Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

Landgericht Saarbrücken Urteil vom 07.06.2013 - 13 S 31/13 - Rechts vor links auf Parkplätzen

LG Saarbrücken v. 07.06.2013: Rechts vor links auf öffentlichen Parkplätzen


Das Landgericht Saarbrücken (Urteil vom 07.06.2013 - 13 S 31/13) hat entschieden:
Auf dem Parkplatz eines Einkaufsmarktes findet bei einem Aufeinandertreffen der Einmündungen zweier gleichermaßen als Straßen erkennbaren Wege die Vorfahrtsregel „Rechts vor Links“ Anwendung. Das gilt auch dann, wenn die Wege jeweils unterschiedlich breit sind. Der Anscheinsbeweis spricht für ein Verschulden des Wartepflichtigen, sofern sich dieser im Unfallzeitpunkt noch nicht vollständig in den bevorrechtigten Verkehr eingeordnet hatte.


Siehe auch Zur Geltung der Vorfahrtregel "rechts vor links" auf Parkplätzen und in Parkhäusern


Gründe:

I.

Der Kläger begehrt restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am 19.09.2011 auf dem Parkplatzgelände des Globus-​Einkaufsmarkts in ... ereignet hat.

Der Kläger befuhr mit seinem Pkw den Hauptumgehungsweg des Parkplatzes in Richtung Ausfahrt .... Dieser Weg ist durch eine unterbrochene Linie in zwei Fahrspuren unterteilt, die wiederum durch Richtungspfeile markiert sind. Von der linken Fahrspur zweigen rechtwinklig Zuwege zu den Stellplätzen ab. In der Folge kollidierte der Kläger mit der Zweitbeklagten, die mit dem Pkw des Erstbeklagten, der bei der Drittbeklagten haftpflichtversichert ist, aus einem der Zuwege nach links auf den Hauptumgehungsweg einbiegen wollte. Dabei erlitt der Kläger ein HWS-​Syndrom.

Der Kläger hat außergerichtlich einen materiellen Schaden von 5.608,33 € sowie ein Schmerzensgeld von 350,00 € geltend gemacht. Die Drittbeklagte hat den materiellen Schaden zur Hälfte ausgeglichen und ein Schmerzensgeld von 200,00 € sowie außergerichtliche Anwaltskosten von 368,90 € gezahlt. Dabei ist sie von einer hälftige Mithaftung der Beklagten für den Unfallschaden ausgegangen.

Mit seiner Klage hat der Kläger den nicht regulierten Teil seines materiellen Schadens von 2.804,16 € und ein weiteres Schmerzensgeld von mindestens 150,00 € sowie restliche Anwaltskosten von 177,79 € jeweils nebst Zinsen geltend gemacht. Er hat behauptet, er sei mit seinem Fahrzeug auf der linken der beiden Fahrspuren gefahren. Als er sich unmittelbar vor einer Parkplatzgasse befunden habe, sei die Zweitbeklagte aus dieser Fahrgasse ungebremst mit stark überhöhter Geschwindigkeit in die Fahrerseite seines Fahrzeugs gefahren. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Zweitbeklagte habe gegen § 10 StVO verstoßen, weshalb sie die Alleinhaftung treffe.

Die Beklagten haben vorgetragen, die Zweitbeklagte sei bereits vollständig auf die linke Fahrspur eingebogen gewesen, als der Kläger mit erhöhter Geschwindigkeit von der rechten auf die linke Spur gewechselt sei und so die Kollision verursacht habe.

Das Amtsgericht hat die Bußgeldakte beigezogen und Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen ... und ... sowie durch Einholung eines technischen Sachverständigengutachtens. Darauf hin hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat die Erstrichterin, auf deren tatsächliche Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, ausgeführt, beide Fahrer hätten gegen das auf Parkplätzen geltende Verbot gegenseitiger Rücksichtnahme und Verständigung nach § 1 Abs. 2 StVO verstoßen. Die Haftung sei danach hälftig zwischen den Parteien zu teilen.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seinen Anspruch weiter. Er vertieft hierzu sein erstinstanzliches Vorbringen.

Die Beklagten verteidigen die Entscheidung des Amtsgerichts.


II.

Die zulässige Berufung des Klägers ist teilweise begründet. Das Urteil des Amtsgerichts beruht auf einer Rechtsverletzung und die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).

1. Zu Recht ist das Erstgericht allerdings zunächst davon ausgegangen, dass sowohl die Beklagten als auch der Kläger grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß §§ 7, 17 Abs. 1, 2 StVG i.V.m. § 115 VVG einzustehen haben, weil die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG darstellte. Dies wird von der Berufung auch nicht in Frage gestellt.

2. Mit Erfolg wendet sich die Berufung gegen die vom Amtsgericht im Rahmen des § 17 Abs. 1, 2 StVG vorgenommene Haftungsverteilung. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts trifft die Beklagten eine überwiegende Haftung, weil die Zweitbeklagte den Unfall allein verschuldet hat. a) Die Zweitbeklagte hat gegen ihre Wartepflicht aus § 8 Abs. 2 StVO verstoßen.

aa) Auf einer privaten Verkehrsfläche, die – wie hier – dem öffentlichen Verkehr dient, findet die Vorfahrtsregel „rechts vor links“ des § 8 Abs. 1 StVO Anwendung, sofern nach der tatsächlichen Situation im Einmündungsbereich zwei Straßen aufeinander treffen (vgl. OLG Celle, OLG-​Report 2006, 705; OLG Düsseldorf, Urteil vom 29.06.2010 – 1 U 240/09, juris; OLG Frankfurt, ZfS 2010, 19; OLG Hamm, Schaden-​Praxis 2001, 229; Kammer, Urteile vom 03.02.2006 – 13A S 36/05; vom 08.06.2012 – 13 S 33/12, und vom 12.10.2012 – 13 S 77/12, jeweils m.w.N). Das ist hier der Fall. Der Bereich, in dem der Umgehungsweg und die Fahrgasse, aus der die Zweitbeklagte herausgefahren ist, aufeinander treffen, sind gleichermaßen ausgebaut, wie nicht zuletzt die in der Akte befindlichen Lichtbilder belegen. Die aufeinander treffenden Fahrspuren sind dort insbesondere einheitlich und durchgängig in einer für Straßen üblichen Breite geteert, mit Richtungspfeilen markiert und die Randsteine sind entsprechend der Richtung des einmündenden Bereichs verlegt. Anders als die Berufung meint, bieten sich keine objektiven Hinweise dafür, dass es sich bei der Fahrgasse, aus der die Zweitbeklagte herausgefahren ist, um eine (untergeordnete) Aus- bzw. Zufahrt von bzw. zu einer Fläche im Sinne des § 10 S. 1 StVO handeln könnte (vgl. Kammer, Urteil vom 08.04.2011 - 13 S 17/11, NZV 2011, 541). Es liegt vielmehr – anders als in dem von dem Kläger zitierten Urteil des OLG Naumburg (OLG-​Report 2007, 394) - aus jeder Fahrtrichtung betrachtet eine Einmündung zweier Straßen vor, die Teil eines durchgehenden Wegenetzes auf einem straßenbaulich einheitlich gestalteten Parkplatzgelände sind, und in deren Bereich – mangels ausdrücklicher Regelung – rechts vor links gilt. Auf die Breite der jeweils benutzten Straße kommt es dabei nicht an. Die Regelung, dass an Kreuzungen und Einmündungen die Vorfahrt derjenige hat, der von rechts kommt, wird nämlich auch auf Parkplätzen nicht dadurch eingeschränkt, weil die einmündende oder kreuzende Straße schmaler ist (vgl. OLG Celle, OLG-​Report 2006, 705).

bb) Für eine unfallursächliche Verletzung des Vorfahrtsrechts durch die Zweitbeklagte spricht der Beweis des ersten Anscheins. Mit Blick auf die gesteigerte Sorgfaltspflicht des Wartepflichtigen nach § 8 Abs. 2 StVO spricht für dessen Verschulden der Beweis des ersten Anscheins, wenn es – wie hier – im Einmündungsbereich zweier Straßen zum Unfall des Wartepflichtigen mit dem Vorfahrtsberechtigten kommt und der Wartepflichtige sich noch nicht ohne Behinderung des bevorrechtigten Verkehrs eingeordnet hat (vgl. Kammer, st. Rspr.; vgl. Urteil vom 10.06.2011 – 13 S 40/11, NZV 2011, 607 m.w.N.; für Parkplätze vgl. auch KG, KG-​Report 2002, 364). Ein Fahrspurwechsel des Vorfahrtsberechtigten steht dem grundsätzlich nicht entgegen, denn die Vorfahrt erstreckt sich auf die Fahrbahn in ihrer gesamten Breite (vgl. Kammer aaO m.w.N.). Umstände, die hiervon abweichend eine Pflicht des Klägers zur Einhaltung seiner Fahrspur nach § 1 Abs. 2 StVO begründen und die ein entsprechendes Vertrauen der Zweitbeklagten rechtfertigen könnten (vgl. Kammer aaO m.w.N.), sind hier weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

b) Demgegenüber kann dem Kläger kein unfallursächliches Verschulden zur Last gelegt werden. Insbesondere können die Beklagten sich nicht auf eine Verletzung der bei einem Fahrstreifenwechsel anzuwendenden Sorgfalt durch den Kläger berufen. Dabei kann dahinstehen, ob der Kläger im Streitfall überhaupt einen Fahrspurwechsel durchgeführt hat und ob hierauf die Regelung des § 7 Abs. 5 StVO oder die allgemeine Vorschrift des § 1 Abs. 2 StVO Anwendung findet. Denn die Pflichten beim Fahrspurwechsel beziehen sich ausschließlich auf den gleichgerichteten Verkehr (vgl. OLG Düsseldorf, NZV 1989, 404; KG, KG-​Report 2009, 235; Kammer, Urteil vom 10.06.2011 – 13 S 40/11, NZV 2011, 607). Sie dienen mithin nicht dem Schutz des wartepflichtigen Querverkehrs wie der Zweitbeklagten.

c) Im Rahmen der danach gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG gebotenen Abwägung der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile ist zu Lasten der Zweitbeklagten zu berücksichtigen, dass das Gesetz in § 8 Abs. 2 S. 2 StVO dem Wartepflichtigen die Folgen unrichtigen Verhaltens überwiegend aufbürdet, so dass den Wartepflichtigen eine wesentlich höhere Verantwortung für den Unfall trifft (vgl. nur Saarländisches Oberlandesgericht, VerkMitt. 1982, 4 (Nr. 4); KG, DAR 1973, 157). Dies gilt auch für Parkplätze und sonstige Verkehrsflächen, die dem öffentlichen Verkehr dienen (vgl. OLG Nürnberg, VersR 1977, 1059; Kammer, Urteil vom 12.10.2012 - 13 S 77/12). Andererseits muss sich auch der nach § 8 StVO Vorfahrtsberechtigte auf Parkplätzen regelmäßig die allgemeine Betriebsgefahr seines Fahrzeugs zurechnen lassen (vgl. OLG Nürnberg, VersR 1977, 1059; OLG Celle, OLG-​Report 2006, 705). Denn die Verkehrssituation auf einem Parkplatz wie hier verlangt eine besondere Rücksichtnahme aller Beteiligten aufeinander, ob vorfahrtsberechtigt oder nicht. Deshalb kann sich auch der Vorfahrtsberechtigte auf einem derartigen Parkplatz nicht im gleichen Maß wie an einer echten Kreuzung oder Einmündung auf den Vertrauensgrundsatz berufen (vgl. OLG Nürnberg, VersR 1977, 1059). Ein Zurücktreten der Betriebsgefahr kommt deshalb auch bei Vorfahrtsverletzungen auf Parkplätzen nur ausnahmsweise in Betracht, wenn das Verschulden des Unfallgegners durch besondere Umstände erschwert ist (vgl. Kammer, Urteile vom 27.05.2011 – 13 S 25/11, Schaden-​Praxis 2012, 66, und vom 19.10.2012 – 13 S 122/12, RuS 2013, 199). Solche Umstände liegen hier aber nicht vor. Es erscheint daher gerechtfertigt, die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs mit einer Haftungsquote von 20% zu berücksichtigen.

3. Damit ergibt sich folgende Abrechnung des materiellen Schaden des Klägers:

5.608,33 € x 0,8 = 4.486,67 €
davon gezahlt: 2.804,16 €
verbleiben: 1.682,51 €


4. Ein über den gezahlten Betrag von 200,00 € hinausgehendes Schmerzensgeld nach § 253 BGB für das erlittene leichte HWS-​Syndrom ist nicht geschuldet, nachdem Umstände, die ein höheres Schmerzensgeld rechtfertigen könnten, weder vorgetragen noch ersichtlich sind. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der Kläger lediglich über einen Zeitraum von maximal 1 Woche in seiner Gesundheit beeinträchtigt war, keine weitergehenden Therapiemaßnahmen durchgeführt werden mussten (vgl. hierzu Attest vom 22.09.2011, Bl. 32 d.A.) und er sich die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs haftungsmindernd zurechnen lassen muss.

5. Daneben kann der Kläger Ersatz seiner außergerichtlichen Anwaltskosten gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. §§ 2, 13 RVG, Nrn. 2300, 7002, 7008 RVG VV nach Maßgabe einer 1,3-​Geschäftsgebühr aus einem Gegenstandswert von (4.486,67 + 200,- =) 4.686,67 €, mithin 391,30 € + 20,00 € (Pauschale) + 78,15 € (MwSt.) = 489,45 € abzüglich gezahlter 368,90 € = 120,55 € ersetzt verlangen.

Zinsen sind nach §§ 288, 291 BGB geschuldet.


III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache erlangt keine grundsätzliche über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert nicht die Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).