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OLG Köln Beschluss vom 22.04.2013 - I-17 W 49/13 - Erstattung der Kosten eines Privatgutachtens der Versicherung

OLG Köln v. 22.04.2013: Zur Erstattung der Kosten eines Privatgutachtens der Versicherung bei Verdacht auf Unfallbetrug


Das OLG Köln (Beschluss vom 22.04.2013 - I-17 W 49/13) hat entschieden:
Bestehen vorprozessual sich aufdrängende Anhaltspunkte für einen versuchten Versicherungsbetrug, so sind die Kosten eines vorprozessual beauftragten Privatgutachtens erstattungsfähig. Um eine Angemessenheitsprüfung für abgerechnete Kosten eines Privatgutachtens vornehmen zu können, bedarf es einer substantiierten Darlegung der Tätigkeit des Privatgutachters, der in Ansatz gebrachten Stundenzahl und des Stundensatzes.


Siehe auch Zur Kostenerstattung für Privatgutachten, die in das Verfahren eingebracht oder nicht eingebracht wurden und Unfallmanipulationen - Unfallbetrug


Gründe:

Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO i. V. m. § 11 RpflG statthaft und auch unbedenklich zulässig.

Sie ist teilweise unbegründet; teilweise hat sie (vorläufigen) Erfolg, da sie insoweit zur Aufhebung des Nichtabhilfe- und Vorlagebeschlusses führt. Im Umfang der Aufhebung wird der Rechtspfleger nach Maßgabe der folgenden Gründe neu über die Sache zu befinden haben.

I.

Soweit der Rechtspfleger die Reisekosten und Abwesenheitsgelder für den Prozessbevollmächtigten des Klägers außer Acht gelassen hat, die dafür angefallen sind, dass dieser vom Kanzleisitz in L zu Verhandlungsterminen nach L2 angereist ist, hat das Rechtsmittel keinen Erfolg. Die Entscheidung des Rechtspflegers ist nicht zu beanstanden. Sie ist auf der Grundlage einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung ergangen. Klagt eine Partei an ihrem Wohnsitz (L2) - und so liegt der Fall hier - dann sind Mehrkosten, die dadurch entstehen, dass sie einen auswärtigen Rechtsanwalt ("am dritten Ort") mandatiert, grundsätzlich nicht erstattungsfähig (BGH NJW 2003, 901; NJW-RR 2007, 1071). Für den Ausnahmefall, dass ein Spezialanwalt eingeschaltet werden musste, der nicht am Wohn-/Geschäftssitz der Partei zu finden ist, ist vorliegend weder etwas vorgetragen noch etwas ersichtlich. Dass zu dem am Drittort residierenden Rechtsanwalt ein besonderes Vertrauensverhältnis besteht, reicht zur Rechtfertigung der Mehrkosten ebenso wenig aus (BGH, Beschluss vom 22. April 2008 - XI ZB 20/07 - n. v. -; NJW-RR 2007, 1071) wie eine langjährige Zusammenarbeit zwischen Mandant und Rechtsanwalt (BGH MDR 2008, 946).


II.

1. Die für die vorprozessuale Einschaltung des Privatgutachters J entstandenen Kosten sind aufgrund der vorliegenden Besonderheiten des Einzelfalles dem Grunde nach erstattungsfähig.

a) Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung sind die Kosten für vorprozessual eingeholte Sachverständigengutachten nur ausnahmsweise erstattungsfähig. Denn es obliegt nicht den Parteien, die dem Gericht übertragene Beweiserhebung vorwegzunehmen. Demgemäß sind Kosten für vorprozessual vom Haftpflichtversicherer "routinemäßig" eingeholte Gutachten zu außergerichtlichen Schadensabwicklung selbst dann nicht erstattungsfähig, wenn sie in späteren Prozessen für die Darlegung von Bedeutung sind (OLG Karlsruhe JB 2005, 656). Bestehen allerdings schon vorprozessual sich aufdrängende Anhaltspunkte für einen versuchten Versicherungsbetrug, so dass sich der Versicherer von vornherein auf eine gerichtliche Klärung einstellen muss, dann bedarf es für die Erstattungsfähigkeit und die Bejahung der Prozessbezogenheit keines unmittelbaren zeitlichen Zusammenhanges. Denn der Versicherer hat regelmäßig nicht die erforderliche Sachkunde, um die Verursachung der Schäden im Rahmen einer Straftat mit hinreichender Überzeugungskraft und Sicherheit auszuschließen (BGH VersR 2009, 280; 563). Dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung hat der Senat sich angeschlossen (Beschluss vom 8. September 2010 - 17 W 194/10 -). Erstattungsfähigkeit muss erst recht gegeben sein, wenn sich im Prozess der Anfangsverdacht des Versicherers bestätigt.

b) So liegt der Fall hier. Der gerichtlich beauftragte Sachverständige N hat in seinem Gutachten vom 2. Mai 2012 wörtlich u. a. ausgeführt (Seite 21):
"Dieser flache Kontaktwinkel ist ein Charakteristikum bewusst herbeigeführter Leitplankenkontakte, weil bei den dann oberflächlichen Schäden die Differenz zwischen ordnungsgemäß kalkuliertem Reparaturbetrag und tatsächlicher Aufwendung für die Reparatur maximal wird. Bei einem reflexartigen Ausweichen nach links bzw. generell bei ungewollten Leitplankenkontakten ist der Kollisionswinkel hingegen meist wesentlich steiler und hinterlässt speziell am Kotflügel gravierende Schäden. Die Ausweichbewegung nach links zur Leitplanke war objektiv nicht erforderlich."
Dem ist nichts hinzuzufügen.

c) Es muss allerdings erstaunen, dass sich der Rechtspfleger bei Erlass seines Kostenfestsetzungsbeschluss auf einen Beschluss des Senats vom "30.01.2004 - 17 W 321/04" (es ist ausgeschlossen, das Ende Januar 2004 bereits 321 Beschwerdesachen eingegangen waren) gestützt hat. Seitdem hat sich der BGH - wie dargelegt - mehrfach mit der Frage beschäftigt, unter welchen Voraussetzungen Kosten erstattungsfähig sind, die vorprozessual dadurch ausgelöst werden, weil der Versicherer einen konkreten Verdacht bezüglich eines gestellten Unfalls hegt. Auch der Senat, wie auch andere Obergerichte, deren Entscheidungen veröffentlicht sind, hatte immer wieder Anlass, sich mit dieser Rechtsfrage zu befassen (s. etwa: 17 W 68/12, 17 W 210/11, 17 W 94/10, 17 W 41/10, 17 W 306/09). Im Laufe der Zeit hat der BGH seine einschlägige Rechtsprechung, der der Senat in ständiger Rechtsprechung folgt, stetig fortentwickelt, so dass die vom Rechtspfleger angeführte neun Jahre alte Entscheidung schon von daher nicht geeignet ist, den von ihm erlassenen Kostenfestsetzungsbeschluss zu stützen.

2. Soweit der Rechtspfleger die Kosten für den Privat-Sachverständigen in vollem Umfang ungeprüft festgesetzt hat, entspricht seine Entscheidung jedoch nicht der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH NJW 2007, 1532 f.). Dies führt zur Aufhebung des Nichtabhilfe- und Vorlagebeschlusses insoweit. Dem Rechtspfleger wird damit Gelegenheit gegeben, die erforderliche Prüfung nachzuholen.

a) Hierzu hat der BGH in der vorgenannten Entscheidung ausgeführt, die Angemessenheitsprüfung für abgerechnete Kosten eines Privat-Gutachters seien zwar nicht den Sätzen des JVEG zu entnehmen, da dieses weder unmittelbar noch analog anwendbar sei, weil es sich um keinen gerichtlichen Auftrag handele und nicht davon ausgegangen werden könne, dass eine Partei einen Privatgutachter werde finden können, der bereit sei, zu den im JVEG vorgegebenen Vergütungssätzen tätig zu werden. Um aber eine Angemessenheitsprüfung anlässlich der Kostenfestsetzung bzw. -ausgleichung vornehmen zu können, bedürfe es allerdings einer substantiierten Darlegung insbesondere der Tätigkeiten des Privat-Gutachters, der in Ansatz gebrachten Stundenzahl und des Stundensatzes.

b) Diesen Anforderungen wird die Abrechnung des Privat-Gutachters J vom 21. September 2010 nicht ansatzweise gerecht. Dies gilt insbesondere insoweit, als als Honorar pauschal 787,50 € netto in Rechnung gestellt wurden, ohne dass irgendwie nachvollziehbar ist, wie dieser Betrag zustande kommt. Bedenken unterliegen auch die Fahrtkosten (110,50 € netto). In L2 gibt es zahlreiche Sachverständige, die auf dem hier in Rede stehenden Fachgebiet entsprechende Kenntnisse haben.

3. Die Kostenentscheidung bezüglich des Beschwerdeverfahrens bleibt dem Rechtspfleger vorbehalten, da derzeit noch nicht absehbar ist, inwieweit das Rechtsmittel der Klägerin Erfolg haben wird.