sozialleistungsträgern zu Haftpflichtversicherungen verhält, ist obergerichtlich geklärt (BGH, Urt. v. 11.02.1964, VI ZR 271/62,; BGH, Urt. v. 09.01.1968, VI ZR 44/66; NJW 1968, 649 f.; BGH, Urt. v. 09.07.1996, VI ZR 5/95, NJW 1996, 2933 ff.; BGH, Urt. v. 28.11.2000, VI ZR 352/99). Hiernach wird zwar bei einer Inanspruchnahme des Sozialhilfeträgers das Angehörigenprivileg nicht angewendet, die dafür sprechenden besonderen Gründe (so insbesondere der Grundsatz des Nachranges des Sozialhilferechts, BGH, Urt. v. 09.07.1996, VI ZR 5/95, NJW 1996, 2933, 2934) gelten aber für einen Sozialversicherungsträger nicht. Hier verbleibt es bei dem mit dem Direktanspruch (§ 3 PflVG a.F. = § 115 VVG n.F.) verbundenen Akzessorietätsgedanken, wonach dieser Anspruch der Sicherung der Forderung des Geschädigten dient und deshalb in seinem Bestand und seinen Wirkungen grundsätzlich von dem Haftpflichtanspruch abhängig ist (BGH, Urt. v. 28.11.2000 – VI ZR 352/99, juris Rn. 8 m.w.N.).

Eine "teleologische Reduktion" des Angehörigenprivilegs auf die Fälle, in denen kein Haftpflichtversicherungsschutz besteht, ist mit dem BGH abzulehnen (BGH a.a.O., Rn. 9 auch mit Nachweisen zur abweichenden Ansicht in der Literatur; Urt. v. 05.12.1978 – VI ZR 233/77, VersR 1979, 256, 257 f). Sie würde zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung mit Familienangehörigen i.e.S. führen und widerspräche zudem dem „in der Sozialversicherung besonders großen Bedürfnis nach Berechenbarkeit und leicht feststellbaren typisierenden und pauschalierenden Tatbeständen“ (BGH Urt. v. 01.12.1987 - VI ZR 50/87, juris Rn. 26). Für die dem Wortlaut des § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X unterfallenden Konstellationen hat der BGH eine solche teleologische Reduktion in seiner Entscheidung vom 28.11.2000 (VI ZR 352/99, zit. nach juris, dort Rn. 11) nochmals ausdrücklich abgelehnt.

Soweit die Klägerin darauf hinweist, dass sich die Frage des potentiellen Rückgriffes gegenüber Familienangehörigen vorliegend nicht stelle, weil der Schädiger verstorben ist, ändert dies nichts an der analogen Anwendbarkeit des § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X. Eine solche Argumentation widerspricht dem Grundsatz, dass es für den Zeitpunkt des Anspruchsübergangs und damit auch den der Haftungsprivilegierung auf den Zeitpunkt des Unfallereignisses ankommt und nicht ausschlaggebend ist, wie sich die Familiensituation in der Folgezeit weiter entwickelt, sie also beispielsweise aufgelöst wird, was auf die Akzessorietät des Anspruchs zum Zeitpunkt des Anspruchsübergangs zurückzuführen ist (BGH, Urt. v. 30.06.1971, IV ZR 189/69, NJW 1971, 1938; Bieresborn in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 116 Rn. 34).

Der entsprechenden Anwendung des Angehörigenprivilegs auf den vorliegenden Fall steht schließlich auch nicht das sog. Rückwirkungsverbot entgegen. Zwar hat der Bundesgerichtshof erst im Jahr 2009 entschieden, dass das Angehörigenprivileg im Rahmen der Privatversicherung auch auf die nicht eheliche Lebensgemeinschaft Anwendung findet. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist deshalb aber für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht auf die Rechtsprechung aus dem Jahr 1987 abzustellen. Ein mit den Fällen der unechten Rückwirkung von Rechtsprechungsänderungen zu gewährender Vertrauensschutz ist der Klägerin im Streitfall nicht zuzubilligen. Zum einen bestehen bereits erhebliche Zweifel daran, ob überhaupt eine Situation vorgelegen hat, in der ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand einer Rechtsprechung entstehen konnte. Der BGH hat bereits in seiner Entscheidung aus dem Jahr 1987 ausgeführt, dass sich der Senat nicht aus grundsätzlichen Erwägungen an der Rechtsfortbildung den analogen Anwendung des § 116 Abs. 6 SGB X auf die eheähnliche Lebensgemeinschaft gehindert sähe (BGH, Urt. v. 01.12.1987, VI ZR 50/87, juris, Rn. 23). In den dieser Entscheidung folgenden Jahren hat insbesondere das Bundesverfassungsgericht wiederholt zu nichtehelichen Lebensgemeinschaften Stellung genommen und dabei bestätigt, dass insbesondere Art. 6 Abs. 1 GG einer Einbeziehung der Partner in den Schutzbereich von Vorschriften, die den Schutz der „Familie“ bezwecken, nicht entgegenstehe (so der BGH, Urt. v. 22.04.2009, IV ZR 160/07, juris, Rn. 14). Außerdem hat eine Reihe von anderen Gerichten den Schutzbereich von § 67 Abs. 2 VVG bzw. § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X bereits auf nicht eheliche Lebensgemeinschaften erweitert (OLG Brandenburg, Urt. v. 06.03.2002; 14 U 104/01, VersR 2002, 839, 840 f.; OLG Rostock, Urteil vom 26.11.2007, 3 U 80/07 NJW-RR 2008, 694, zu § 116 Abs. 6 SGB X; zuvor bereits LG Saarbrücken, Urt. v. 19.09.1994, 6 O 60/94, VersR 1995, 158 f.; LG Potsdam, Urt. v. 11.06.1996, 10 O 586/95 VersR 1997, 93 f.; AG München, Urt. v. 19.05.1981, 27 C 22/81, FamRZ 1982, 65). Zum anderen hat die Klägerin aber auch keine schützenswerten Dispositionen getroffen, denn zur Leistung an die Zeugin S. war sie unabhängig von der Regressmöglichkeit verpflichtet. Allenfalls die späte Geltendmachung der Forderung könnte auf Vertrauen in die bisherige Rechtsprechung des BGH beruhen, insofern ist dann aber zu berücksichtigen, dass es sich eben nicht um einen bereits vollständig abgewickelten Schadensfall handelte. Auch hatte die Beklagte gegenüber der Klägerin keine Zweifel gelassen, dass sie sich nur „vorbehaltlich anderer Erkenntnisse“ zu einem Ausgleich entschlossen habe und sie hatte ausdrücklich auf die Entscheidung des LG Saarbrücken vom 19.09.1994 hingewiesen. Schützenswerte Dispositionen der Klägerin, die im Vertrauen auf den Bestand der Rechtsprechung gemacht wurden, sind daher nicht erkennbar.

Zutreffend hat das Landgericht im vorliegenden Fall auch eine nicht eheliche Lebensgemeinschaft sowie eine häusliche und Wirtschafsgemeinschaft angenommen. Der BGH (Urt. v. 22.04.2009, IV ZR 140/07; juris, Rn. 14 m. zahlreichen w. N.) definiert eine nicht eheliche Lebensgemeinschaft als eine Lebensgemeinschaft im Sinne einer Verantwortungsgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weiteren Lebensgemeinschaften gleicher Art zulässt und sich durch Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitigen Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehung in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen. Die Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft lässt sich anhand von Indizien feststellen, wie etwa die lange Dauer des Zusammenlebens, die Versorgung von Kindern und Angehörigen im gemeinsamen Haushalt und die Befugnis, über Einkommen und Vermögensgegenstände des anderen Partners zu verfügen.

Unstreitig war der Versicherungsnehmer der Beklagten seit 1985 der Lebensgefährte der Zeugin S. und sie hatten zwei gemeinsame Kinder, geboren in 1986 und 1989. Aufgrund der Aussage der Zeugin S. steht desweitern fest, dass zwischen ihr und dem Versicherungsnehmer der Beklagten die erforderliche Wirtschaftsgemeinschaft bestand. Die Zeugin wohnte – wie sie glaubhaft bekundet hat - bereits zum Unfallzeitpunkt mit ihrem Lebensgefährten und den beiden Kindern in einer gemeinsamen Wohnung. Beide bezahlten ihre Verbindlichkeiten von demselben Konto, auf das auch die beiderseitigen Einnahmen flossen. Die Zeugin konnte wegen ihrer Mitberechtigung auch über das Einkommen des Versicherungsnehmers der Beklagten frei verfügen. Es wurde hiernach ein gemeinsamer Haushalt geführt, der von Beginn an gemeinschaftlich aus dem Einkommen beider Lebensgefährten finanziert wurde. Eine Trennung zwischen Einkommen und Vermögen der jeweiligen Partner fand nicht statt. Darauf, ob ein Mietvertrag zwischen der Zeugin und den Eltern des Versicherungsnehmers der Beklagten bestand, kommt es nicht an. Im Übrigen ist der Vortrag der Klägerin hierzu neu, ohne dass Zulassungsgründe nach § 531 Abs. 2 Nr. 1 – 3 ZPO ersichtlich sind.

Das Landgericht hat schließlich auch zutreffend ausgeführt, dass die Beklagte mit Blick auf den Schriftverkehr zwischen den Parteien aus den Jahren 1995/1996 nicht gehindert ist, sich auf die Regelung des § 116 Abs. 6 SGB X zu berufen. Die Voraussetzungen eines für die Zukunft bindenden Anerkenntnisses lassen sich dem Text des Schreibens der Beklagten vom 29.04.1996 nicht entnehmen.

2. Demnach hat das Landgericht auch die mit dem Klageantrag zu 2) geltend gemachte Feststellungsklage zu Recht abgewiesen, denn auch dieser Antrag ist wegen des Haftungsausschlusses des § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X analog unbegründet.

3. Die Kostenentscheidung des LG rechtfertigt sich, wie auch das Landgericht zutreffend angenommen hat, aus § 92 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Auf die Voraussetzungen des § 93 ZPO für den von der Beklagten anerkannten Teil des Klagebegehrens kommt es nicht an. Vorliegend hatte die Klage vor dem LG Köln einen Gesamtstreitwert von 124.976,12 €, wobei die Beklagte lediglich auf den Klageantrag zu 3), der mit 10.000 € festgesetzt wurde, hin verurteilt worden ist. Die Anwendung des § 92 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist nicht zu beanstanden. Zusätzliche Kosten wurden durch den Klageantrag zu 3) nicht verursacht, ein Gebührensprung lag ebenfalls nicht vor.


III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Senat lässt die Revision zu. Die analoge Anwendung des § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X auf nicht eheliche Lebensgemeinschaften ist in der Literatur umstritten (Günther, VersR 2009, 816; Möller, NZV 2009, 218 ff; Möller/Segger in Münchener Kommentar VVG, 1. Aufl. 2010, VVG § 86 Rn. 185; Plagemann in Geigel,a.a.O, 30. Kap., Rn. 78) und wird sich auch in Zukunft stellen. Eine höchstrichterliche Entscheidung des für § 116 SGB X zuständigen 6. Zivilsenats gibt es nicht.














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