Das Verkehrslexikon

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VGH Kassel Beschluss vom 10.04.2014 - 2 B 390/14 - Fahrtenbuchauflage und Überzeugung von der Täterschaft

VGH Kassel v. 10.04.2014: Keine Fahrtenbuchauflage bei unterlassener Zeugenvernehmung des Kfz-Halters


Der VGH Kassel (Beschluss vom 10.04.2014 - 2 B 390/14) hat entschieden:
Hat die Bußgeldstelle Zweifel, ob ein verdächtigter Kfz-Führer Täter einer Verkehrsordnungswidrigkeit ist, dann muss sie im Rahmen der notwendigen Ermittlungen den Kfz-Halter als Zeugen hören, bevor sie davon ausgehen kann, dass der Fahrzeugführer nicht ermittelt und deshalb eine Fahrtenbuchauflage verhängt werden kann.


Siehe auch Fahrtenbuch-Auflage: Erforderlicher Ermittlungsaufwand und Fahrtenbuch-Auflage - Fahrtenbuch führen


Gründe:

Die gemäß §§ 146, 147 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat es zu Unrecht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die angefochtene Verfügung wiederherzustellen. Es sprechen ganz überwiegende Gründe dafür, dass die Anordnung der Führung eines Fahrtenbuchs in dem genannten Bescheid rechtswidrig ist. An der sofortigen Vollziehung einer rechtswidrigen Verfügung besteht kein besonderes öffentliches Interesse.

Die Voraussetzungen des § 31a der Straßenverkehrs-Zulassungsordnung - StVZO - für die Anordnung der Führung eines Fahrtenbuchs liegen aller Voraussicht nach nicht vor. Es fehlt an der tatbestandlichen Voraussetzung, dass die "Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war".

Die Ordnungswidrigkeitenbehörde hat den Antragsteller unter dem 18. Juli 2013 als Führer des von der Ordnungswidrigkeit betroffenen Kraftfahrzeugs und damit als Betroffenen angehört (Behördenakte Bl. 13). Dementsprechend hatte sich der Bevollmächtigte des Antragstellers als Verteidiger gemeldet und Akteneinsicht beantragt. Dies geschah auch zeitnah (Abgang des Anhörungsbogens an den Antragsteller frühestens am 18. Juli, Schriftsatz des Verteidigers vom 25. Juli 2013). In dem Schriftsatz vom 25. Juli 2013 befindet sich keine Angabe, wonach der Antragsteller bestreite, der Fahrzeugführer gewesen zu sein. Auch enthielt der Schriftsatz keine Erklärung, dass der wirkliche Fahrzeugführer nicht benannt werden könne; für eine solche Erklärung bestand auch keine Notwendigkeit, weil der Antragsteller ja gerade als Fahrzeugführer und damit Betroffener der Ordnungswidrigkeit angehört worden ist. Hiernach hatte die Ordnungswidrigkeitenbehörde keinen Anlass, andere Personen als Fahrzeugführer in Betracht zu ziehen und insofern Ermittlungen zu einem anderen Fahrzeugführer anzustellen. Jedenfalls konnte der Antragsteller, wenn ihm ein Anhörungsbogen als Betroffenem übersandt wird, gerade nicht davon ausgehen, dass seine Mitwirkung an der Feststellung eines noch unbekannten Fahrzeugführers verlangt wird.

Aufgrund des von der Ordnungswidrigkeitenbehörde so zunächst eingeschlagenen Verfahrenswegs und auch nach der Stellungnahme des Verteidigers vom 25. Juli 2013 ist schon nicht nachvollziehbar, weshalb die Ordnungswidrigkeitenbehörde anschließend die Polizei um Ermittlung "der für die Tat verantwortlichen Person" gebeten hat (Ermittlungsersuchen vom 10. August 2013, Behördenakte Bl. 13).

Darüber hinaus ist nicht nachvollziehbar, weshalb die Ordnungswidrigkeitenbehörde nach der vermeintlichen Feststellung der Polizei vom 20. September 2013 (Behördenakte Bl. 33), der Fahrzeughalter komme nicht als Fahrer in Betracht, den Halter dann nicht als Zeugen zu der Ordnungswidrigkeit angehört hat. Eine solche Ermittlungsmaßnahme ist, wenn der Halter zunächst als Beschuldigter angehört worden ist und nach späteren Sachverhaltsfeststellungen hierfür aber nicht in Betracht kommen soll, nach der Rechtsprechung des Senats (etwa Beschluss vom 19. Mai 2011 - 2 B 867/11 -) und anderer Obergerichte (siehe Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Auflage, § 31a StVZO Rn. 6) grundsätzlich zumutbar und damit geboten. Hierfür wäre nach den Umständen des vorliegenden Falles bis zum Eintritt der Verfolgungsverjährung auch noch genügend Zeit gewesen, obwohl das erste Ermittlungsersuchen an die Polizei vom 10. August 2013 erst am 20. September 2013 beantwortet worden war. Denn die Ordnungswidrigkeitenbehörde hatte durch die Anhörung des Fahrzeughalters als Betroffenen gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten - OWiG - eine Unterbrechung der kurzen Verfolgungsverjährung gemäß § 26 Abs. 3 des Straßenverkehrsgesetzes - StVG - bewirkt und eine neue Verfolgungsverjährung in Gang gesetzt, die erst am 18. Oktober 2013 ablief (s. § 33 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 OWiG). Bereits am 8. Oktober 2013 hat die Ordnungswidrigkeitenbehörde jedoch dann die Feststellung getroffen, der Fahrzeugführer habe nicht festgestellt werden können und hat die Fahrerlaubnisbehörde um Prüfung der Anordnung eines Fahrtenbuchs gebeten (Behördenakte Bl. 1).

Insgesamt hat die Ordnungswidrigkeitenbehörde so in mehrfacher Hinsicht die Feststellung des Fahrzeugführers unzureichend betrieben und deshalb kann nicht angenommen werden, dass die Feststellung des Fahrzeugführers bis zum Eintritt der Verfolgungsverjährung nicht möglich war. Es erscheint nicht fernliegend, wenn der Bevollmächtigte des Antragstellers zu dieser Verfahrensweise der Ordnungswidrigkeitenbehörde die Vermutung äußert, wegen der argumentativen Angriffe gegen die Geschwindigkeitsmessung im Schriftsatz vom 25. Juli 2013 habe die Ordnungswidrigkeitenbehörde keine Anstrengungen unternommen, das Verfahren vor Eintritt der Verfolgungsverjährung abschließend zu bearbeiten.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Antragsgegner gemäß § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen, da er unterlegen ist.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 52 Abs. 1, Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2, 47 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 GKG i. V. m. Nr. II. 1.5 und 46.11 des Streitwertkatalogs 2013 (abrufbar unter www.bverwg.de/informationen/streitwertkatalog.php).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 66 Abs. 3 Satz 3 und 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).



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