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OLG Hamm Urteil vom 12.08.2013 - 6 U 154/12 - Kein Ersatzanspruch bei nicht kompatiblen Fahrzeugschäden

OLG Hamm v. 12.08.2013: Kein Ersatzanspruch bei nicht kompatiblen Fahrzeugschäden


Das OLG Hamm (Urteil vom 12.08.2013 - 6 U 154/12) hat entschieden:
Ist bewiesen, dass nicht sämtliche Schäden an einem Unfallfahrzeug auf das streitige Unfallereignis zurückzuführen sind, und macht ein Kläger zu den nicht kompatiblen Schäden keine Angaben bzw. bestreitet er das Vorliegen irgendwelcher Vorschäden, dann ist ihm auch für diejenigen Schäden, die dem Unfallereignis zugeordnet werden könnten, kein Ersatz zuzuerkennen.


Siehe auch Inkompatible Schäden am Unfallfahrzeug und Stichwörter zum Thema Schadensersatz und Unfallregulierung


Gründe:

I.

Wegen des erstinstanzlichen Vortrags der Parteien und der gestellten Anträge wird gem. § 540 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage nach Anhörung der Unfallbeteiligten, Vernehmung zweier Zeugen und Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen C, das dieser mündlich erläutert und ergänzt hat, abgewiesen. Im Wesentlichen hat es ausgeführt:

Die Klage sei unbegründet, weil der Kläger schon nicht den Beweis dafür erbracht habe, dass sein Fahrzeug durch den streitigen Unfall beschädigt worden sei. Durch das Gutachten des Sachverständigen C sei bewiesen, dass der Schaden an dem Pkw hinten rechts nicht auf die behauptete Kollision mit einem Hindernis im Böschungsbereich zurückgeführt werden könne. Eine Beschädigung durch Überfahren der Bankette und Abrutschen in den Graben habe zudem zwingend zu noch weitere Schäden führen müssen, nämlich zu Schäden an dem rechts gelegenen Auspuffrohr sowie an der Bodengruppe des Pkw. Außerdem sei den Spuren zu entnehmen, dass die Schäden durch eine Krafteinwirkung von hinten, also durch Rückwärtsfahren herbeigeführt worden seien.

Zweifel an der behaupteten Schadensentstehung bestünden ferner bezüglich der Frontschäden. Konkrete Beweise dafür, dass die Darstellung des Klägers zutreffend sei, habe der Sachverständige nicht gefunden. Und die Aussagen der vernommenen Zeugen seien nicht geeignet, die verbleibenden Zweifel auszuräumen.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Klageziel unverändert weiter. Er meint, es lägen konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen vor, die erneute Feststellungen insbesondere durch Einholung eines weiteren Gutachtens erforderten. Zum einen habe der Zeuge L die klägerische Darstellung bestätigt. Zum anderen sei die Beurteilung des Sachverständigen C, wonach der Heckschaden dem Unfallereignis nicht zugeordnet werden könne, unzutreffend. Der Sachverständige habe nicht genügend Ansatzpunkte gehabt, um zu dieser Einschätzung zu gelangen, und habe bei seiner Vernehmung durch das Landgericht unsicher gewirkt.

Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an ihn 77.119,12 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.12.2010 zu zahlen sowie außergerichtlich entstandene Kosten in Höhe von 1.880,20 Euro.
Die Beklagte zu 2) beantragt zugleich als Streithelferin des Beklagten zu 1),
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bestreitet neues Vorbringen und verteidigt die angefochtene Entscheidung.

Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Parteien wird Bezug genommen auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen, Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils samt darin enthaltener Bezugnahmen, ferner die Sitzungsniederschriften des Landgerichts vom 07.06.2011 und vom 09.02.2012 sowie diejenige des Senats vom 12.08.2013.


II.

Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Denn das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs des Klägers gegen die Beklagten lassen sich nicht feststellen.

1. Der Klage müsste der Erfolg selbst dann versagt bleiben, wenn ein solcher Unfallhergang feststünde, wie ihn der Kläger schildert. Denn der Kläger vermag nicht nachzuweisen, dass ihm durch den streitigen Unfall ein Schaden entstanden ist.

Ist bewiesen, dass nicht sämtliche Schäden an einem Unfallfahrzeug auf das streitige Unfallereignis zurückzuführen sind, und macht ein Kläger zu den nicht kompatiblen Schäden keine Angaben bzw. bestreitet er das Vorliegen irgendwelcher Vorschäden, dann ist ihm auch für diejenigen Schäden, die dem Unfallereignis zugeordnet werden könnten, kein Ersatz zuzuerkennen. Denn wegen des nicht kompatiblen Schadens lässt sich nicht ausschließen, dass auch der kompatible Schaden durch ein früheres Ereignis verursacht worden ist (vgl. KG Berlin DAR 2006, 323; OLG Düsseldorf DAR 2006, 324; OLG Hamm SP 1999, 414; OLG Köln VersR 1999, 865; OLG Köln r+s 2013, 305; Lemcke in Anwaltshandbuch Verkehrsrecht, 2. Aufl., Teil 6 Rz. 103 m.w.N.; Martis/Enslin MDR 2009, 848, 855 m. w. N.).

So liegt der Fall im vorliegenden Rechtsstreit. Nach den Feststellungen des Landgerichts kann der Schaden am Pkw des Klägers hinten rechts dem vom Kläger behaupteten Unfallgeschehen nicht zugeordnet werden, muss also durch einen anderen Schadensvorgang eingetreten sein, zu dem der Kläger keine Informationen liefert. Diese Feststellung des Landgerichts ist gemäß § 529 ZPO auch der Entscheidung im Berufungsverfahren zugrunde zu legen. Denn konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen des Landgerichts begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten, liegen nicht vor.

Ohne Erfolg beruft sich der Kläger darauf, dass dem Sachverständigen C weder der genaue Unfallort bekannt gewesen sei noch ihm konkret auswertbare Unfallspuren auf der Straße, im Gelände oder in anderer Weise zur Verfügung gestanden hätten. Denn der Sachverständige musste bei seiner Begutachtung davon ausgehen, dass sich der Unfall an der Stelle zugetragen hat, die der Kläger selbst als Unfallort bezeichnet hat. Das hat der Sachverständige beachtet. Das Problem, dass sich der Heckschaden bei Berücksichtigung der vom Kläger bezeichneten Unfallstelle nicht durch den streitigen Unfallhergang erklären lässt, resultiert daher nicht aus einer Unzulänglichkeit des Gutachtens sondern aus dem eigenen Vortrag des Klägers.

Als fehlerhaft erweist sich das Gutachten des Sachverständigen C ferner nicht deswegen, weil eine Beschädigung hinten rechts am Pkw des Klägers jedenfalls theoretisch durch eine Anstoß erfolgt sein könnte, bei dem es nicht zu einem Schaden an der Auspuffanlage (Side-Pipes) hätte kommen müssen. Eine solche Anstoßkonstellation trägt der Kläger auf der Grundlage eines von ihm eingeholten Privatgutachtens des Sachverständigen D unter Vorlage einer von diesem Sachverständigen gefertigten und mit Schriftsatz vom 27.08.2012 vorgelegten Skizze vor. Die Möglichkeit, den Schaden hinten rechts auf diese Weise zu erklären, scheitert aber daran, dass das Schadensbild ergibt, dass sich der Pkw im Zeitpunkt des Eintritts dieses Schadens in einer Rückwärtsbewegung befunden hat. Nach dem eigenen Vortrag des Klägers und nach der Schilderung des Unfallzeugen L kommt ein seitlicher Kontakt des Fahrzeughecks mit Gegenständen des Böschungsbereichs nur für einen Zeitpunkt in Betracht, zu dem sich der Pkw noch in Vorwärtsbewegung befand.

Den Eintritt des Schadens hinten rechts, der nur durch eine Rückwärtsbewegung des Pkw entstanden sein kann, vermag der Kläger, gestützt auf das Gutachten des Sachverständigen D, auch nicht plausibel dadurch zu erklären, dass es im Zuge einer nachkollisionären Drehbewegung zu einer kurzfristigen Rückwärtsbewegung, begünstigt durch die hohe Elastizität der GFK-Karosserie, habe kommen können. Denn nach dem Vortrag des Klägers und der Unfallschilderung des Zeugen L kann es zu einem Kontakt zwischen der hinteren rechten Fahrzeugseite und dem Böschungsbereich nur in der Zeit vor der Frontkollision gekommen sein. Da sich das Fahrzeug danach im Uhrzeigersinn gedreht hat, also mit dem Heck von der Böschung weg, kann der Pkw in der nachkollisionären Phase mit der hinteren rechten Seite keinen Kontakt mit Gegenständen gehabt haben, die die von hinten nach vorne verlaufenden Schürfspuren verursacht haben.

Eine plausible Erklärung für den von hinten nach vorne verlaufenden Schaden an der hinteren rechten Seite des Pkw liegt schließlich nicht in der vom Kläger am Schluss des Senatstermins angedeuteten Möglichkeit, er selbst könne diesen Schaden verursacht haben, als er sich nach dem Verladen des Pkw an der Unfallstelle auf dem Abschleppanhänger an dem Pkw vorbei bewegt habe. Denn abgesehen davon, dass dieser Vortrag wegen Verspätung keine Berücksichtigung mehr finden konnte, ergeben sich daraus keine Zweifel daran, dass sich der Pkw im Zeitpunkt der Heckschäden in einer Rückwärtsbewegung befunden hat. Dies ergibt sich nämlich nach den Ausführungen des Sachverständigen C nicht nur aus dem Verlauf der seitlichen Schürfspuren im hinteren rechten Bereich des Pkw sondern zusätzlich daraus, dass im hinteren Bereich die Heckleuchte zerstört worden ist.

Dem Antrag des Klägers auf Einholung eines Gutachtens eines anderen Sachverständigen war nicht stattzugeben. Denn das Gutachten des Sachverständigen C ist nicht unzulänglich. Es erklärt die anstehenden Fragen vollständig und überzeugend. Es ist nicht zu beanstanden, dass das Landgericht seine Feststellungen auf die Ausführungen dieses Sachverständigen gestützt hat. Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass der Sachverständige, so der Berufungsvortrag des Klägers, bei seiner persönlichen Vernehmung eine Unterbrechung erbeten hat, um auf dem Gerichtsflur ergänzende Überlegungen anstellen zu können. Mangelnde Fachkunde des Sachverständigen kann daraus nicht gefolgert werden.

Schließlich bestehen keine Bedenken dagegen, dass das Landgericht den Ausführungen des Sachverständigen den Vorzug gegeben hat gegenüber den Bekundungen des Zeugen L, der ausgesagt hat, der Pkw des Klägers sei ohne Vorschaden gewesen. Ein Verstoß gegen § 286 ZPO liegt hierin nicht.

2. Nach alledem war das angefochtene Urteil schon deswegen zu bestätigen, weil der Kläger den Eintritt eines Unfallschadens nicht zu beweisen vermag.

Unabhängig davon teilt der Senat aber auch nicht die Auffassung des Klägers, das Landgericht habe zu Unrecht ein Beweisergebnis festgestellt, bei dem Zweifel daran verbleiben, ob sich der Unfall tatsächlich so zugetragen hat wie ihn der Kläger vorträgt.

Insofern folgt der Senat den zutreffenden Ausführungen des Landgerichts und nimmt darauf Bezug. Die Zweifel des Landgericht am behaupteten Unfallgeschehen erscheinen ohne weiteres berechtigt, und zwar insbesondere im Hinblick darauf, dass sich ein Teil der Fahrzeugschäden durch den vom Kläger vorgetragenen Unfallhergang technisch nicht erklären lässt, dass ferner der als Zeuge vernommene Polizeibeamte V an der Unfallstelle nur einen Schaden vorne rechts am Pkw hat feststellen können, dass dieser Zeuge sich außerdem an auslaufende Flüssigkeiten nicht hat erinnern können, obwohl an der Unfallstelle 20 Liter Motoröl und 15 Liter Kühlflüssigkeit ausgelaufen sein sollen, und schließlich auch deswegen, weil der Zeuge V den Pkw des Klägers nicht nur nach seiner Erinnerung sondern auch ausweislich der von ihm gefertigten Verkehrsunfallskizze in einer völlig anderen Position vorgefunden hat als in derjenigen, in der sich der Pkw nach dem Vortrag des Klägers nach dem Unfall befunden haben muss.

Nach alledem war die Berufung mit den Nebenentscheidungen aus §§ 97, 543, 708 ZPO zurückzuweisen. Die Voraussetzungen einer Revisionszulassung liegen nicht vor.