Das Verkehrslexikon

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Amtsgericht Essen-Borbeck Urteil vom 02.07.2013 - 6 C 88/13 - Geltung der StVO sowie der "eingeschränkten Vorfahrtsregelung" auf einem Garagenhof

AG Essen-Borbeck v. 02.07.2013: Zur Geltung der StVO sowie der Vorfahrtsregelung Rechts vor LInks" auf einem Garagenhof


Das Amtsgericht Essen-Borbeck (Urteil vom 02.07.2013 - 6 C 88/13) hat entschieden:
Die Straßenverkehrsordnung gilt auch auf einem privaten Garagenhof, dessen Verkehrsflächen faktisch für den Fahrzeugverkehr frei zugänglich sind. Auf einem privaten Garagenhof hat der Fahrweg keine generelle Vorfahrt gegenüber den einmündenden Flächen. Es gilt vielmehr die "eingeschränkte Vorfahrtsregel" rechts vor links. Bei einer Kollision eines aus einer Garagenreihe nach rechts abbiegenden Fahrzeugs mit einem den Zufahrtsweg nutzenden Fahrzeugs ist von einer Alleinhaftung des den Zufahrtsweg nutzenden Kraftfahrzeugführers auszugehen.


Siehe auch Zur Geltung der Vorfahrtregel "rechts vor links" auf Parkplätzen und in Parkhäusern und Die Vorfahrtregel "rechts vor links"


Tatbestand:

Die Klägerin nimmt die Beklagten, und zwar den Beklagten zu 1.) als Halter und Fahrer und die Beklagte zu 2.) als Haftpflichtversicherer des Pkw … mit dem amtlichen Kennzeichen … auf hälftigen Schadensersatz wegen des Verkehrsunfalls vom 8.8.2012 auf dem Garagenhof an der …straße in Essen in Anspruch.

Während der Beklagte zu 1.) von der Straße aus auf dem Zufahrtsweg zu dem Garagenhof in Richtung der zweiten Garagenreihe fuhr, beabsichtigte die Klägerin von der ersten Garagenreihe aus nach rechts auf den Zufahrtsweg abzubiegen. Hierbei kam es aus streitiger Ursache zur Kollision der beiden Fahrzeuge.

Die Klägerin behauptet, im Zeitpunkt der Kollision hätten sich beide Fahrzeuge bewegt, sie seien ungebremst mit etwas mehr als Schrittgeschwindigkeit kollidiert.

Die Klägerin beantragt,
die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an sie 748,40 EUR netto nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 18.10.2012 sowie weitere 120,67 EUR brutto vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten behaupten, die Klägerin sei während der eingeleiteten Vorbeifahrt des Beklagten zu 1.) aus der ersten Reihe der Garagen in einem großen Rechtsboden auf den Fahrweg aufgefahren, ohne hierbei auf das herannahende Beklagtenfahrzeug Rücksicht zu nehmen. Der Beklagte zu 1.) habe sein Fahrzeug bis zum Stillstand abgebremst. Die Klägerin sei jedoch offenbar total unaufmerksam gewesen, habe jedenfalls den fließenden Verkehr auf dem Fahrweg nicht im Blick gehabt und sei einfach weiter abgebogen und mit dem stehenden Beklagtenfahrzeug kollidiert.

Wegen des weiteren Sach- und Rechtsvortrages der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Das Gericht hat die Klägerin und dem Beklagten zu 1.) persönlich angehört sowie Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen … und … . Wegen des Ergebnisses der Parteianhörung und der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 02.07.2013 verwiesen.


Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Der Klägerin steht schon dem Grunde nach kein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagten aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 2, 18 Abs. 1, 3 StVG, 115 VVG, 421 BGB zu.

Unabhängig davon, dass die Zufahrt und die Garagenhöfe selbst Privatgelände sind, sind die Verkehrsflächen faktisch für den Fahrzeugverkehr frei zugänglich, so dass die Straßenverkehrsordnung auch auf dem Privatgelände gilt. Vorliegend gilt aufgrund der Ausgestaltung der Verkehrsflächen nicht allein die Regel des § 1 StVO, vielmehr gilt an der Unfallstelle die Vorfahrtsregel des § 8 Absatz 1 S. 1 StVO.

Die Ausgestaltung der Verkehrsflächen entspricht dem Tatbestand, welcher dem Urteil des Landgerichts Bonn vom 21.2.2011 (10 O 291/10) zugrundelag. Das Landgericht Bonn hat in der vorbezeichneten Entscheidung ausgeführt, dass auf einem Fahrweg, welcher der Erschließung der an seinen beiden Seiten gelegenen Parkplätze dient und optisch nicht als Durchfahrtstraße gestaltet ist, die Vorfahrtsregel rechts vor links gilt, wenn er mit funktional gleichartigen und gleichartig gepflasterten Fahrflächen zusammentrifft.

Die Ausgestaltung des Fahrweges und der Garagenhöfe ist erkennbar so gestaltet, dass neben den Abzweigungen zu den eigentlichen Garagenhöfen zunächst von dem Zufahrtsweg auch Stellplätze abgehen. Die Pflasterung ist gleichmäßig ohne Unterbrechungen und besondere Kennzeichnungen ausgestaltet. Deswegen hat der Fahrweg keine generelle Vorfahrt gegenüber den einmündenden Flächen der Garagenhöfe. Es gilt vielmehr die "eingeschränkte Vorfahrtsregel" rechts vor links.

Danach befand sich der Beklagte zu 1.) gegenüber der Klägerin auf einer bevorrechtigten Verkehrsfläche. Dass sie die Vorfahrt hinreichend beachtet habe, hat die Klägerin nicht vorgetragen. Sie hat sich allein auf die Sichtbehinderung durch die Büsche im rechten Bereich berufen. Im Hinblick darauf, dass das Buschwerk zum eigentlichen Fahrweg hin flacher wird, wäre das Fahrzeug des Beklagten zu 1.) bei vorsichtiger Annäherung an die Einmündung aber ohne weiteres erkennbar gewesen.

Aufgrund des Umstandes, dass das Beklagtenfahrzeug, wenn auch möglicherweise durch die Kollision noch etwas weiter im vorderen Bereich nach rechts versetzt, sich eher auf der rechten Seite des schmalen Fahrweges befand, ist zunächst einmal davon auszugehen, dass sich der Beklagte zu 1.) verkehrsgerecht und ordnungsgemäß bei der Annäherung an den Einmündungsbereich verhalten hat. Jedenfalls hat die Klägerin nicht den Beweis geführt, dass der Beklagte zu 1.) gegen eine bestehende Verkehrsregel verstoßen hätte. Die Mutmaßungen des Zeugen … zur möglichen Geschwindigkeit des Beklagten zu 1.) entbehren jeder Wahrnehmung, sind deshalb ohne jeden Beweiswert. Soweit der Zeuge weiter bekundet hat, der Beklagte zu 1.) sei gegen das klägerische Fahrzeug gefahren, so fehlt der Aussage bereits die erforderliche Glaubhaftigkeit. Erkennbar hat das Beklagtenfahrzeug das klägerische Fahrzeug nur mit der linken Vorderseite ab dem linken Vorderrad berührt. Danach kann der Unfall nur darauf zurückzuführen sein, dass das klägerische Fahrzeug gegen ein erkennbar langsam fahrendes oder bereits stehendes Beklagtenfahrzeug gelenkt wurde. Anders ist eine Berührung der Fahrzeuge sonst nicht erklärbar. Im Hinblick darauf, dass sich auch die Schäden am klägerischen Fahrzeug im vorderen linken Bereich befinden, ist die Kollision nur damit erklärbar, dass sich das klägerische Fahrzeug bereits in einer deutlich bogenförmigen Zufahrt auf den Fahrweg befand. Eine hohe Kollisionsgeschwindigkeit ist - ohne dass hierfür eine Sachverständigengutachtens bedurfte - eher auszuschließen, weil die Schäden an dem Beklagtenfahrzeug lokal sehr begrenzt sind, das Beklagtenfahrzeug eben keine längere Strecke an dem klägerischen Fahrzeug entlang geschrammt sein kann.

Im Hinblick darauf, dass die Klägerin die gegen sie streitende tatsächliche Vermutung der schuldhaften Unfallverursachung nicht im Ansatz erschüttern konnte, kommt auch keine Mithaftung der Beklagten nach den Grundsätzen der allgemeinen Betriebsgefahr im Rahmen der Abwägung gemäß § 17 Abs. 2 StVG in Betracht.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.