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OLG Koblenz Beschluss vom 10.10.2012 - 2 SsBs 94/12 - Erforderliche Urteilsfeststellungen bei einem Lenkzeitverstoß

OLG Koblenz v. 10.10.2012: Erforderliche Urteilsfeststellungen bei einem Lenkzeitverstoß


Das OLG Koblenz (Beschluss vom 10.10.2012 - 2 SsBs 94/12) hat entschieden:
Lenkdauerverstöße sind nur dann für das Rechtsbeschwerdegericht nachvollziehbar, wenn festgestellt ist, welche Zeit der Fahrer jeweils zwischen zwei täglichen Ruhezeiten oder einer täglichen und einer wöchentlichen Ruhezeit das Fahrzeug gelenkt hat und dass diese Zeitabstände keine Fahrtunterbrechung enthalten. Der Tatrichter hat daher im Einzelnen anzugeben, wann der Betroffene seine Fahrt an dem jeweiligen Tag begonnen und wann er sie beendet hat, und ob und gegebenenfalls wann es zur Unterbrechung der Fahrt gekommen ist. Um einen Verstoß gegen die tägliche Ruhezeit nachvollziehen zu können, bedarf es der Feststellung, wann die letzte Fahrt vor der Ruhepause beendet und wann die nächste Fahrt nach der Ruhepause begonnen wurde.


Siehe auch Fahrpersonal im Straßenverkehr - Lenkzeiten - Ruhezeiten - EG-Kontrollgerät und Rechtsbeschwerde in Bußgeldsachen


Gründe:

I.

Das Amtsgericht Koblenz hat den als Berufskraftfahrer tätigen Betroffenen am 25. Mai 2012 wegen vierfacher tateinheitlicher fahrlässiger Überschreitung der Doppelwochenlenkzeit in Tateinheit mit vorsätzlicher Überschreitung der Doppelwochenlenkzeit in Tateinheit mit siebenfacher tateinheitlicher vorsätzlicher verspäteter Fahrtunterbrechung in Tateinheit mit zweifacher tateinheitlicher fahrlässiger verspäteter Fahrtunterbrechung in Tateinheit mit fünffacher vorsätzlicher Tageslenkzeitüberschreitung in Tateinheit mit fahrlässiger Tageslenkzeitüberschreitung in Tateinheit mit fünffacher vorsätzlicher Tagesruhezeitverkürzung in Tateinheit mit dreifacher fahrlässiger Tagesruhezeitverkürzung zu einer Geldbuße in Höhe von 1.454 € verurteilt. Gegen das Urteil hat der Betroffene Rechtsbeschwerde eingelegt, mit der er die Verletzung materiellen Rechts geltend macht.

Die Rechtsbeschwerde hat im Hinblick auf die Lückenhaftigkeit der Urteilsgründe einen jedenfalls vorläufigen Erfolg. Für das Rechtsbeschwerdegericht sind Lenkdauerverstöße nur nachvollziehbar, wenn festgestellt ist, welche Zeit der Fahrer jeweils zwischen zwei täglichen Ruhezeiten oder einer täglichen und einer wöchentlichen Ruhezeit das Fahrzeug gelenkt hat und dass diese Zeitabstände keine Fahrtunterbrechung enthalten. Der Tatrichter hat daher im Einzelnen anzugeben, wann der Betroffene seine Fahrt an dem jeweiligen Tag begonnen und wann er sie beendet hat, und ob und gegebenenfalls wann es zur Unterbrechung der Fahrt gekommen ist. Um einen Verstoß gegen die tägliche Ruhezeit nachvollziehen zu können, bedarf es der Feststellung, wann die letzte Fahrt vor der Ruhepause beendet und wann die nächste Fahrt nach der Ruhepause begonnen wurde. Die dazu notwendigen Feststellungen enthält das angefochtene Urteil nicht.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Antragsschrift vom 14. September 2012 wie folgt Stellung genommen:
"Dem zulässigen und form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Rechtsmittel dürfte ein zumindest vorläufiger Erfolg in der Sache nicht zu versagen sein.

1. Nach Art. 6 Abs. 1 der VO (EWG 561/2006) darf die Tageslenkzeit zwischen 2 täglichen Ruhezeiten und einer täglichen und einer wöchentlichen Ruhezeit von 9 Stunden nicht überschreiten und darf nur zweimal in der Woche auf 10 Stunden verlängert werden. Unter Tageslenkzeit ist die summierende Gesamtlenkzeit zwischen dem Ende einer täglichen Ruhezeit und dem Beginn der darauf folgenden täglichen bzw. wöchentlichen Ruhezeit zu verstehen (Art. 4 k VO (EWG 561/2006).

Nach Art. 8 Abs. 2 VO (EWG Nr. 561/2006) muss der Fahrer innerhalb von 24 Stunden nach dem Ende der vorangegangenen täglichen oder wöchentlichen Ruhezeit eine neue tägliche Ruhezeit genommen haben. Unter täglicher Ruhezeit ist der tägliche Zeitraum zu verstehen, dem ein Fahrer frei über seine Zeit verfügen kann, und die ein regelmäßige tägliche Ruhezeit und eine reduzierte tägliche Ruhezeit umfasst. Eine regelmäßige tägliche Ruhezeit bezeichnet eine Ruhephase von mindestens 11 Stunden. Sie kann auch in 2 Teilen genommen werden, wobei der erste Teil einen unterbrochenen Zeitraum von mindestens 3 Stunden und der zweite Teil einen ununterbrochenen Zeitraum von mindestens 9 Stunden umfassen muss. Unter einer reduzierten täglichen Ruhezeit ist eine Ruhepause von mindestens 9 Stunden, aber weniger als 11 Stunden zu verstehen (Art. 4g VO (EWG 516/2006).

Nach einer Lenkdauer von 4,5 Stunden hat der Fahrer eine ununterbrochene Fahrtunterbrechung von mindestens 45 Minuten einzulegen, wobei die Unterbrechung durch eine Unterbrechung von mindestens 15 Minuten gefolgt von einer Unterbrechung von mindestens 30 Minuten ersetzt werden kann (Art. 7 VO EWG 516/2006).

Für das Rechtsbeschwerdegericht sind Lenkdauerverstöße mithin nur nachvollziehbar, wenn festgestellt ist, welche Zeit der Fahrer jeweils zwischen zwei täglichen Ruhezeiten oder einer täglichen und einer wöchentlichen Ruhezeit das Fahrzeug gelenkt hat, und das diese Zeitabstände keine Fahrtunterbrechung enthalten. Der Tatrichter hat daher im Einzelnen anzugeben, wann der Betroffene seine Fahrt an dem jeweiligen Tat begonnen und wann er sie beendet hat, und ob und gegebenenfalls wann es zur Unterbrechung der Fahrt gekommen ist (OLG Koblenz - 1. Strafsenat, Beschluss vom 26.08.2011 - 1 SsBs 63/11, OLG Koblenz, 2. Strafsenat, Beschluss vom 02.07.2009 - 2 SsBs 2/09 m.w.N.).

Um ein Verstoß gegen die tägliche Ruhezeit nachvollziehen zu können, bedarf es der Feststellung, wann die letzte Fahrt vor der Ruhepause beendet wurde und wann die nächste Fahrt nach der Ruhepause begonnen wurde.

Die entsprechenden Feststellungen enthält das Urteil des Amtsgerichts Koblenz vom 25.05.2012 indes nicht.

Das Amtsgericht bezeichnet in seinem Urteil Zeiträume, in denen zulässige Lenkdauer überschritten wurde. Aus dem mathematischen Vergleich der angegebenen Zeiträume, mit der zulässigen Lenkdauer sowie der angegebenen Überschreitungsdauer ergibt sich, dass der jeweilige Beginn bzw. das Ende des bezeichneten Zeitraums nicht die Zeitpunkte bezeichnen kann, an denen der Betroffene begann das Fahrzeug zu lenken bis zum den Zeitpunkten an dem er eine Ruhezeit oder Fahrtunterbrechung eingelegt hat bzw. eine Ruhezeit begann und seine Fahrt fortsetzte. Die angegebenen Zeiträume überschreiten im Hinblick auf ihrer zeitlichen Dauer der Zeiträume, die sich aus der Summe der von dem Amtsgericht angenommene Höchstlenkzeiten zuzüglich der angenommenen Zeitdauer der Überschreitung ergibt. Dies lässt jedoch nur den Umkehrschluss zu, dass das Amtsgericht offensichtlich nicht den gesamten Zeitraum als Lenkdauer betrachtet hat. Insoweit hätte es jedoch der Feststellung bedurft, wann der Betroffene jeweils seine Fahrt nach der letzten Ruhezeit bzw. Unterbrechung begonnen hat, wann es zur nächsten Unterbrechung der Fahrt gekommen und wann die Fahrt hiernach wieder fortgesetzt worden ist. Ohne diese Angaben wird das Rechtsbeschwerdegericht nicht in der Lage versetzt zu prüfen, ob der vom Amtsgericht vorgenommene Ansatz der jeweiligen Lenkdauer in dem bezeichneten Tatzeiträumen zutreffend berechnet und das Tatgericht zu Recht ein Verstoß gegen die genannten Vorschriften angenommen hat.

Gleiches gilt insoweit für die angenommenen Unterschreitungen der Ruhezeit. Das tatrichterliche Urteil bezeichnet Ruhezeitunterschreitungen in Zeiträumen von 24 Stunden, ohne das sich hinreichend deutlich erschließt, wann die Ruhezeit begann und wann diese beendet wurde. Auch unter Berücksichtigung der im Urteil wiedergegebenen Zeiträume zu den Lenkzeiten ist ein Rückschluss auf die vorgenommene Berechnung der Ruhezeiten nicht möglich.

Der Darlegungsmangel erfasst auch die vom Tatgericht festgestellten Doppelwochenverstöße. Gemäß Art. 6 Abs. 2 VO (EWG 561/2006) darf die summierte Gesamtlenkzeit während zweier aufeinander folgender Wochen 90 Stunden nicht überschreiten. Die Darlegungen des Tatgerichts im Urteil vom 25.05.2012 erschöpfen sich in der jeweiligen Wiedergabe einer Summe der Lenkzeiten in einer nach den Kalendertagen bezeichneten Doppelwoche. Den Urteilsgründen ist indes nicht hinreichend deutlich zu entnehmen, welche einzelnen Lenkzeiten das Tatgericht in den jeweiligen Doppelwochen zu der im Urteil wiedergegebenen Gesamtlenkzeit summiert hat und auf welcher Tatsachengrundlage das Tatgericht die einzelnen Lenkzeiten festgestellt hat. Ohne diese Darlegungen wird das Rechtsbeschwerdegericht jedoch nicht in die Lage versetzt zu prüfen, ob das Amtsgericht die Lenkzeiten und im Folgenden die Gesamtlenkzeit zutreffend festgestellt und zu Recht von einen Verstoß ausgegangen ist. Die Ausführungen des Amtsgerichts erweisen sich mithin als lückenhaft."
Den zutreffenden Ausführungen tritt der Senat bei.

Gemäß § 79 Abs. 6 OWiG hat er die Sache zu neuer Entscheidung an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Koblenz zurückverwiesen.