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OLG Nürnberg Urteil vom 19.03.2013 - 14 U 613/12 - Verwendungsersatzanspruch eines Abschleppunternehmers wegen der Verwahrung eines geleasten Sattelaufliegers

OLG Nürnberg v. 19.03.2013: Zur Verwendungsersatzanspruch eines Abschleppunternehmers wegen der Verwahrung eines geleasten Sattelaufliegers


Das OLG Nürnberg (Urteil vom 19.03.2013 - 14 U 613/12) hat entschieden:
  1. Verwahrt ein Bergungs- und Abschleppunternehmer einen Sattelauflieger, der sich in der berechtigten Nutzung des Leasingnehmers befindet, führt er kein Geschäft des Leasinggebers und Eigentümers.

  2. Im Verhältnis zum Leasinggeber und Eigentümer stellt die Verwahrung des Sattelaufliegers eine notwendige Verwendung in Höhe der vom Bergungs- und Abschleppunternehmer üblicherweise vereinnahmten Standgelder dar. Der Ersatzanspruch unterliegt den Beschränkungen aus §§ 1001, 1003 BGB.

Siehe auch Leasingfahrzeug - Leasingvertrag und Private Abschleppkosten


Gründe:

I.

Im Jahr 2008 überließ die Klägerin im Rahmen eines Leasingvertrages den streitgegenständlichen in ihrem Eigentum stehenden Sattelauflieger Frau S. B. zur Nutzung.

Der Beklagte, der ein Bergungs- und Abschleppunternehmen betreibt, verbrachte den Sattelauflieger nach einem polizeilichen Notruf am Abend des 21.4.2009 von der Autobahn auf sein Betriebsgelände, wo er seitdem abgestellt ist. Die Verfolgung von Ansprüchen des Beklagten gegen die Leasingnehmerin B., über deren Vermögen inzwischen ein Insolvenzverfahren anhängig ist, war weitgehend erfolglos.

Mit Schreiben vom 19.6.2009 ließ die Klägerin den Leasingvertrag mit S. B. wegen ausstehender Leasingraten fristlos kündigen und, nachdem Zahlungszusagen der Leasingnehmerin nicht eingehalten worden waren, am 27.8.2010 die Sicherstellung des Sattelaufliegers in Auftrag geben.

Dem Verlangen der Klägerin auf Herausgabe des Sattelaufliegers setzt der Beklagte Gegenansprüche insbesondere wegen Standkosten entgegen. Mit Endurteil vom 17.2.2012 hat das Landgericht Regensburg der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Mit seiner Berufung verfolgt der Beklagte weiter das Ziel der Klageabweisung und beschränkt seine Widerklage auf Gegenansprüche aus dem Zeitraum bis 28.8.2010.

Von der weiteren Darstellung des Tatbestands wird gemäß § 540 Abs. 2, § 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.


II.

Die zulässige Berufung ist teilweise auch begründet.

1. Die Klägerin kann als Eigentümerin vom Beklagten als Besitzer gemäß § 985 BGB die Herausgabe des Sattelaufliegers verlangen. Selbst wenn die Verwahrung des Fahrzeugs durch den Beklagten gegenüber der Klägerin eine berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag dargestellt hätte, würde sich daraus kein Recht zum Besitz gemäß § 986 BGB ergeben (vgl. § 681 S. 2, § 667 BGB). Gegenansprüche führen nur zu einem Zurückbehaltungs- und nicht zu einem Besitzrecht (vgl. Palandt, 72. Aufl. 2013, § 986 BGB Rn. 5). Die vom Bundesgerichtshof in NJW 2002, 1050 ff., Rn. 20 ff. nach juris, behandelte Fallkonstellation des formfehlerhaften Erwerbsvertrags liegt nicht vor. Auch § 1003 Abs. 1 BGB ist nicht anzuwenden (vgl. unten 3.).

2. Aufgrund seines Zurückbehaltungsrechts gemäß § 1000 BGB wegen Verwendungsersatzansprüchen in Höhe von 8.413,78 € ist der Beklagte aber nur Zug um Zug gegen deren Erfüllung zur Herausgabe verpflichtet.

2.1 Aufwendungsersatz gemäß § 683 BGB kann der Beklagte nicht verlangen. Bergung und Aufbewahrung des Fahrzeugs sind jedenfalls im jetzt noch streitgegenständlichen Zeitraum bis 28.8.2010 dem Rechtskreis der gegenüber der Klägerin nutzungsberechtigten Leasingnehmerin zuzurechnen. Die mittelbare Beziehung zu den Interessen der Klägerin als Leasinggeberin reicht nicht aus, um darin auch die Besorgung ihres Geschäfts zu sehen, da sonst die Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag unangemessen ausgeweitet würden (vgl. zum Ganzen Palandt, a.a.O., § 677 BGB Rn. 4 u. BGHZ 54, 157 ff., Rn. 9 f. nach juris).

2.2 Dem Beklagten steht aber gegenüber der Klägerin Verwendungsersatz gemäß § 994 Abs. 1 BGB zu.

Das wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Beklagte ursprünglich von der Leasingnehmerin abgeleiteten berechtigten Fremdbesitz inne hatte. Da ein vormals berechtigter Besitzer nicht schlechter gestellt werden darf als ein von Anfang an unberechtigter, ist es ausreichend, dass eine Vindikationslage zwischen den Parteien später entstanden ist (BGH NJW 2002, 2875 ff., Rn. 9 nach juris u. BGHZ 34, 122, 132).

Notwendig ist eine Verwendung, wenn sie zur Erhaltung oder ordnungsgemäßen Bewirtschaftung einer Sache nach objektivem Maßstab zur Zeit der Vornahme erforderlich ist (vgl. Palandt, a.a.O., § 994 BGB Rn. 5). Das Verbringen des Sattelaufliegers von der Autobahn zu einem sicheren Standplatz erfüllt diese Voraussetzungen. Ein Abstellen auf öffentlicher Verkehrsfläche stellt jedenfalls bei einem derart großen Transportfahrzeug keine akzeptable Alternative zur Verwahrung auf dem Gelände des Beklagten dar. Bei dieser handelt es sich auch um ein Vermögensopfer des Beklagten. Dieser nutzt sein Betriebsgelände im Rahmen seines Gewerbes auch durch Vermietung von Stellplätzen. Der vom streitgegenständlichen Fahrzeug belegte Bereich stand dem Beklagten nicht anderweitig zur Verfügung. Die Verwahrung war somit auch mit einem Vermögensnachteil für den Beklagten verbunden und hat ihren "Marktwert". Unter diesen Voraussetzungen hat der Bundesgerichtshof (NJW 1996, 921 ff., Rn. 8 ff. nach juris) die eigene Arbeitsleistung unabhängig davon, ob dadurch anderweitiger Verdienst entgangen ist, als ersatzfähig anerkannt. Der gegenteiligen Ansicht (Staudinger-Gursky, Neubearbeitung 2012, Vorbem. zu §§ 994-1003, Rn. 12) ist der Bundesgerichtshof dabei gerade nicht gefolgt. Er hat auch nicht für maßgeblich gehalten, ob die Leistung gewerblich erbracht wurde (vgl. dazu Münchener Kommentar-Baldus, 5. Aufl. 2009, § 994 BGB Rn. 13). Dies ist hier aber sogar der Fall. Das Abstellen eines Fahrzeugs auf eigenem Gelände ist nicht anders zu beurteilen als die eigene Arbeitsleistung. Hiermit stimmen auch Staudinger-Gursky und Münchener Kommentar-Baldus, jeweils a.a.O., überein.

Der von der Klägerin behauptete aktuelle Restwert des Sattelaufliegers von ca. 2.000 € ist für die vom Beklagten bis 28.8.2010 vorgenommenen Verwendungen ohne Bedeutung. Der damalige Wert der Sache war jedenfalls nicht so niedrig, dass die noch streitgegenständlichen Verwendungen außer Verhältnis gestanden hätten. Diese betreffen auch die Zeit vor dem Herausgabeverlangen der Klägerin und sind gegenüber dem Sachwert nicht unverhältnismäßig gering (vgl. BGH NJW 2004, 3484 ff.).

2.3 Der Verwendungsersatzanspruch des Beklagten gemäß § 994 Abs. 1 BGB besteht in Höhe der im Berufungsverfahren noch geltend gemachten 8.413,78 €.

Der Beklagte verlangt Standgeldkosten von täglich 22,64 € brutto. Diese sind als dem Marktwert der Leistung entsprechend anzusetzen, da sie ausweislich der vom Beklagten vorgelegten Preis- und Strukturumfrage im Bergungs- und Abschleppgewerbe 2010 (Anlage B 2) unter dem Mittelwert des in Deutschland für das Abstellen von Sattelaufliegern im Freigelände verlangten Betrages von täglich 20,00 € netto liegen. Für den Zeitraum vom 22.4.2009 - 28.8.2010 (494 Tage) ergäbe sich somit unter Berücksichtigung der vom Beklagten angerechneten Versicherungsleistungen von insgesamt 809,40 € eine 8.413,78 € übersteigende Summe. Eine Anspruchsbeschränkung auf einen geringeren Zeitraum ist nicht veranlasst, da die Klägerin vom Beklagten die Herausgabe der Sache vor dem 28.8.2010 nicht verlangt hat.

Eine Verzinsung kann der Beklagte mangels Verzugs nicht beanspruchen, da die Voraussetzungen von § 1001 BGB nicht vorliegen (vgl. unten 3.), so dass es an einem vollwirksamen Hauptanspruch fehlt (vgl. Palandt, a.a.O., § 286 BGB Rn. 8/9 u. § 1001 BGB Rn. 1).

3. Zahlung des Verwendungsersatzes in Höhe von 8.413,78 € steht dem Beklagten gemäß § 1001 BGB nicht zu. Weder hat die Klägerin den Sattelauflieger wiedererlangt noch hat sie die Verwendungen genehmigt. Zwar hat die Klägerin vorgerichtlich die Zahlung von 3.800 € in den Raum gestellt (vgl. Anlagen B 8 u. B 9), dies aber nur für den Fall eines dann nicht zustande gekommenen Vergleichs.

§ 1003 Abs. 1 BGB ist nicht anzuwenden, da die Beklagte ihre Verpflichtung zum Verwendungsersatz von Anfang an ernsthaft nach Grund und Höhe in Abrede gestellt hat (vgl. Palandt, a.a.O., § 1003 BGB Rn. 2; Münchener Kommentar-Baldus, a.a.O., § 1003 BGB Rn. 2).

Der Beklagte kann nur gemäß § 1003 Abs. 2 BGB vorgehen. Der Betrag der ersatzfähigen Verwendungen ist daher festzustellen. Ein Anspruch auf Duldung der Befriedigung des Beklagten aus dem streitgegenständlichen Fahrzeug besteht derzeit noch nicht, da § 1003 Abs. 2 BGB hierfür verlangt, dass der Beklagte die Klägerin nach dem rechtskräftigen Feststellungsausspruch unter Bestimmung einer angemessenen Frist zur Genehmigung der Verwendungen auffordert. Nach fruchtlosem Verstreichen der gesetzten Frist kann der Beklagte ohne einen Vollstreckungstitel nach den Vorschriften über den Pfandverkauf vorgehen (vgl. Münchener Kommentar-Baldus, a.a.O., § 1003 BGB Rn. 10).

Falls es auf diese Weise zum Pfandverkauf kommt und dieser die Verwendungen des Beklagten nicht deckt, ist die Klägerin wegen § 1001 BGB auch nicht zur Erstattung des Differenzbetrages verpflichtet. Der hierauf gerichtete Widerklageantrag ist also ebenfalls abzuweisen.

4. Mangels Verzugs der Klägerin (vgl. oben unter 2.3 am Ende) muss diese dem Beklagten keine vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten erstatten.


III.

1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Klägerin ist mit ihrem Herausgabebegehren aufgrund der Zug-um-Zug-Einschränkung wirtschaftlich ebenso nur zur Hälfte durchgedrungen wie der Beklagte mit seinem Verwendungsersatzanspruch in Höhe von 8.413,78 €, da er keinen Zahlungs-, sondern nur einen Feststellungsausspruch erreichte. In erster Instanz hat der Beklagte noch Verwendungsersatz in Höhe von 14.988 € verlangt.

2. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 713 ZPO.

3. Die Revision wird nicht zugelassen, da die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die einschlägigen Rechtsfragen sind höchstrichterlich ausreichend geklärt.